Cranial
bauen mit ihrem ersten Album ihr eigenes Labyrinth

Interview

Als Ende 2015 mit „Dead Ends“ die erste EP von CRANIAL erschien, war die Trauer über das Ende von OMEGA MASSIF fast wie weggeblasen. Mit der Kraft eines wutschnaubenden Mammuts schoben die vier Würzburger den Scherbenhaufen zur Seite, fingen an ihr eigenes Labyrinth aus Post-Metal und Sludge zu bauen und legen nun am 10. Februar mit „Dark Towers / Bright Lights“ nach. Wir baten die komplette Band Ende 2016 zum Interview und stellten Sänger / Gitarrist Bastian die erste unvermeidliche Frage: Wie hat damals eigentlich alles angefangen?

Bastian: CRANIAL wurde 2014 von Gitarrist Michael Melchers gegründet, nachdem sich OMEGA MASSIF aufgelöst hatten. Michael hat zunächst mit dem Schlagzeuger Cornelius begonnen an ersten Songfragmenten zu arbeiten und mich dann irgendwann kontaktiert und gefragt, ob ich auch Teil der Band sein möchte. Michael und ich kennen uns schon viele Jahre und haben immer Sludge und Noise-Hardcore-Scheiben getauscht. Ich habe dann noch einen Freund, nämlich Julian, für Bass und Gesang mit zur ersten Probe gebracht und somit war die Band CRANIAL komplett.

„Dark Towers / Bright Lights“ ist ziemlich sicher konzeptionell angelegt – was genau ist die Geschichte, die die vier Songs zusammenhält?

Bastian: Wir möchten den größtmöglichen Raum für Interpretationen lassen, deshalb wollen wir keine Erklärung zur Konzeption abgeben. Die Texte sind in der Platte abgedruckt und somit kann sich jeder sein eigenes Bild machen.

Julian: Mir geht es oft so, dass ich eine genaue Vorstellung habe, welche Bedeutung etwas haben soll. Die Empfindungen lassen sich dabei aber nicht mit jedem einzelnen decken. Nicht mal innerhalb der Band gibt es das. Somit hat Basti recht, wenn er sagt, dass die Inhalte von jeder einzelnen Person abhängig sind. Wir erschaffen lediglich das Rahmenprogramm.

Songs von dieser Länge schreibt man sicher weder auf die Schnelle, noch an einem Stück. Wie geht ihr beim Songwriting vor?

Bastian: Meistens läuft es so dass Michael Riff-Ideen und grobe Song-Skizzen mit in den Proberaum bringt, die wir dann auswalzen, ausarbeiten und daran feilen, bis wir zufrieden sind. Die Stücke verändern sich dann oft noch über Wochen hinweg. Übergänge und Riffs werden weiter bearbeitet bis der fertige Song dann endlich steht.

Cornelius: Einen „Basis-Takt“ kann ich mir mittlerweile in der Regel spontan bei den Proben aus den Fingern saugen. Dennoch versuche ich dann oft neben den Proben songdienliche Patterns etc. zu üben und dann im weiteren Verlauf des Songwritings einzubauen.

Julian: Überblick, und letztendlich gemeinsamer Konsens, finde ich zwischen den Proben sehr wichtig. Gerade dann, wenn sich die Songs immer wieder verändern, ihre Länge aber behalten.

Als Laie ist es generell schwer, sich den Prozess des Songwritings vorzustellen. Je länger der Song, umso schwieriger erscheint es: Ist es einfacher oder leichter einen langen Song zu entwerfen?

Bastian: Ich denke, es ist schon schwerer einen langen Song zu schreiben weil man sich bei einem Stück mit 10 Minuten natürlich nicht nach 2 Minuten langweilen möchte. Sowohl wenn man den Song selbst spielt, als wenn man sich denselben dann auf Tonträger anhört.

Michael: Im Endeffekt muss der Song unterhalten und stimmig sein, unabhängig davon ob er 2 oder 15 Minuten lang ist. Wenn die Stimmung im Proberaum passt und die Ideen gut sind, dann kann man auch in einer zweistündigen Probe einen überlangen, guten Song zusammenzimmern. Andersrum beißt man sich manchmal mehrere Wochen an einem einzelnen Übergang zwischen zwei Riffs die Zähne aus. Ich glaube, die Frage kann man daher gar nicht pauschal beantworten.

„Dark Towers / Bright Lights“ klingt akribisch verfeinert und enorm detailliert ausgearbeitet, wie lange habt ihr daran gearbeitet und wie sehr achtet ihr auf Einzelheiten?

Bastian: Wir haben direkt nachdem unsere „Dead Ends“-EP im Kasten war begonnen an neuen Songs zu arbeiten. Aufgenommen haben wir die EP im April 2015 und „Dark Towers“ haben wir im Juni 2016 aufgenommen. Dazwischen hatten die Songs Zeit zu reifen. Auf Einzelheiten achten wir tatsächlich schon sehr, allerdings bleibt bei unseren Songs trotzdem noch eine gewisse Rohheit und Dreckigkeit übrig.

Was ist das für ein Gefühl „Dark Towers / Bright Lights“ nun in den Händen zu halten, würdet ihr rückblickend noch etwas ändern wollen oder findet ihr eure eigenen Vorstellungen zu 100 % realisiert?

Bastian: Ich persönlich bin selten 100 % zufrieden, weil ich bei jedem Studiobesuch und jeder Aufnahmesession noch etwas lernen kann. Ich entdecke eigentlich auch immer irgendwelche Kleinigkeiten die ich dann als nicht perfekt ansehe. Aber ich denke man sollte ein Kunstwerk auch irgendwann einmal als abgeschlossen betrachten. Unterm Strich finde ich, ist das Album doch recht ordentlich geworden.

Michael: 100% Zufriedenheit gibt es vermutlich sowieso nicht. Beim Anhören unserer Platte sind mir schon zig Sachen aufgefallen, die ich heute anders machen würde. Das ist allerdings stark tagesabhängig und die Objektivität der Scheibe gegenüber, ist mir zwangsläufig abhanden gekommen. Aber insgesamt bin ich sehr glücklich mit der Platte muss ich sagen – die Aufnahme klingt so, wie wir klingen wollten.

„Dark Towers / Bright Lights“ wird von mir als „Finsteres Kino für die Ohren“ zusammengefasst, denn die vier Epen regen allesamt den Film im Kopf an. Wovon lasst ihr euch beim Songwriting inspirieren?

Bastian: Also mich inspiriert wirklich alles was mich umgibt und was ich im Alltag erlebe. Nicht zuletzt natürlich Musik oder jegliche Art von Kunst die ich mir zu Gemüte führe, also Filme, Bücher und vieles mehr.

© Denis Barthel

Wer hat das schöne Artwork, das bei der LP noch besser zu Geltung kommt, für euch gemacht?

Bastian: Das Artwork hat ein Freund von mir gemacht und zwar Oliver Hummel. Seine Arbeit gefällt uns gut, er hat auch das Artwork für OMEGA MASSIF gemacht und es lohnt sich einen Blick auf seine Designs zu werfen.

Gehört ihr selbst zu denjenigen, die großen Wert auf Ästhetik beim Artwork legen und sich gerne liebevoll gestaltet Sonderversionen von Alben kaufen?

Bastian: Auf jeden Fall, schön gestaltet Platten und ansprechendes Artwork mag ich sehr gerne. Allerdings kauf ich mir selten einen Tonträger nur wegen der Aufmachung.

Ihr startet bald eine kleine Tour, die Release-Show steht bald an. Steckt ihr schon mitten in Vorbereitungen und auf was freut ihr euch am meisten?

Bastian: Wir bereiten gerade das Set für die anstehenden Shows vor. Wir werden die Songs so wie sie auf der Platte sind, also mit den Drones dazwischen live genauso umsetzen.

Julian: Heißt, wir werden die Songs der neuen Platte in ihrer vollen Breite auch live präsentieren.

Worauf legt ihr als Künstler bei euren Konzerten am meisten Wert?

Bastian: Wir versuchen durch unsere eigene Beleuchtung eine uns vertraute Atmosphäre herzustellen und versuchen so brachial und heavy wie möglich zu spielen. Letztlich wollen wir auch einfach Spaß haben.

Michael: Interesse von Seiten des Publikums und des Veranstalters ist mir am wichtigsten. Das heißt ein großes Publikum per se muss nicht gleichbedeutend mit einer guten Show sein, aber ein Veranstalter mit etwas Herzblut kann schon extrem zum Gelingen des Abends beitragen.

Und da gehört es für mich schon zum guten Ton unter Erwachsenen, dass sich der angebotene Schlafplatz nicht als der Fußboden im voll gerauchten Konzertraum entpuppt. Das würde man dem eigenen Freundeskreis auch nicht zumuten und diesen Maßstab sollte man meines Erachtens auch bei der Band, die vielleicht mehrere Stunden Anfahrt hat, anwenden. Ich sehe mich absolut nicht als Künstler, eher als Hobbymusiker, aber so ein bisschen Wertschätzung sollte schon drin sein.

Artwork von Oliver Hummel

Auch wenn euer Album keine Spur klinisch sondern eher stark organisch klingt, steckt doch sicher eine Menge Technik dahinter. Wer ist bei euch der Technikverliebte und welches Equipment kommt bei CRANIAL zum Einsatz?

Bastian: Also ich bin überhaupt nicht technikverliebt. Ich spiele seit Ewigkeiten meinen guten alten Sovtec Mig 100, der hat mich noch nie im Stich gelassen und ist unverwüstlich. Ich benutze ein paar Tretminen und meine Gitarre ist ein Epiphone-Nachbau mit einem Gibson-Tonabnehmer, den mir Marco von Blacksmoker empfohlen und eingebaut hat. Michael und Julian sind die Gear-Freaks, die sich ständig neue Treter und andere Dinge besorgen und austesten.

Michael: Nach dem Ende von OMEGA MASSIF, hat mich die Tatsache, doch nochmal in einer Band nach meinem Gusto spielen zu können – ich bin vor Jahren 60 km von Würzburg entfernt in die musikalische Diaspora gezogen und hatte eigentlich sämtlichen Kontakt zu potentiellen Mitmusikern verloren – derart euphorisiert, dass ich in relativ kurzer Zeit mehrere Amps, Gitarren, Boxen und Effekte angeschafft habe, da ich mir dachte: wenn schon Neustart, dann aber von ganz vorne. Einfach ausprobieren.

Die aktuellen Waffen der Wahl sind zwei Bill Kelliher Signature Gitarren (Gibson Halcyon und LTD BK-600), was weniger einer Verbeugung vor dem musikalischen Schaffen des Herrn entspricht, sondern der Tatsache geschuldet ist, dass Herr Kelliher ein sehr gutes Händchen für schöne Gitarren mit exquisiten Pick-ups hat. Weiterhin spiele ich einen Earforce Two 100W in Verbindung mit einem Tapeziertisch-großen Effektkoffer voller Tretminen. Können und Equipment stehen in keinerlei Verhältnis, aber ich freue mich dran.

Julian: Bis heute bin ich erstaunt, welche Möglichkeiten es am Bass gibt und wie sehr auch gerade solcherlei Musik davon profitieren kann. Auch bleibt es eine Herausforderung sich gegen zwei verzerrte Gitarren in tiefster Stimmung durchzusetzen. Aber genau darin liegt die Hexerei. Absetzen statt durchsetzen ist dabei mein kleines Geheimnis. Gibt, den Effekt-Nerds sei Dank, ja Einiges was man dahingehend ausprobieren kann.

Bis dato gibt es noch kein Video zu einem eurer Songs, alle vier Lieder auf „Dark Towers / Bright Lights“ empfehlen sich bestens dafür. Habt ihr Vorstellungen davon, wie eine Visualisierung eurer Songs aussehen könnte oder sogar etwas in Planung?

Bastian: Jacub aka Chariot Of Black Moth hat für unser Album einen Trailer gebastelt und hat das wirklich großartig gemacht. Wir haben ihm einfach machen lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Video in eine ähnliche Richtung gehen könnte. Allerdings müsste man schon eine Geschichte erzählen. die auch über die relativ lange Zeit unserer langen Songs interessant bleibt. Im Moment haben wir aber kein Video in Planung.

Michael: Interessant finde ich das „noch“ in deiner Frage. Das Internet ist voll von tagtäglichen Videopremieren von kleinen Bands wie wir eine sind – eine Entwicklung. die es so gefühlt vor 3, 4 Jahren gar nicht gab. Ich könnte mich zumindest nicht erinnern, dass 2011 als „Karpatia“ erschien und OMEGA MASSIF relativ bekannt waren, ein Video jemals Thema war.

Wir haben uns aktuell auch überlegt, ob wir zu Promotionszwecken ein Video in Auftrag geben sollten, entschieden uns aber dagegen. Mir erschließt sich der Sinn dieser ubiquitären Bandvideos – ein Medium was früher mal ein Werkzeug der ganz Großen war – nicht so ganz. Natürlich ist die visuelle Umsetzung eines Songs spannender als ein nacktes mp3. Aber das ist durchaus mit Zeit, Mühen und Kosten verbunden und gefühlt reiht sich das Produkt nach einem kurzen Aufenthalt im Blitzlicht im Rahmen einer „Magazin XY präsentiert“ – Aktion am Tag 2 bereits im Youtube-Datenmüll ein.

Und dann kann man als Band entweder immer wieder selbst mit der Werbetrommel durch das Internetdorf rennen und auf sein Video hinweisen, was ich bei DIY-Bands wenig charmant finde oder man muss sich fragen ob es den Aufwand wert war. Einen Videoteaser finde ich aufgrund des kurzen Formats sinnvoll, aber ein Video kann ich mir eigentlich nur dann vorstellen, wenn ein Videoschaffender Bock drauf hat und mit einer Idee um die Ecke kommt, aber nicht als Auftragsarbeit zur Werbezwecken.

Wie viel Zeit investiert ihr aktuell in CRANIAL und was wünscht ihr euch als Band für die kommenden Jahre?

Bastian: Wir versuchen einmal pro Woche zu proben, was uns auch meistens gelingt und spielen etwa 2 Shows pro Monat. Ich persönlich wünsche mir, dass wir das so beibehalten können.

Das Jahr ist nun fast um, mich würden eure persönlichen Favoriten interessieren. Nennt mir am besten eure drei Top-Alben des Jahres 2016 und euer bestes Konzert.

Bastian: Also live waren in diesem Jahr BURIED AT SEA beim Droneburg-Festival in Hamburg und Berlin mein Highlight. Wir hatten die Ehre auch Teil des Line-up zu sein. NEUROSIS und TESA in Leipzig waren auch großartig. Gute Platten die in diesem Jahr erschienen sind, da fallen mir spontan die neue RUSSIAN CIRCLES, HELMS ALEE und die letzte TRAP THEM ein.

Michael: Meine Frau hat mir mittlerweile einen dekorativen Korb in den Flur gestellt, in dem die Vinylzugänge der letzten Wochen und Monate lagern. Aufgrund deiner Frage habe ich just den Korb durchgeblättert und festgestellt, dass mir bei der Hälfte nicht mal mehr der Kauf erinnerlich ist.

Will sagen: so richtig hängengeblieben ist gar nichts. Mit der neuen BÖLZER, URFAUST und DEATHSPELL OMEGA muss ich mich noch eingehender beschäftigen, ansonsten sind mir die Enttäuschungen deutlich präsenter: sehr gefreut hatte ich mich auf die neue DILLINGER ESCAPE PLAN, die CULT OF LUNA mit Julie Christmas und vor allem die erste GRAVES AT SEA Full-length – allesamt Bands die mich immer begeistern konnten, aber deren 2016er Alben leider hinter meinen Erwartungen ziemlich zurückgeblieben sind. Das beste Konzert ist allerdings schnell benannt: YOB in Nürnberg.

Cornelius: Eine sowohl musikalisch als auch visuell intensive Show boten THE RODEO IDIOT ENGINE in Darmstadt dieses Jahr. Alben, die ich dieses Jahr gerne gehört habe, sind zum Beispiel jeweils die neuen von COBALT, DYSRYTHMIA und GREENLEAF.

Julian: Kurz und bündig: PARENTS – Great Reward, DEATH VACATION – Bones Grow Cold, YPRES – Genus Vitiosum (2015) und Konzert war am 19. August – NEUROSIS + TESA in Karlsruhe

Habt ihr, für eure Musik oder eure kreative Herangehensweise, Vorbilder im Musikbusiness – wer oder was inspiriert euch?

Bastian: Für mich sind Künstler Vorbilder, die auf kommerziellen Erfolg pfeifen und sich ihre Integrität dadurch bewahren, dass sie die Kontrolle über ihre eigene Musik haben möchten. Das kann heißen, Angebote von großen Labels oder Booking-Agenturen abzulehnen oder seine Platten selbst zu veröffentlichen.

Die Königsfrage zum Ende – fasst „Dark Towers / Bright Lights“ kurz zusammen und sagt uns: Wer sollte das Album kaufen und warum?

Bastian: Jeder, der uns unterstützen möchte, sollte unser Album kaufen.

Michael: Ich denke der eine oder andere OMEGA MASSIF Fan könnte durchaus Gefallen daran finden, da ich mir doch einbilde, dass man meine musikalische Handschrift weiterhin heraushört. Wer uns gar nicht ab kann, kann mit seinem Kauf dafür sorgen, dass die Platte vom Markt kommt. Vielleicht auch ein Anreiz.

© Denis Barthel
05.01.2017
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