Darkseed
Interview mit Tommy Herrmann zu "Poison Awaits"
Interview
DARKSEED, die dienstälteste deutsche Dark-Metal-Band, meldet sich nach fünfjähriger Abstinenz mit neuem Sänger und einem fulminantem Album zurück: „Poison Awaits“ wird am 23. Juli in den Läden stehen und – soviel sei an dieser Stelle bereits verraten – keinen Fan der Band enttäuschen. Gitarrist und Produzent Tommy Herrmann legt die Karten offen und erzählt, welche Gedanken im Titel stecken und was Stefan Hertrich (Ex-DARKSEED, SHIVA IN EXILE) zum Album zu sagen hat.
Obwohl sich die Band nie offiziell aufgelöst hat, wurde es vor vier Jahren, nachdem Stefan Hertrich die Band im August 2006 endgültig verließ, unheimlich still um DARKSEED. Was hat euch angetrieben, trotzdem weiterzumachen und an einem neuen Album zu arbeiten? Wie haben sich die Arbeiten am neuen Album letztendlich gestaltet und in der Zwischenzeit vielleicht auch verändert?
Nach „Ultimate Darkness“ waren einfach unsere Batterien leer und dass sich Stefan kurz darauf lieber anderen Projekten widmen wollte und die Band verließ, war natürlich ein Dämpfer, doch prinzipiell haben wir nie an eine Auflösung der Band gedacht. Wir waren dann auch alle erstmal eine ganze Zeit lang mit einigen anderen musikalischen Projekten beschäftigt, so dass wir gar nicht bemerkten, wie schnell die Zeit verging. In der Zwischenzeit habe ich zum Beispiel einige Soundtracks für Computerspiele produziert, unter anderem für den Rollenspiel-Blockbuster „Two Worlds“, wo wir mit Filmkomponist Harold Faltermeyer („Beverly Hills Cop“, „Top Gun“, „Running Man“, u.v.a.) zusammenarbeiten durften. Irgendwann aber hat es uns dann doch in den Fingern gejuckt, und so kam es dazu, wieder an einem neuen Album zu arbeiten. Wir wollten einfach wieder das machen, was uns wirklich Spaß macht. 2008 haben wir dann zum „Einstand“ unseres neuen Sängers Harry so eine Art Reunion-Show auf dem Helion Festival in München gespielt, und kurz darauf fingen wir an, neues Material zu sammeln. Im Grunde hat sich an der Art, wie wir an eine neue Produktion herangehen, nicht viel geändert. Stefans Lücke musste geschlossen werden, und somit blieb diesmal viel mehr Arbeit an mir hängen, aber auch die anderen Bandmitglieder waren um einiges mehr gefordert und konnten sich so auch viel mehr ins Songwriting einbringen als früher. Ich habe den Eindruck, dass „Poison Awaits“ vielleicht unsere bisher abwechslungsreichste Veröffentlichung ist, da jeder einige sehr gute Songs zum Album beigetragen hat. Im Detail entstand das Album wie immer, ganz klassisch zunächst mit dem Recording der Drums, dann folgte der Bass, danach die Rhythmusgitarre, die Lead- und die Sologitarre, und zum Schluß dann der Gesang. Erst als diese Arbeiten abgeschlossen waren, haben wir die Keyboards, die Armin und ich zu einem Großteil bereits vor den Aufnahmen vorbereitet hatten, integriert. Parallel zu den Recordings wurden die Arrangements noch einmal überarbeitet. Da wir immer im eigenen Studio aufnehmen, können wir uns mit dem Aufnahmeprozess viel Zeit lassen. Deshalb haben sich einige Sachen mehrmals geändert, und auch beim Abmischen haben wir noch einmal Änderungen vorgenommen. Gerade beim Gesang haben wir noch viel offen gelassen, so dass Harry und ich diese Sachen noch einmal erarbeiten konnten. Im Mix flog dann übrigens noch einmal einiges raus, da die Songs oft durch Keyboards, Leadgitarren und Gesang zu überladen gewirkt haben und wir uns auf das Wesentliche konzentrieren wollten. Ansonsten hat jeder irgendwie seinen Bereich: Armin und ich arrangieren die Keyboards, Tom kümmert sich um das Arrangement der Lead- und Sologitarren, Maurizio erarbeitet die Drums, Michi ist natürlich für einen homogenen Bass zuständig, und zuletzt wird von Harry und mir der Gesang arrangiert.
Hat sich für euch die Rückkehr von Gründungsmitglied Harald Winkler, der ganz am Anfang noch hinter der Schießbude saß und die Felle verdroschen hat, als eine Art Glücksgriff erwiesen? Oder anders gefragt, war Harry die erste Wahl für den vakanten Posten des Sängers oder hattet ihr einige Alternativen in der Hinterhand?
Eigentlich war nie ein anderer Sänger im Gespräch. Wie Harry im Endeffekt wieder zu uns kam, ist eine ganz lustige Geschichte, die ich dir nicht vorenthalten will: Es hat sich irgendwie einfach so ergeben, und so sollte es wohl auch sein. Und wenn ich mir jetzt das Endprodukt anhöre, dann war das in der Tat ein Glücksgriff. Harry hatte damals mit seinem anderen Bandprojekt SOUL SABOTAGE bei mir im Studio das Debütalbum aufgenommen. Zu dieser Zeit arbeitete ich am Soundtrack zum Computerspiel „Going Downtown“ von The Games Company. Diese Firma wollte einen Titelsong im Gothic-Rock-Style, den ich im Studio komponiert und aufgenommen hatte. Da zeitgleich die SOUL SABOTAGE-Produktion lief, habe ich einfach gefragt, ob Harry nicht Lust hätte den Song einzusingen und den Text dafür zu schreiben. Da die Zusammenarbeit hervorragend funktionierte, kam kurz darauf die Idee auf, Harry als neuen Sänger für DARKSEED einzuspannen. Dazu kam noch, dass er 1992 mit Stefan zusammen die Band gründete, und somit emotional sowieso sehr in der Band verwurzelt ist. Harry war begeistert von der Idee, und so kam das alles letztendlich zustande.
Hat Stefan „Poison Awaits“ eigentlich mal gehört?
Natürlich. Ich stehe immer noch in sehr engem, freundschaftlichen Kontakt zu Stefan, und ich schicke ihm oft auch einfach mal zwischendurch ein paar Sachen zu, um seine Meinung zu hören. Gestern erst waren wir paar Stunden im Wald spazieren und haben über „Poison Awaits“ gefachsimpelt. (lacht) Seiner Meinung nach ist das Album sehr gut geworden, hat eine gute Produktion, einen tollen Gesang und auch super Songs. Aber trotzdem hätte er selbst die CD etwas anders gemacht. Ich hoffe, ich kann das jetzt noch irgendwie richtig wiedergeben, aber er selbst hätte die Songs düsterer, melancholischer und trauriger geschrieben. „Poison Awaits“ ist ihm etwas zu „fröhlich“ ausgefallen. Ich selber würd’s eher als „beschwingte Melancholie“ beschreiben, also schon traurig, düster und melancholisch, aber irgendwie haben einige Songs diesmal nicht diese niederdrückende Athmosphäre und klingen befreiender, unbekümmerter, vielleicht etwas „beschwingter“, wenn du so willst. (lacht)
„Poison Awaits“ – Welche Gedanken stehen hinter diesem Titel?
Wir werden in der heutigen Zeit ständig mit irrelevantem Zeug durch die Medien bombardiert, mit Werbung für Statussymbole, die man zu haben hat, wie zum Beispiel ein iPhone oder ein tolles Auto, oder man bleibt ein Außenseiter. Die Kinder müssen Pokemon-Sammelkarten haben, sonst finden sie keine Anerkennung in der Schule, und sie müssen Markenklammotten tragen. Die Werbung suggeriert, „Mann“ muss mit 35 Jahren voll im Leben stehen, ein Haus gebaut haben, eine tolle Frau haben, Kinder sein Eigen nennen, usw. usf. Es wird einem praktisch in allen Medien gezeigt, was man im Leben zu erreichen hat, denn nur dann findet man in der Gesellschaft Anerkennung. Das alles ist eine aufwändig inszenierte Verblödungswelle, die sich durch sämtliche Medien zieht. Man bekommt einfach nur noch Dreck und im Fernsehen Probleme anderer Leute vorgesetzt. Wir fangen an zu vergessen, uns um unsere eigenen Sachen zu kümmern. Die Menschen werden heute von den wahren Werten, von denen es im Leben ankommt, abgelenkt und gezielt in eine andere Richtung geführt, und wenn man dieses Spiel nicht mitmacht, gilt man als Außenseiter. Dafür steht „Poison Awaits“, für das Gift, das überall in der Welt versteckt auf uns lauert, um unseren Geist langsam aber stetig zu vergiften…
Das neue Album klingt – das war ehrlich gesagt meine größte Sorge – tatsächlich wie DARKSEED. Obwohl Stefan die Band gesanglich geprägt hat, leistet Harry hervorragende Arbeit. Habt ihr bewusst an diesem Aspekt gearbeitet, um die längere Auszeit vergessen zu machen?
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Ich habe dem Harry von Anfang an gesagt, dass er bloß nicht versuchen soll wie Stefan zu klingen, sondern einfach sein Ding durchzuziehen und seine eigenen gesanglichen Stärken auszuspielen, und genau so habe ich dann den Gesang auch produziert. Hätten wir versucht Stefan zu kopieren, wär’s garantiert in die Hose gegangen. Das ist ja auch klar, Stefan ist ein super Sänger, und es hätte niemandem etwas gebracht, eine schlechte Kopie aufzudrücken. Jeder hat seinen eigenen Style. Man muss versuchen, immer das Beste daraus zu machen, und das hat Harry mit Bravour gemeistert. Ähnlich haben wir auch an den Songs gearbeitet. Selbstverständlich sind ein paar Nummern drauf, die einen ähnlichen Touch aufweisen, wie zum Beispiel Songs auf „Ultimate Darkness“, aber wir haben uns nie Gedanken darüber gemacht, unsere vorherigen Werke zu kopieren. Ich glaube das Ganze klingt einfach deshalb immer noch nach DARKSEED, da ich ja unsere letzten Alben alle produziert und in meinem eigenen Studio aufgenommen habe. Außerdem habe ich seit der „Give Me Light“, die 1999 veröffentlicht wurde, viele Songs selbst geschrieben. Stefan und ich haben auf den letzten Alben immer gemeinsame Arbeit geleistet, und das hat immer hervorragend funktioniert, weil wir zu einem Großteil den gleichen Geschmack haben und immer die gleiche „Vision“ hatten. Auch Tom und Armin sind jetzt schon einige Jahre mit dabei, auch das spielt eine Rolle. Noch dazu haben wir jetzt mit Harry als Gründungsmitglied das absolute Urgestein mit an Bord. Er hat DARKSEED in den ersten Jahren auch sehr geprägt. Die Band funktioniert jedenfalls auch ohne Stefan, auch wenn das vielleicht niemand für möglich gehalten hat.
Eine Änderung gibt es aber doch. Es fällt auf, dass ihr insgesamt etwas elektronischer zu Werke geht, als auf den vorherigen Alben. Jedenfalls ist das mein Eindruck. Habt ihr euch die letzten fünf Jahre, seit „Ultimate Darkness“, von den Änderungen im Genre auf irgendeine Art und Weise beeinflussen lassen?
Eigentlich nicht. Ich muss auch zugeben, dass ich mich selbst in den letzten Jahren nicht sonderlich viel über die Szene auf dem Laufenden gehalten habe. Und soviel hat sich da doch auch nicht getan, oder hab‘ nur ich das nicht mitbekomment? (lacht) Dass die Songs diesmal etwas elektronischer klingen, ist ist wohl hauptsächlich auch unserem Keyboarder Armin zu verdanken, der sich diesmal um einiges mehr einbringen konnte, als noch beim Vorgängeralbum „Ultimate Darkness“, und einfach gute Arbeit geleistet hat. Auch ich habe durch andere Projekte gelernt, besser mit Keys und Effekten umzugehen, und so führt eins zum anderen.
„Incinerate“ ist sicherlich der eingängigste Song des neuen Albums. Welches Gefühl möchtet ihr mit diesem Song ausdrücken?
Diese Frage ist auf die Musik bezogen, und nicht auf den Text? Der Song soll das Gefühl einer „unbeschwerten Melancholie“ ausdrücken. Man kann diesen Track meiner Meinung nach in jeder Lebenslage hören, egal ob man gerade deprimiert bei einem Gewitter zu Hause sitzt und die Freundin Schluss gemacht hat, oder ob man gerade im Cabrio bei 30 Grad im Schatten zum See fährt oder ob man noch 2 kg Wäsche zu bügeln hat. Der Song funktioniert in fast jeder Lebenslage und macht einfach Spaß. Wie vorher schon angedeutet, ist dieses Gefühl auch in anderen Songs durchaus ebenfalls vertreten und zeigt somit ein bisschen die Marschrichtung der neuen CD auf. Das ist meiner Meinung nach auch
der größte Unterschied zu den Vorgängeralben: Alles ist weniger „bedrückend“ und mehr „befreiend“.
Es gibt bisher noch kein offizielles Video von DARKSEED. In einem Interviews mit Stefan sagte er mir, dass er sich ein Video zu „My Burden“ von „Ultimate Darkness“ gewünscht hätte. Ist diesmal ein Video geplant? Welcher Song könnte für welche Idee diesbezüglich herhalten?
In der Tat sind wir im Moment am Überlegen ein Video zu drehen. Aber das ist auch eine finanzielle Geschichte. Videos sind teuer, und wenn, dann wollen wir kein billiges Low-Budget-Video, in dem wir im Proberaum zu sehen sind, sondern das volle Programm. Das muss Hand und Fuß haben. Entweder wir finden jemanden der uns das in einem finanziell verfügbaren Rahmen ermöglichen kann, oder wir lassen es bleiben. Eignen würde sich natürlich der Song „Incinerate“ in einer gekürzten Video-Version, oder auch die schöne Ballade „Seeds Of Sorrow“. Aber eine konkrete Idee für ein Video steht im Moment
noch nicht. Als erstes muss wie gesagt jemand gefunden werden, der uns soetwas professionell umsetzten kann.
Lass uns noch einmal zurückschauen. Ihr habt jetzt sieben Alben veröffentlicht. Wenn diese Alben jeweils ein Gefühl bzw. eine Emotion wären, was kannst du über „Midnight Solemnity Dance“ (1996) berichten, was drückt ihr mit „Spellcraft“ (1997), „Give Me Light“ (1999), „Diving Into Darkness“ (2000) und „Astral Adventures“ (2003) aus, und was hast du über „Ultimate Darkness“ (2005) und nun zu „Poison Awaits“ (2010) zu erzählen?
Das ist eine sehr schwierige aber auch interessante Frage… Natürlich ist dabei entscheidend, in welchem Gefühlszustand man sich selbst befunden hat in der jeweiligen Songwriting- und Produktionsphase, und das kann ich hier natürlich nicht eindeutig beantworten, da ich gerade bei den ersten beiden Alben noch nicht so sehr ins Songwriting involviert war. Ich versuche das aber mal mit wenigen Worten zu beschreiben… (überlegt)
„Midnight Solemnly Dance“: Unbekümmertheit, Unschuldigkeit, Romantik
„Spellcraft“: Aufbruchstimmung, Zuversicht
„Give Me Light“: Hoffnung, Träume
„Diving Into Darkness“: Untergang, Zerstörung, Hoffnungslosigkeit
„Astral Adventures“: Nachdenklichkeit, Hilfesuchend
„Ultimate Darkness“: Stärke, „sich aus der Hoffnungslosigkeit wieder aufrappeln“, Selbstfindung
Zu „Poison Awaits“ fällt es mir am schwersten, die richtigen Worte zu finden, da die Songs auf diesem Album gefühlsmäßig wohl die verschiedensten Stimmungen übertragen. Ich würde fast sagen, man muss es hier dem Zuhörer selbst überlassen, welche Gefühle und Stimmungen er oder sie aus den einzelnen Songs ziehen kann. Die Songs sollen aber dem Hörer auf alle Fälle mehr ein Gefühl der Stärke, Hoffnung, des Aufbruchs und der Freude bringen, und weniger deprimieren. Ich glaube so habs ich’s dann doch noch ganz gut auf den Punkt gebracht. (lacht)
DARKSEED waren in den letzten paar Jahren leider sehr wenig auf Konzerten zu sehen und zu hören. Wird sich diesbezüglich mit dem Release des neuen Albums etwas ändern? Werdet ihr ein paar Shows im In- oder auch im Ausland spielen?
Das hoffen wir doch! Erste Anfragen haben wir auch schon aus dem In- und aus dem Ausland erhalten, und als nächstes werden wir noch einmal bei den Bookingagenturen anklopfen. Wir haben nämlich angeplant, etwa ab Herbst die ersten Gigs zu spielen und dann werden wir sehen, wie die Puplikumsresonanz ausfällt. (lacht) Wir haben auf alle Fälle vor, diesmal um einiges mehr zu spielen, als es für „Ultimate Darkness“ der Fall war. Also checkt regelmäßig unsere Konzertdaten!
Ich danke dir ganz herzlich für das Interview. Die letzten Worte gehören dir:
Bitte. Das hat viel Spaß gemacht und ich habe mich sehr gefreut mit dir dieses Interview führen zu dürfen! Ich möchte mich im Namen der Band bei all unseren Fans bedanken, die uns trotz der langen Auszeit und dem Ausstieg Stefans weiterhin die Stange gehalten haben und dem Release unserer neuen CD „Poison Awaits“ heiß entgegenfiebern. DANKE EUCH!!!
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