Dark Age
Interview mit Eike Freese (Vocals, Guitar) und Martin Reichert (Keyboard) zu "Acedia"
Interview
Von den Einen hochgelobt, empfanden Andere „Minus Exitus“, das letzte Album der Hamburger Düster-Metal-Institution DARK AGE, als Stagnation. Ungeachtet dessen, mit neuer Labelheimat im Rücken, spielten die Jungs einen extrem dunklen Longplayer ein, der sich deutlich vom Vorgänger unterscheidet und damit völlig überrascht: „Acedia“ ist ein Album, das bereits nach dem ersten Durchlauf nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen ist und vor kreativen Ideen nur so strotzt – ein ganz klarer Favorit auf das Album des Jahres! Zufall oder Glücksgriff? Eike Freese (Vocals, Guitar) und Martin Reichert (Keyboard) sind sich ganz sicher, das Album aufgenommen zu haben, das sie schon immer mit DARK AGE aufnehmen wollten.
Moin zusammen und Gratulation! „Acedia“ ist wirklich außergewöhnlich! Ich möchte behaupten, dass ihr euch mit diesem Album neu erfunden habt, ohne bisherige Trademarks über Bord zu werfen. Gleichzeitig ist das Album auch euer Debüt auf AFM Records. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Eike: Ja, Hallo! Danke für das Kompliment! Nach „Minus Exitus“ war uns allen klar, dass es, was das Business betrifft, natürlich eine Weiterentwicklung geben musste. Der Schritt, irgendwann einen neuen Labelpartner zu finden, war notwendig. Auch wenn Remedy Records in der Vergangenheit wirklich erstklassige Arbeit geleistet haben, war es einfach an der Zeit die Vorzüge eines größeren Labels in Anspruch zu nehmen. Und diesbezüglich kam AFM Records auf uns zu und haben schlicht und ergreifend ein Angebot auf den Tisch gehauen, mit dem alle anderen konkurrierenden Label nicht mithalten konnten. Dazu sprang auch in den folgenden, persönlichen Gesprächen sofort der Funke zwischen Label und Band über, so das wir uns im Rahmen dieser Zusammenarbeit auf Anhieb Pudelwohl gefühlt haben.
Wie steht denn der Titel des Albums, „Acedia“, das aus dem Griechischen übersetzt in etwa „Trägheit des Herzens“ bedeutet, in Verbindung zu den Songs, die ja nicht immer melancholisch klingen, und auch zum Artwork?
Martin: Der Albumtitel als solcher umfasst für uns sehr treffend Eikes Texte auf dem Album, die sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen. Vom künstlerischen Aspekt her hat sicherlich jeder eine andere Interpretation des Artworks. Für mich symbolisiert es auf eine sehr zerstörende Weise die Doppelzüngigkeit und Gespaltenheit unserer heutigen Gesellschaft.
Eike: Das Artwork von Niklas Sundin hat uns im Rahmen unserer Suche nach einem passenden Covermotiv schlichtweg am besten Gefallen. Und den Titel, den hatte ich übrigens schon länger im Kopf, nur habe ich eigentlich nicht damit gerechnet, dass der eine Option für ein DARK AGE-Album sei. Als wir dann jedoch das Cover sahen, brachte ich den Vorschlag ein. Wir finden, dass „Acedia“ mehr als alle unserer Alben zuvor ein Hauch von Melancholie versprüht, was zu diesem sehr verstörenden Coverartwork durchaus passt.
Apropos Sundin. Den hattet ihr ja bereits für „Minus Exitus“ gebeten ein Front Cover Artwork zu erstellen. Damals hatte Niklas allerdings keine Zeit, speziell euren Songs entsprechend etwas zu kreieren, so dass ihr euch das Artwork aus mehreren von ihm bereits erstellten Werken ausgesucht habt. Wie lief diese Prozedur zu „Acedia“ ab? Hat er denn diesmal eure Songs vorher gehört?
Eike: Leider hatte Niklas vorher keine Möglichkeit das Material zu hören. Deshalb verlief diese Prozedur im Grunde sehr ähnlich wie bei der „Minus Exitus“: Niklas übersendete uns mehrere seiner Ideen zu unserem Albumkonzept und wir haben uns daraufhin entschieden.
Ich habe neulich gelesen, dass Nick Cave zum Songschreiben morgens früh aus dem Haus geht wie jeder andere Arbeitnehmer, in seinem Büro sitzt und an Ideen arbeitet, und Abends wieder nach Hause kommt. Wie entstehen bei euch Songs ganz generell? Schreibst du, Eike, immer noch alle Texte, oder hat sich diesmal jeder von euch an der Musik und den Lyrics beteiligt?
Eike: Wenn man als Musiker seinen Lebensunterhalt bestreitet, kommt man in den meisten Fällen, ebenso wie der Bäcker von nebenan, langfristig nicht um geregelte Abläufe herum. Mir wäre Nicks Methodik tatsächlich zu „9 to 5“, sehe aber in mancher Hinsicht eine Parallele. In diesem Fall, „Acedia“ betreffend, haben wir als Band mehr denn je zusammen an den Songs gearbeitet, auch wenn sich die Methodik teilweise schon sehr zu den Vorgängeralben verändert hat. Jeder in der Band hat zunächst für sich alleine, teilweise auch in Kooperation im Studio oder zu Hause, am Rechner eigene Songs und Songlayouts angefertigt und diese dann zu einer von uns beschlossenen Deadline angeliefert. Herausgekommen ist eine Fülle an Material, die wir am Tage der Deadline durchgearbeitet und ausgewertet haben.
Martin: Diesmal haben sogar alle so gründlich und ausgiebig an Songs gearbeitet, dass wir aus Zeitgründen einige Songideen liegen lassen mussten und auswählen konnten, welche Strukturen wir weiter bearbeiten. Einige der Ideen könnten uns nun also als gute Grundlage für das nächste Album dienen.
Eike: Die Texte schreibe ich übrigens nach wie vor selber. Allerdings gibt es auf „Acedia“ das erste Mal auch einen Text von unserem Drummer Andre. Dieser Song nennt sich „Halo Meridian“.
Anders als bei den beiden vorherigen Alben habt ihr – bis auf den Bonustrack, der ja nur auf der Digipack-Version erscheinen wird – diesmal keinen Gastmusiker mit dabei. Das ist aber bei der Qualität der neuen Songs auch überhaupt nicht notwendig. Trotzdem, mit wem würdet ihr denn doch noch einmal gern für einen Song zusammenarbeiten, wenn sich die Gelegenheit ergibt?
Eike: Das stimmt leider nicht ganz. Auf „10 Steps To Nausea“ sind mein Bruder Marko als auch Olman Viper mit Backingstimmen und Shouts zu hören. (lacht) Naja, und eigentlich hat sich mit der Zusammenarbeit mit Kai Hansen für den Bonustrack auch schon einer meiner Wünsche erfüllt. (zeigt die Pommesgabel)
Martin: Mit wem man zusammenarbeiten möchte ist sicherlich auch bei jedem von uns verschieden, und natürlich gibt es irgendwo auch eine Grenze des Machbaren. Insofern sind die Kooperationen mit Johan Edlund auf der „Dark Age“ und diesmal mit Kai Hansen schon ziemlich top, denke ich. Wenn natürlich irgendwann mal James Hetfield anfragt, sind wir sicherlich nicht ganz abgeneigt. (lacht) Und was wir übrigens noch nie hatten ist eine weibliche Gastsängerin. Da gibt es also noch Spielraum für die nächsten Alben. Cristina Scabbia: Bitte melde dich! (lacht)
Es ist wirklich schwer, auf „Acedia“ irgendwelche Highlights herauszupicken, weil einfach jeder Song zu überzeugen weiß, aber ich glaube die von mir favorisierten Tracks sind „10 Steps To Nausea“ und „Babylon Riots“. Könnt ihr kurz umreißen, welche Thematiken ihr jeweils in den neuen Songs ansprecht?
Eike: „10 Steps“ befasst sich mit dieser heuchlerischen Art, geschäftliche Interessen trotz Antipathien weiterzuverfolgen, die sicherlich jeder schon einmal irgendwie erfahren hat, während „Babylon Riots“ eine Rückblende eines Menschen ist, der sich aufgrund eines Zusammentreffens von Jung und Alt an seine jüngeren Tage zurück erinnert und bitter feststellen muss, dass die süße Dekadenz und Unbeschwertheit seiner Jugend für immer vorbei ist.
Martin: „Kingdom Nevercome“ befasst sich mit dem Streben nach einem zufriedenen Leben durch die lebenslange Aufopferung in Fleiß und Arbeit und der Erkenntnis, sich letztendlich einer Illusion hingegeben zu haben, an der man zerbrochen ist. Außerdem behandelt Eike in seinen Texten unter anderem die Thematik von Menschen, die dir den letzten Nerv rauben und dir deine Lebensenergie nehmen, wie zum Beispiel in „Vampyrez“, die Doppelzüngigkeit gewisser Menschen in „Snake Of June“ und dem möglichen „Antrieb“ von Amokläufern in „Zeitgeist“. Es geht allgemein um Dinge, die im alltäglichen, persönlichen Leben eine Rolle spielen und uns beschäftigen. Wie immer ist natürlich jeder herzlich dazu eingeladen sich selbst mit den Texten auseinanderzusetzen und seine eigenen Interpretationen zu finden.
Wann immer ich „10 Steps To Nausea“ höre, fühle ich mich übrigens irgendwie an „Zero“ vom selbstbetitelten Album erinnert. Zufall? Oder besteht da ein gewisser Zusammenhang zwischen diesen beiden Songs?
Eike: Das ist dann bezogen auf deine Empfindung wohl nur reiner Zufall. Erklären kann ich mir das höchstens durch das Einbringen von Zahlenabfolgen in den Vocals, denn instrumentalistisch gesehen haben die Songs kaum einen Zusammenhang.
Ich möchte ganz ehrlich sein: Von „Minus Exitus“ war ich doch schon ganz schön enttäuscht, weil nach vier Jahren Funkstille ein Album vor mir lag, dass nicht im Geringsten innovative Ideen hervorbrachte, wie es jetzt mit „Acedia“ der Fall ist. Wie denkt ihr selbst jetzt im Nachhinein über „Minus Exitus“? Und welche Rolle spielt dieses Album für euch als Band und innerhalb eurer bisherigen Diskographie?
Eike: „Minus Exitus“ ist eigentlich das bisher wichtigste Album unserer Bandgeschichte. Anders als du, empfanden das Groß der Hörerschaft dieses Album als logische und richtige Entwicklung. Neben vielen sehr guten Kritiken waren auch die Live-Resonanzen eine unglaublich wichtige Bestätigung für uns.
Treffen euch denn schlechte Reviews, oder betrachtet ihr Kritiken generell auf neutraler Ebene? Inwiefern darf und sollte eine Band überhaupt auf Kritiken oder Meinungen anderer reagieren?
Eike: Mittlerweile treffen mich schlechte Reviews nicht mehr so sehr. Musikempfindung und ihre Wirkung ist ein sehr subjektives Gefüge, dass sich eigentlich schwer rastern oder objektiv beurteilen lässt. Dazu kommt noch, dass sich durch das Internet eine Plattform aufgetan hat, die jedem die Möglichkeit gibt, seine zum Teil leider sehr unqualifizierten Äußerungen zu publizieren. Daran gewöhnt man sich jedoch und nimmt die Dinge mit der Zeit einfach nicht mehr so ernst.
Einige eurer Alben gibt es auch auf Vinyl. Wird „Acedia“ denn ebenfalls auf Vinyl erscheinen?
Eike: Leider nicht. Nein.
Bist du eigentlich eher ein Vinyl- oder CD-Käufer?
Eike: Eher ein CD-Käufer. Als Studioheini ist das Konsumieren analoger Tonträger ohnehin Quatsch. (lacht)
Martin: Ja, das sehe ich genauso. Meine letzte LP habe ich mir, glaube ich, vor ca. achtzehn Jahren gekauft. Im Auto kann man nunmal mit LPs nicht so viel anfangen. (grinst) Compact Disc is the way! Und natürlich auch mein treuer Begleiter, der MP3-Player. Da ich viel unterwegs bin, ist das Ding unverzichtbar für mich. Dennoch mache ich es lieber „old school“, ich kaufe mir CDs und ziehe mir die dann auf meinen Player.
Wenn eure Alben jeweils ein Urlaubserlebnis wären, was kannst du über „The Fall“ berichten, was habt ihr mit „Insurrection“, „The Silent Republic“, „Dark Age“ und „Minus Exitus“ erlebt, und was hast du über „Acedia“ zu erzählen?
Eike: Ha Ha, eine sehr geile Frage! Mal sehen… (überlegt) „The Fall“ war eine Klassenreise nach Prag. „Insurrection“ war dann eher der lange Dänemark-Aufenthalt mit Hot Dogs und Dosenbier, während „The Silent Republic“ schon etwas von einer Australien-Club-Reise, aber mit leichtem Assi-Touch hatte. Und „Minus Exitus“ war sozusagen die Safari mit Dschungel-Gefahren, Malaria und Ehestreit…
Martin: …und nicht zu vergessen natürlich „Dark Age“, der All-Inclusive-Urlaub mit dreizig betrunkenen Metalheads im Tourbus durch Europa!!! (allgemeines Gelächter)
Und „Acedia“?
Eike: „Acedia“ ist die Kreuzfahrt durch alle Meere.
Ein gutes Stichwort übrigens, für die nächste Frage: „Kreuzfahrt durch alle Meere“. Was mich verwundert: Offensichtlich spielt ihr oft in Frankreich und seid eigentlich auch viel häufiger dort unterwegs als in Deutschland. Vielleicht ist das auch nur mein Eindruck, aber was unterscheidet denn das Publikum dort von dem hier in Deutschland?
Eike: Ja, das stimmt! Frankreich hat sich bisher als sehr dankbarer Gastgeber erwiesen, und sich bisher immer die größte Mühe gegeben uns zu holen.
Martin: Das Publikum in Frankreich mag uns unserer Meinung nach genauso gerne wie die Deutschen, auch wenn sich unsere französischen Fans etwas enthusiastischer präsentieren. Aber über unsere deutsche Fanbasis gibt es auch nichts Schlechtes zu sagen: Unsere Fans haben sich über die Jahre hinweg immer als sehr loyal erwiesen. Die Booker in Frankreich haben einfach ein größeres Interesse an uns und scheuen nicht das Risiko uns zu holen. Und die Zuschauerzahlen bei den Konzerten geben ihnen Recht, die Hütte ist immer gerappelt voll, wenn wir spielen!
Was kommt als nächstes? Wird man euch denn demnächst auch noch in anderen europäischen Ländern sehen können?
Martin: Wir planen zur Zeit eine Tour für Ende 2009 bzw. Anfang 2010, und hoffen im Frühjahr mit einer größeren Headlinerband auf Europatour gehen zu können.
Eike: Auch wenn meine Frau das nicht gerne hört: Ja, eine Europatour ist in Planung und dann wollen wir live spielen, live spielen, live spielen und live spielen…!
Welche Ziele möchtet ihr als Band auf jeden Fall noch erreichen?
Eike: Eine Tour durch Japan wäre grandios!
Martin: …und natürlich eine in den USA. Das wäre auch sehr groß!
Vielen Dank für das Interview. Die letzten Worte gehören euch:
Eike: Danke dir! „Acedia“ ist das Album geworden, was ich mit DARK AGE immer machen wollte. Ich hoffe unsere Fans und Hörer haben damit genau so schöne Momente wie wir sie haben.
Martin: Reinhören und sich selbst ein Urteil bilden! Wir sind verdammt stolz auf das Baby!
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Stile | Melodic Death Metal, Modern Metal, Post-Rock |
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