Dark Tranquillity
Interview mit Niklas Sundin zu "Character"

Interview

DARK TRANQUILLITY, ihres Zeichens Urväter des Göteborg Sounds, legen mit „Character“ ihr neues Album vor, das nicht nur in die Zukunft schaut, sondern sich auch auf alte Werte besinnt. Gitarrist Niklas, der auch für das Cover verantwortlich zeichnet (Achtung, Wortspiel!), sezierte mit mir Musik und Artwork und gab darüber hinaus Auskunft über die Labelsituation und die anstehenden umfangreichen Tourpläne.

Erzähl mir doch einfach mal ein paar Dinge über das neue Album. Was denkst du darüber?

Zuerst einmal sind wir extrem zufrieden, was sich natürlich anhört wie ein Klischee. Die Sache ist aber die, dass wir das Album bereits im Februar aufgenommen haben. Normalerweise ist es ja so: wenn du ein Album eingespielt hast, hast du die Songs schon so oft gehört und dich wirklich auf jedes einzelne Detail konzentriert, du hast sie immer und immer wieder im Proberaum gespielt, dann wieder im Studio und irgendwann hast du einfach genug davon. „Character“ können wir uns jedoch immer noch anhören und es klingt noch immer interessant und frisch für uns. Das ist sehr vielversprechend für die Zukunft!

Auf mich macht es auch einen sehr frischen Eindruck. Besonders der Opener klingt so old school, dass ich ziemlich überrascht war von den Blast Beats.

Ja, das war eine sehr bewusste Entscheidung. Wir hatten natürlich einige Diskussionen über die Running Order und das ganze, nach einer Weile kam aber heraus, dass dieser Song an erster Stelle stehen sollte, um den Leuten gleich klarzumachen, worum es bei dem Album geht.

Ich hab mal gelesen, dass das Album eine Mischung aus „Damage Done“ und „The Gallery“ sein sollte. Beim ersten Song dachte ich noch „stimmt“, danach jedoch, dass es sich schon bedeutend mehr nach „Damage Done“ anhört.

Unterschiedliche Leute haben unterschiedliche Meinungen. Wir haben bisher ungefähr 50 oder 60 Interviews gegeben. Manche sagen es klingt nach einer Mischung aus „Damage Done“ und „Haven“, andere sagen es klingt nach „Damage Done“ und „The Gallery“ und wieder andere sagen es klingt ganz anders. Es ist immer schwierig, eine total objektive Sichtweise zu haben. Ich denke, dadurch dass das neue Album schneller und intensiver klingt entsteht der Eindruck, dass ältere Sachen wie „The Gallery“ ihren Einfluss hatten. Wir hatten seit „The Mind’s I“ (1997) keine Blast Beats mehr verwendet, sodass sie wohl ein Einfluss aus früheren Zeiten sind. Daneben bewegt es sich allerdings auch in derselben grundlegenden Richtung wie „Damage Done“, was die elektronischen Elemente anbelangt. Aufgrund des Aufnahmeprozesses ist der gesamte Sound auch etwas näher an „Damage Done“.

Ja, ich dachte, ich hätte mehr elektronische Elemente als noch auf „Damage Done“ herausgehört.

Ja, die Art wie die elektronischen Elemente mit der Musik interagieren ist ein bisschen feiner und raffinierter.

Sie scheinen sich mehr einzufügen und einen grundlegenderen Teil der Musik zu bilden.

Exakt! Wir haben uns auch darauf konzentriert, das Album technischer zu gestalten, wodurch es im Vergleich zu „Damage Done“ wahrscheinlich auch komplizierter und komplexer geworden ist. Obwohl „Damage Done“ ein gutes Album war, hatten wir immer das Gefühl, dass es zu schlicht, einfach und an einigen Stellen zu zugänglich war. Du konntest es dir nur ein paar mal anhören und die Songs waren dann einfach vollkommen offen! Deshalb sollte „Character“ etwas trickyer sein, und es dem Zuhörer schwerer machen, in die Songs reinzukommen. Das Album verlangt dir Aufmerksamkeit ab, du musst es dir fünf bis zehnmal anhören, bis die Songs anfangen, sich dir zu öffnen. Dadurch hat es aber auch eine längere Haltbarkeit und bleibt länger interessant.

Dem kann ich nur zustimmen. Als ich es das erste mal hörte, war ich total enthusiastisch. Beim zweiten und dritten mal hatte ich allerdings den Eindruck eines zweiten „Damage Done“. Wie du sagtest, beginnt es jetzt aber wieder, sich zu öffnen!

Genau! Es ist einfach von der Art Album, die wir selber lieben. Zu Anfang ist es ziemlich schwer, aber du fühlst, dass irgendetwas drin steckt, das du noch nicht beschreiben kannst. Es sollte einfach nicht zu leicht sein. Ich weiß noch, als ich es zum ersten mal Freunden vorgespielt habe, die wirklich lange auf das Album gewartet hatten. Sie meinten es sei ein wirklich großartiges Album, jedoch konnten sie sich keinen einzigen Song merken. Während dem Anhören wussten sie, dass es eine prima Scheibe ist, am nächsten Tag jedoch konnten sie sich an keine Stelle mehr erinnern. Dennoch wollten sie es immer wieder hören, weil sie wussten, dass es gut war, obwohl sie sich davon nichts behalten konnten.

Aber genau dadurch hat es ja diese längere Haltbarkeit und nutzt sich nicht so schnell ab.

Ja, genau.

Wo siehst du persönlich dann die Unterschiede zu „Damage Done“?

Den größten Unterschied sehe ich in der Komplexität. Die Riffs sind in Bezug auf die Spielweise auf „Character“ viel komplizierter. Außerdem passiert viel mehr nebenher, wir haben mit viel vielschichtigeren Sounds gearbeitet. Es ist nicht immer möglich herauszuhören, was eigentlich gerade passiert, aber gerade das baut den ganzen Sound auf. Es sind die kleinen Details und Tricks, die man erst nach mehrmaligem Hören mitbekommt. Das Album ist intensiver, härter, schneller, der Sound ist kräftiger und die Vocals etwas harscher und tiefer. Es ist insgesamt ein kräftigeres und fordernderes Album als „Damage Done“.

Mir ist aufgefallen, dass ihr seid „Projector“ keine cleanen Vocals mehr verwendet habt. Es hieß ja einmal, dass sie auf „Projector“ nur eine Notlösung waren, weil Mikael während der Aufnahmen stark erkältet war.

Oh nein, nein. Das stimmt absolut nicht! Auf unserem ersten Album hatten wir ja auch cleane Vocals. Es ist einfach eine ganz andere Herangehensweise. Als wir „Projector“ aufgenommen haben, wollten wir experimentieren und uns und anderen Leuten beweisen, dass wir nicht nur eine weitere Melo Death Metal Band aus Göteborg sind. Zu der Zeit wurde das ganze nämlich wieder ziemlich durch die Medien gehypt. Es war so blöd und nervtötend! Wir waren einfach total gelangweilt von dieser Art Musik. Wir haben „Projector“ als eine Art Experiment gesehen, um den Leuten zu zeigen, dass wir mehr können als nur Death Metal zu spielen. Das Problem mit cleanen Vocals ist immer: entweder sie passen oder sie passen nicht. Der Focus lag bei „Damage Done“ und „Character“ auf Aggression und deshalb gab es einfach keinen Raum für cleane Vocals. Es wäre totaler Sell-Out, wenn wir einen cleanen Vers einbauen würden, nur weil wir wissen, dass das die Leute hören wollen.

Ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber lass uns einmal über das Konzept zu „Character“ reden! Mir liegen zwar keine Lyrics vor, die Songtitel weisen jedoch schon darauf hin, dass es wohl hauptsächlich vom Individuum handelt und sehr selbstbezogen ist, eben den „Charakter“ in den Mittelpunkt stellt und dieses Konstrukt thematisiert. Wie passt jedoch das industriell wirkende, absolut nicht-menschliche Cover Artwork da mit rein? Du bist da ja der Mann dafür…

Ja, wenn du jedoch etwas genauer hinsiehst, könntest ein paar persönliche, menschliche Dinge entdecken. Alles hat damit angefangen, dass ich die Lyrics gelesen habe und mit Mikael die Thematik und ihre grundlegende Richtung besprochen habe. Wie du schon sagtest ergibt sich der Titel und somit das Thema „Character“ aus den verschiedenen Songtiteln, die unterschiedliche Handlungs- und Verhaltensweisen reflektieren. In diesem Sinne ist jeder Song ein bestimmter Teil des „Charakters“. Das wollte ich im Cover Artwork zeigen, aber nicht zu offensichtlich und ohne alles zu offenbaren. Nach einer Weile war mir dann klar, dass ich etwas Monumentales, etwas Episches auf dem Cover haben wollte. Etwas, das mit vielen Details gefüllt ist, genau wie die Musik.

Viele Details kannst du nicht auf Anhieb erkennen, sondern musst genau hinsehen und dich damit beschäftigen. Die Idee war dann, eine innere Landschaft oder eine Art mentale Stadt mit riesigen industriellen Gebäuden zu zeigen. Diese sind kombiniert mit menschlichen Armen, Insektenflügeln und Fühlern. Alle möglichen organischen Dinge wie Tiere oder Pflanzen eben, die in Kontrast mit dem Grau und dem Schwarz/weiß stehen und mit dem großen roten, alarmierenden Objekt im Vordergrund eine Dualität bilden. Du hast die Unbeweglichkeit der Gebäude und das Lebendige des Schwarms am Himmel, also die Partikel oder Insekten oder was es auch immer ist, und du hast den Muskel auf der rechten Seite. Es ist einfach meine persönliche Interpretation der Lyrics. Egal wie du es anstellst, es wird immer deine eigene Sicht sein, die du darstellst.

Ich denke einfach, es ist ein sehr drastischer Kontrast aus „sehr persönlichen“ und „extrem unpersönlichen“ Elementen. Ich habe auch versucht, die Zeile „Look At The Shell That Is You“ in diesen Kontext zu bringen. Kannst du mir dabei helfen?

Ja, natürlich! Die Zeile stammt aus dem Chorus zu „Lost To Apathy“. Der Song handelt von Teilnahmslosigkeit, Resignation und dem Gefühl von Isolation, in einer zunehmend verwirrenden Welt ohne Leitlinien zu sein. Ich denke, der beste Weg, das mit in den Kontext zu bringen ist das große runde Objekt im Bild. Es stellt ein Gehirn dar und die Lichter symbolisieren die elektrische Aktivität darin, die die Basis für jeden Gedanken und die Voraussetzung für ein Bewusstsein darstellt. Aufgrund der Farbe und des angegriffenen Zustands der Gebäude kann man erkennen, dass das Hirn nicht vollständig funktioniert. Das könnte man als Umsetzung des „Lost To Apathy“ Themas sehen: etwas funktioniert nicht richtig.

Also lebt es nur, handelt aber nicht bewusst?

Ja, nicht komplett. In dieser Richtung bis zu einem bestimmten Grad. Es bedeutet, dass da nicht allzu viel Substanz ist, dass nicht allzu viel geschieht in dieser Schale.

Es ist wirklich interessant, eure Songs, Alben und Artworks untereinander zu vergleichen. Mir scheint, als würden die Songs und Themen von „Character“ besser zum Cover von „Damage Done“ passen, wo sich die Person den Kopf hält.

Ja, ich muss zugeben, das würde auch funktionieren…

… das war eben mein Eindruck vor diesem Gespräch. Die Thematik von „Character“, das Cover von „Damage Done“ und als Titel „The Mind’s I“ würden ziemlich gut zusammenpassen…

Ja, hmmm… es ist wirklich schwer für mich, diesbezüglich objektiv zu sein, da ich so viel Zeit damit verbracht habe, eine visuelle Umsetzung für die jeweilige Thematik zu finden. Wahrscheinlich hast du recht und es würde gut funktionieren.

Es scheint einfach alles zueinander zu passen.

Ja, in einer gewissen Weise bleiben wir einem roten Faden treu. Unsere Lyrics haben sich schon immer um einige zentrale Themen wie Einsamkeit, Depression, Resignation und Individualität gedreht. Ich denke schon, dass es möglich ist, den Songs verschiedene Covers oder Bilder zuzuordnen.

Mittlerweile liegt ja fast ein ganzes Jahr zwischen Aufnahme und Release. Seid ihr noch immer zufrieden mit dem Ergebnis oder habt ihr schon einige Dinge entdeckt, die ihr inzwischen anders machen würdet?

Nein, ich glaube wir sind zufrieden, sehr zufrieden sogar. Ich denke es bringt nichts, ein Album anzuhören, um Dinge zu finden, die man anders machen könnte. Jedes mal, wenn wir ein Album aufnehmen, tun wir genau das, was wir zu diesem Zeitpunkt fühlen. Jede Scheibe zeigt das, was uns zum Aufnahmezeitpunkt vorgeschwebt hat. Mit „Character“ sind wir überraschend zufrieden und glücklich, auch heute noch. Wir hören es noch immer gerne an, was ziemlich gut für einen so selbstkritischen Haufen wie uns ist.

Ich denke die lange Zeitspanne zwischen den Aufnahmen und dem Release rührte auch daher, dass ihr euch Gedanken über ein neues Label machen musstet.

Genau das war der Hauptgrund. Wir hatten alle Songs bereits im Januar fertig und waren zu der Zeit so im Schreiben und Proben drin, dass wir wussten, wir müssen die Songs gleich aufnehmen. Unser Management hatte jedoch gerade erst angefangen, mit verschiedenen Labels Verhandlungen zu führen. Die Leute wussten, dass „Damage Done“ unser letztes Album aus dem alten Vertrag mit Century Media war. Wir waren zwar immer sehr zufrieden mit Century Media, aber wir wären dumm, wenn wir nicht trotzdem Alternativen abklopfen würden. Wir haben das Album aufgenommen und einfach gehofft, dass der Businesskram nicht zu lang dauern würde. Natürlich hat er lange gedauert, denn es gibt so viel zu tun. Verhandeln, Vergleichen, Abwägen hat insgesamt sieben Monate gedauert. Das war total frustrierend, da wir genau wussten, dass wir am Ende sowieso wieder bei Century Media unterschreiben wollten. Alle Beteiligten wussten das, aber es hat eben einige Zeit gedauert, den neuen Vertrag auszuarbeiten und dann fix zu machen. Wir haben also im Juli unterschrieben, Century Medias Release Plan für Herbst war jedoch schon voll, sodass wir mit der Veröffentlichung bis Januar warten mussten.

Ihr hattet dieses Jahr ja euren 15. Jahrestag, weshalb ihr auch „Exposures“ herausgebracht habt…

„Exposures“ war ein Weg, um den Fans unser ganz altes Material zugänglich zu machen und ihnen somit eine wirkliche Alternative zu miesen Downloads oder überteuerten Sammlerpreisen für die Originale zu bieten. Ich denke nicht, dass alle übrig gebliebenen Songs schlechter sind als die, die es auch auf das Album geschafft haben. Es ging hauptsächlich darum, dass diese Songs nicht zum Vibe oder der Ausrichtung des Albums gepasst haben. Zum Beispiel der Song „In Sight“, der bei den Sessions zu „Haven“ entstanden ist, unterscheidet sich in der Stimmung und im Ausdruck total vom Rest der Tracks. Es hat einfach nicht funktioniert. Oder „Noone“ von „Projector“ klingt sehr nach „Nether Novas“ und war einfach ein Song zu viel. Die treuen Fans sollten eine Möglichkeit bekommen, an die Songs zu gelangen, die es aus irgendeinem Grund nicht auf das Album geschafft haben.

Was erwartet ihr von der Zukunft?

Wir werden viel auf Tour sein. Am 1. Februar geht es mit der KREATOR Tour los, die fünf Wochen dauern wird. Das ist eine Wahnsinnsgeschichte, denn KREATOR sind einer der Hauptgründe, warum wir überhaupt eine Band gegründet haben und uns mit extremem Metal beschäftigen. Es ist eine große Ehre für uns, mit KREATOR auf Tour zu sein. Sie haben ein fantastisches neues Album draußen, das auf jede Art exzellent ist, und ich denke es ist ein gutes Package. Vier Bands aus vier verschiedenen Metal Richtungen, die trotzdem nicht zu verschieden sind, um die Leute abzuschrecken. Es gibt für jeden etwas.

Hast du persönlich irgendwelche guten Vorsätze für das nächste Jahr?

Hmm, ich bin ziemlich perfekt, haha. Ich muss aber definitiv wieder mehr trainieren, besonders wenn wir für mehrere Monate auf Tour sein werden. Ich werde es wahrscheinlich mit dem Alkohol auf Tour etwas langsamer angehen lassen und wohl Liegestütze oder andere einfache Übungen machen. Nach der Europatour werden wir für eine Woche zu Hause sein, bevor wir mit SOILWORK und HYPOCRISY in den USA auf Tour sein werden. Danach geht es nach Südamerika, wo wir in einer Woche in Mexiko, Chile und Brasilien spielen werden, bevor es wieder in die Staaten geht, wo wir mit einer noch unbestätigten Band touren werden. Dann geht es für die Sommerfestivals wieder nach Europa und dann eventuell nach Japan und hoffentlich Australien. Und zu guter letzt wird es eine europäisch-amerikanische Headliner Tour geben. Es ist aber noch nicht alles bestätigt, im Musik Biz kannst du bis zur letzten Minute nicht wirklich sicher sein. Das sind die Pläne bis dato, was bedeutet, dass wir ungefähr sechs Monate auf Tour sein werden. Deshalb könnte ich ruhig ein wenig Training gebrauchen. Das ist wohl mein guter Vorsatz fürs nächste Jahr.

Viel Erfolg dabei! Und vielen Dank für das Interview! Ich wünsche euch ein gutes Neues Jahr!

Dir auch ein gutes Neues! Danke!

28.12.2004
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