Despairation
Despairation
Interview
Al Gore kann einpacken! Entgegen dem Klimawandel lassen sich DESPAIRATION die vierte Jahreszeit auf ihrer neuen Platte „Requiem In Winter’s Hue“ nicht nehmen, und sorgen mal wieder für richtig geilen Nachschub im Düsterregal. Grund genug, für das obligatorische Interview nicht nur Sänger Sascha Blach, sondern auch Klampfer Martin Jungkunz mal ordentlich auszuquetschen.
Erstmal klasse nach vier Jahren wieder ein neues Album von euch im CD-Player haben zu können. Wenn ihr die Platte mit einem Haushaltsgegenstand vergleichen müsstet, welcher wäre das dann?
Martin: „Ein Handmixer!“
Sascha: „Ein sprudelndes Fußbad nach einem anstrengenden Arbeitstag vielleicht?“
Das allgemeine Thema ist diesmal „Abschied“ geworden. Wie kamt ihr darauf, und was hat es mit winterlichen Farbtönen zu tun?
Sascha: „Tja, wie kommt man auf ein Thema? Das ergibt sich immer automatisch, ohne dass man sich dessen schon während des Schreibens bewusst ist. Es war also kein geplantes Konzept, sondern ein Leitfaden, der sich auf bisweilen verschlungenen Pfaden durch die Texte zieht, was ich aber selbst erst bemerkte, als alles fertig war und wir einen Aufhänger suchten. Ich kann aber nicht sagen, dass mich zur Zeit der Albumproduktion besonders viele Abschiede beschäftigt hätten, das ist wohl einfach eine Sache, die in meinem Kopf immerwährend präsent ist und in den Momenten der Einkehr, sprich während des Textschreibens, automatisch mit durch kommt. Unser ganzes Leben besteht aus kleinen und großen Abschieden, die mal dramatisch und schmerzhaft sind, bisweilen aber auch schleichende Prozesse, die man kaum bemerkt. Entsprechend breit ist auch die lyrische Palette der Platte wieder geworden.“
Bilden die Songs unter dem Thema wieder ein dichtes Konzept wie im Vorgänger, oder geht die Tendenz eher zu elf Einzelsongs?
Sascha: „Eher zu elf Einzelsongs, da wir nicht konzeptuell dachten beim Songwriting und die Stücke in einem Abstand von mehreren Jahren entstanden sind. „Music For The Night“ war seinerzeit ein ungemein arbeitsintensives Album und das von Beginn feststehende Konzept hatte uns anschließend auch immer wieder eingeengt, diesen Fehler wollten wir nicht noch einmal machen, deswegen gab es diesmal keine Vorgaben. Erst als wir genügend Songs beisammen hatten, haben wir die ruhigeren Stücke genommen und sie ausproduziert. Es gab auch einige härtere Songs, die für ein Folgealbum aufgespart wurden.“
Mit welcher Grundeinstellung seid ihr ans Schreiben der Songs gegangen, und inwiefern war das eine andere als bei „Music For The Night“?
Martin: „Es gibt da bei uns keine Grundeinstellung, wenn wir Songs für ein neues Album schreiben. Es ist vielmehr so, dass man einfach Ideen hat und diese aufnimmt. Wir hatten auch für dieses Album einige Songs, von denen dann diejenigen aufgenommen wurden, die unserer Meinung nach am besten gepasst haben. Insofern gibt es – zumindest bei uns – nicht DIE Grundeinstellung für ein bestimmtes Album, nur eine Stimmung bei einem bestimmten Song.“
Sascha: „Ich muss allerdings zugeben, dass uns das Unverständnis, das einige Hörer ‚Music For The Night’ entgegen brachten, schon etwas verstörte und wir uns doch sehr wunderten, dass dieses Album für viele Rezipienten scheinbar zu vielschichtig war. Deswegen haben wir bei der Zusammenstellung der neuen CD darauf geachtet, dass sie etwas homogener klingt und die Menschen nicht wieder so maßlos überfordert.“ [grinst]
Wo seht ihr die größte Innovation und Meisterleistung in „Requiem For A Winter’s Hue“, verglichen mit den Vorgängern?
Martin: „Meisterleistung klingt jetzt wohl ein wenig übertrieben. Die Innovation ist die, dass wir uns dieses Mal ordentlich zurückgehalten haben, was irgendwelche freakigen Passagen und experimentelle Ausuferungen betrifft. Das hängt allerdings auch damit zusammen, dass wir derartige Songs – die natürlich auch geschrieben wurden – erstmal in die Warteschleife gehängt haben. Es sollte dieses Mal ein eingängigeres und homogeneres Album werden als „Music For The Night“.“
Sascha: „Ja, mit Begriffen wie ‚Innovationen’ und ‚Meisterleistungen’ halten wir uns gerne zurück, da gibt es schon genug andere Bands, die sich am liebsten selbst mit Superlativen belegen und denen etwas Bescheidenheit nicht schaden würde. Wir haben einfach ein Album gemacht, hinter dem wir alle in der Band stehen können und das uns selbst gefällt, nicht mehr und nicht weniger.“
Gibt es einige Songs die euch besonders bedeutsam sind?
Martin: „Kann ich von mir persönlich nicht sagen.“
Sascha: „Die Songs, die uns nicht bedeutsam genug waren, haben es auch nicht aufs Album geschafft, von daher erübrigt sich die Frage.“
Wurden alle Nummern in den letzten vier Jahren geschrieben, oder gibt es auch noch ein paar Altlasten die zu „Music For The Night“-Zeiten geschrieben wurden, aber damals nicht ins Konzept gepasst haben?
Martin: „Nein, einige Songs sind tatsächlich schon viel älter. ‚Cathartic Revelation’ besteht aus einer Idee die bereits vor „S.O.L.A.R.“ entstanden ist und für das neue Album noch einmal neu arrangiert wurde. Genauso ist ‚Lucid Lullaby’ eigentlich ein Song von „Music for the Night“, der aber damals – ganz banal – nicht mehr aufs Album gepasst hat. Immerhin hatten wir ja schon eine Spielzeit von beinahe 80 Minuten und dann ist ein Song von 8 Minuten einfach nicht mehr drin.“
Sascha: „Ähnlich war es mit ‚Kiss Of Ashes’ und ‚A Lovelorn Requiem’, die ich schon seit Jahren in der Schublade hatte, aber nie die richtige Verwendung wusste und im Kontext dieses Albums und nach einer Überarbeitung durch Martin passten sie auf einmal rein…“
Wie lange dauert der Kompositionsprozess, bis eine typische Despairation-Nummer geschrieben ist?
Martin: „Die erste Idee geht schnell. Im Normalfall schreiben wir ein Grundgerüst und arrangieren es nur notdürftig, um es den anderen in der Band vorzuspielen. Das eigentliche Arrangieren passiert dann erst im Aufnahmeprozess und ist somit zeitlich nur schwer einzugrenzen. Somit kann die Entstehung eines Songs sich wirklich lange hinziehen.“
Sascha: „Manchmal dauert es schon fast zu lange, alle in der Band zufrieden zu stellen, gerade am Mix haben wir diesmal eine gefühlte Ewigkeit gesessen, da Martin und ich immer wieder etwas am Mix des jeweils anderen auszusetzen hatten und wir nicht in einem Studio saßen, sondern die Versionen per Internet zwischen Heidelberg und Berlin hin und her beamen mussten. Das zog sich über Monate, da wir beide meist nur an Wochenenden Zeit hatten, überhaupt weiter an der Platte zu arbeiten. Daher ist mein Ziel fürs nächste Mal, dass der erste Mix sofort passt und wir alle wieder etwas ruhiger schlafen können.“ [grinst]
Gab es Gastmusiker auf dem Album? Ich vermute sehr stark irgendwelche LETZTE-INSTANZ Menschen bei „Humanity As A Child“!
Martin: „Nein, von denen war keiner dabei. Aber lustig, dass du gerade LETZTE INSTANZ erwähnst, da deren Gitarrist Oli früher mal mein Gitarrenlehrer war. Aber die Celli auf „Humanity as a child“ sind von einer Freundin von mir gespielt, die aus der Klassik kommt und bereits für ein anderes Projekt von mir [HUNDERTMORGEN] ein paar Spuren eingespielt hat.“
Sascha: „Als Gastmusiker beteiligt war auch Janne Lounatvuori von der finnischen Band Psychedelic-Rock-Band HIDRIA SPACEFOLK als Keyboarder bei „A Lovelorn Requiem“. Ich kenne ihn von der SAE in Berlin, wo ich mit ihm zusammen Tontechnik studiert habe. Als Sängerin in „The One Who Ceased To Breathe” und “Kiss Of Ashes” zu hören ist zudem Victoria Trunova von RED WALLS AND BLACK CURTAINS. Dieser Kontakt kam zustande, weil ich ein Demo für ihre Band produziert habe und ihre Stimme sehr mochte. Letzte Instanz sollten wir vielleicht nächstes Mal fragen, etwas Namedropping würde uns wohl auch nicht schaden…“
Wie sieht eure derzeitige Lage als Band aus? Könnt ihr nach den letzten guten Platten ansatzweise von der Musik und den Touren leben, oder verdient ihr euer Geld anderswo?
Martin: „Nein! Von Einnahmen kann eigentlich nicht die Rede sein. Wir sind froh, wenn die Kosten einigermaßen gedeckt werden. Insofern leben wir alle von anderen Jobs, was leider die Zeit zum Musikmachen stark einschränkt. Das ist auch der Grund, warum wir immer einige Jahre Abstand zwischen den einzelnen Alben haben.“
Sascha: „Ganz genau. Die Plattenverkäufe sind leider superniedrig und Live-Konzerte haben wir aufgrund mangelnder Resonanz der Veranstalter und zu hoher Anfahrtskosten unsererseits (immerhin leben wir in halb Deutschland verteilt) sowie des dafür nicht zu rechtfertigenden Aufwandes erst mal komplett auf Eis gelegt. Von der Musik einmal leben zu können war früher immer ein großer Traum, aber über die Jahre wird man einfach desillusioniert, wenn man mal einen genaueren Einblick in das Business bekommen hat. Der Glaube an das Musikbusiness ist mir mittlerweile komplett abhanden gekommen und es ist für mich nur noch ein notwendiges Übel, aber das hindert uns nicht, einfach für uns selbst Platten aufzunehmen, denn durch unsere eigenen Studios können wir mittlerweile sehr kosteneffizient arbeiten und sind nicht auf fette Budgets angewiesen. Das größere Problem ist in der Tat die Zeit, denn wir alle haben so viele andere Verpflichtungen sowie Projekte/Bands und Jobs, dass für DESPAIRATION immer weniger Zeit bleibt. Und ein cooles Album stellt man nun mal nicht nebenbei auf die Beine, deswegen wird man sich wohl auch künftig auf lange Wartezeiten einstellen müssen. Aber wir sind niemandem etwas schuldig und sind frei zu tun, was immer wir wollen und das ist doch auch nicht schlecht, oder?“
Apropos Tour: Ist eine geplant? Stehen schon Orte und Termine fest?
Martin: „Geplant ist bisher noch nichts.“
Sascha: „Ich denke auch nicht, dass sich daran etwas ändern wird, denn die Zeit und das Geld lassen es schlichtweg nicht mehr zu, für ein paar Euro durchs halbe Land zu gurken, sich das Wochenende um die Ohren zu schlagen und am Ende vor einer Hand voll Leuten zu spielen. Da setze ich mich lieber ins Studio und produziere in der Zeit neue Musik.“
Werden die Nummern des neuen Albums alle live genauso gespielt wie auf der CD, oder plant ihr aufgrund der starken Clean-lastigkeit noch ein paar verzerrte Spuren extra einzubauen?
Martin: „Normalerweise spielen wir die Songs eh nicht exakt wie auf der Aufnahme. Das hat mehrere Gründe: zum Einen sind ja immer viel mehr Spuren auf einem Album, als man live wirklich spielen könnte, zum Anderen hat man nach längerer Zeit auch noch Verbesserungsideen für die einzelnen Songs, die man live gerne umsetzt. Wenn man Songs hören will, wie sie auf Platte sind, dann kann man sich diese ja anhören. Live ist einfach immer ein anderes Feeling und da passiert dann auch mal die ein oder andere Überraschung. Wie das mit den neuen Songs werden wird, werden wir sehen, wenn es soweit ist. Ich gehe aber stark davon aus, dass wir da auch die ein oder andere Veränderung vornehmen werden, was aber nicht unbedingt auf die Clean-Lastigkeit zurückzuführen ist. Man kann auch mit unverzerrten Gitarren live ordentlich rocken.“
Sascha: „Wenn wir denn noch mal auftreten sollten, versteht sich….“ [grinst
Wie funktioniert eure Zusammenarbeit mit dem Label My Kingdom Music
Sascha: „Nun ja, ganz ordentlich. Natürlich hat jede Band die Vorstellung bei einem Label die Combo sein zu müssen, um die sich ausschließlich und exklusiv alles dreht. Und wenn dem nicht so ist, schimpfen die Bands gerne auf die furchtbar unmotivierten Labels. Was uns angeht, sind wir über die Jahre wohl genügsam und bescheiden geworden und freuen uns, dass überhaupt noch ein Label unsere Platten heraus bringt, denn das ist in der heutigen Zeit ständig zurückgehender Plattenverkäufe auch nicht mehr selbstverständlich. Aber wir gehen eigentlich davon aus, dass sich früher oder später die meisten Bands neue Vertriebs- und Marketingmöglichkeiten suchen müssen, da viele Labels den Wandel nicht überleben werden. Inwieweit das My Kingdom Music trifft und wie dann unsere Zukunft aussieht, bleibt vorerst abzuwarten…“
Letztens hab ich gelesen, dass euer Bassist ausgestiegen ist. Wer hat den Bass auf dem neuen Album eingespielt, und ist schon Ersatz gefunden?
Martin: „Ja, Christoph ist nicht mehr dabei. Auf dem aktuellen Album habe ich den Bass selbst eingespielt. In meiner anderen Band bin ich ja eh Bassist und insofern war das dann auch kein großes Problem. Live haben wir einen befreundeten Gastbassisten verpflichtet. Einen endgültigen Ersatz gibt es aber im Moment noch nicht.“
An Sascha: Bitte nun die obligatorische Auflistung wann wir mit weiteren Veröffentlichungen von TRANSIT POETRY rechnen dürfen. 😉
Sascha: „Bereits Ende April… das hat aber nichts damit zu tun, dass mich plötzlich und über Nacht ein Kreativitätsschub ereilt hat, vielmehr sind die aktuellen Alben in den letzten 3-4 Jahren nach und nach entstanden. Dass sie nun so zeitnah hintereinander erscheinen hat primär mit Labelpolitiken zu tun.“
An Martin: Die obligatorische Equipmentfrage! Welche Klampfe spielst du, und warum?
Martin: „Ich spiele live hauptsächlich meine „Parker Fly Deluxe“, da dies eine Gitarre ist, aus der du die verschiedensten Sounds von hart bis poppig herausholen kannst. Da ich nicht ständig die Gitarre wechseln kann und will, bietet sich das natürlich an. Des weiteren habe ich immer meine 7-Saitige Eigenbaugitarre für die brachialen Sounds dabei. Das Ganze läuft dann über eine Digitech Röhrenvorstufe und ein uraltes Yamaha Multieffektgerät in eine Marshall Endstufe und auf eine 4x12er JCM900er Box von Marshall. Im Studio kam zusätzlich hierzu eine „Ibanez Joe Satriani Signature“ wegen ihren warmen Mitten, eine uralte halbakustische aus der ehemaligen DDR die sehr jazzig klingt und meine Washburn-Akustik-Gitarre zum Einsatz. Basstechnisch ist alles auf einem „Music Man Stingray“ direkt ohne Amp ins Pult eingespielt. Dieser Bass klingt einfach gut, egal wie und womit du ihn spielst!“
Gibt es irgendwelche derzeit aktiven Bands, die euch beeinflussen
Martin: „Mich persönlich beeinflussen in der Regel Bands wie MR BUNGLE, die aber leider nicht mehr aktiv sind. An aktiven Einflüssen würde ich höchsten PEEPING TOM nennen und alles was sonst noch so aus dem Hause Patton kommt.“
Sascha: „Ach, eigentlich nicht. Wir versuchen definitiv niemanden nachzuahmen. Es kommt ja so viel auf den Markt, aber wirklich GROSSE Alben sind eine Seltenheit geworden. So gesehen beeinflusst mich unbewusst sicher vieles und ich habe natürlich auch Platten, die ich gerne höre, aber irgendwelche Bands als direkte Einflüsse aufzuführen, würde diesen Bands zu viel Wichtigkeit beimessen. Ich beeinflusse mich lieber selbst ;-)“
Wie sehen bei euch die nächsten Monate aus? Gibt es schon Ansätze für die nächste Platte?
Martin: „Nein. Es gibt zwar schon einige Songs, die evtl. auf ein nächstes DESPAIRATION-Album kommen aber im Moment arbeiten wir alle an anderen Projekten. Ich persönlich bin z.B. gerade dabei ein Album zusammen mit einem HipHop-Künstler [DER CHIEF: www.chief-online.de] zu schreiben und aufzunehmen. Im Herbst wollen wir damit fertig sein. Danach ist dann wieder Zeit, um evtl. das nächste DESPAIRATION-Album zu planen, was dann ja auch wieder einige Zeit dauern wird.“
Sascha: „Ich arbeite gerade an einem deutschsprachigen Pop-Album und schraube nebenbei schon wieder an neuen Songs von TRANSIT POETRY, aber momentan fehlt mir – wie schon gesagt – leider auch die Zeit, um all das umzusetzen, was mir vorschwebt. Ich tippe mal, vor 2009 wird bei es bei DESPAIRATION nicht weitergehen.“
Ansonsten danke für’s Interview und viel Erfolg mit dem Album! Die letzten Worte gehören wie immer euch!
Martin: „Danke für das Interview und Viele Grüße aus Heidelberg.“
Sascha: „Und aus Berlin….“