Dead Eyed Sleeper
Interview mit Bassist Thomas zum Album "Gomorrh": "Wir sind ja hier nicht beim literarischen Quartett. Bei DEAD EYED SLEEPER wird einem das Monokel aus der Visage geknüppelt."
Interview
Einmal mit der flachen Hand auf die Tischplatte hauen, das geht schnell. Einmal mit dem Vorschlaghammer alles kurz und klein schlagen ebenfalls. DEAD EYED SLEEPER haben nichts davon versucht. Die technisch versierten Death-Metal-Freunde haben sich für „Gomorrh.“ selbst vor eine schwere Aufgabe gestellt. Historische Literatur im Rücken, sowas drückt immer schwer. Die schwere Kost in ansprechend sprechende, berührende und gleichermaßen harte Musik zu packen, war sicher kein leichtes Unterfangen. Von der ersten Idee, bis zur fertigen Platte „Gomorrh.“ ist somit auch einige Zeit vergangen, erzählt uns Bassist Thomas im ausführlichen Interview: „Nach dem Erscheinen der Vorgängerplatte „Observing Oblivion“ im Jahr 2011 haben wir eigentlich gleich angefangen an „Gomorrh.“ zu arbeiten, allerdings nicht unter Hochdruck, da sich im Leben einiger Bandmember ziemlich viel ereignet hat. Wir hatten ursprünglich geplant, das neue Album im Winter 2014 zu veröffentlichen. Doch leider hat sich aufgrund unterschiedlichster Begebenheiten der Release der fertigen Platte stark verzögert, sodass wir sie erst im März 2016 veröffentlichen konnten.“
Der Hinweis auf Veränderung im Leben einiger Bandmitglieder ist nicht unwesentlich, denn bei DEAD EYED SLEEPER läuft alles gemeinschaftlich ab, jede Hand wird benötigt und Ausfälle sind somit schwer kompensierbar. Bassist Thomas dröselt uns die Aufgabenverteilung kurz auf: „Jeder ist an allem beteiligt. Wir haben uns über die Jahre zu einem guten Team entwickelt. Das ist auch bitter nötig, denn wir haben alle unsere Jobs, Familien und anderen Bands und müssen folglich unsere Kräfte effizient einsetzen um unsere Pläne realisieren zu können. Aber sicherlich hat jeder noch seine Spezialgebiete. Wenn einer gut im Bier holen ist, soll man ihn auch Bier holen lassen!“ Richtig, zum Thema Bier bitte keine Ressourcen verschwenden und stets nach dem Minimalprinzip arbeiten.
Malen nach Zahlen sieht anders aus
Zur Gestaltung des Coverartwork fühlt sich dann niemand innerhalb der Band verantwortlich, sodass Thomas‘ Ehefrau Neslihan Amann sich künstlerisch verwirklichen durfte: „Wie immer hatten wir den Anspruch, die Musik, die Texte und das Artwork zu einer Einheit, einem Gesamtkunstwerk, verschmelzen zu lassen. Wir wollten etwas Abstraktes, um der im Expressionismus beheimateten Lyrik Tribut zu zollen, aber auch, um die morbide Atmosphäre der hauptsächlich vom Krieg erzählenden Gedichte optisch einfangen zu können. Nachdem wir ihr das Material gegeben und sie sich daran inspiriert hatte, erschuf sie für uns ein Gesamtlayout aus echten, mit Tinte gemalten Gemälden, welche die Texte und Musik perfekt visuell ergänzen.Das Frontcover ist nur ein Aspekt des gesamten Artworks. Der in einem Inferno lodernde Baum ist ein Symbol des Niedergangs allen Lebens. Der Albumname „Gomorrh.“ steht damit auch in einem Zusammenhang, ist doch der biblische Sündenpfuhl Gomorrah von einer Feuersbrunst vernichtet worden. Jeder Songtext hat übrigens noch ein zusätzliches, individuelles Artwork spendiert bekommen. Also lohnt es sich, den physischen Tonträger zu erwerben um das Gesamtpaket genießen zu können.“
Der Verdacht, dass DEAD EYED SLEEPER keine halben Sachen machen, dürfte somit bestätigt sein. Obwohl fest im Metal verortet, strecken DEAD EYED SLEEPER auch auf „Gomorrh.“ ihre Fühler wieder in alle möglichen Richtungen aus. Offenheit und eine gewisse Toleranz ist bei dieser Vorgehensweise unvermeidlich. Die Frage nach musikalischen Grenze benennt Thomas klar und vage zugleich: „Wir wollen schon in dem Rahmen bleiben, den wir uns auf den letzten vier Alben definiert haben. Der ist allerdings sehr weitläufig. Die Platten sind ja untereinander schon unterschiedlich und auch in sich nicht immer homogen. Bei uns kann man nicht nur Einflüsse aus verschiedenen Spielarten des Metals finden, wir bedienen uns auch gerne mal aus anderen Musikgenres. Wir sind immer offen für Neues und auch für die ein oder andere Überraschung gut, aber einen groben Stilwechsel wird es bei uns nicht geben, immer unter dem Vorbehalt unserer Vielseitigkeit, die wir selbstverständlich beibehalten werden.“
Gomorrh, auch ohne Sodom heftig
Ganz gleich, wie weit man sich von Kritik lösen will, über gute Kritik, die aufrichtig von Herzen kommt, freut sich doch jede Band und so auch DEAD EYED SLEEPER: „Bis jetzt haben wir sehr gute Reaktionen für „Gomorrh.“ bekommen. Es ist natürlich immer schön, wenn man für das, worin man soviel Zeit und Geld investiert hat, Anerkennung bekommt. Wenn es Leute gibt, die unsere Platten gut finden, ist das natürlich der Idealfall. Wir machen aber trotzdem immer nur was wir wollen und nicht was andere gerne hätten. Kunst lebt von Kompromisslosigkeit.“
Eine Mauer haben DEAD EYED SLEEPER schon eingerissen, indem sie auf „Gomorrh.“ die Texte von Georg Trakl, Georg Heym und August Stramm vertonten. Die Idee kam von Sänger Sam: „..und wir waren sofort absolut begeistert davon. Auf Deutsch zu singen kann natürlich schon gewagt sein, aber hier passt es unglaublich gut und das haben wir auch direkt nach der ersten Probe gemerkt. Die Kompatibilität der Thematik zum Death Metal hat uns auch sehr zugesagt. Perfekt!“ schwärmt Thomas. Fremde, statt eigene, Texte zu singen, stellte scheinbar kein Hindernis da, die sieht Thomas eher in der Frage nach der Authentizität: „Die Schwierigkeit besteht wohl darin, bereits existierende Werke mit eigener Musik zu verbinden, ohne dass es albern oder aufgesetzt wirkt. Bei „Gomorrh.“ ging das aber fast wie von alleine. Wir haben da keine Probleme gehabt.“ Allerdings hatten DEAD EYED SLEEPER zu diesem Zeitpunkt das musikalische Grundgerüst schon aufgebaut. Das Feilen und die Feinarbeit gingen der Band trotzdem erstaunlich leicht von der Hand: „Die Texte haben bereits in unbearbeiteter Version in fast schon magischer Weise zu den Songs gepasst. Von der ersten Idee bis zur Aufnahme der Platte im Rama Studio hat sich alles sehr natürlich und logisch angefühlt.“
Im Spiegel wohnt der Teufel
Die Texte sind erschreckend aktuell. Es ist schwer zu sagen, ob das beruhigend oder beängstigend ist. Bassist Thomas hat allerdings eine klare Meinung dazu: „Definitiv Letzteres. Wir sind uns der Geschehnisse der Gegenwart absolut bewusst und haben deswegen die Verwendung dieser Gedichte als äußerst passend, wenn nicht sogar als nötig befunden. Die Nähe der Thematik zur aktuellen Weltlage ist erschreckend wenn man bedenkt, dass die Gedichte kurz vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben wurden. Die Texte vermögen es, Imagination vom Krieg und der daraus resultierenden Gräuel vor dem geistigen Auge des Lesers zu erzeugen. In einer Zeit der absoluten Übersättigung an schlechten Nachrichten und der dadurch entstehenden Abstumpfung, sind diese Gedichte vielleicht eher in der Lage, bewusst zu machen, wie fragil der Frieden auch in unseren Breitengraden ist. Und was es heißt, wenn er zerbricht.“
Sollte klar sein, dass es Dinge gibt, von denen niemand eine Wiederholung benötigt. Das die Welt ein Kreis ist zeigt die Tatsache, dass die Texte von Trakl, Heym und Stramm allesamt als lyrischer Überbau für die Nachrichten der letzten Monate passen würde, eine Tatsache die auch Thomas auffällt: „Das liegt ganz einfach daran, dass sich die Geschichte traurigerweise wiederholt. Der Lernprozess aus der Vergangenheit hält leider nicht besonders lange an. Wenn man sich anschaut wie der Erste Weltkrieg entstanden ist, stechen einem die Parallelen zur heutigen Zeit sofort in’s Auge. Die Spiele um Macht und Vorherrschaft blähen sich wieder zu einem Wirrwarr an Konflikten auf, welcher am Ende nur durch einen Funken zum Weltkrieg werden könnte. Dann wird es wieder nur Verlierer geben. Und wir werden uns ein weiteres Mal fragen: „Warum?“. Sollten wir überhaupt noch Fragen stellen können.“
Wer sich solchen Tatsachen auf diese Art und Weise nähert, ist selbstredend alles andere als radiotauglich oder reif für die Headlinerposition auf der Hauptbühne der großen Mega-Festivals. Noch dazu können DEAD EYED SLEEPER von den Einnahmen ihrer Musik nicht leben, selbst wenn sie in der durchaus gesunden Rhein-Neckar-Underground-Szene wachsen und gedeihen. Ob sie das überhaupt wollen, kann Bassist Thomas im Namen der Band beantworten: „Einen solchen Idealismus gibt es bei uns nicht. Wenn wir ein passendes Angebot haben und unser aller Privatleben es erlaubt, spielen wir auch, egal wo. Ein großes Festival ist natürlich ein Segen für jede Band, da es dem Bekanntheitsgrad stärker zuträglich ist, als ein Gig im Wohnzimmer eines Kumpels. Und ja, die Metalszene im Rhein-Neckar-Gebiet ist wirklich gut, da hast du recht!“
Frei zu sein, bedarf es wenig. Doch wer frei ist, ist ein König
Künstlerische Freiheit scheint der Antrieb und die indirekte Bezahlung zu sein: „Zum einen unterscheidet sich DEAD EYED SLEEPER grundlegend von allen Bands in denen wir noch spielen. Also ist es klar, dass man hier gewisse Dinge ausleben kann, die woanders nicht möglich sind. Zum anderen ist DEAD EYED SLEEPER tatsächlich stilistisch unglaublich frei. Sicher, der grobe Rahmen ist schräger und meist schneller Death Metal, aber wir können viele Variationen und stilfremde Elemente einbauen, oder auch hier und da mal den vorgegebenen Pfad gänzlich verlassen, ohne unsere Identität aufzugeben. Das ist bei DEAD EYED SLEEPER schon immer möglich gewesen und das ist gut so! Textlich ist DEAD EYED SLEEPER ebenso frei, wobei wir uns meistens im Bereich der metaphorischen Gesellschaftskritik bewegen.“
Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten kommen DEAD EYED SLEEPER bei ihrer Detailverliebtheit zugute. Nachdem alle Mannen mittlerweile Mitte 30 sind, sind die Zeiten in den wöchentlich geprobt wurde, oder auch mal einfach im Proberaum abgehangen wurde, vorbei. DEAD EYED SLEEPER gönnen sich und ihrer Musik trotzdem die Hingabe und Zeit, die benötigt wird: „Der Reifeprozess unserer Songs ist sehr wichtig. Wir gestehen jedem Lied eine gewisse Zeit zu und nehmen es dann wieder in den Fokus, nachdem wir etwas Abstand gewonnen haben. So manches Lied ist auch schon komplett verworfen worden, nachdem wir erst dachten, es sei fertig. Ja, wir überlassen ungerne etwas dem Zufall.“
Wer „Gomorrh“ reißerisch bewerben will, konnte auf den Slogan „DEAD EYED SLEEPER klingen, als ob RAMMSTEIN endlich mal guten Metal machen würden“ zurückgreifen. Eventuell nicht das größte Kompliment, doch irgendwo müssen die musikalischen Einflüsse letztendlich gekommen sein. Thomas ist diesbezüglich schon reflektiert und abgeklärt: „RAMMSTEIN? Naja eine Beleidigung ist das jetzt nicht für uns, wir mögen RAMMSTEIN. Aber wie du ja selbst gesagt hast, ist das ’ne andere Baustelle. Die Frage nach dem größten musikalischen Einfluss ist so schwer zu beantworten, dass es schon wieder einfach ist. Wir sind ja keine 18-jährigen Hüpfer mehr, die jetzt sofort mit leuchtenden Augen ein paar Bandnamen in die Runde werfen würden. Ich denke, dass der größte musikalische Einfluss ein Produkt aus sämtlicher Musik ist, die uns über die Jahre begeistern konnte. Und da wir fünf Musikfans sind kommt da einiges zusammen. Aber auch das Leben selbst ist ein Einfluss, auf alles was man tut. Musik ist etwas sehr emotionales und selbstverständlich stark beeinflussbar durch den Gemütszustand des Komponisten und Interpreten. Wobei das nun im Umkehrschluss natürlich nicht heißt, dass wir brutale oder hasserfüllte Menschen sind. Im Gegenteil, diese Musik wandelt einen Großteil unserer Aggressionen in innere Zufriedenheit um.“
Perlen vor die Säue oder mit Kanonen auf Spatzen?
„Gomorrh“ ist große Kunst, die intelligenten Texte wurden mit exakt passender Musik überzogen und so entsteht ein beeindruckendes Gesamtbild. Ein Indiz dafür, dass DEAD EYED SLEEPER anscheinend nicht nur knüppeln wollen, sondern auch Tiefgang haben. Wie wichtig ist da, dass die komplette Botschaft ankommt? Oder geht es auch in Ordnung, wenn Leute nur im Pit dazu steil gehen? Thomas zeigt Empathie für beide Seiten: „Vielen Dank für dieses tolle Kompliment! Es ist uns natürlich sehr wichtig, dass die Botschaft ankommt und auch, dass das Gesamtkunstwerk als solches erkannt wird. Es ist uns wie gesagt eine Ehre die Gedichte dieser visionären Künstler in ein modernes und besonderes Medium wie den Death Metal einbetten zu dürfen. Es ist jedoch auch völlig in Ordnung, wenn man sich nur die Musik anhört. Wir machen da niemandem Vorschriften. Allein wegen der deutschen Texte ist das verständige Publikum ja sowieso schon klein und ja, wir wollen auch, dass Leute die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, das Album genießen können. Und das ist auch durchaus möglich, denke ich. Bei allem vorhandenen Tiefgang – Hauptsache ist doch, dass die Musik vernünftig knallt. Wir sind ja hier nicht beim literarischen Quartett. Bei DEAD EYED SLEEPER wird einem das Monokel aus der Visage geknüppelt.“
Etwas ungewöhnlich erscheint, in Zusammenhang mit dieser Aussagen, das Logo. Fein geschwungene Schrift anstelle von krakeliger, blutigen und die Musik sofort als hart kennzeichnenden Schrift. Thomas klärt auf: „Das Logo hat unser Kumpel Sascha Ehrich, der mit Sam bei FRAGMENTS OF UNBECOMING musiziert, für uns gezeichnet. Es war seine Idee das so zu machen und uns hat’s gefallen. Wir mögen, dass es kein typisches, klischeehaftes Death Metal Logo ist! Aber besonders „lieb“ sieht es nun auch wieder nicht aus. Genau richtig!“
Zum Abschluss die Königsfrage, beantwortet von der Band direkt. Warum sollte man „Gomorrh“ von DEAD EYED SLEEPER kaufen? Thomas sieht unter anderem auch humanitäre Gründe dafür: „Das Album gibt es auf deadeyedsleeper.bandcamp.com komplett zu Hören. Zieht es euch mal rein und falls es euch gefällt, ladet es dort runter. Oder, falls ihr auf etwas Handfestes steht, bestellt es auf deadeyedsleeper.bigcartel.com. Es ist für einen guten Zweck – das nächste Album! Wir werden in diesem Jahr eventuell noch einige Einzelgigs haben und wir spielen mit dem Gedanken, im Frühjahr nächsten Jahres eine Mini-Tour durchzuziehen, das ist aber noch nicht spruchreif. Vielen Dank für das Interview! Only DEAD EYED SLEEPER is real.“
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Stile | Death Metal, Progressive Death Metal, Technical Death Metal |
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