Confess
Nichts in den letzten sechs, sieben Jahren war einfach!
Interview
Die ursprünglich aus Teheran im Iran stammende Band CONFESS hat nach sieben Jahren ihr drittes Album „Revenge At All Costs“ veröffentlicht – nach sieben Jahren, deren Ereignisse und Tragödien ganze Leben füllen könnten. Wir haben uns mit Nikan „Siyanor“ Khosravi per Zoom verabredet und quatschen ein wenig über das Album, aber auch über die Umstände, die zur heutigen Situation erst geführt haben.
Denn die Umstände sind keine gewöhnlichen: Nikan und sein Kumpel Arash „Chemical“ Ilkhani leben mittlerweile in Harstad in Nordnorwegen, oberhalb des Polarkreises. Einem Ort, wo es drei Monate im Winter nicht hell wird. Nikan hat sich nach eigener Aussage in seinem dritten Winter dort mittlerweile daran gewöhnt und kann dem Ganzen sogar auch positive Seiten abgewinnen („Um Musik zu machen, ist das nicht verkehrt.“)
Ihre Geschichte, die geht so: 2015, zwei Wochen nach Veröffentlichung ihres zweiten Album „In Pursuit Of Dreams“ werden die beiden von den iranischen „Revolutionsgarden“ festgenommen. Nikan landet im berüchtigten Knast Evin, wobei er sich nicht sicher sein kann, ob er wieder lebend rauskommt: Im besten Fall drohen ihm sechs Jahre Haft, wird ihm gesagt, im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Nach zwei Jahren kommt er auf Kaution frei. Mangels Perspektive (und einiger Drohungen von offizieller Seite, ab jetzt unter Beobachtung zu stehen) flieht er, erst in die Türkei, später nach Norwegen, wo ihm Asyl gewährt wird. Und dann steht da schließlich die Verurteilung in Abwesenheit: Zwölfeinhalb Jahre Haft und 74 Peitschenhiebe für Nikan, zwei Jahre Haft für Arash.
Böses Ende der Jagd nach Träumen
Jetzt ist also endlich das dritte Album „Revenge At All Costs“ draußen, und damit geht ein Medienrummel los, nachdem sich die Band in den letzten zweieinhalb Jahren etwas rar gemacht und lediglich in unregelmäßigen Abständen einige Singles veröffentlicht hat. Sogar der Guardian hat berichtet – und hier findet Ihr noch einmal detaillierter die Geschichte der Flucht, die wir Nikan nicht noch einmal erzählen lassen wollen.
Denn über die jetzigen Interviews sagt Nikan: „Das ist eine Sache, die ich vorab mit dem Label und unserem Promoter besprochen habe. 2019 habe ich vorübergehend aufgehört, Interviews zu geben. Damals ging es um meine Flucht, meine Geschichte. Bei der jetzigen Kampagne möchte ich aber über die Musik sprechen. Wenn wir nicht über die Musik sprechen würden, würde ich mich unwohl fühlen. Ich bin kein Politiker. Ich bin Musiker, der über Politik redet. Das ist ein ziemlich schmaler Grat.“
Und weiter: „Die Hauptabsicht der Musik ist es, zu zeigen, was in diesem Land abgeht. Wenn man in den Nachrichten etwas über die iranische Metalband CONFESS hört, wird man auch etwas über die Situation der Menschenrechte im Iran erfahren. Also ist das Thema größer als wir.“
Ausschließlich über die Musik zu sprechen, ist also schwierig. Dafür sind Musik, die eigene Geschichte und die politische Situation im Iran zu sehr verwoben. Trotzdem – versuchen können wir es ja:
Nikan, als wir uns 2019 auf dem Tons Of Rock getroffen hatten, hast Du mir von Eurem Album „Revenge At All Costs“ erzählt. Der Albumtitel stand schon. Hattest Du die Songs schon damals in Deinem Kopf?
Das Album war damals schon fast fertig und sollte gemixt werden. Ein paar Monate danach habe ich dann den Kerl kennengelernt, der letztlich das Album produziert hat. Er sagte: Weißt du, das ist ein gutes Album mit Potential, aber soundtechnisch kann man noch mehr rausholen. Lass uns die Gitarren und das Schlagzeug neu aufnehmen. Und ich dachte nur: Oh no, nicht noch einmal! (lacht) Aber er hat mich davon überzeugt, und ich bin sehr glücklich darüber. Durch die ganze Corona-Pause war es sogar sehr hilfreich. Ich konnte hart daran arbeiten, und wir mussten das Album nicht während der harten Lockdown-Zeit veröffentlichen.
Für das Mastering konnten wir den amerikanischen Produzenten Machine (LAMB OF GOD, SUICIDE SILENCE, MISS MAY I etc.) gewinnen. Er kannte CONFESS sogar schon von früher und mochte das, was wir gemacht haben. Er hat etwas von seiner Magie beigesteuert und dem Sound so viel Punch gegeben… Ich bin wirklich glücklich über das Endresultat.
Was mir nicht aus dem Kopf geht, ist der Albumtitel: „Revenge At All Costs“. Was bedeutet das Album für Dich?
Es ist wirklich schwer, das auf einen Nenner zu bringen. Musikalisch ist natürlich alles aus den letzten sieben Jahren eingeflossen. Es ist eine Mischung aus allen Emotionen, den positiven wie den negativen, der Hoffnungslosigkeit und der Hoffnung, die ich hatte. Es ist wirklich ein schwarz-weißes Album, es gibt keine grauen Bereiche. Ich habe gemerkt, dass alle Frustrationen und all die Wut mich dahin gebracht haben, wo ich jetzt bin.
Man kann das aber auch über mein Schicksal hinaus betrachten: All diese Tragödien macht jeder mal durch, und es ist dabei egal, welche Tragödie es ist. Und dann gibt es zwei Möglichkeiten: sich seinem Schicksal hingeben oder sich seinen Ängsten stellen. Das habe ich gemacht. Es war aber nicht einfach, nichts in den letzten sechs, sieben Jahren war einfach.
Nichts in den letzten sechs, sieben Jahren war einfach!
Das Leben hat mir gegenüber nicht sein freundliches Gesicht gezeigt. Wie wenn man die falschen Karten auf der Hand gehabt hat – aber ich habe weitergespielt, bis das Spiel doch noch ein gutes Ende genommen hat. Es war dabei wichtig, geduldig zu sein. Das waren sieben Jahre, und nichts hat mich aufgehalten. Es ist schon verrückt, wie das menschliche Gehirn arbeitet: Du setzt dir etwas in den Kopf und folgst dem Ganzen. Das ähnelt diesen Raketen, die ihr programmiertes Ziel verfolgen können.
„Revenge At All Costs“ zeigt alle meine Gefühle aus den letzten sieben Jahre, alles ist mit eingeflossen. Und es ist schon gewaltig, dass es solch ein Feedback aus aller Welt erfahren hat. Gleichzeitig ist es aber auch ein Statement, die Bedingungen, unter denen du lebst, selbst in die Hand zu nehmen und nicht die Bedingungen einfach zu akzeptieren.
Aber ich muss noch etwas anfügen: Als ich an dem Album gearbeitet habe, habe ich manchmal gezögert. Nimm einen Song wie „Evin“: Wenn die Leute die Musik mögen, ist das toll. Aber ich glaube, nicht viele Leute können nachvollziehen, wie es ist, für ihre Musik ins Gefängnis gegangen zu sein. Die Musik wird dabei so wirklich, so real, fast schon zu viel. Es ist wie ein Horrorfilm, der zu gruselig wird. Aber: Die Leute können mit der Message etwas anfangen. Gib nicht auf, lass dich von niemandem abhalten, deinen Traum zu verwirklichen oder du selbst zu sein. Natürlich können die Leute mit dieser Message etwas anfangen. Ich bin so froh, dass wir eine Botschaft rausschicken können.
Gerade bei „Evin“ fällt sofort dieses anschwellende Growling von Dir auf, bei dem so viel Wut, Verachtung, einfach alles drin steckt.
Genau, das ist die erste Stelle auf dem Album, auf dem ich „singe“. Dazu möchte ich etwas erzählen: Als ich in der Türkei ein erstes Demo dieses Songs aufgenommen habe, hat mich meine Mutter besucht. Sie weiß, was für Musik ich mache, ist aber kein Metal-Fan. Aber sie wollte hören, woran ich gerade arbeite. Sie hat den Kopfhörer aufgezogen, und sofort als sie genau diesen Schrei gehört hat, hat sie ihn sofort wieder runtergenommen. Es ist zwar nur ein „Go“, aber sie meinte, man hört so deutlich, dass Du einfach nur weg von diesem Ort willst, dass Du am liebsten die Wand einreißen möchtest und da raus möchtest. Sie hat es einfach gefühlt.
Und sie hatte recht damit: Als ich den Song dann richtig aufgenommen hatte, habe ich meine Augen geschlossen, mich wieder zurück in die Zelle versetzt und erst angefangen zu singen, als ich wieder die Bilder vor Augen und das richtige Gefühl hatte.
Der Song beginnt mit einer Frauenstimme, die etwas ansagt. Was sagt sie und worum geht es dabei?
Lass es mich so erzählen: Als ich im Gefängnis „Evin“ war, habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Nach ein paar Minuten hatte ich das Gefühl, dass unser Gespräch unterbrochen gewesen wäre. Das passierte einige Male, und dann habe ich meine Mutter gefragt, ob sie das auch wahrgenommen hat. Sie erzählte mir dann, was es war: Alle zwei Minuten wird eine Computerstimme eingeblendet, die für den Angerufenen außerhalb folgende Ansage macht: „Dieser Anruf kommt von einem Häftling des Evin-Gefängnisses.“ Du kannst also niemanden anlügen und beispielsweise sagen, dass du verreist und deshalb vorübergehend nicht zu erreichen bist. Nein, du bist im Knast.
Mein kranker Kopf hatte dann die Idee, das aufzunehmen und zu verwenden. Ich war aber noch im Gefängnis. Also habe ich bei meinen Eltern angerufen, als niemand zu Hause war. Der Anrufbeantworter ist dann dran gegangen, und ich habe lange genug gesprochen, dass diese Stimme mit zu hören war. Als ich dann wieder frei war, habe ich die Stimme kopiert und gesichert. Es ist also aus einem Telefongespräch, das ich aus dem Gefängnis geführt habe.
Das Gefühl, das ich mit dem Song vermitteln möchte, ist: Du sprichst gerade mit jemandem aus dem Gefängnis. Ich erzähle, wie es im Gefängnis ist. Wenn du deine Augen schließt und dir den Song anhörst, kannst du dir vorstellen, wo ich bin.
Aber auch andere Titel handeln von Deiner Geschichte, wie z.B. „Unfilial Son“, „I Speak Hate“ und „Megalodon“.
Genau. Der erste Track, den ich für das Album geschrieben habe, war „Phoenix Rising“. Ich erinnere mich an genau die Nacht, wo ich damit angefangen habe. Es war das erste Mal, dass ich einen Song basierend auf einem Titel geschrieben habe. Das Gefühl, das ich hatte, war, dass ich wie Phönix auferstehen würde, dass ich wieder zum Vorschein kommen würde. Ich war so hasserfüllt, ich wollte zeigen, dass sie sich mit dem Falschen angelegt haben. Ich hätte Mike Tyson in einem Boxmatch schlagen könne, ich wollte jemandem weh tun, ich wollte sie zerstören – und zwar in der Art, wie ich es machen kann, nämlich durch Musik. Der Titel „Phoenix Rising“ ploppte also in meinem Kopf auf. Wenn du den Anfang hörst, ist der sehr episch gehalten, er signalisiert, dass da etwas zum Vorschein kommt. Und dann geht das Stück los.
Hattest du mit deinem musikalischen Hintergrund und dem, was du vorher mit der Band gemacht hast, das Gefühl, dass du diesmal etwas hinzufügen oder ändern musst, um deine Gefühle, deine Emotionen und deine Wut zu vermitteln?
Nicht so sehr, denn unsere Musik hatte immer diese Hochspannungs-Aggression, in der Musik und besonders in den Texten. Um meine Gefühle durch das neue Album übermitteln zu können, musste ich also nicht wirklich den Sound oder irgendetwas an meinem Songwriting ändern. Es war, als würde ich mich mein ganzes Leben lang darauf vorbereiten, mich ‚um jeden Preis zu rächen‘. Meiner Meinung nach kommt das zusätzliche Maß an Hass, Schmerz und Wut, das man auf dem neuen Album spürt, daher, dass es von einem realen Ort kommt und ich gezwungen war, fast sieben Jahre lang still zu halten.
Wir sind nicht wie Bandmitglieder, sondern vielmehr wie Brüder
Du gibst ja einen Großteil der Interviews, schreibst die Texte und stehst mehr im Vordergrund. Wie drückt sich Arash in dem großen Ganzen aus, denn ihn betrifft die Geschichte ebenfalls?!
Musikalisch gehen wir die Dinge gemeinsam an. Wir diskutieren, wir streiten uns auch, ob jetzt etwas auf dem Album landet oder nicht. Wir machen das jetzt schon so lange zusammen. Arash war einer der ersten Musiker, die in der Band gelandet sind. Er hat also einen guten Blick dafür, wohin wir steuern sollten.
Was Interviews und Medien angeht, steht er nicht gerne im Rampenlicht und vor der Kamera. Deshalb mache ich einen Großteil der Interviews. Er ist aber besser darin, schriftliche Interviews zu beantworten. Außerdem war er drei, vier Podcasts zu hören. Was wir versuchen, ist, ein gemeinsames Narrativ zu liefern.
Ihr seid jetzt ja sehr weit von Eurem Heimatland und Euren Familien entfernt. Würdest Du Arash als Teil Deiner Heimat betrachten?
Ja, natürlich. Ich kenne ihn schon so lange. Unsere Familien waren schon miteinander befreundet, bevor wir überhaupt geboren wurden, und so weit ich zurückblicken kann, war er schon immer da. Ich bin zwei Jahre älter als er, und ich habe ihn zum Metal gebracht. Wir sind schon in vielen Teilen sehr verschieden, aber er ist ein Riesenstück meiner Erinnerungen aus der Vergangenheit. Er kommt daher, woher ich komme. Wir sind durch so viel zusammen gegangen, wir haben so viel miteinander gesprochen, in dunklen Tagen, in guten Zeiten. Wir sind nicht wie Bandmitglieder, sondern vielmehr wie Brüder. Und er ist einer der sehr wenigen Leute, die wirklich wissen, was in meinem Kopf vor sich geht. Er hilft mir auch, das auszudrücken, was ich denke. Wir sind wirklich ein gutes Gespann.
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Stile | Groove Metal, Thrash Metal |
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