Dornenreich
2. Interview mit Eviga zu "Freiheit"
Interview
Das achte Opus DORNENREICHs markiert sicherlich irgendwo einen Wendepunkt, wurde doch vorab angekündigt, dass „Freiheit“ vorerst das letzte Studioalbum für längere Zeit der österreichischen Avantgardisten bleiben wird. Dieses sehr dynamische Werk ist wieder einmal beseelt von der hohen Dramaturgie, Leidenschaft und Intensität, und in sich sehr kontrastreich und vielschichtig, detailreich filigran musikalisch. Dabei bleiben DORNENREICH ihrem ureigenen charakteristischen Stil treu und sind authentisch. Mit folgendem 2. Interview zu „Freiheit“, nach einem ersten während der Listeningsession, tauchen wir mit Eviga weiter ein.
Nachdem wir schon einige Punkte zum Album „Freiheit“ im ersten Interview beleuchtet hatten, möchte ich mit einigem zeitlichen Abstand noch auf einige Dinge eingehen. „Freiheit“ wirkt in der gesamten Grundstimmung, trotz melancholischer Momente, positiv auf eine tiefsinnige Weise, irgendwie auch öffnend, hoffnungsvoll, erwartungsvoll. Würdest du meiner Einschätzung zustimmen? Wie fühlt sich „Freiheit“ für dich an?
Ja, öffnend – und selbst offen; erwartungsvoll im Sinne einer offenen, empfangsbereiten Haltung. Auch eine schöpferische Melancholie nehme ich wahr und kann es selbst nicht nachvollziehen, wenn dem Album depressive Züge angedichtet werden; auch und insbesondere dann nicht, wenn man die Texte der Stücke wirklich auf sich wirken lässt.
Dennoch finde ich es wichtig im Sinne einer universalen Authentizität, dass sich das Album auch nicht den Schmerzerfahrungen und den Angsterscheinungen des menschlichen Lebens verschließt. In meiner Wahrnehmung versucht dieses Album, die Polaritäten bzw. kontrastierenden Kräfte des Lebens auf eine natürliche Weise zu verbinden, ohne Destruktives bzw. Negatives zu unterbinden oder auch nur zu verdrängen. Darin liegt für mich persönlich die eigentliche Stärke des Albums.
„Freiheit“ als Albumname ist ein sehr starker, positiv geprägter Begriff und lässt jetzt natürlich viele Deutungen zu. Freiheit als Musiker – die totale künstlerische Freiheit die ihr seitens des Labels auch habt, auch in Hinsicht darauf, erst einmal keine weiteren Studioalben zu veröffentlichen. Oder Freiheit als Individuum, sich frei fühlen von irgendwelchen Zwängen. Freiheit als Mensch, sich frei entwickeln und entfalten. Was symbolisiert für dich Freiheit im Zusammenhang mit diesem Werk?
In dem Maße, in dem das Individuum sich seiner eigenen Bedingungen, Prägungen und Muster bewusst wird, wird es freier. Es wird mitunter frei von vielem, was es dann in die Lage versetzt, bewusst frei für etwas zu sein, sich verschiedensten Ausformungen des Lebens hinzugeben und so aus einem Selbst heraus zu handeln, das sich als Teil des Lebensganzen begreift und das angsterfüllte, hungernde Ego hinter sich lässt.
In Bezug auf DORNENREICH steht Freiheit auch dafür, dass wir allein dem Leben, unserer Intuition, freiem künstlerischen Ausdruck verpflichtet waren, ja. DORNENREICH ist immer unberechenbar, will meinen, höchst lebendig und authentisch geblieben – und das macht mich glücklich.
Ihr habt gerade euer 18jähriges Jubiläum – mit 18 Jahren erreicht man in den meisten Ländern die Volljährigkeit. Für einen jungen Menschen bricht damit eine neue Zeit an, man ist Erwachsen, ist gelöst von alten Zwängen, um neue Verantwortungen zu übernehmen. Würdest du auch in Verbindung mit „Freiheit“ gerade den Aufbruch DORNENREICHs in ein neues Zeitalter sehen? Seid ihr jetzt gewissen Dingen „entwachsen“, „gereift“, „freier“?
Schon ein Stück weit, würde ich wagen zu behaupten haha… DORNENREICH ist nun in gewissem Sinne älter als ich war, als wir unser Debüt-Album aufnahmen (- ich war damals sechzehn Jahre jung). Jedenfalls habe ich selbst den Eindruck, dass man die Entwicklungsschritte gut nachvollziehen kann, wenn man sich unsere Alben chronologisch anhört. Dabei wird auch deutlich, dass wir doch immer wir selbst geblieben sind, dort, wo sich Leidenschaft und Intensität wirklich versammeln – im Kern. Und so ist unsere emotionale und gedankliche Handschrift auf unserem Demo-Tape von 1997 ebenso klar ersichtlich wir auf diesem achten Album.
Das Cover zeigt einen Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang am Meer, was so oder so die Schwelle zwischen Tag und Nacht symbolisiert. Stehen DORNENREICH auch gerade an dieser Schwelle?
Definitiv, ja. Und es gilt nun, sich der Kraft und Magie künstlerischen Ausdrucks neu und frei anzunähern. Je mehr Abstand ich nun von „Freiheit“ gewinne und umso flächendeckender nun bekannt ist, dass dieses Album für längere Zeit unser letztes Studioalbum bleiben wird, desto klarer wird mir, wie wichtig mir künstlerischer Ausdruck wirklich ist und desto klarer wird mir, dass es für uns und für DORNENREICH noch viel zu entdecken geben wird; wenngleich in neuen Formen, vielleicht auch in anderem Rahmen und neuen Konstellationen. Die Zeit wird vieles zeigen. Und da ich ja nicht in die Zukunft blicken kann, bin ich im Augenblick einfach nur dankbar dafür, dass ich mich gesund und kräftig fühle, und dass uns dieses besondere Album gelungen ist, das jetzt diesen speziellen Platz innerhalb unserer Diskografie einnimmt und ihn – wie ich finde – voll und ganz ausfüllen kann.
Der Gitarrenlauf bei „Blume der Stille“ erinnert mich an Barockmusik? Wie kamst du darauf? Beschäftigst du dich bewusst mit klassischer Musik?
Während meiner Ausbildung spielte ich tatsächlich viel Barockmusik auf der klassischen Gitarre, ja, – Lautenmusik also. Generell bin ich ein großer Bewunderer Alter Musik und es ist deshalb wenig verwunderlich, dass manche Gitarrenläufe entsprechende Assoziationen wecken.
Auch Flamenco-Klänge sind auf „Freiheit“ zu hören. Bildest du dich an der Gitarre immer wieder weiter?
Nicht wirklich bewusst. Allerdings ist eine meiner Stärken vielleicht die, dass ich scheinbar dazu in der Lage bin, musikalische Ausdrucksformen bzw. Stile und Techniken, die ich zwar gerne höre, aber eigentlich nicht bewusst erübe, irgendwie in mein eigenes Ausdrucksrepertoire zu integrieren verstehe. Wird mir das dann selbst bewusst, bereitet mir das auch sehr große Freude, muss ich sagen…
Die textliche Quantität nimmt im Verlauf des Albums ab der Hälfte kontinuierlich ab bis zur „Blume der Stille“. Welche Bedeutung steckt dahinter?
Es ging und geht mir im Rahmen der Texte immer wieder darum, mit möglichst wenigen Worten, möglichst viel auszusprechen und anzudeuten und folglich auch darum, mittels der Sprache über die Grenzen der Sprache hinaus zu weisen, denn künstlerischer Ausdruck – insbesondere in Kombination mit Musik und ihrem Gestus – ist für mich die vielleicht tiefste und weiteste Form zwischenmenschlicher Kommunikation, die so viel mehr ist als ein Wort, ein Bild oder ein Gefühl. Die transzendierende Grundschwingung künstlerischen Ausdrucks ist mir etwas sehr, sehr Kostbares, das für die letztliche AllEinheit des Seins sensibilisiert. Solches Empfinden zu etablieren, halte ich für zeitlos wichtig.
Deine Texte sind ein wichtiger Bestandteil von DORNENREICH. Sie sind sehr poetisch gehalten und voller Symbolik, weshalb man sich schon intensiver mit ihnen beschäftigen muss. Wie wichtig ist es dir, dass deine Texte verstanden werden? Ich denke auch, da steckt sehr viel Arbeit von dir drin – wie muss man sich diesen Prozess bei dir vorstellen?
Sobald ich einen guten Rohmix der Musik eines Albums habe, höre mich mir die Stücke wieder und wieder an und schreibe die Texte in wenigen Tagen bzw. Wochen zu den Bildern, Gesten und Gefühlen, welche die Musik in mir entstehen lässt.
Es ist mir dabei durchaus wichtig, dass meine Texte verstanden werden oder jedenfalls etwas berühren oder auslösen, sodass einige Zeilen bei dem geneigten Hörer bleiben… So versuche ich mich immer wieder neu, der Balance zwischen offener Symbolik und inhaltlicher Präzision zu nähern. Dabei vertraue ich oft auf die Magie der Sentenz… Will meinen: es gibt für das Album und auch für jeden Text ein Großthema, doch jeder Text setzt sich aus vielen Sätzen zusammen, die auch für sich verstanden werden können – zuweilen also auch in sich rund sind. Besonders anschaulich wird das an den meisten Titeln, die ich den Stücken gebe. In diese Titeln selbst ist die wesentliche Aussage des Textes in äußerst verknappter Form enthalten – wie zum Beispiel in „Das Licht vertraut der Nacht“, „Aus Mut gewirkt“, „Traumestraum“ oder „Blume der Stille“.
Du unterscheidest in deinen Texten das Selbst vom Ego. Was ist dir daran wichtig?
Das Ego repräsentiert in diesem Zusammenhang das verkappte Ich, gefangen in seinen Ängsten, in seinem unbewussten Selbsthass, in seiner Bedürftigkeit. All das peitscht das Ego gewaltvoll durch die Welt und zieht innere und äußere Verwüstungen nach sich. Das Ego gibt sich also als psychologisches Skelett des Flammenmenschen zu erkennen.
Das Selbst hingegen meint hier einen lebensnahen Selbstbezug des Individuums. Das Selbst ist sich der Wechselwirkungen zwischen Innen und Außen und der eigenen Dynamiken und Wesenszüge bewusst, es nimmt sich in seiner Gegenwart an, es vertraut sich und der Welt. Und in diesem Vertrauen ist es dazu fähig, sich hinzugeben und erfüllend teilzuhaben am Lebensganzen – und das ist eben das, was dem Flammenmenschen nicht gelingt.
„Im ersten aller Spiele“ behandelt die Unbeschwertheit der Kindheit. Sehnst du dich manchmal danach zurück?
Vereinfacht und spontan gesagt: klar. Nur geht es mir nicht um eine Regression, die ja am Ende meist eine Flucht ist. Das Kind, das sich selbst noch nicht als von der äußeren Welt getrenntes Subjekt wahrnimmt, ist ja auch nicht frei im Sinne eines bewussten Freiseins, zu dem der so genannte Erwachsene an einem gewissen Punkt durchdringen mag, worin ich eine grundlegende Herausforderung zu erkennen meine, die das Leben einem Menschen stellt (- vorausgesetzt natürlich, seine Grundbedürfnisse sind gestillt: Nahrung und Behausung). Sich aber immer wieder an das unmittelbare, ungetrennte Staunen des Kindes zu erinnern, das – nimmt man es durch die Augen des Erwachsenen wahr, – zu ahnen scheint, dass alles, was es nun hier wahrnimmt, vielleicht eben noch nicht existierte und sich jetzt erstaunlicherweise als kontinuierliches Wunder vollzieht, ist für mein tägliches Lebensverständnis sehr bedeutsam.
Nachdem du nun etwas Abstand zu „Freiheit“ gewinnen konntest, wie fühlt sich das Album für dich an?
Wie das Album, das ich schon seit vielen, vielen Jahren Wirklichkeit werden lassen wollte – und zwar in lyrischer, musikalischer, grafischer wie auch klangtechnischer Hinsicht. Und es ist das Album, das mir zeigt, wie und warum ich meinen Weg gegangen bin und wie es anders weitergehen könnte. Mehr kann ich dazu allerdings an dieser Stelle nicht sagen.
Eine Frage interessiert mich auch – wie bist du damals eigentlich dazu gekommen, mit DORNENREICH eigene Musik zu erschaffen? Was waren dein Antrieb, deine Motivation, deine Intention? Und wie hat sich das im Laufe der Jahre nun geändert, verändert? Was treibt dich heute an?
Diese Frage habe ich mir selbst immer wieder gestellt und es ist am ehesten tatsächlich dieses Gefühl, dass ich damals hatte, als ich zum ersten Mal die Gitarre meiner Mutter zur Hand nahm und dann bemerkte, dass die Klänge die ich damit erzeugte in einer direkten Beziehung zu meinem Inneren standen. Das Gefühl, mittels Musik in einen so tief greifenden Dialog mit der äußeren Welt eintreten zu können, hat mich nie wieder losgelassen und war dasjenige magische Ereignis, das mich immer wieder angetrieben hat und an das ich mich auch ganz bewusst immer wieder erinnere, um mich mit meinem künstlerischen Ursprung zu verbinden.
Wie läuft die Tour?
Mittlerweile ist die Tour zu Ende. Es war eine unbeschreiblich intensive Zeit, was daran lag, dass wir uns blendend mit unseren Tourgefährten bzw. unserer Crew verstanden, daran, dass DORNENREICH auf der Bühne immens fordert und insbesondere auch daran, dass wir ein fantastisches Publikum haben, bei dem ich mich an dieser Stelle auch nochmals für seine Leidenschaftlichkeit und Treue bedanken möchte.
Was habt ihr sonst noch in diesem Jahr alles geplant?
Wir werden uns demnächst zusammensetzen, um einige weitere Konzertpläne für das Ende des Jahres zu schmieden. Im kommenden Jahr werden wir uns auf ausgewählte Festivals und auf weitere Akustikkonzerte an inspirierenden Orten konzentrieren.
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Im Namen von DORNENREICH möchte ich dir und euch allen da draußen danken, dass ihr den Weg so schon so viele Jahre mit uns geht. Dies ist nicht das Ende. Es ist ein Schritt auf die Essenz DORNENREICHs zu – authentisch und vertrauensvoll.
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