Dark Tranquillity
Nicht auf stark machen
Interview
Mit „Endtime Signals“ veröffentlichen die Melodeath-Veteranen DARK TRANQUILLITY ihr bereits dreizehntes Studioalbum. Darauf übertreffen sich die Schweden selbst an Düsternis. Trotz erneuter Besetzungswechsel behalten sie jedoch ihre Qualität und ihre unverkennbare Grundstimmung bei. Fronter Mikael Stanne blickt im Interview sowohl nach vorne als auch zurück und singt ein wohlverdientes Loblied auf alte und neue Weggefährten.
Hi Mikael! Erstmal Glückwunsch zu „Endtime Signals“. Es ist ziemlich düster geworden. Kannst du ein bisschen über die Inspirationen sprechen? Die verschiedenen Stimmungen; die traurigen, die wütenden Emotionen?
Mikael: Wir haben von Anfang an gewusst, dass wir ein Album mit einer starken Wirkung wollten. Wir haben einige Veränderungen in der Besetzung und in der Band vorgenommen und wollten sicherstellen, dass „Endtime Signals“ wirklich von Bedeutung ist. Wir mussten uns selbst bestätigen, dass wir etwas zu sagen haben, und hatten das Gefühl, eine ehrlichere und emotionalere Botschaft liefern zu müssen. Sowohl musikalisch als auch textlich.
Wir haben eine schwierige Zeit durchgemacht, nicht wegen irgendetwas innerhalb der Band, sondern wegen dem, was in der Welt los war. Nach der Pandemie haben wir gedacht, wir würden in eine Welt zurückkommen, die etwas aus dem gemeinsamen Trauma gelernt hätte. Und dass wir besser zueinander sein könnten. Das wäre schön gewesen. Aber das ist nicht passiert, und es hat uns an unserer Bestimmung zweifeln lassen. Es war schwer, auf Tour zu gehen, während so viel um uns herum passiert ist. Wir mussten uns selbst gegenüber rechtfertigen, warum wir das machen.
Deshalb wurde „Endtime Signals“ sehr wichtig für uns. Wir wollten uns mit Gefühlen der Hilflosigkeit und Verzweiflung auseinandersetzen. Anstatt das in etwas Optimistisches zu verwandeln, haben wir eine dystopische Stimmung gewählt, weil es sich so angefühlt hat. Es war schwierig, etwas Positives darin zu sehen. Und es fühlt sich immer noch so an, als ob es schlimmer wird, bevor es besser wird. Darüber zu schreiben und zu schreien hilft. Das weiß ich aus Erfahrung [lacht].
Dass wir rausgehen und bei den Shows unsere Frustrationen gemeinsam mit den Leuten rauslassen können, fühlt sich wie eine Hauptaufgabe für uns als Band an. Wir wollten, dass dieses Album heavy und düster ist, aber auch nachvollziehbarer und emotionaler. Es war wichtig, ehrlich zu uns selbst und zu unserem Publikum zu sein. Nicht auf stark zu machen, sondern über die Verletzlichkeit und Hilflosigkeit zu sprechen, die wir gefühlt haben. Hoffentlich kommt das rüber.
Ein besonders trauriges Lied ist „One Of Us Is Gone“, ein Tribute-Song für Fredrik [Johansson]. Seine Rolle war bedeutend für DARK TRANQUILLITY. Als er dazukam, hast du zum Gesang gewechselt.
Mikael: Ja, ich habe auf dem ersten Album Gitarre gespielt und dann kam Fredrik dazu und ich fing an zu singen. Er hatte einen großen Einfluss. Unser zweites Album „The Gallery“ hat unseren Sound maßgeblich geprägt, hauptsächlich wegen ihm. Auch „The Mind’s I“ und „Projector“, das wirklich viel für uns verändert hat, wurden stark von Fredrik beeinflusst. Es war uns wichtig, ihm Tribut zu zollen und etwas zu schaffen, das seinem Vermächtnis würdig ist. Er ist vor zwei Jahren gestorben, und die zwei Jahre davor, nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert wurde, hat er viel Musik geschrieben und sie uns gegeben. Er hat gesagt, er würde sie sowieso nicht nutzen und wir könnten damit machen, was wir wollen. Also haben wir das getan. Es war natürlich nicht einfach, aber wir hatten das Gefühl, das tun zu müssen, um seinen Verlust zu verarbeiten.
„One Of Us Is Gone“ war ein Song, den wir bis zum Ende immer wieder geschoben haben. Es wurde das letzte Lied, das wir fertiggestellt, aufgenommen und gemischt haben. Wir hoffen, dass es als passender Tribut für jemanden dient, der für unsere Musik so wichtig war.
Du hast Veränderungen in der Besetzung erwähnt. Auf „Moment“ hattet ihr Johan [Reinholdz] als neuen Gitarristen, und er musste sich beim Schreiben erst einfinden, wie man unserem letzten Interview entnehmen kann. Wie war der Prozess diesmal, wo er schon etabliert war? Zusammen mit den Einflüssen der jetzt neuen Mitglieder?
Mikael: Das Schreiben für „Moment“ war eine echte Lernerfahrung für Johan. Es ist immer schwierig, einer Band beizutreten, die es schon so lange gibt wie DARK TRANQUILLITY. Wir haben unsere eigene Art, über Musik zu sprechen, zu schreiben und zu kommunizieren. Er musste all das auf die harte Tour während der Aufnahme des Albums lernen [lacht]. Er musste sich in unsere Denkweise einfinden.
Bei „Endtime Signals“ war es anders. Für das letzte Album bestand Johans Rolle hauptsächlich darin, die Musik, die Martin [Brändström] und Anders [Jivarp] geschrieben hatten, in sein Gitarrenspiel zu übersetzen. Er musste ihre Melodien und Akkorde nehmen und sie in seinen Stil einpassen. Jetzt haben Johan und Martin fast alles geschrieben, bis auf zwei Songs. Sie haben eine klare Arbeitsbeziehung und Vision für die Musik. Diesmal gab es keinen Kompromiss; wir haben das Album geschrieben, das wir machen wollten. Wir hatten eine Idee davon, wie es klingen und sich anfühlen sollte.
Mit Joakim [Strandberg-Nilsson] am Schlagzeug und Christian [Jansson] am Bass konnten wir zudem unsere Grenzen erweitern, mit schnelleren Songs und technisch anspruchsvolleren Sachen. Das hat ihnen ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu zeigen und neue musikalische Herausforderungen anzunehmen. Ich bin super zufrieden damit, wie Johan sich als Songwriter der Herausforderung gestellt hat, sich in den DARK-TRANQUILLITY-Sound einzufügen und gleichzeitig bei Leads und Soli frei zu entfalten. Das Schreiben dieses Albums war unglaublich, trotz der Schwierigkeiten. Es war eine gemeinsame Erfahrung, in der wir uns selbst gepusht haben, um es richtig hinzukriegen. Es war unglaublich bereichernd. Wir sind Skandinavier, also zweifeln wir jede Entscheidung eine Million Mal an, aber schließlich sind wir zusammen ans Ziel gekommen. Es war ein großartiges Gefühl, und hoffentlich übersetzt sich das in ein Album, das den Leuten gefallen wird.
Bei einer Band wie DARK TRANQUILLITY, die es so lange gibt, sind Besetzungswechsel unvermeidlich. Ihr hattet in den letzten Jahren einige davon, aber trotzdem gibt es diese Konsistenz bei der Qualität und beim Gefühl. Das funktioniert nicht bei allen Bands. Was ist euer Rezept?
Mikael: Es gibt ein paar Gründe. Erstens sind Niklas [Sundin] und Martin Henriksson, die von Anfang an dabei waren, immer noch sehr involviert. Wir reden jeden Tag. Martin fungiert als unser Manager, und Niklas kümmert sich um alle visuellen Aspekte – Cover, T-Shirts, Videos, Animationen. Sie hören sich auch alle Songs an, geben Feedback und werfen Ideen ein. Sie empfinden ein genauso starkes Zugehörigkeitsgefühl zur Band wie ich. Wir würden nichts veröffentlichen, womit sie nicht zufrieden sind. Auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen, sind sie immer bei der Band.
Zweitens verdient Martin Brändström viel Anerkennung. Wir nehmen seit über 10 Jahren in seinem Studio auf, und er hat sich mehr und mehr in die Produzentenrolle entwickelt. Er lässt keine Note und kein Wort ohne seine Zustimmung durchgehen. Er stellt sicher, dass sich alles richtig anfühlt, bevor wir zum nächsten Schritt übergehen. Er ist sehr gewissenhaft, was als Song für uns durchgeht. Jemanden zu haben, der den gesamten Prozess überwacht und sicherstellt, dass niemand aus der Reihe tanzt, ist immer eine gute Sache.
Galerie mit 32 Bildern: Dark Tranquillity - Co-Headline Tour 2022 in BerlinIch habe in der Biografie gelesen, dass es während des Produktionsprozesses viele Überarbeitungen gab. Das trifft sicher auch auf andere Alben von DARK TRANQUILLITY zu, aber: Ist dieses Album eine von vielen Versionen, die wir hätten haben können?
Mikael: Nein, das ist definitiv die Version, die wir haben sollten. Wir haben viele Dinge im Laufe des Schreibens und bis hin zum letzten Mix geändert, wenn wir nicht ganz zufrieden waren. Etwas passt fast, aber noch nicht ganz. Manchmal funktioniert eine Strophe nicht, oder wir können uns nicht auf einen Refrain einigen, also passen wir das an. Alle Songs durchlaufen verschiedene Versionen, aber die vorherigen sind es nicht wert, gehört zu werden, weil sie nur Versuche waren.
Es gibt Millionen von Demos zu jedem Song, aber keine ist so gut wie das Endergebnis. Wir sind unglaublich zufrieden damit, wie es klingt und wie es geworden ist. Wir haben für den Mix mit Jens Bogren gearbeitet, und er versteht uns super gut. Er weiß genau, was zu tun ist, um sicherzustellen, dass alle Songs den richtigen Impact haben. Normalerweise verbringen wir ein paar Tage mit ihm, um über das Album zu sprechen, und dann mischt er es makellos ab. Ich liebe das.
Eigentlich geht es hier ja um „Endtime Signals“, aber es ist schwer, nicht auch auf die Geschichte von DARK TRANQUILLITY zu schauen. Bei unserem letzten Interview stand das 25-jährige Jubiläum von „The Gallery“ an. Bald werden es 30 Jahre. Außerdem haben wir 25 Jahre „Projector“. Letztes Jahr waren es 30 Jahre seit dem Debüt „Skydancer“. Und die Jubiläen gehen gerade so weiter, weil ihr so produktiv seid. Wie oft blickst du zurück oder wirst nostalgisch? Ist das noch ein Thema, oder ist es eher so ‚ach ja, wieder ein Jubiläum‘?
Mikael: Normalerweise sind wir keine Band, die viel zurückblickt oder Jubiläen mehr als nur zur Kenntnis nimmt. Aber als Musikfan und Fan von Bands freue ich mich, wenn Bands Songs von bestimmten Alben spielen, also verstehe ich den Reiz. Wir haben uns immer darauf konzentriert, vorwärtszugehen, anstatt zurückzublicken. Wir überlegen aber, etwas Besonderes für die kommenden Jubiläen zu machen. Es wird Neuauflagen auf Vinyl und CD geben, die unglaublich klingen und aussehen. Daran arbeiten wir gerade.
Wir planen auch einige Shows, bei denen wir älteres Material spielen und einige Songs ausgraben, die wir noch nie gespielt haben. Vor allem jetzt mit Joakim, Christian und Johan in der Band können wir viele alte Songs besser umsetzen als damals. Ich freue mich wirklich darauf. Manchmal graut es mir davor, alte Songs zu spielen, und ich frage mich, was ich mir damals gedacht habe [lacht]. Aber es ist auch faszinierend und macht Spaß, die Vergangenheit ein bisschen mehr zu würdigen.
Welche Alben von DARK TRANQUILLITY sind für dich die prägenden? Fans haben ja immer ihre Favoriten, aber kannst du welche auswählen? Ein paar hast du ja schon angesprochen.
Mikael: Ja, alle haben eine andere Geschichte. Das erste Album, das dich zu einer Band gebracht hat, ist normalerweise dein Favorit. Oder das aktuelle oder das erste. Für uns war „The Gallery“ sehr prägend, als es 1995 rauskam. Es war ein Stil, den niemand wirklich kannte. Es war auch das Jahr, in dem wir angefangen haben, außerhalb von Schweden zu touren, was für uns riesig war. „Projector“ aus dem Jahr 1999 war ein weiteres prägendes Album. Es hat verändert, wie wir uns selbst gesehen haben und hat uns neue Möglichkeiten eröffnet. Wir haben erkannt, dass wir mehr machen konnten als nur superschnellen, technischen Death Metal.
„Fiction“ und „Character“ haben ebenfalls viel Aufmerksamkeit bekommen, ebenso wie „Damage Done“ 2002, als wir angefangen haben, in den USA zu touren. Das war eine große Sache. Ich erinnere mich, wie wichtig das Album für die amerikanischen Fans war. Diese Alben haben stark verändert, wie die Leute uns wahrgenommen haben und unsere Musik entdeckt haben.
Bei unserem letzten Interview hattest du außerhalb von DARK TRANQUILLITY keine weiteren Bandprojekte, beziehungsweise sie waren in der Pipeline. Mittlerweile sind sie wie Pilze aus dem Boden geschossen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Mikael: Es ist hektisch und macht Spaß. Die Ideen für die meisten dieser Projekte haben um 2019 begonnen, aber es war schwer vorstellbar, sie zu realisieren. Wenn Freunde nach ein paar Bier vorschlagen, eine Band zu gründen, klingt das großartig, aber Zeit zu finden ist eine andere Sache. Plötzlich hatten wir während der Pandemie den Luxus der Zeit. Ich habe beschlossen, zu Dingen Ja zu sagen. So entstand THE HALO EFFECT—etwas, das Niclas [Engelin] und Jesper [Strömblad] machen wollten. Es ist fantastisch, mit einigen meiner ältesten und besten Freunde Musik zu machen. Unser zweites Album kommt nächstes Jahr raus, und es ist fantastisch.
GRAND CADAVER ist entstanden, als ich mit meinem Nachbarn rumgehangen habe. Er wollte eine Band gründen, und ich sagte ‚hell yeah, lass das machen‘. Es ist einfacher, bodenständiger Death Metal. Er schreibt Songs an einem Abend, und ich schreibe Texte an einem halben Tag. Es macht richtig viel Spaß. Ich habe lange keinen Old School Death geschrieben, aber das ist etwas, das ich immer noch sehr gut kenne.
CEMETERY SKYLINE ist eine ganz andere Sache. Ein anderes Genre und Feeling. Ein Rockalbum zu schreiben war einschüchternd. Das war das schwierigste Album, besonders da ich kein wirklicher Rocksänger bin – ich schreie gerne. Aber es ist großartig geworden, und dieses Album kommt auch bald raus. Es ist hektisch mit vielen Reisen und Shows. Logistisch ist es hart, aber ich habe mir das selbst eingebrockt, also muss ich damit leben. Und das ist okay für mich – es wird Spaß machen.
Bleiben wir mal bei den Sachen, die jetzt anstehen. DARK TRANQUILLITY gehen im November auf Europatour. Was können wir von der Setlist erwarten, besonders da du erwähnt hast, dass ihr einige ältere Songs spielen wollt?
Mikael: Wir arbeiten gerade daran. Unsere erste richtige Show für diese Tour beginnt beim Summer Breeze im August. Wir bereiten eine Setlist vor, die viele unbekannte Songs enthält, die wir sonst nicht spielen, zusammen mit neuen Sachen. Die Idee ist, das Set so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Es ist schwierig, einige Songs aus der Setlist zu entfernen, weil die Fans immer bestimmte hören wollen. Obwohl wir die seit zehn Jahren jeden Abend spielen. Wir wollen die Dinge interessant halten, ohne drei Stunden spielen zu müssen. Wir planen auch einen komplett neuen Look für die Tour, den wir beim Summer Breeze erstmals präsentieren werden. Dort fängt also alles an. Ich freue mich unglaublich auf diese Tour. Alle sind wirklich engagiert und es herrscht viel Begeisterung. Es ist gerade eine gute Zeit für die Band. Viel Nervosität, aber auf die bestmögliche Art.
Und das nach all den Jahren; das ist eine gute Sache. Du willst ja auch nicht denken, ‚ach ja, mal wieder eine Tour‘.
Mikael: Genau. Es ist leicht, einfach noch eine Tour zu machen und die Songs zu spielen, die die Leute hören wollen, aber da gibt es keine Herausforderung. Wir wollen, dass es sich neu anfühlt und dass es für uns auf der Bühne und für das Publikum interessant bleibt. Besonders für diejenigen, die uns seit Jahren begleiten. Wir haben so viele tolle Fans, die zu mehreren Shows reisen. Es ist unsere Art, uns bei denen zu bedanken, die sich am meisten um uns kümmern.
DARK TRANQUILLITY machen eine Q&A-Session beim Summer Breeze. Was können wir erwarten? Warum sollten die Leute dabei sein?
Mikael: Wenn du ein Fan bist und unsere Geschichte kennst, solltest du das nicht verpassen. So einfach ist das. Es wird ziemlich spannend, und es wird auch Musik geben.
Die letzten Worte gehören dir. Möchtest du noch etwas loswerden?
Mikael: Ich bin einfach glücklich, all das immer noch machen zu können. Wir haben ein Album gemacht, auf das wir unglaublich stolz sind. Hoffentlich wird es genau dort ankommen, wo wir es haben wollen, und unsere Fans werden fühlen, was wir vermitteln wollten. Ich freue mich; das wird ein spaßiges Jahr. Vielleicht sogar zwei oder drei Jahre [lacht]. Hoffentlich seid ihr alle dabei, denn das sind aufregende Zeiten, und ich bin wirklich dankbar und glücklich, dass wir das immer noch machen können.
Vielen Dank für das Interview!
Mikael: Danke dir!