Cryptex
Interview mit Marc Andrejkovits zum neuen Album "Madeleine Effect"
Interview
Massentauglich geht zwar sicherlich anders, mit ihrer ausgefallenen Mischung aus Folk- und Prog-Rock zählen CRYPTEX derzeit dennoch zu den spannendsten Bands des Landes. Obwohl viele ihrer Kompositionen etwas aus der Zeit gefallen wirken, verschließen sich die Niedersachsen nicht vor den technischen Möglichkeiten der Gegenwart und haben für die Fertigstellung ihres starken zweiten Albums „Madeleine Effect“ auf eine Crowdfunding-Kampagne zurückgegriffen. Wir nutzten die Gelegenheit und sprachen mit Marc Andrejkovits über dieses Finanzierungsmodell, das neue Album und warum die Jungs mit dem sympathischen Hippie-Image auf dem neuen Album ausgerechnet Joseph Goebbels zu Wort kommen lassen.
Hallo Marc, Gratulation zu eurem tollen neuen Album und danke, dass du mir ein paar Fragen beantwortest! Wie ist denn die allgemeine Resonanz auf bisher ausgefallen?
Vielen lieben Dank. Die Resonanz zu „Madeleine Effect“ ist bisher sehr gut. Wir bekommen überaus positive Rückmeldungen von der nationalen sowie internationalen Presse und die CD verkauft sich ganz gut, was ja auch immer ein wichtiger Indikator ist.
Als ich euren Bandchef Simon Moskon vor zweieinhalb Jahren mit Fragen zu eurer DVD gelöchert habe, sah euer Line-Up ja noch ziemlich anders aus. Wie kam es zur Trennung von Ramón Fleig und Martin Linke und war es schwierig, die Band neu zu formieren?
Auch wenn ich zu den Neuen bei CRYPTEX gehöre, versuche ich die Frage mal zu beantworten. Warum es zu einer Neuformierung kam, kann man ganz einfach damit abkürzen, dass innerhalb der alten Besetzung mit Martin und Ramón die Vorstellungen und Ansprüche hinsichtlich der Idee CRYPTEX und deren weiteren Wegs auseinanderliefen. Letzten Endes blieb nur noch Simon Moskon übrig, der sich von diesem Einschnitt nicht beirren ließ und zielstrebig in die Produktion des neuen Albums startete. Ich kann mir vorstellen, dass es für Simon allerdings auch sehr schwer gewesen sein muss, auf einsamem Posten, solch ein ambitioniertes Vorhaben weiterhin zu verfolgen. Die Band formierte sich dann während der Studioproduktion, und als das Album fertig produziert worden war, stand das neue Line-up. Simon hatte diverse Auditions mit unterschiedlichen Musikern aus ganz Deutschland. Für Simon war es bei der Suche neben der musikalischen Kompatibilität allerdings vor allem am wichtigsten, dass man menschlich gut miteinander auskommt. Wir haben uns schlussendlich gesucht und gefunden.
Kannst du versuchen, unseren Lesern zu beschreiben, was eigentlich dieser mysteriöse Madeleine-Effekt ist, nach dem ihr euer neue Album benannt habt?
Es handelt sich beim Madeleine-Effekt um ein Phänomen welches der Schriftsteller Marcel Proust in seinem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschreibt. In der Madeleine-Episode beschreibt Proust wie ein zum Mund geführter Löffel Tee mit einem kleinen aufgeweichten Stück Madeleine – also dem Sandgebäck – ein wahres emotionales Feuerwerk bei ihm auslöst. Sofort fühlt sich Proust zurückversetzt in eine Episode mit seiner Tante in den französischen Ort Combray. Es geht ihm dabei darum, dass man sich der Vergangenheit nicht entziehen kann. Dass nach dem Untergang der Dinge und dem Ableben der Personen diese Vergangenheiten in Geruch und Geschmack immateriell wie irrende Seelen ihr Leben weiterführen, und dass selbst der kleinste Tropfen das unermeßliche Gebäude der Erinnerung in sich trägt.
Musikalisch und textlich widmet sich das Album „Madeleine Effect“ daher der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und der Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse in diesem Zusammenhang. Es geht darum, wie man plötzlich durch die einfachsten und unscheinbarsten Dinge an längst vergessen geglaubte Episoden im eigenen Leben erinnert wird, was einen sehr bedrücken und belasten oder stärken und beflügeln kann. „Madeleine Effect“ soll bei seinen Hörern genau dies bewirken, dass Empfindungen und Assoziationen wachgerufen werden, die womöglich längst in Vergessenheit geraten sind. Empfindungen von Liebe, Hoffnung, Wärme und Behütetsein, aber auch von Schmerz, Trauer und Verlassensein.
Für die Abschlussfinanzierung von „Madeleine Effect“ habt ihr den noch recht neuen Weg des Crowdfunding gewählt. Seid ihr insgesamt zufrieden mit dem Verlauf eurer Startnext-Kampagne und würdet ihr beim nächsten Album wieder auf die finanzielle Unterstützung durch eure Fans setzen?
In einer Zeit in der die Wertigkeit von Musik im öffentlichen Bewusstsein immer mehr schwindet, ist die Tatsache dass wir mit mehr als 10.000€ Fremdmitteln unterstützt worden sind phänomenal. Wir haben zwar fest daran geglaubt, aber ein wenig gezweifelt haben wir alle von Zeit zu Zeit während der spannenden Phase des Crowdfundings. Dementsprechend glücklich waren wir dann als wir, ich glaube eine Woche vor Ende der Aktion, bereits unser Fundingziel erreicht hatten – und dann ging es auch noch weiter – das war unglaublich und schön, so viel Unterstützung zu erhalten.
Crowdfunding ist eine großartige Alternative, um sich von Institutionen wie Plattenfirmen unabhängig zu machen. Natürlich konnten wir die Albumproduktion nicht komplett allein über das Crowdfunding finanzieren und bekamen glücklicherweise auch Unterstützung von unserem Verlag Warner Chappell. Für den Anspruch, den wir an unsere Musik und die daran geknüpften Produkte stellen, werden wir sicherlich bei der nächsten Produktion wieder auf dieses gesplittete Modell zurückgreifen, um unseren Fans das Bestmögliche präsentieren zu können. Außerdem bindet man seine Fans über solche Aktionen in den Produktionsprozess mit ein, wodurch das Resultat das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Musikern und Fans darstellt.
Wie genau kann man so eine Crowdfunding-Kampagne eigentlich planen und wie viel Arbeit musstet ihr in die Vorbereitung und Durchführung stecken? Ist eure finanzielle Kalkulation diesbezüglich aufgegangen oder haben sich am Ende zusätzlich Kostenpunkte ergeben, die ihr überhaupt nicht auf der Rechnung hattet?
Also zunächst muss man konkret festsetzen, was man sich als Finanzierungsziel setzt. Abhängig davon, auf wie viele Fans man setzen kann, können da von Band zu Band unterschiedliche Summen herauskommen. Dann muss man sich überlegen, was möchte man den Fans für wieviel Geld anbieten – hierbei ist natürlich entscheidend, dass man die sogenannten „Dankeschöns“ so gestaltet, dass sie auch interessant für denjenigen sind, der dafür bezahlt. Einfach nur den Merchandisebestand aufzuführen ist da zu langweilig. Es sollte schon etwas Besonderes sein. Desweiteren muss man dann die Leute noch auf allen möglichen Wegen erreichen. Wir haben hierzu unsere Promotion-Agentur CMM aus Hannover mit ins Boot geholt, um viele Menschen mit unserer Aktion zu erreichen. Facebook war auch ein zentrales Medium.
Letzten Endes ist unsere Kalkulation dann aufgegangen. Man sollte allerdings bedenken, dass man die „Dankeschöns“ vorbereiten und alles per Post verschicken muss.
Seid ihr enttäuscht, dass niemand 300 Euro für Simons alten Schottenrock beisteuern wollte? Gab es generell „Dankeschöns“,bei denen euch das Interesse der Fans – egal ob nun positiv oder negativ – überrascht hat?
Enttäuscht sind wir nach der erfolgreichen Crowdfundingkampagne denke ich in keinster Weise. Auch wenn Simons Kilt niemand kaufen wollte – so bleibt er uns doch als Relikt aus alten Tagen erhalten. Es war generell schön zu sehen, dass einige Menschen bereit gewesen sind, mehr als die 15€ für das Album beizusteuern. Das hat uns gezeigt, dass wir viel Rückhalt haben und es Menschen gibt, die an uns glauben.
Stilistisch lässt sich eure Musik nach wie vor nur schwer einordnen. Würdest du sie aber eher als altmodisch oder als modern bezeichnen?
Meines Erachtens kann man Musik generell nur hinsichtlich des Sounds in modern oder altmodisch kategorisieren. Kompositorisch bewegen wir uns alle im Fahrwasser der großen Meister, was sich über die Jahre allerdings ändert sind die eingesetzten Sounds, welche über neue Errungenschaften der (Aufnahme- und Ton-) Technik stetig weiterentwickelt werden. Allerdings gibt es – besonders in der Popmusik – auch stetig Renaissancen von Sounds und Stilen, die dann für eine kurze Dekade als hip/modern gelten, obwohl sie schon einmal da gewesen sind.
Der Sound von Cryptex ist denke ich von den derzeitigen Standards in jedem Fall modern einzustufen. Wir denken bei Musik nicht in Grenzen und verschmelzen dadurch, dass wir uns auch privat mit Musik aus unterschiedlichen Genres und Epochen beschäftigen, verschiedene stilistische Merkmale miteinander. Wir bedienen uns also aus dem großen Farbtopf der Musik, suchen uns unsere Lieblingsfarben aus und malen unser eigenes Bild. Ob man das als modern oder altmodisch bezeichnen will, überlasse ich den Kulturkritikern.
Angesichts der vielen tollen Ideen, die ihr in eure Songs packt, stellt sich mir die Frage, ob ihr nicht manchmal versucht seid, diese ganz Prog-typisch in epischer Breite auszuwälzen. Kostet es euch Mühe, eure Songs immer schön kompakt unterhalb der 5-Minuten-Marke zu halten?
Da wir selbst große Musikliebhaber sind und ewiges Rumgedudel mit zum Beispiel ausufernden Gitarren- und Keyboardsoli für Angeberei halten, fällt es uns im Gegenteil sehr leicht die Songs relativ kompakt zu halten. Natürlich gibt es auch epische Werke, die ganz zu recht zehn bis fünfzehn Minuten Spiellänge besitzen – es kommt immer darauf an, inwieweit man es schafft, den Spannungsbogen kompositorisch aufrechtzuerhalten und sich nicht in belanglosem Rumsolieren zu verlieren. Zudem sollte die Idee, die hinter einem Song steht, bestimmen, wie lange das jeweilige Lied zu gehen hat, nicht das Genre in welchem man sich vermeintlich zu bewegen glaubt.
In „Madame De Salm“ verwendet ihr ein Sprachsample der bekannten Sportpalast-Rede von Joseph Goebbels. Ehrlich gesagt ist mir da selbst der Zusammenhang nicht ganz klar geworden. Habt ihr keine Angst, dass jemand das in den falschen Hals kriegen könnte?
Simon Moskons Großmutter – 1928 geborben – wurde in der Grundschule zur Kopfvermessung geschickt, da man vermutete, dass diese zum Teil jüdischer Abstammung sei. Es bestand der Verdacht, dass die Mutter ein Verhältnis mit einem Juden gehabt haben soll, was nach der nationalsozialistischen Eugenik bzw. Rassenhygiene verboten gewesen ist. Obwohl keine stichhaltigen Beweise zur Bestätigung des Verdachtes vorgelegt werden konnten, wurde Simons Großmutter in der Schule physisch als auch psychisch von Lehrern sowie Mitschülern misshandelt.
Madame de Salm war die Französischlehrerin der Großmutter von Simon, eine kosmopolitische Frau, welche sich dem Kind annahm. Sie überzeugte die Eltern das Kind für einen Nachmittag zu ihr und ihrem Mann auf ihren Landsitz mitzunehmen. Der Mann von Madame de Salm war zu der Zeit ein namhafter Bildhauer, dessen Werke beispielsweise im Museum für bildende Künste in Düsseldorf ausgestellt worden sind, und suchte noch Kindermodelle für seine Arbeiten. Im Atrium des Bildhauers wurde Simons Großmutter in Marmor gehauen, womit man ihr zeigen wollte, dass sie nicht falsch oder ein Mensch niederen Wertes sei und dass sie ein wunderschönes Mädchen ist, welches ihren Mitschülerinnen in nichts nachsteht.
Nachdem Goebbels 1943 in der besagten Rede zum totalen Krieg aufgerufen hatte, wurden unter anderem im Ruhrgebiet viele Städte dem Erdboden gleichgemacht und damit auch das Museum, wo die Büsten des Mannes von Madame de Salm ausgestellt worden sind, worunter sich auch das Konterfei der damals kindlichen Großmutter befand. Was mit Madame de Salm und ihrem Ehemann geschehen ist, ist ungewiss, aber man vermutet, dass diese wie so viele Gegner des Nationalsozialismus dem Holocaust zum Opfer gefallen sind.
Das ist im Groben die Geschichte, die hinter dem Song „Madame de Salm“ steckt. Ich denke dass Menschen, die über ein wenig Weitsicht verfügen, relativ schnell begreifen dass es sich bei der Verwendung der Sprachaufzeichnung in dem Song nicht um eine Verherrlichung der nationalsozialistischen Ideologie handelt. Dass man im ersten Moment möglicherweise geschockt darauf reagiert, zeigt dass das Thema generell noch nicht vollständig verdaut ist und dass man nicht direkt die Bedeutung der Einbindung der Sprachaufzeichnung präsentiert bekommt, regt dazu an, sich damit zu beschäftigen.
„Romper Stomper“ wirkt auf mich wie ein ausgestreckter Mittelfinger an alle, die Lügen über euch verbreiten. Habt ihr als kleine Prog-Band und angesichts eures gemütlichen Hippie-Charmes überhaupt richtige „Hater“?
Es gibt scheinbar tatsächlich Menschen, die vermutlich aus Neid oder sonstigen Beweggründen Schlechtes zu und über uns verbreiten. Wobei man sich hierbei auch die Frage stellt, wieso man neidisch auf uns sein sollte. Wir machen das, was uns Freude bereitet und arbeiten dafür sehr hart und hoffen Anerkennung für diese Arbeit zu erlangen – ich sehe darin nichts Falsches.
Eure ersten Shows zu „Madeleine Effect“ habt ihr schon hinter euch. Ich nehme jedoch an, dass wir in Zukunft mit weiteren live-Aktivitäten rechnen können. Wie schwierig ist es für euch allgemein, live-Shows zu planen?
Im Herbst diesen Jahres wird es einen zweiten Teil unserer Madeleine Effect Tour geben, auf der wir das Album auf Vinyl vorstellen werden. Erste Daten stehen bereits und es geht nun darum ein geeignetes Routing zu erstellen. Prinzipiell ist es schwierig Liveshows zu planen, da man auf unserem Status noch nicht mit den großen Zuschauermassen rechnen kann. Mit jeder Show werden es allerdings mehr und wir freuen uns auf alle weiteren Konzerte die noch kommen werden.
Gibt es abschließend etwas, was du unseren Lesern mit auf den Weg geben möchtet?
Much Love!