Diorama
Diorama
Interview
Mit „Her liquid arms“ präsentierte Diorama eines der ansprechendsten Alben des Jahres. Mit Mastermind Torben Wendt sprach ich über die Band, das Album und einiges mehr …
Für alle, die es noch nicht wissen sollten – wer steckt hinter Diorama ? Seit wann existiert die Band ?
Hinter Diorama stecken in der momentanen und hoffentlich dauerhaften Besetzung Felix Marc und meiner einer. Die Band existiert seit 1996, wobei sich das nicht genau sagen laesst, da das Projekt nicht an einem bestimmten Termin feierlich gegruendet oder getauft wurde, sondern ueber einen langen Zeitraum hinweg gewachsen und gereift ist.
Standardfrage – was bedeutet „Diorama“ eigentlich ?
Diorama ist eine Bezeichnung fuer Schaukasten oder Guckkasten, die ihrer Semiotik nach hoechstwahrscheinlich aus dem Altgriechischen stammt. Fuer uns ist der Bandname Ausdruck der Grundphilosophie oder der eigentlichen Triebfeder hinter dem Musikmachen, die Erschaffung eines akustischen Schaukasten zur Beschreibung innerer Vorgaenge, deren Moeglichkeiten ueber die der verbalen oder schriftlichen Kommunikation hinausreichen.
Wie lange hast Du am neuen Album „Her liquid arms“ gearbeitet ? Wie muss man sich Deine „Arbeitsweise“ vorstellen – hattest Du von vornherein konkrete Vorstellungen wie das Album aussehen soll ?
Die tatsaechliche Arbeit an „her liquid arms“ hat knapp ueber ein Jahr in Anspruch genommen. Eine konkrete Vorstellung, wie das Endergebnis genau aussehen oder sich anhoeren sollte, hatte keiner von uns. Generell verfolge ich ohnehin eher die Strategie, die Musik und die Kreativitaet aus sich selbst entstehen zu lassen, steife Konzepte wirken in diesem Prozess irgenwie hemmend. Es ist wichtig, einem Album ein grosses Mass an eigenstaendiger Entwicklung zu erlauben, ihm kein Korsett zu schnueren, das tut einem finalen stimmigen Gesamtbild nicht gut. So ist zum Beispiel die Grafik erst entstanden, nachdem die musikalische Arbeit getan war, da sich der Grafiker von der Musik inspirieren lassen wollte.
Welches thematisches Konzept steht hinter „Her liquid arms“ ? Welches „Bild“ verbirgt sich hinter dem Albumtitel ?
Den Albumtitel fand ich spannend, da er viele Interpretationsansaetze erlaubt. Auf der einen Seite nimmt er Bezug auf das Meer, auf die tief empfundene Faszination, Ruhe und Besinnlichkeit, die sicherlich jeder kennt, der Sonnenuntergaenge oder Naechte am Meer liebt und ein Faible fuer seine Weite und den durchdringenden Frieden hat. Auf der anderen Seite hat der Titel mit der Sehnsucht zu tun, aufgefangen zu werden, Trost und Waerme zu empfangen, einen Ausweg aus seinem kleinen persoenlichen Horror zu finden, bildlich gesehen der Wunsch nach rettenden oder schuetzenden Armen in die man sicher fallen kann. Verbunden mit dieser Vorstellung sind Illusion, Vermeintlichkeit und Enttaeuschung der Sehnsucht, da die Arme, die zur Rettung faehig schienen, keinen Halt bieten und man ungebremst seinen Fallflug fortsetzen muss, das Fallen in fluessige Arme (was erneute Assoziationen zum Meer weckt, das tatsaechlich in der Lage ist, einen vollkommen zu absorbieren). Eine bunte Interpretationskette entsteht und letztenendes liegt der Sinn einmal mehr im Bewusstsein des Betrachters.
Vielen Fans sind sicher die „einstimmenden Worte“ zu Beginn des Albums aufgefallen. Was hat es damit auf sich ?
Diese einstimmenden Saetze haben wir von einer Edgar Allen Poe Hoerspielkassette heruntergesampelt. Wir hatten so halb aus Jux nach einem schoenen Vokalsample geforscht und sind dabei zufaellig auf diesem Abschnitt
gestossen, der uns in seiner grotesken Tragik-Komik sofort gefallen hat. Als der Teil dann so perfekt mit der Musik harmonierte, sind wir ausgeflippt, und die Sache war gekauft.
Schreibe doch bitte einige Gedanken zu den einzelnen Songs auf …
H.l.a
Titeltrack, spiegelt inhaltlich oben beschriebene Doppeldeutigkeit wieder.
E minor
Die leeren Augen des hohlen Gesichts im Spiegel ernuechtern auch die letzte Spur von Selbstgefaelligkeit.
Advance
Mann, sind wir froh ueber dieses Lied! Was Clubplay und allgemeine Resonanz angeht der Hit des Albums.
Light
Die Worte und Harmonien sind geflossen wie Freudentraenen, die Einsamkeit und Sinnlosigkeit des Musikers, der sich dermassen in sein Paralleluniversum verrannt hat, dass seine Realitaetsfremde den anderen den Zugang zu seiner Person und gleichzeitig ihm selbst den Zugang zur Aussenwelt verwehrt.
Times galore
Thematisch widmet sich der Song dem Zeitgedanken, sieht Zeit als determinitiven Faktor, als Motor der Vergänglichkeit und Relativierung der Wichtigkeit unserer kleinen Einzelschicksale. Der Protagonist beklagt die Gemeinheit der Unbeirrbarkeit der durch die Zeit vorangetriebenen Vergänglichkeit, des Endens seiner Existenz, sowie des globalen Endens, und sieht, daß wir Menschen vor der Grausamkeit und doch Gerechtigkeit der Zeit alle gleich sind. Wie Wassertropfen, die nebeneinander an einem Faden hängen, z.B. einem Spannungsfaden ;-), und auf den Fall warten, der unaufhaltbar stattfinden wird. In den Versen läßt der singende Situationen seines Lebens an sich vorbeiziehen, zu denen beispielsweise das Verhältnis zu einer wichtigen Person gehört, die ihn ob der Tatsache, ihn vermeintlich durchschaut zu haben, in völliger Fehleinschätzung und Miß/Verachtung seiner Situation als schlechten Menschen tituliert, wofür er nun verspätete Rache nehmen will, da er, als er noch in engerem Bezug zu dieser Person stand, zu schwach dafür gewesen war, sich gegen diese Verleumdung zur wehr zu setzen, vielleicht auch, weil er in seinem Selbstzweifel begann, der Person glauben zu schenken und nun, durch die ergänglichkeitsgewahre Gleichgültigkeit, zur Auseinandersetzung damit befähigt
ist.
Hydro Drugs
Die Baendigung des Meeres im Rausch der Tiefe.
Photo
Eine Momentaufnahme der Menschheit im allgemeinen und des kleinen persoenlichen Umfeldes im besonderen, verbunden mit der tragischen Erkenntnis, das ich den ganzen Quatsch begeistert mitmache.
Das Meer
Sonderstatus als erster deutscher Song, entstanden als ich 16 war. Der Song bedeutet mir sehr viel, er beinhaltet ein Stück meiner Jugend bzw. meines jugendlichen Lebensempfindens, das mich heute noch begleitet.
Wingless
Keine Ahnung, abgefahrenes Stueck.
Beamer
Sicher eines der musikalischen Highlights des Albums, eine Art Soundtrack zu einer Unterwasser-Fahrt mit einem fantastischen U-Boot.
Mit „Das Meer“ gibt es auch einen deutschsprachigen Song auf der CD. Könntest Du Dir in Zukunft weitere Songs von Diorama mit deutschen Lyrics vorstellen ?
Grundsaetzlich vorstellbar ist das auf jeden Fall, wobei noch keine konkreteren Plaene in dieser Richtung geschmiedet sind. Da ich mich ueber die Musik hinaus als Verfasser von Gedichten und Kurzgeschichten in deutscher Sprache versuche, liegt es nahe, weitere textliche Einfluesse aus dieser Ader zu gewinnen. Schau mer mal.
„Her liquid arms“ fällt durch sein anspruchsvoll gestaltetes Booklet auf. Wie wichtig ist Dir das Artwork Deiner Veröffentlichungen ?
Das Artwork trägt zum Gesamtbild des Albums bei, daher definitiv wichtig. Stundenlang, nächtelang habe ich mit dem Grafiker via Telefon und Email daran gearbeitet, um das jetzige Ergebnis so hinzubekommen. Ich war einfach mit der Absicht herangegangen, dem Album eine Grafik angedeihen zu lassen, die es optimal visualisiert und unterstützt, das ist mir und in erster Linie natürlich Lust auf etwas Frisches, Neues, Geschmeidiges. Wenn ich von mir selbst ausgehe, mich
faszinieren und erfreuen aufwendige CD Booklets. Sie ermoeglichen einen optischen Bezug zu Band und Musik, der den Hoerern und Kaeufern von Diorama auch angeboten werden soll.
Gibt es noch Kontakte zu „Diary of Dreams“ aus ?
Aus unserer musikalischen und freundschaftlichen Naehe heraus ergeben sich immer wieder Situationen, bei denen auch zusammengearbeitet wird. Eine meiner und Adrian Hates‘ Lieblingsbeschaeftigungen sind naechtelange gemeinsame Sessions, bei denen schon der ein oder andere Song oder vielversprechende Ansatz entstanden ist.
Was denkst Du, wenn Du Veljanov auf VIVA siehst – Albtraum oder Wunschtraum ? Wie bedeutend ist kommerzieller Erfolg für Dich ?
Wunschtraum, ganz klar! Die uebertriebene Verteufelung des Kommerzes geht mir sowas von auf den Keks. Eines Tages gaenzlich von der Musik leben zu koennen, das waere schon ein Ding, es geht ja nicht darum, aufgrund des Strebens nach kommerziellem Erfolg eine Verzerrung der eigenen Stilistik oder der Band-Philosophie vorzunehmen. Mit der Musik Geld zu verdienen und gegebenenfalls auch viel Geld ist ein berechtigter Wunsch ernsthafter Musiker. Wenn man sich gaenzlich auf das Komponieren und Produzieren konzentrieren kann, anstatt seine Zeit mit Jobs zuzukleistern, um ueber die Runden zu kommen, steigt gleichzeitig die musikalische Qualitaet. Wenn ich also Veljanov auf VIVA sehe, finde ich es klasse, dass es jemand aus unserem musikalischen Makro-Umfeld geschafft hat (nun ist der Mann ja auch lange genug dabei) und vielleicht dazu beitraegt, den Weg zur Popularitaet fuer andere Bands aus dem selben Genre zu ebnen.
Wie sieht die nähere und weitere Zukunft von Diorama aus ? Sind Konzerte geplant ? Festivalauftritte ? Ist bereits neues Material in Arbeit ?
Eine Live-Tour ist fuer Anfang 2002 geplant, sowie ein neues Album, in das ein absolutes Hoechstmass an Motivation und Muehe gesteckt werden wird. Neues Basismaterial ist am Start, Inspirationen aller Art werden dieser Tage in Kanada und Reutlingen gesammelt. Ein weiterer kuehner Plan sieht auch einen Videoclip vor, wenn es finanziell drin ist. Festivaltermine sind in Verhandlung, bindende Aussagen lassen sich aber noch nicht treffen. Ueber Neuigkeiten kann man sich am besten auf unserer homepage www.diorama-music.com informieren.
Vielen Dank für das interessante Gespräch und weiterhin alles Gute für die Zukunft !
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