Claus Grabke
Claus Grabke
Interview
Berlin, wenige Tage vor der Veröffentlichung von “Deadly Bossanova“. Sven Pollkötter, Fynn-Claus und Claus Grabke sitzen im Hof des Rosi’s. Später werden sie eine Stunde lang vor 15 Zuschauern auftreten. Ein schweißgebadeter Drummer wird sich bereits nach wenigen Songs die Handgelenke reiben, ein Bassist auf dem Boden liegen, ein Sänger und Gitarrist in Personalunion nach Luft schnappen. Lautstärke an der Schmerzgrenze wird einige Neugierige vertreiben. Leidensfähige und Ohrstöpselträger werden eine Zugabe bekommen. Jetzt aber erst mal alles über Technik, Theorie, Praxis, Familie und Geschäft. Grabkes Welt, Teil 2:
Erst mal die Frage an den Produzenten Claus Grabke:…
Claus: (zum lachenden Sven) Merk dir das!
…Wie tot ist eigentlich Rock, wenn ein Mittvierziger die vielleicht wildeste deutsche Platte des Jahres aufnimmt?
Claus: Sehr lebendig, oder?! Das ist doch ein gutes Beispiel!
Dann ist er zumindest erwachsen geworden?
Claus: Ich? Blöd jetzt zu sagen für mich, weil ich als 45-Jähriger hier mit ’nem 18-jährigen Sohn mit dir am Interviewtisch sitze, aber ich würde sagen, ich bin immer noch nicht erwachsen. Erwachsen heißt ja, jetzt wächst man nicht mehr oder so. (schmunzeln) Ich denke, musikalisch wachse ich noch – seh das ja selber an den letzten zwei Alben. Das ist doch eigentlich eine gute Zukunftsperspektive für Musiker aller Altersstufen – auch der ganz jungen –, zu wissen, sie müssen ihr bestes Album nicht unbedingt mit 17, 18 rausbringen. Man kann das auch später machen. (lachen) Deshalb würde ich meinen, es sagt über den Rock in Deutschland grundsätzlich nicht viel aus. Obwohl ich da wahrscheinlich ähnlicher Meinung wie du bin; man fährt hierzulande doch oft sehr sichere Streifen und geht nicht so sehr in die Extreme.
Was die neue Platte auch so lebendig macht, sind die Effekte und Sounds. Andere Bands verzichten oft darauf, hier dagegen hört man den offensiven Einsatz von Delay, Distortion, Pitch…
Claus: Genau, vor allem bei zwei oder drei Songs gibt es lustige Pitch-Shifting-Geschichten. Da meinte schon mal jemand zu mir: „Geil, die Hammond-Orgel bei ’Bossanova’ ist super!“ Ich sage: „Ne, das ist ’ne Gitarre.“ (lachen)
Es ist tatsächlich so, dass im Vergleich zu dem “Dead Hippies“-Teil des letzten Albums, wo grundsätzlich ein Gitarrensound vorherrscht, der zwar auch ein leichtes Slapback-Delay hat, aber ansonsten ein sehr wulstiger, gleichbleibender Gitarrensound ist, hierbei schon auch die Idee war, für jeden Song ein anderes Soundgerüst zu schaffen.
Das letzte Album ist ein Marshall-Album und dieses ist lustigerweise ein Fender-Album. Den Marshall habe ich praktisch nur mit einem Booster ab und zu angekitzelt und den Rest so gelassen. Auf dem neuen Album ist eigentlich immer ein Fender gespielt worden, also ein ganz alter Bassman. Dieser Bassman reagierte auf die Effekte toll, das hat mich angesteckt, das hat mir Spaß gemacht und deshalb haben wir ziemlich viel rumgewibbelt damit.
Selbst das Schlagzeug wird zwar geradlinig gespielt, aber trotzdem klingt das zum Beispiel auf ’Deadly Bossanova’ vom Sound her phasenweise nicht so, wie man es sonst auf jedem Album hört.
Sven: Claus kam mit dem Titel an und ich dachte, klar, Bossa Nova wird traditionell in Brasilien von einer Schlagzeug-Combo gespielt und wenn der Drummer das alleine macht, dann spielt er das eigentlich unten am Kessel von der Trommel. Das ist einfach die ganze Zeit ein Kesselschlag auf einer Standtom, dann immer an der Seite geklickt und das haben wir aufgenommen.
Claus: Wir haben es aufgenommen und in verschiedenen Räumen gedoppelt, damit es ein bisschen größer klingt. Live spielt er das dann auf der Snare, weil es sich sonst nicht transportiert. Aber die Effekte auf den Gitarren sind auch live da. Früher lag ein kleines Effektgerät rum, jetzt ist es ein Effektboard geworden.
Sven: Es ist halt immer noch mit drei Mann zu bewältigen, ohne dass man einen Soundverlust hat.
Liegt man falsch, wenn man bezüglich Gitarren und Groove einen leichten Tom-Morello-Einfluss (RAGE AGAINST THE MACHINE) attestiert?
Claus: Oh. Ich würde sagen, es gibt eine gewisse Wertschätzung für den Herrn und die ersten Alben. Aber ich glaube nicht, dass der so weit in mich eingedrungen ist, dass der mich beeinflusst hat. (zu Sven) Du bist ja der AUDIOSLAVE-Fan, ich jetzt nicht so. Da gibt es bei mir andere, die noch meilenweit vor ihm liegen. Das hat sich einfach ergeben, dass man auch ein bisschen getüftelt hat. Aber auf der Gitarre kommt man selbst beim Tüfteln schnell in ein Gebiet, in dem schon mal jemand war, auch wenn man natürlich immer versucht, seine Duftmarke zu hinterlassen.
Was glaubst du, was andere Musiker daran hindert? Selbst im Stoner-Bereich gibt es psychedelische Standard-Effekte, die oft einfach wiederholt werden, ganz zu schweigen von Bands, die meinetwegen nur die MANDO-DIAO-Schiene oder was auch immer fahren.
Claus: MANDO DIAO finde ich eigentlich ganz gut, muss ich sagen, weil die die Songs schön schreiben. Bei den Songs würde es etwas stören, wenn die Gitarre einen Part übernimmt, der ihr nicht zusteht. Die wollen ein eher klassisches Soundgerüst. Da reden wir von Halbakustikgitarren, über Fender oder leicht verzerrte Marshall-Amps. Das passt dazu, das hat sich so eingefügt. Das ist halt nach wie vor auch so ein bisschen der eingefahrene Sound des Rock. So wie die neue HELLACOPTERS, die sehr altbacken klingt. Nichts gegen altbacken – das kann man toll machen –, aber die haben einen sehr polierten Gesamtsound. Das finde ich dann wieder sehr unmutig. GANG OF FOUR, eine etwas ältere Band aus London, haben eine ganz normale, clean klingende Gitarre, aber wie der das Ding spielt, ist so irre. Viele sehen die Gitarre zu sehr als das, was andere damit gemacht haben.
Du hast uns ja schon mal live gesehen. Du weißt, ich singe in die Gitarre rein. Ich habe den Song ’Radioactivity’ (KRAFTWERK-Cover) auf dem Album komplett in die Gitarre eingesungen. Ich hatte zwei Hunde auf dem Schoß währenddessen, hab oben eingesungen und nebenan hat der Amp gescreamt…
Ach so, ich dachte jetzt kommt: Claus Grabke quält Tiere… (lachen)
Claus: Nein, nein, nein, um Himmels willen!
Ich muss ja auch sehen, wie ich an meine skandalösen Geschichten komme.
Sven: Hehehe…
Claus: Ne, aber dem ist nicht so. Ganz im Gegenteil. …Solche Sachen muss man einfach mal machen. So eine Gitarre kann mehr, als einfach nur ein Punk-Rock-Riff oder so.
Ich glaube, in ähnlicher Form habe ich das nur noch mal bei STINKING LIZAVETA, einer amerikanischen Band, gesehen. Obwohl es eigentlich ein recht cooler Effekt ist.
Claus: Ich habe es noch nie gesehen…
Sven: Hat JIMI HENDRIX das nie gemacht?
Claus: Ne, das ist ja der Punkt! Da kommen manchmal nach der Show Leute und sagen: „Hast du die mit den Zähnen gespielt?“ Sag ich: „Ich hab da reingesungen!“ „Ja, ich hab gehört, dass einer gesprochen hat. Ich habe aber nicht gewusst, singt der Drummer jetzt und er spielt ein Solo drüber!?“
Es war ein Zufall. Ich habe gemerkt, dass die Gitarre das in irgendeiner Form kann. Man muss ein bisschen vorsichtig damit umgehen und wissen, was man macht, um diesen Effekt reiten zu können. Es fragen immer Leute nach: „Wie machst du das?“ Ich werde natürlich den Teufel tun und jetzt ein Rezept verbreiten. Aber es ist eine Mischung aus richtigem Pickup, cooler Preamp, der da richtig was hochzieht an Geräuschen und dass man weiß, wie man reinsingt, wo man zum Amp sitzen muss, damit das Feedback nicht alles tötet.
Fynn-Claus: Wenn du’s falsch machst, fiept’s einfach nur.
GENEPOOL hatten auf ihrem letzten Album auch KRATWERK-Einflüsse. Woher kommt dieses Interesse? Ist das Mucker-Mucke?
Claus: Ich würde KRAFTWERK als eine Band bezeichnen, die unglaublich unmuckermäßig kommt. Ich glaube, dass ein Mucker bei KRAFTWERK diese einfachen Rhythmusstrukturen total unterschätzt und denkt: „Ach, wat is dat denn?! Das ist so prähistorischer Techno…“ Gerade diesen Song, den wir gecovert haben, habe ich immer als ein sehr romantisches Musikerlebnis empfunden – gemacht von Computern sozusagen, aber die Aussage, dieser romantische Umgang mit dem Wort Radioaktivität, wirkte fast so ein bisschen kindlich. KRAFTWERK waren früher Hippies, dann haben sie Synthesizer entdeckt, Computermusik gemacht und auf allem möglichen Elektroschrott rumgehauen. Ich finde, das war eine sehr wichtige Band in Deutschland.
Muckermäßig ist für mich KLAUS LAGE. Oder auch MAFFAY mit seinen Leuten, wo er dann so aus allen Herren Länder die besten Drummer auffährt. Oder wenn MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN diesen englischen Blues-Gitarristen auf die Bühne stellt. Dann ist das vielleicht nett gemacht und auch eine nette Form von Entertainment, aber sehr muckermäßig. 12 Bar Blues in D. So habe ich KRAFTWERK nie gesehen. Wenn ich mir die so vorgestellt habe, mit ihren roten Hemden und schwarzer Krawatte im Studio, an irgendwelchem alten Vortechnozeug rumschraubend, habe ich die als sehr verspielt gesehen.
Das Coverartwork ist auch diesmal wieder eigenwillig und gewöhnungsbedürftig.
Claus: Dieses Cover ist von Ed Templeton. Das ist ein Skateboardfahrer aus Amerika, der sehr bekannt und auch künstlerisch tätig ist. Wir haben ein sehr langes Telefonat geführt. Ich habe ihm erzählt, wovon das Album handelt und ihm Musik geschickt.
Die Quintessenz dieses Gesprächs war: Den Leuten heutzutage explodiert der Kopf und die sind völlig gleichgültig. Das geht auch genau in die Richtung deiner Frage, warum die nicht mal was probieren. Die Leute wollen einfach nur noch Input haben. Dass ihnen hinten der Kopf explodiert, merkt keiner mehr. So was Aufregendes wie ’ne Kopfexplosion hab ich jeden Tag! Und dann schreib ich davon, mach ’ne Platte damit. Den Leuten passieren in ihren Leben 1000 aufregende Sachen, auch Sachen, über die sie sich freuen sollten, aber sie sind relativ teilnahmslos im Moment. Ob das nun in der Livemusik ist, wo so viele Bands unterwegs sind, dass schon keiner mehr groß kommt oder die vielen Platten, die draußen sind. Es ist ein Overflow an Informationen. Die Leute wissen nicht mehr, was sie damit machen sollen. Das Resultat ist, dass sie insgesamt relativ taub damit umgehen.
Wenn du dir das Cover daraufhin anguckst: Der Typ guckt vorne raus völlig normal, nix passiert und hinten fließt ihm die Suppe aus dem Schädel.
Vom Sound her ist “Deadly Bossanova“ eigentlich kein Rock mehr, sondern vielleicht schon fast das, was man sich ursprünglich unter dem Begriff Heavy Metal vorstellen konnte.
Claus: Das ist interessant, dass du das sagst, denn mein Selbstverständnis von Metal ist ein anderes als das von Sven. Bei mir fängt Metal mit DEEP PURPLE an und bei Sven fängt Metal mit SLAYER an. (Sven gluckst) Das heißt, wenn wir das Album auf so was Ähnliches wie DEEP PURPLE zurückführen, dann ist da tatsächlich ein großer Metal-Einfluss. Aber aus Svens Metal-Verständnis heraus, ist es alles andere als das.
Sven: Absolut.
Claus: Es ist nicht der Metal, den SLAYER, METALLICA auf den ersten drei Alben gemacht haben – und erst recht kein Hair-Metal oder Metal, der jetzt neu so als Emo verkauft wird.
Aber es klingt halt doch eigentlich zu fett…
Claus: Es ist nicht einfach nur Indie oder Alternative! Wir wollen auf jeden Fall schon so eine gewisse Dicke drin haben.
Sven: Wucht.
Claus: Es ist, wie man in der Klassik sagen würde, molto furioso. Kann man das so sagen?
Sven: Na ja, näää…
Claus: Dann erfinden wir das jetzt, wenn es das noch nicht gibt. Molto furioso – mit viel Wut gespielt.
Titel fürs nächste Album.
Claus: Uh, können wir gleich mal aufschreiben. (Allerdings findet eine einschlägige Suchmaschine für diese Kombination doch schon über 1000 Einträge.)
Auf ruhige Klänge habt ihr diesmal größtenteils verzichtet. Eine “Sad Robot“-Tour hat auch nicht stattgefunden. Gab es nicht genug Interesse oder kommt da jetzt eventuell noch was zusammen mit EMIRSIAN, dem Soloprojekt des HARMFUL-Sängers?
Claus: Ich glaube, wir hatten Angst in einem Saal zu sitzen und die Leute quatschen, während wir spielen. Das ist halt die Realität. Wie hieß dieser Pianissimo-Oberfachmann, wo du das Buch gelesen hast?
Sven: Morton Feldmann.
Claus: Das ist so ein Klassik-Typ, der seine Stücke sehr ungern oder sogar gar nicht aufführt, weil das Publikum raschelt und sich räuspert. Das stört.
Sven: Er hat das aber in seine Kompositionen eingeplant. Diese Geräusche aus dem Publikum sind dann Teil der Komposition in dem Moment. Aber er schreibt sehr, sehr leise und provoziert das damit halt auch, weil keiner sich mehr hinsetzt und einfach mal hört. Obwohl diese Stücke auch schon 30, 40 Jahre alt sind! Der Typ ist uralt (und laut Wikipedia 1987 verstorben). Damals hat er schon gedacht, niemand nimmt sich mehr die Zeit und die Ruhe, um einfach mal entspannt zuzuhören.
Claus: Erst recht nicht, wenn wir heute die Rockseite spielen und dann zum Beispiel ’Rescue Me’ einschieben würden! Ich schließe so eine Tour nicht aus, sollte es mal ein ähnliches Werk geben. Aber der Drang, das live umzusetzen, war bisher wesentlich geringer als der Drang, das aufzunehmen.
Live hat es mit der Rockseite ja auch so ganz gut geklappt. Bei NICK OLIVERI kam die Ansage von dir, dass ihr lediglich eure CDs verkauft und trotzdem standen die Leute nach dem Auftritt Schlange am Merchandising-Stand, obwohl ihr nur die Vorband wart.
Claus: Der Plattenboss von OLIVERI hat danach bei Arne (Nois-O-Lution-Betreiber) angerufen und gesagt, er hat noch nie eine Band gesehen, die die Hauptgruppe so an die Wand gespielt hat wie an dem Abend. Es muss wohl ganz gut gewesen sein.
Sven: Scheiße, und ich war nicht dabei! Hehehehe.Vielleicht lag’s auch daran.
Claus: Mittlerweile ist die Konzerthalle die große Verkaufshalle für Musiker. Du zeigst, was du kannst und sagst danach: „Wer will, kommt noch zum Merch.“
Gut, bei OLIVERI kam noch dazu vorher der Tag in Amsterdam – der “Unfall“…
Sven: Super Geschichte, hehe!
Claus: Klar, das war ja das ganze Ding. Auf jeden Fall haben wir im Moment einfach viel zu viel Spaß daran, die lauten Sachen zu spielen. Das ist etwas, was wir erst nach dem Album entdeckt haben und eigentlich auch der ganze Punkt. Ganz verloren ist die Seite auch nicht, weil ich finde, in dem Intro (’Tip Toe Airwaves’), in ’Hold On’, aber auch in dem KRAFTWERK-Song kommen schon Züge von unserer Herangehensweise zum Tragen, die an das “Sad Robot“-Album stark erinnern.
Du hattest am Anfang schon angedeutet, dass es einen Besetzungswechsel gab. Warum?
Claus: Die Lena hat einfach was Anderes zu tun. Sie hat sich beruflich weiterentwickelt, hatte keine Zeit mehr. Auf dem Album wird sie zwar noch genannt, aber die Bässe habe zum größten Teil ich gespielt.
Jetzt hast du ein Familienmitglied in die Band eingebunden? Besteht da nicht ein bisschen das Risiko, dass kreative Differenzen zu familiären werden könnten? (Sven lacht)
Claus: (zu Fynn-Claus) Da musst du jetzt was – aber ich sag erst mal von meiner Seite her: Das schließe ich komplett aus! Dafür kennen und lieben wir uns viel zu sehr, als dass wir uns wegen irgendeiner Kreativfrage wer weiß wie sehr bolzen würden. Fynn hat ’ne eigene Band, die heißen THE PICTUREBOOKS. Da spielt er Gitarre und singt. Auf der Ebene haben wir vorher schon viel zusammengearbeitet, ich nehme die auch auf im Studio. Das heißt, er weiß, wie ich bei so was ticke und dass er da auch alle Freiheiten hat. Er ist eine große Bereicherung für die Band, wir haben eine Menge Spaß mit ihm und ich sehe da keine Differenzen auf uns zukommen.
Habe ich vorhin richtig gehört, dass er dein Sohn ist?
Claus: Das ist mein Sohn.
Ich dachte immer, du bist solo. Jetzt wollte ich eigentlich so eine elegante, schmierige Boulevard-Überleitung bringen und wissen, wie es neben dem sportlich-künstlerischen Erfolg mit Familienplanung aussieht.
Sven: Hahaha, das ist schon seit 20 Jahren erledigt!
Claus: Das ist mein Sohn, der ist 18 und heißt Fynn-Claus Grabke. Das ist die familiäre Verbindung. Ich habe hier praktisch täglich eine Erziehungsmöglichkeit, wenn man das überhaupt noch bei einem 18-Jährigen so nennen darf. Wir machen beide was, was uns wahnsinnig Spaß macht und er hilft mir auch, wenn ich Bands produziere, im Studio. Und das ist super.
Du bist bei Interviews immer ziemlich auskunftsfreudig, selbst als wir damals über “ Dead Hippies – Sad Robot“ gesprochen haben und ich mehrere relativ kritische Fragen hatte. Manche Musiker flüchten sich in solchen Fällen in Floskeln oder blocken einfach ab…
Claus: Du bist relativ hart ins Gericht gegangen, hast erst mal frech gefragt. Aber das ist ja auch nur fordernd. Ich meine, was ist am Diskurs falsch?
Ist das bei dir die lange Erfahrung, durch die du souverän geworden bist oder bist du schon immer der Typ gewesen, der bei Interviews durchdacht reagiert?
Claus: Wenn man routiniert wird, dann wird’s blöd, dann macht’s keinen Spaß, dann redet man nur noch runter. Ich finde das eigentlich ganz spannend. Denn wenn man ehrlich ist, hofft man ja auch, dass die Leute sich mit dem Ding auseinandersetzen. Dafür macht man das. Uns ist schon klar, das ganz große Geld liegt woanders. Aber eine Media-Markt-Filiale leiten, steht für mich einfach nicht zur Diskussion. Das möchte ich nicht! Und Kunst will diskutiert werden und wird dadurch erst zur Kunst. Klar, eine gute Frage verdient eine gute Antwort. Wenn du jetzt fragst: „Seid ihr zu dritt?“ Dann sage ich: „Ja.“ Aber wenn du irgendwas anderes fragst, kriegst du dementsprechend auch gerne eine lange Auskunft. Wir sitzen hier ja freiwillig.
Apropos, wie bist du eigentlich damals vom Skaten zur Musik gekommen? Du bist ja kein bekannter Sportler, der jetzt nur mal nebenbei ein bisschen Musik für die Leute macht, sondern singst, spielst Gitarre und verdienst wahrscheinlich auch eine vierstellige Summe, wenn du ein Album produzierst.
Claus: Schön wär’s! Aber das lassen wir mal so stehen. (lachen) Klar, fünfstellig.
Fynn-Claus: Vierstellig geht ja noch…
Claus: Wir haben alle drei eigentlich einen, wie ich finde, relativ interessanten musikalischen Werdegang. Ich bin Autodidakt, Sven ist gelernter… Eigentlich ist es umgekehrt!
Sven: Siehste.
Claus: Ich hab erst im Kinderchor nach Noten singen und Klavier spielen gelernt.
Im christlichen!
Sven: Das darf man ruhig mal sagen, ja.
Claus: Du hast deine Hausaufgaben sehr gut gemacht. Evangelisch Stiftisches Gymnasium zu Gütersloh.
Sven: Zu Gütersl…hahahaha!
Claus: Sven kommt vom Metal, hat dann aber Klassikmusik entdeckt, hat das studiert und unterrichtet mittlerweile an einer Hochschule.
Gut, Metal und Klassik ist vielleicht auch zumindest im progressiven Bereich…
Claus: Sag ich ihm auch, aber er verneint das immer. Und mein Sohn ist kompletter Autodidakt, aber aus reinem Interesse. Also ich hab ihn nicht gezwungen mit irgendsonem Gymnasium, sondern er hat angefangen, nachdem ich ihm mehrere Gitarren gegeben habe, die in der Ecke gelegen haben. Irgendwann hat er die eine genommen und auf einmal konnte er spielen.
Aber bei so einem Vater ist das doch eigentlich optimal, oder?
Fynn-Claus: Das ist auch immer die Frage: „Ja, der hat dir das doch alles beigebracht?!“ Es gibt nicht einen Griff, den ich irgendwo nachgelesen habe. Ich hab mir die ausgedacht, hab gewartet, bis einer geklungen hat und die dann so genommen. Ich kann viele Instrumente ein bisschen spielen.
Claus: Und mein Fall war halt erst die Klassik. Später, beim Skateboard fahren, war Musik omnipräsent und man hat natürlich Lust gehabt, das zu machen – warum auch immer. Ich wüsste jetzt noch nicht mal genau, was der Drive dahinter war. Ah, das ist ’ne Gitarre! Toll, hab ich mir gekauft – ich probier mal. Angefangen hat es mit dem Nachspielen von irgendwelchen Punk-Sachen und dann geht das natürlich weiter. Irgendwann fragt mal einer: „Hast du Lust in einer Band mitzumachen?“ Man wächst so an seinen Aufgaben.
Der schmerzhafteste Prozess ist eigentlich immer, sich dabei zu entlarven, dass man irgendwas medioker gemacht hat, dass man also nur Mittelmaß war: Toll, warste in irgendner Band und hast ein bisschen Punk-Rock-Gitarre gespielt. Das ist ja blöd. Das kann’s ja wohl nicht sein! Man strebt also praktisch immer nach sehr großen Idealen oder hat sehr große Vorbilder. Das kann natürlich sehr destruktiv sein. Wenn du schreiben willst und den ganzen Tag nur Wolfgang Borchert vor Augen hast, dann weißt du im Grunde genommen, du brauchst nicht anzufangen. Diesen Wortwitz wirst du nicht finden. Den hat der gefunden. Punkt.
Das ist die Frage des eigenen Stils…
Claus: Wenn man das dann zum Beispiel schriftstellerisch könnte, würde ich sagen: „Jetzt bringe ich was raus!“ So ähnlich sieht es mit der Musik auch aus. Es gibt durchaus meine ersten drei Platten, da waren lustige Sachen bei, aber das war jetzt noch nicht ich. Das war ich im Entstehen und jemand hat aber gemeint, er bringt’s schon mal raus.
Zur Produktion bin ich gekommen, weil die ersten zwei Alben, die ich mit EIGHT DAYZ damals gemacht hab, so blöd geklungen haben. Vor dem dritten hatte ich dann schon ein gefährliches Halbwissen, wie mir der Produzent dann immer gesagt hat, denn während der Produktion habe ich alles hinterfragt. „Wieso stellst du das so?“ „Wenn ich jetzt einen weiter aufdrehe, dann zerrt es!“ Ich: „Bitte einen weiter aufdrehen. Aaah! Jetzt klingt’s wie die BEATLES.“ (lachen) Zum eigenen Studio bin ich gekommen, als es plötzlich bei ALTERNATIVE ALLSTARS viel Geld durch GEMA gab.
Hat’s also doch noch was Gutes gehabt.
Claus: Ja klar, bei Gun Records biste dann halt auf jeder Compilation – „Big Brother“, „Bravo Hits“ – und am Ende des Jahres kommt die GEMA-Abrechnung und du sagst: „Wie toll!“ Dann habe ich das Geld ins Studio investiert. Das war der beste Move, den ich machen konnte.
Ich gehe davon aus, als Künstler bist du wirklich komplettiert, wenn du nicht nur die Songs schreiben, sondern sie auch aufnehmen kannst. Das ist ein wichtiges Tool. Manche Bands, wie die STROKES, die ich sehr schätze, klingen natürlich erst durch Gordon Raphael so, dass sie plötzlich sich richtig weit von den anderen Bands absetzen. Später brauchen sie ihn nicht mehr, weil dann wissen sie, wie die Ingredienzien für ihren Sound waren. Aber ich glaube, aus dem, was ich über diese Geschichte weiß, dass er ihnen sehr, sehr viel dabei geholfen hat, diesen Sound zu finden.
Wenn man dann selber derjenige sein kann, welcher den Sound findet, passiert so was, wie du mit dem Metal gesagt hast. Dann will man eben was machen, was so und so ist, aber man möchte auch, dass es mindestens so dick klingt wie DEEP PURPLE – “Live in Japan“. Da kommen die Stricke zusammen. Man versteht sich mehr und kann das, was man als Musiker machen will, auch umsetzen.
Ich weiß nicht, wie es beim Rest von euch ist, aber von Claus ist bekannt, dass er Abstinenzler und Vegetarier ist. ’Still A Caveman’, ein THUMB-Zitat, dreht sich um dieses Thema. Wie ist dann eigentlich deine Einstellung zur Verbindung von Drogen und Musik? Bei deinem Sportler-Hintergrund könnte ich mir vorstellen, dass du eher auf Üben und Disziplin schwörst.
Claus: Haha, ne. Üben bei mir eh nicht viel – das ist sehr intuitiv alles, was ich mache. Das Lustige – und das sage ich dir jetzt mal, hört ja keiner mit – ist, das Üben fängt bei uns eigentlich erst nach dem Album an! Die Songs von diesem Album sind intuitiv entstanden und im Moment des Entstehens aufgenommen worden. Teilweise haben wie ’ne Stunde den Jam aufgenommen und das beste Stück daraus genommen. Bei dem ’Radioactivity’-Cover ist das zum Beispiel so passiert. Dann musst du’s live spielen und dann fängt das Üben an.
Von den Bands, mit denen ich als Produzent arbeite, fordere ich eine gewisse Grunddisziplin. Es sollen bitte immer alle kommen, damit die Band-Entscheidungen auch getroffen werden können und wir nicht über drei Ecken reden. Möglich sollten sie sich auch nicht den ganzen Tag was hinter die Binde hauen…
Also du glaubst nicht, dass Drogen unbedingt förderlich sind?
Claus: Ich denke, meistens nicht. Die beiden anderen Protagonisten der Band trinken. Aber in dem Moment, wo sie betrunken sind, machen sie nicht gute Musik.
Fynn-Claus: Dann wird’s eher scheiße.
Sven: Du denkst nur, du bist der Geilste, hehehe!
Claus: Die BEATLES haben selber gesagt, dass ihre bewusstseinserweiternden Drogen nie einen guten Song geschrieben haben.
Das ist natürlich die andere Seite: BEATLES, BOWIE, REED, DOORS, IGGY POP… –
prägend und alle mit Drogen in Verbindung…
Claus: Gerade bei BOWIE und POP glaube ich ja auch, dass das eine Rolle gespielt hat. Da bin ich auch Riesen-Fan von. Es geht aber gar nicht so sehr darum, was die Droge mit ihnen macht und kommen sie weiter mit dem Denken als ich. Es geht darum, die Droge hat ihnen geholfen, einen Gemütszustand zu finden, in dem sie alles rauslassen können, in dem man einfach machen kann. Und da brauch ich nix für! Hör meinen Gesang an und du weißt, ich brauche nichts. Ich geb mir ein, maximal zwei Gesangstakes und dann bin ich durch, fahr nach Hause. Am nächsten Tag hör ich das und denke: „Du hast das Tor zur Hölle aufgemacht!“
Das ist einfach so. Es gibt Leute, die brauchen das und andere brauchen’s nicht. Wenn jetzt so ein kleiner Schüler ins Studio kommt – „Haalala…“ – und der singt so ein bisschen was, dann denke ich auch manchmal: „Ey, trink mal erst mal irgendwas, dass du mal aus dir rauskommst.“ (lachen)
Das sind dann die Produzenten-Tricks.
Fynn-Claus: (flüsternd) Ey, hier trink mal den Kaffee! Ganz viel Kaffee!
Claus: Wir hatten eben den Borchert-Vergleich. Auf Musik umgemünzt: Ich habe so viel Angst davor, ein Album rauszubringen, was ich dann höre und es wäre einfach Mittelmaß und nichts Cooles. Diese Angst ist so groß, dass wir im Studio nur auf den Punkt ballern! Der Sven hat zwei Klassik-Jobs am Tag, sagt mir: „Ich kann morgen ’ne Stunde zwischen eins und zwei.“ Dann baue ich alles auf, bin um halb eins da und mach die Gerätschaften an. Dann haben wir ’ne Stunde. Aber die Stunde ist derart intensiv – andere meinethalben müssen sich da was spritzen oder saufen.
Bei Texten oder Herangehensweisen von BOWIE gab es sicher hin und wieder eine Verbindung. Dann findet man das auch gut, weil ich eben einen gewissen romantischen Zugang zu Leuten hab, die kiffen oder die sich besaufen. Ich finde das, wahrscheinlich im Gegensatz zu denen selbst, romantisch – ich, als derjenige, der sich noch nie besoffen hat, noch nie am nächsten Tag mit ’nem Kater aufgewacht ist.
Aber die Annahme, ich sei deswegen wahnsinnig diszipliniert, ist halt auch falsch. Im Gegenteil! Manchmal bin ich selbstverloren und undiszipliniert, der Text ist noch nicht fertig, ich will den Song jetzt aber fertig machen, fahre noch mal mit dem Minirad ums Land, überlege und diktiere’s ins Handy, schreibe es krakelig auf, hänge es irgendwie an die Pinnwand, mache’s Mikro an und gröle das Ding ein, fahre nach Hause mit Kopfschmerzen und höre’s am nächsten Tag an und sage: „Ist gut so!“ Aber wo’s herkam, weiß man nicht so richtig. Da bin ich mit Kollegen wie BOWIE, POP und anderen Leuten, glaube ich, ziemlich d’accord.
Irgendwie scheint es aber doch ein Imageproblem zu geben, denn es gibt ja eigentlich keinen Grund, warum ihr dieses Jahr nicht auf dem Rock am Ring spielen solltet.
Claus: Das ist ein geschäftliches Problem. Da fragt man bei den Herrschaften nach, wo man ja schon mit etlichen anderen Bands auf großen Bühnen gespielt hat, und dann ist es ein bisschen so: „Ja gut, wenn ihr da jetzt jemand Finanzkräftiges im Rücken hättet und dann eventuell bei uns im Programmheft ’ne Werbung schalten könntet oder ähnliches…“
Also wird sich eingekauft.
Claus: Diese Leute gucken erst mal, wen sie als Headliner nehmen. Das werden die nächsten zehn Jahre wahrscheinlich immer die gleichen sein. METALLICA, TOTEN HOSEN, wenn jetzt RAGE AGAINST THE MACHINE wieder da sind, dann wahrscheinlich die auch für die nächsten fünf Jahre…
…ÄRZTE…
Claus: …und damit sind die Leute da. Und dann darf der eine Herr, den ich sehr schätze, in seinen Alternastage-Bereich neue, gute Talente holen. Wenn dann für uns noch minimale finanzielle Unterstützung da wäre, würde er uns vielleicht auch holen, aber trotz Nachfrage und freundlichen Bückens findet das nicht statt. Für eine Band wie uns, die eben auch viele kleine Konzerte spielt, gibt es dann auch noch das Problem, dass es Gebietsschutz gibt. Das heißt, wenn man Rock am Ring und Rock im Park spielt, kommt man für zwei Monate in die ganze Gegend nicht rein. Unsere Nürnberg-Show gestern hätten wir zum Beispiel nicht spielen dürfen.
Viele Festivals sind inzwischen auch sehr uniform. Es gibt einen Chillout-Bereich, am besten nicht eine Bühne, sondern gleich noch so ’ne Poetry-Slam-Bühne. Es gibt gewisse Bands, H-BLOCKX zum Beispiel, die spielen immer auf diesen Festivals, die etwas größer sind und machen dort eine Feuerzeug-Nummer. Mich hat neulich ein Veranstalter gefragt: „Wen kann ich engagieren, dass ich definitiv 2000 Leute kriege?“ Da habe ich gesagt: „Wenn das die einzige Frage ist… Als wenn es da immer nur drauf ankommt. Weiß ich nicht, wir sind doch kein Supermarkt hier! GUANO-APES-Reunion oder so.“
Und im Ausland gibt es dann das Problem, dass Nois-O-Lution, glaube ich, nur für Deutschland, Österreich und Schweiz einen Vertrieb hat.
Claus: Genau, da sind wir im Moment. Wobei wir heute Besuch bekommen werden aus Skandinavien, wo jemand sich interessiert. Natürlich ist es auch etwas, wo wir ständig dran denken – dass man sich auch erweitern könnte und so. Wir werden mit Sicherheit wieder in Tschechien spielen und mal wieder nach Polen fahren. Das letzte Album ist ja komplett – sowohl der laute als auch der leise Teil – ein Soundtrack für einen tschechischen Film über den Fotografen Jan Saudek geworden. Alles andere ist tatsächlich schwierig.
Du musst schon mehr den Finger heben, als du es möchtest. Wir gehen immer davon aus, wir machen das, es wird besprochen und es geht nach Qualität. Aber nach Qualität geht es nicht. Es reicht nicht, den Finger nur zu heben, du musst auch noch schnipsen. Wie in der Schule: „Äh, äh, Frau Meier, Frau Meier!“ Dann kommst du zu Wort und kannst sagen, was du zu sagen hast. Das ist live natürlich immer relativ einfach. Egal, ob wenig da sind oder viel: Du kannst zeigen, was du drauf hast.
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