Cryptic Shift
Vom Trivialen auf der Erde und den wichtigen Dingen im All

Interview

Es war einmal vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxis, da galt es als sehr schick, extremen Metal, technische Exzellenz und planetenschwangere Cover-Artworks Hand in Hand gehen zu lassen. Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger entstanden zahlreiche Klassiker, bevor auch diese Entwicklung leider wieder im Sande verlief. Die Engländer CRYPTIC SHIFT, die immerhin so sympathisch waren, ihr komplexes Science-Fiction-Konzept-Debüt “Visitations From Enceladus” am 4. Mai – dem offiziellen Star-Wars-Tag (“May the fourth”, you know …) – herauszubringen, sind eine blutjunge Hoffnung, die ehrfurchtsvolle Remineszenz an diese seligen Tage mit sehr originellen eigenen Ideen kombiniert. Da es der Band zudem ein Anliegen ist, das innere und äußere Konzept sowie das großartige Artwork der Künstlerin A. Nagamasa gleichwertig zur Musik zu promoten, bot sich die Gelegenheit einer unterhaltsamen Korrespondenz mit Sänger und Gitarrist Xander Bradley. Freut euch auf surreale Fantasien über ideale Konzerte im Weltall, tolle Filmempfehlungen und ungewöhnlich erzeugte Gitarreneffekte.

CRYPTIC SHIFT – “Visitations From Enceladus”

Ein kurzer Exkurs in die Stratosphäre: Was erwartet uns auf Enceladus?

Die Astrodeath-Aliens entführen uns auf einen großen Mond im Orbit des Planeten Saturn. Dorthin hat es die erdgeborene Hauptfigur der Story im Zuge einer missglückten Astral-Projektion verschlagen, in deren Folge sie hilflos einen epischen Kampf zweier mächtiger galaktischer Wesen bezeugen musste. Bei der Flucht gerät die Person in zwei überkreuzte Wurmlöcher und wird in zwei Teile aufgespalten. Beide landen an unbekannten Punkten in Raum und Zeit – “Visitations From Enceladus” setzt an diesem Punkt an und erzählt die Geschichte von einer der beiden Hälften der Hauptfigur. Der Prolog war 2017 bereits Teil der Single “Cosmic Dreams”.

Die Vermutung, dass Enceladus als Schauplatz ausgewählt wurde, weil er mit seinem Wasservorkommen als möglicher Ort für die Entstehung alternativer Lebensformen gilt, bestätigt der bekennende Tom-Morello-Fan: “Allein die Namen seiner einzelnen Landschaften wie Dunyazad, Samarkand Sulci oder Diyar Planitia hielten ganze Welten fantastischer Möglichkeiten für mich bereit. Dieser Mond hat einen kompletten Ozean unter seiner Oberfläche. Man könnte endlos darüber spekulieren, was unter all dem Eis leben könnte und was passiert, wenn Leben durch die Kryovulkane entkommt und vielleicht sogar intelligent ist oder über überlegene Kommunikationsformen verfügt. Ich denke, die Suche nach anderen Lebensformen und die Expansion in andere Welten ist viel wichtiger als einige dumme und triviale Dinge, denen die Menschen hier auf der Erdoberfläche so gedankenlos folgen.“

CRYPTIC SHIFT: Es begann mit “Star Wars”. Was sonst.

“Ich habe die Filme immer geliebt, das ist einfach eine Tatsache für mich. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich zum ersten Mal mit ihnen in Kontakt kam oder was ich darüber dachte”, erzählt Xander, der von da an eine Passion für “alles mit Raumschiffen und coolen Kampfszenen” entwickelte. Daher seien bei der Begegnung mit Metal schnell Bands wie NOCTURNUS und VEKTOR interessant gewesen. So überrascht es wenig, dass sich Musik und Texte im Hause CRYPTIC SHIFT oft gegenseitig inspirieren beziehungweise gleichwertig aneinander angepasst werden, wie Xander mitteilt. Aber klar, wer eine 25-minütige Extreme-Prog-Metal-Suite als seitenfüllenden Opener seines Debütalbums erwählt, sollte auch einiges zu sagen haben. Eine bewusste Inspiration von Siebziger-Prog-Meilensteinen wie RUSHs “2112” oder “Cygnus X-1”? “Eigentlich nicht, obwohl das schon ein paar Leute zuvor dachten. Ich habe von RUSH bisher noch nicht viel gehört. John, unser Bassist, und Ryan, unser Drummer, sind aber viel in der Richtung unterwegs, vielleicht kommt ein bisschen was durch ihre Spielweise zustande. Wir dachten einfach, das sei eine coole Idee, und hatten monatelang Panik, dass ‘Moonbelt Immolator’ zu lang ist und nicht auf die eine Vinyl-Seite passt.”

CRYPTIC SHIFT live

Für Außenstehende ist es vermutlich trotzdem schwer, sich den Kompositionsprozess eines solchen Songs vorzustellen. “Einige Parts stammen aus dem Jahr 2014 und sind damit älter als ‘Cosmic Dreams’. ‘Moonbelt Immolator’ wurde 2018 als letzter Song fertig gestellt. Auch das Textkonzept entwickelte sich bereits seit 2016.” Wobei die Frage berechtigt ist, ob CRYPTIC SHIFT ihre Ideen bei dieser hoch komplexen Musik in Noten oder Partituren festhalten oder sonstige Bezüge zur klassischen Musik haben. “Ja, es kommt bei uns häufig vor, dass ein Thema in veränderten Rhythmen, invertiert oder verwoben mit einem anderen bekannten Thema auftaucht. Das ist unter klassischen Komponisten natürlich auch üblich. Ich kenne zwar außer John Williams (“Star Wars” – Anm. d. Verf.) nicht viel, höre aber gerne mal Classic FM im Radio. Außerdem schreiben wir in der Tat alle Ideen in Guitar Pro als Partituren, manchmal sogar ohne Gitarre in der Hand, einfach aus der Vorstellungskraft heraus. So entstehen verrückte Fingersätze, die man normalerweise nicht benutzen würde.” Die Herangehensweise entspricht wirklich altmeisterlichen Techniken, auch wenn laut Xander kein Mitglied von CRYPTIC SHIFT sein Instrument klassisch erlernte. Der Fronter, der einige Effekte auf dem Album mit seiner Casio-Digitaluhr (!) erzeugte, hatte schon Unterricht bei Dave Davidson von REVOCATION und würde in Zukunft gern Lehrstunden bei VOIVOD-Gitarrist Dan “Chewy” Mongrain nehmen.

And off to planet Nerd …

Nun bliebe die Frage, ob sich CRYPTIC SHIFT als Band aus England mit der britischen Kult-Serie Doctor Who, die konzeptionell theoretisch anschlussfähig ist, identifizieren können. “Doctor Who ist wirklich eine Marke im hiesigen TV. Ich fand es aber immer etwas albern, auch wenn einiges an der neuen Auflage mit David Tennant und Christopher Eccleston interessant war.” Stattdessen? “Aktuell hat mich ‘The Mandalorian’ echt weggehauen. Sonst mag ich ‘The Fifth Element’, ‘Annihilation’, ‘Matrix’, ‘Alien’, ‘Predator’, ‘Blade Runner 2049’, Terry-Pratchet-Bücher, Denis Villeneuves ‘Dune’ und vieles mehr. Die Sachen von Lovecraft eher weniger, dafür aber viele Dinge, die von Lovecraft beeinflusst sind, wie MORBID ANGEL oder Hellboy.”

Xander Bradley von CRYPTIC SHIFT

Naheliegend ist an dieser Stelle die Frage, ob sich CRYPTIC SHIFT auf den Schlips getreten fühlen würden, wenn man sie als ‘Musik für Nerds’ bezeichnen würde, wie ursprünglich mal in der Rezension zu “Visitations From Enceladus” angedacht. “Haha, du hättest es drin lassen sollen. Sicher, ‘Nerds’ sind letztlich auch wie Metalheads ein bisschen negativ beäugt und abseits der Masse. Vor allem passt technischer Metal einfach hervorragend zu Fantasy und Science Fiction. Was das aus mir macht, ist eigentlich egal, ich tu einfach gern, was ich mag.” Wohin würdest du dann als erstes im Weltall reisen, wenn es dir dein Körper einfach so erlauben würde? “Zuerst auf einen Mond wie Mimas oder Enceladus, der in der Nähe der Saturnringe kreist. Die Aussicht muss unglaublich und ganz anders als die Perspektive von der Erde aus sein. Und dann zu einer weit, weit entfernten Galaxie, in der ich ein Lichtschwert halte.” Gut, die Frage, hätten wir uns sparen können. Spannend wäre allerdings zu wissen, wie sich Xander den ultimativen, wenn auch unrealistischen Live-Gig vorstellt. “Also, vor unserem Set wird ‘Die dunkle Bedrohung’ im Ganzen gespielt. Während des Sets laufen hinter unserer Performance die coolsten Weltraum-Schlachten aus ‘Star Wars’, während wir die gesamte dreiteilige ‘Visitations’-Saga spielen und heiße, dreibrüstige Figuren aus ‘Total Recall’ Alientänze auf einer Bühne darbieten, die aus zerstörten Raumschiffteilen und einer Million Gitarrenpedalen bestehen. Oh, und Dave Mustaine und Trey Azagthoth kommen als Gäste hinzu.”

Quelle: Xander Bradley
16.07.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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