Cryptopsy
Cryptopsy

Interview

Spätestens mit ihrem Durchbruchalbum "Whisper Supremacy" haben sich Cryptopsy als feste Grösse in der Death Metal-Welt etabliert. Nun sind sie wieder mal auf Triumphzug-Tour in Europa – Grund genug, mit Flo, dem Drummer der Band, der regelmässig sämtlichen im Publikum anwesenden Schlagwerkern die Tränen in die Augen treibt, ein kleines Schwätzchen zu führen.

Flo, erzähl uns doch erstmal, was bei Cryptopsy seit „And Then You´ll Beg“ so gelaufen ist.

Flo: Wir sind einfach sehr, sehr viel getourt – in Europa, in Amerika, und in Japan – und wir haben unseren Sänger ausgewechselt.

In Japan? Wie war das so? Hören die Metaller dort nicht alle Power Metal?

Flo: Es war grossartig. Die Leute sind sehr anders dort, aber sie stehen absolut auf die Musik. Und sie hören dort auch nicht nur Power Metal, sondern alles Mögliche.

Überrascht Euch Euer eigener Erfolg eigentlich? Verglichen mit anderen Bands, die so erfolgreich sind, macht Ihr ja eher sehr komplexe Musik.

Flo: Wir arbeiten schon so lange an unserer Musik und haben uns in so kleinen Schritten entwickelt, dass sich für uns nichts verändert hat. Wir machen halt einfach Musik, verstehst Du? Je mehr Leute drauf stehen, desto besser. Je grösser die Konzerte sind, desto besser. Aber so kleine, intime Shows wie heute sind auch cool, das wird sicher Spass machen. Nein, es überrascht uns nicht, wir machen das schon so lange… es kommt, wie´s halt eben kommt.

Eure alten Fans möchten sicher gern wissen, was aus Lord Worm geworden ist.

Flo: Es hatte vor allem mit der Musik zu tun – Lord Worm mag die simplen Sachen, und wir wurden immer komplizierter. Das mochte er nicht. Und er ging auch nicht gern auf Tour.

Und an dem Punkt wo die Band jetzt steht, geht es um eine Karriereentscheidung und auch einfach eine Lebensentscheidung: Wenn die Band wächst, erwartet man von Dir, dass Du mehr und mehr tourst. Und wenn Du nicht gern tourst, machst Du Dir nur das Leben schwer, denn so läuft es nunmal.

Viele Leute finden immer noch, er sei der „wahre“ Cryptopsy-Sänger. Woran liegt das Deiner Meinung nach?

Flo: Naja, das gibt es oft. Wenn eine Band grade anfängt, und Du hast einen Sänger, der mit der Band zusammen anfängt, auch wenn es nur für ein oder zwei Alben ist, dann wird es immer Leute geben, die denken, das war das Originallineup, und das war der erste Sänger, und so sollte es für immer bleiben. Aber uns ist das ehrlich gesagt egal. Erstens, was sollen wir schon tun? Wir können nicht viel machen, wenn die Leute mit uns nicht glücklich sind. Und zweitens, ich finde, Veränderungen sind oft gut. Dadurch kommt Frische und Abwechslung rein, und es ist doch cool, wenn nicht alle Alben gleich klingen.

Okay, Themawechsel. Wie schreibt Ihr Eure Songs?

Flo: Kommt drauf an. Früher waren es vor allem John und ich, die komponierten, sich die Riffs ausdachten und sie dann strukturierten. Aber jetzt, wo John, Eric und ich schon so lange zusammenspielen, ist die Chemie besser und Eric schreibt auch ganze Songs. Und Alex fängt auch an, ganze Songs zu schreiben. Der Input kommt mehr oder weniger von der ganzen Band, und dann versuchen wir die Sachen zusammen zu strukturieren. Bei manchen Songs dauert´s länger, bei andern weniger, es kommt halt eben drauf an. Es ist ein Potpourry.

Wo wir schon vom Songwriting reden, mir fällt auf, dass die Songs auf „And Then You´ll Beg“ allgemein länger, vielleicht etwas repetitiver und von den Strukturen her eher gewöhnlicher Death Metal sind. Auf „Whisper Supremacy“ gab es mehr kurze Songs, und es schien mindestens bei den Songstrukturen auch ein gewisser HC-Einfluss da zu sein. Warum, denkst, Du ist das passiert?

Flo: Naja, ich interpretier das nicht so, also kann ich Dir das auch nicht erklären…

Wie würdest Du denn die Veränderung beschreiben?

Flo: Wir haben einfach eine Menge von den unnötigen kleinen Sachen rausgenommen, die die Fans sowieso nicht wirklich hören konnten. „Whisper Supremacy“ war sehr kompliziert, und es war eine Menge Zeug in den Songs, das unnötig war, weil man es sowieso nicht raushören konnte. Und darum haben wir uns auf „And Then You´ll Beg“ darauf konzentriert, die einzelnen Parts mehr herauszustellen. Also zum Beispiel wenn jemand ein Solo spielt, nicht auch noch ein Drumfill drüberzulegen. Und bei der Aufnahme haben wir dasselbe versucht, also wirklich die einzelnen Elemente herauszustellen, damit man auch hört, was in den Songs abgeht. Darum klingt es vielleicht simpler. Aber wenn Du die Songs auseinandernimmst und Dir das Zusammenspiel von Groove, Rhythmus, Melodien und Gitarrenarbeit anschaust, ist es oft sogar komplexer als „Whisper Supremacy“, es klingt nur einfacher, weil es lockerer gespielt ist. Das ist jedenfalls meine Interpretation, und das war es auch, worauf es uns ankam.

Habt Ihr eigentlich schon neue Songs geschrieben?

Flo: Wir haben… sagen wir, einen? Aber wir haben uns halt drauf konzentriert, den neuen Sänger wirklich in die Band zu integrieren, und darum haben wir nicht viel geschrieben. Aber wenn wir heimkommen, legen wir los.

Dann kannst Du mir vermutlich auch nicht sagen, wann das nächste Album rauskommt, oder?

Flo: Nein, keine Ahnung. Ich will hier niemandem falsche Hoffnungen machen… es kommt raus, wenn wir bereit sind.

Würdest Du sagen, dass Ihr immer noch auf der Suche nach dem perfekten Song seid?

Flo: Nein. Wir spielen schliesslich keine Popmusik.

Was ist denn dann Eure Motivation beim Songs schreiben?

Flo: Jeder Song ist anders, und jeder Song hat andere Elemente, die ihn zu einer Herausforderung machen. Wir sind nicht die Art von Band, die einen oder zwei gute Songs pro Album hat, wir versuchen, das ganze Album gut zu machen. Wenn Du sagst, Du schreibst einen guten Song, heisst das doch irgendwie, dass die andern Songs nicht so gut sind, und so sehen wir das Songwriting einfach nicht. Wir haben ja nicht diese Beatles-Songs, dazu sind bei uns zuviele Riffs in einem Song.

Trotzdem, auch mit 15 Riffs in einem Song ist es immer noch ein einzelner Song…

Flo: Klar, ich meine, ich habe ja auch meine Lieblingssongs, die ich gern spiele und so, aber ich finde, alle Songs haben unterschiedliche Elemente und unterschiedliche Beats. Wir versuchen, uns nicht zu wiederholen und wieder Neues zu schreiben, das wir noch nie gemacht haben. Natürlich gibt es diese Sachen, die wir immer wieder benutzen, aber jeder Song ist anderst.

Also geht´s für Euch vor allem darum, dass jeder Song anderst klingt.

Flo: Genau. Jeder Song soll interessant sein. Und eine Herausforderung vielleicht, aber vor allem interessant. Weil, wenn Du immer wieder das gleiche Zeug hörst, ein Album nach dem andern… es gibt Fans, die mögen das, aber um ehrlich zu sein, ich verstehe das nicht. Ich finde das einfach langweilig. Egal, was ich mir nun anhöre, Jazz, Rock oder was auch immer – ich finde zum Beispiel, dass Jazz in vielerlei Hinsicht sehr repetitiv ist, und das gefällt mir nicht. Das ist Mist. Man kann so viel machen mit Musik. Ich meine, vieles ist schon gemacht worden, und es ist schwer, etwas völlig Neues zu machen, aber Du kannst fünf Leute kombinieren und verschiedene Elemente und verschiedene Technologien und etwas erschaffen, das interessant klingt.

Wie ist es für Euch, einen Plattenvertrag zu haben? Ihr seid ja eine Band aus dem Underground, und es hat auch Vorteile, keinen Deal zu haben.

Flo: Nun, es hat Vor- und Nachteile. Der grösste Vorteil ist der weltweite Vertrieb. Der zweite Vorteil ist der Toursupport. Wenn wir auf Tour gehen, bitten wir das Label um Unterstützung, damit wir ein bisschen Geld verdienen können und nicht total pleite heimkommen. An dem Punkt, wo wir jetzt sind, ist es sehr schwierig, denn wir touren so viel und stecken so viel von unseren Leben und unserer Energie in die Band, da können wir nicht für zig Monate auf Tour gehen und einfach kein Geld verdienen. Und sie haben tolles Merchandise, das man aus ihren Büros mitnehmen kann… (zeigt auf das Century Media-Shirt das er an hat)

Er trägt ein Century Media-Shirt, und ich frag ihn, ob er das Label gut findet…

Flo: (Lacht) Es ist eine Firma. Es gibt halt Für und Wider. Sie wollen Geld verdienen. Man muss sich darüber halt im Klaren sein. Du kannst schon sagen, „Oh, dieses verfluchte Plattenlabel, die wollen doch nur Kohle machen“ – stimmt, aber das will das nächste auch. Es sind doch eh alle gleich. Sie helfen uns auf ihre Art, wir ihnen auf unsere. Und ob einem das jetzt passt oder nicht, man kommt da sowieso nicht drum herum, ausser man hat eine Menge Geld, um die Arbeit des Labels selbst zu übernehmen, aber dann muss man auch eine Menge Zeit haben.

Wie ist eigentlich die Metalszene in Quebec so?

Flo: Grossartig. Gehört zu den besten in Nordamerika.

Irgendwelche Bands, die Du empfehlen kannst, neben Cryptopsy und Gorguts?

Flo: Martyr, Quo Vadis… (denkt nach) es gibt ziemlich verschieden Stile, zum Beispiel auch Goo Lunatics – Alex trägt heute ein Shirt von ihnen (zeigt auf Alex, der gerade reingekommen ist). Goo Lunatics ist eher Hardcore. Es gibt eine Menge gute Bands in Quebec. Und was an der Szene wirklich toll ist, es gibt so viel Unterstützung dort. Viele Fans.

Und hat es viele Clubs, wo Ihr spielen könnt?

Ich würde nicht sagen viele, aber gute. Es ist alles sehr gut organisiert. Vor allem die Bands aus den USA sind immer sehr überrascht, wenn sie nach Montreal kommen, und kommen auch gern wieder, weil die Szene so gut ist.

Ein paar Stunden nach diesem Interview sass Flo, der gerade noch ruhig und geduldig mit den Füssen auf einem Stuhl ausgestreckt meine Fragen beantwortet hatte, hinter der Schiessbude, und Cryptopsy legten den mit Abstand besten Auftritt hin, den ich von der Band je gesehen habe. Der Ochsensaal im Schweizer Städtchen Zofingen verwandelte sich von der ersten Sekunde an in ein absolutes Tollhaus, und mir ist es ehrlich gesagt ein Rätsel, warum das Haus überhaupt noch steht.


Wir bedanken uns bei Mike Meier für das Interview. Es wurde am 18.04.02 geführt und wird ausserdem in englischer Originalfassung in folgenden Mags erscheinen.

Jen´s Metal Page
Into Obscurity
DeathMetalHardCore

01.05.2002
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