ColdCell
Das Leben geht auch ohne Menschen weiter

Interview

Mit „Age Of Unreason“ haben COLDCELL ein verdammt starkes, zeitgemäßes Black-Metal-Album veröffentlicht und damit verdientermaßen die Pole-Position in unserem Juli-Soundcheck eingenommen. Frontmann S hat uns im Interview Rede und Antwort zum fünften Album der Schweizer gestanden.

ColdCell – Age Of Unreason

Hi, erstmal Glückwunsch zum gelungenen neuen Album. Bei uns auf metal.de hat „Age Of Unreason“ sogar den Soundcheck-Sieg für den Monat Juli abgestaubt. Seid ihr allgemein mit den Resonanzen zufrieden?

S: Moin, vielen Dank! Ja, das hat uns sehr gefreut, dass ihr das Album für würdig befunden habt. Die Resonanzen sind durch die Bank weg gut bis sehr gut. Das schmeichelt dem Ego ein wenig und zeigt uns, dass unsere Musik auch bei anderen Leuten Anklang findet und wir das nicht nur für uns alleine machen. Lob lesen wir natürlich lieber als negative Kritik.

Statt mit Folklore, Okkultismus oder Satanismus befasst ihr euch eher mit weltlichen Themen und werft einen recht pessimistischen Blick auf den Zustand der Menschheit. Könnt ihr euer lyrisches Konzept ein wenig erläutern und glaubt ihr, wir kriegen als Spezies nochmal irgendwann die Kurve?

S: Ein einheitliches Konzept habe ich beim Schreiben der Texte jetzt nicht verfolgt. Ich habe eine chaotische Ideen-/Textsammlung, in der immer mal wieder was eingetragen wird und aus der ich mir dann hoffentlich thematisch passend was raussuche. Das wird dann weiter zerdacht, bis am Ende manchmal etwas ganz Neues entsteht. Ich tue mich im Allgemeinen eher schwer die richtigen Worte zu finden, selten gefällt mir dabei auf Anhieb eine Line, die ich dann unbedingt einbauen muss.

Dem Umstand geschuldet, dass wir aus dem Black Metal kommen, sind die Themen dann natürlich pessimistisch und sollen aufwühlen oder zum Denken anregen – über Blümchen und Einhörner fällt mir wenig ein. Was die Zukunft unserer Spezies angeht, mache ich mir nicht allzu große Hoffnung. Wir selber werden das Ende wohl (leider) kaum miterleben, aber die zukünftigen Generationen werden es sehr wahrscheinlich nie so gut haben wie wir und ich habe das Gefühl, dass jetzt schon viele Leute am Verzweifeln sind über den unaufhaltsamen Wandel der Zeit. Aber das Leben geht weiter, dann halt später mal ohne Menschen.

Auch rein musikalisch steht ihr mit beiden Beinen fest in der Gegenwart. In der Review zu „Age Of Unreason“ habe ich euch einen beklemmenden, urbanen Sound zugeschrieben, der Bilder von tristen Häuserschluchten zeichnet. Geht ihr mit dieser Interpretation d’accord bzw. ist das auch in etwa das Feeling, auf das ihr abgezielt habt?

S: Ich denke nicht, dass wir unsere Musik bewusst auf ein Gefühl zuspitzen wollten. Wir sind aber alle eher Stadtmenschen und wir nehmen halt Inspiration aus unserer Umwelt auf, sei es durch Nachrichten aus dem Weltgeschehen, Interaktionen mit (igitt) Mitmenschen oder Konzertbesuchen. Wenn es dieses feeling beim Hören auslöst und die Beklemmung sich breit macht, ist das natürlich sehr gut und, wider meine vorherigen Worte, ausdrücklich so gewollt.

Besonders „Meaningless“, bei dem die schweizerische Singer-Songwriterin Ines Brodbeck (INEZ, INEZONA) den Gesang übernommen hat, sticht als eine Art Ruhepol heraus, verströmt aber wie ich finde dennoch eine gewisse Verzweiflung. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit?

S: Unser Songwriting-Team (Bass + Gitarre) ist auf Inez gestoßen und fanden sie außerordentlich. Auf unseren vorherigen Alben hatten wir immer Gastsänger und dieses Mal wollten wir etwas Spezielles machen. Inez hat sich meinen Text zur Brust genommen, der einen recht deprimierenden Grundton hatte (Stichwort Verzweiflung) und hatte dann freie Bahn, zum einen den Text ein wenig umzuschreiben, aber auch ihre eigene Stimme und Dynamik mit in den Song einfließen zu lassen. Für Inez war es die erste Erfahrung, ihre Stimme einer etwas härteren Musik beizusteuern. Gelungen, wie wir finden!

Abgesehen davon, dass die Schweiz ja eh sowas wie die Wiege des extremen Metals ist, hat sich bei euch in den letzten 10-15 Jahren eine überaus kreative Black- und Extreme-Metal-Szene entwickelt. In Basel gibt es neben euch z. B. SCHAMMASCH und in Zürich ist das Helvetic Underground Committee aktiv, deren Herangehensweise im Vergleich etwas uriger ist. Seht ihr euch als Teil einer großen, vernetzten Szene, oder ist man eher in seinen separaten Grüppchen unterwegs?

S: Ich werde hier nicht schlecht über die Szene und ihre Protagonisten reden, wir sind da natürlich die Speerspitze. Ich würde sagen, es ist eher etwas separiert, was das gemeinsame Handeln in der Szene angeht. Klar trifft man viele Leute bei Konzerten oder spielt auch häufig gemeinsame Gigs, aber dass alles tief vernetzt wäre, würde ich verneinen. Wir gehören vielleicht einfach nicht dazu. Mit SCHAMMASCH verbindet uns aber eine lange Freundschaft/Bekanntschaft, weil wir nicht nur einen Proberaum teilen, sondern diverse Musiker zeitweise auch in beiden Bands aktiv waren. Wir haben unserem Top-Drummer erlaubt, bei SCHAMMASCH mitzuwirken, der uns dann später eiskalt zurückgelassen hat (aber auf diesem Album wieder mit seinen Künsten am Start war).

Zu guter Letzt, wie sehen eure Pläne mit dem Album aus? Stehen Touren und Festivalauftritte auf dem Plan?

S: Wir würden sehr gerne sehr viele Gigs spielen und dieses Album dem Publikum präsentieren! Leider gibt es momentan ein kleines Problem mit der Besetzung des Schlagzeuges. Unser jetziger Drummer hat mit seiner anderen Band und Familie zu viel um die Ohren, dass er für Konzerte nicht zur Verfügung stehen kann. Wir planen deswegen kleiner und werden dann wahrscheinlich auf Session-Schlagzeuger zurückgreifen müssen, bis sich eventuell eine neue Person für das Schlagzeug findet. Also meldet euch gerne…

Ich danke euch für das Interview, ihr habt das letzte Wort.

S: „Evil begins when you begin to treat people as things.“ (Sir Terry Pratchett)

05.08.2024

"Musik hat heute keinen Tiefgang mehr." - H.P. Baxxter

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