Cathedral
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Interview
Die britischen Doom-Legenden von CATHEDRAL haben sich knappe fünf Jahre Zeit gelassen und lugen erst Anfang 2010 mit „The Guessing Game“ im Gepäck wieder um die musikalische Ecke. Seither hat sich nicht nur musikalisch bei den Briten einiges getan. Um was es auf „The Guessing Game“ geht, warum viele Bands heute einfach nur noch langweilig sind und Musik-Downloads nicht nur schlechte Seiten haben, erzähte mir Lee Dorrian, seines Zeichens Mastermind und Frontröhre der Band…
Hi Lee, es ist mir eine Ehre, dass du kurz für mich Zeit gefunden hast. Gleich vorweg: Wir sind froh, euch wieder da zu haben. Wie geht es dir?
Hi Mathias, danke! Wir sind auch glücklich, erneut am Start zu sein. Zurzeit sind wir sehr relaxed, aber auch ein wenig aufgeregt und glücklich über das neue Album. Wir freuen uns auf die nächsten Promotiontermine und auf die ersten Live-Shows.
Viereinhalb Jahre sind seit „The Garden Of Unearthly Delights“ vergangen. Verdammt, was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht?
Na ja, fast eineinhalb Jahre waren wir in Sachen Promotion für „The Garden…“ unterwegs und ehrlich gesagt, wussten wir damals einfach nicht, was wir als nächstes Ziel ansteuern sollten. Wir waren glücklich mit dem Album und die Fans und Medien haben es gut aufgenommen, aber wir mussten uns einfach ein wenig zurückziehen, um uns für den nächsten Schritt passend vorzubereiten. Der Titelsong des vergangenen Albums war solch ein epischer Song, den wir damals einfach nicht hätten toppen können. Nach so vielen Jahren, die wir zusammen verbracht haben, brauchten wir einfach etwas Zeit, um uns selbst zu reflektieren und nicht einfach schnell wieder ein paar neue, halbfertige Songs einzuspielen.
Garry und ich begannen dann Ende 2007 mit dem Schreiben von neuem Material. Mitte 2008 hatten wir schon einige Songs beisammen, die stilistisch sehr an unser Debüt „Forest Of Equilibrium“ angelehnt waren. Der erste Song, den wir nach „The Garden…“ geschrieben haben war „Requiem For The Voiceless“ und ironischerweise ist dieser Titel auch der einzige, der es letztendlich auch auf „The Guessing Game“ geschafft hat. Alle anderen Songs, die wir zu diesem Zeitpunkt hatten, haben wir verworfen und haben noch einmal von vorne angefangen.
Als wir dann bereit waren, setzten wir uns wieder als eine Band zusammen. Das war so Anfang 2009. Wir präsentierten die Songs Brian und Leo und begannen wieder als Gruppe zusammenzuarbeiten. Ein paar Festivalauftritte haben wir 2009 auch absolviert, bis wir endlich im November ins Studio gingen. Wir mussten uns einfach sicher sein, dass das Material gut ist und funktioniert. So weit, so gut. Nun sind wir also bereits bei 2010 angelangt. Ich weiß, dass knappe fünf Jahre eine lange Zeit sind, aber man darf solche Dinge einfach nicht überstürzen. Durch diese längere Pause sind wir aber wieder soweit, in Zukunft schneller und effizienter zu arbeiten. Das glaube ich zumindest.
„The Guessing Game“ heißt nun also euer neuester Output. Auf den ersten Blick muss ich sagen, dass ich etwas überrascht war. Diese toughe Härte von „The Garden…“ ist hier offensichtlich abgängig. Die Riffs finden zwar durchgehend ihren Platz, die Vocals haben sich aber meiner Meinung nach sehr geändert. Einige Sprechpassagen haben den Platz der Screaming Vocals eingenommen. Wie kam es zu diesen Änderungen?
Ich finde, dass es nach wie vor ein sehr hartes Album geworden ist. Vielleicht in einer veränderten Hinsicht, aber trotzdem auf seine eigene Weise hart. Nach mehr als zwanzig Jahren des reinen „Geschreis“ wurde es endlich Zeit, einmal etwas anderes zu probieren, etwas Interessanteres. Außerdem war es gut, dass Gaz versucht hat, seinen Gitarrensound durch diverse Experimente zu verfeinern. Dadurch ergibt sich einfach mehr Dynamik, was dem Gesamteindruck meiner Meinung nach sehr gut tut. Wie du siehst, diese kleinen Veränderungen haben sich einfach so ergeben.
Wie würdest du die Musik auf „The Guessing Game“ nun beschreiben?
Ich würde sagen, dass sich jeder selbst ein Bild davon machen muss. Viel zu viele Bands glauben, dass sie ihr Material selbst erklären und interpretieren müssen und grenzen sich dadurch selbst ein. Diese Schubladen, die dadurch entstehen, finde ich langweilig. Musikbands müssen wieder aufregender werden und das geht nur, wenn zumindest ein kleiner Funken an Geheimnissen überbleibt.
Trotzdem möchte ich dich aber fragen, ob ein bestimmter konzeptueller Hintergrund hinter dem Album steckt? Die Songs sind sehr lang geraten und erzählen jeder für sich seine eigene Story, aber gibt es auch eine textliche Verbindung zwischen all den Songs?
Nein, es gibt kein wirkliches Konzept. Um das Ganze etwas besser zu verstehen, musst du dir das ganze Artwork der Platte ansehen. Im Grunde handelt es sich dabei um ein gigantisches Fragezeichen, in dem sich die lange Reise der menschlichen Evolution befindet. Die Grundidee hinter „The Guessing Game“ ist eigentlich die menschliche Konfusion über die Tatsache, wer man wirklich ist und worin der Sinn des Lebens steckt. „Woher kommen wir? Warum sind wir hier? Wohin gehen wir?“ Um diese Fragen geht es grundsätzlich.
Ich weiß zwar jetzt, dass du nicht allzu viel von Schubladendenken hältst, finde aber trotz allem, dass die musikalische Ausrichtung des Albums eher als Stoner Rock, denn als Doom Metal definiert werden kann. Wie denkst du darüber?
Wie gesagt, jeder soll sich selbst ein Bild davon machen. Ich mag den Begriff Stoner Rock nicht wirklich. Das ist so ein Genre, das man für Bands verwendet, die irgendwelche Einflüsse aus den 60er- oder 70er-Jahren vorschieben. Natürlich haben auch wir Einflüsse aus dieser Zeit, doch diese Definition würde unseren Input zu sehr eingrenzen. Wir sind im Grunde auch nur Musikfans und alles was uns gefällt, fließt auch in irgendeiner Form in unser Schaffen ein. Auch Doom Metal ist so ein Begriff, der sich mittlerweile nicht mehr wirklich erschließen lässt. Was steckt da eigentlich dahinter? Dazu zählen so viele Dinge, die manches Mal nicht mal mehr als Metal bezeichnet werden können. Meine Vorstellung von traditionellem Doom Metal sind Bands wie PENTAGRAM, WITCHFINDER GENERAL oder TROUBLE, aber das variiert heutzutage einfach schon zu sehr. Mir fehlt da irgendwie der nötige Überblick?!
Mit über 82 Minuten Spielzeit seid ihr ein großartiges Beispiel dafür, wie umfangreich ein Album auch heute noch sein kann. Wolltet ihr von Anfang an solch einen enormen musikalischen Umfang erreichen oder hat sich das einfach automatisch entwickelt?
Nein, von Beginn an wussten wir das noch nicht. Fakt ist, wenn wir das gesamte Material aufgenommen hätten, welches wir im November beisammen hatten, wäre wahrscheinlich das Dreifache an Songs herausgekommen. Wie du bereits in deiner Frage angedeutet hast – es hat sich einfach so entwickelt. Wir wollten einfach bestimmte Songs unbedingt machen, anstatt sie aufgrund mangelnder Kapazitäten zu verwerfen. Wie du zu Beginn unseres Interviews sagtest, ist unser letztes Album schon eine ganze Weile her und wir wollten dieses Mal einfach etwas Spezielleres machen.
Und das ist euch definitiv gelungen. Nach unzähligen Durchläufen bin ich noch immer überrascht, wie vielseitig das Album in Wirklichkeit geworden ist. Zum Beispiel das langsame, aggressive „Edwige’s Eyes“, das im krassen Gegensatz zum folgenden „Cat’s, Incense,…“ steht. Wir kann man sich das typische CATHEDRAL-Songwriting eigentlich vorstellen? Es scheint zumindest sehr unkonventionell abzulaufen…
Garry und ich haben die meisten der neuen Songs geschrieben. Nur „Immaculate Misconception“ und „One Dimensional People“ wurden von Leo beigesteuert. Ich finde nicht, dass unser Songwriting unkonventionell klingt. Es scheint nur so zu sein, dass heutzutage niemand mehr einen langsamen Song direkt nach einem schnelleren und härteren auf eine Platte packt. Wir scheren uns aber nicht um solche Sachen und haben uns auch noch nie irgendwelchen gegenwärtigen Trends angebiedert, deswegen ist diese Abwechslung für mich das Normalste der Welt.
Es kommt immer wieder vor, dass Leute uns irgendwie für verrückt halten. Und das nur, weil wir die Musik machen, die uns gefällt und wir lieben. Was ist mit der Musik in den letzten Jahren passiert? Ist sie wirklich so langweilig und unaufregend geworden? Ich finde es verrückt, wenn Bands bestimmte Musik machen, um in ein gewisses Trendschema zu passen, anstatt Songs zu schreiben, um ihrer Liebe zur Musik Ausdruck zu verleihen. Das stellt für mich eine Form von musikalischer Ausbeutung dar!
Da habe ich dich ja auf ein Thema gebracht, das dich zu beschäftigen scheint. Kommen wir noch einmal auf „The Guessing Game“ zu sprechen. Warum dieser Titel?
Rate.
Und schon wieder habe ich vergessen, mir ein eigenes Bild davon zu machen?! Lassen wir das einfach mal so stehen… 1991 habt ihr mit „In Memorium“ eure erste EP veröffentlicht. Was hat sich für CATHEDRAL seitdem verändert?
Natürlich sind wir alter geworden, so wie jeder Mensch. Unser Musikgeschmack hat sich mit den Jahren erweitert, weil wir jede Art von Musik einfach lieben. Ansonsten hat sich nicht viel verändert. Unsere Ansichten und Meinungen sind seit jeher gleich geblieben, nur die Zeit, in der wir leben, hat sich geändert.
CATHEDRAL besteht nun schon seit zwanzig Jahren. Habt ihr irgendwelche Aktivitäten geplant, um dieses Jubiläum entsprechend zu feiern? Vom Release des neuen Albums einmal abgesehen…
Ja, es ist eine wirklich lange Zeit. Wir möchten am Ende des Jahres eine spezielle Show in London spielen, bis dato gibt es aber noch keine organisatorischen Details dafür.
Ich hoffe, du fühlst dich jetzt nicht persönlich angegriffen, aber meiner Meinung nach sind euch aktuelle Standards und Trends absolut gleichgültig. Gibst du mir da Recht?
Sie sind uns nicht total egal, wir sind nur nicht am allerletzten „Klatsch“ interessiert. Wenn wir uns so manchem Trend angebiedert hätten, würden wir wahrscheinlich schon längst nicht mehr bestehen.
Ihr seid euch also seit zwei Dekaden selbst treu geblieben. Was erwartest du dann vom Release von „The Guessing Game“? Die Zufriedenheit alt eingesessener Fans oder das Hinzugewinnen neuer, jüngerer Hörer?
Beides wäre natürlich perfekt. Ich würde uns aber eher als Vorbild für junge Bands sehen. Ich hoffe, dass wir ein paar Musiker dazu bewegen können, aus den ewiggleichen, langweiligen Wiederholungen, die derzeit im Rock- und Metalsektor produziert werden, auszubrechen und sich selbst wieder etwas interessanter zu machen.
Da du gerade diesen Punkt ansprichst – Innovation, neue Stile. Wenn du auf eure Diskographie zurückblickst, gibt es da einige Dinge, die du heute anders machen würdest, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
Ja, einige Sachen würde ich sicher anders machen, aber das geht leider nicht mehr. Es gibt für alles einen Grund und wir wollen auch nicht vorgaukeln, dass wir alles perfekt gemacht hätten, denn es gibt einfach keine Möglichkeit, die dich zuerst etwas versuchen und dann doch, falls es nicht funktioniert hat, wieder anders machen lässt. Alles in allem war es eine großartige Reise, die wir bis dato mit CATHEDRAL gemacht haben und dieser Trip ist auch noch lange nicht vorbei.
Führt euch diese Reise eventuell auch nach Deutschland?
Ich hoffe es sehr. Wahrscheinlich werden es ein paar Festivalauftritte werden. Vor September dürft ihr also nicht mit uns rechnen.
Was denkst du generell über die gegenwärtige Situation auf dem Musikmarkt? Bist du zufrieden mit den Entwicklungen die Musik und das Internet betreffend oder findest du, dass es sich dabei eher um eine Art musikalischen und qualitativen Verfall handelt?
Ich führe ja seit über zwanzig Jahren nebenbei ein eigenes Musiklabel und im letzten Jahr hatten wir die besten Verkaufszahlen seit unserem Bestehen. Illegale Downloads sorgen einfach für zu viel Verwirrung. Positiv ist sicherlich, dass Leute durch diese unendlichen Möglichkeiten – vor allem für Underground-Musiker – viel mehr Musik hören. Das Negative an der ganzen Sache ist natürlich die Tatsache, dass es immer wieder egoistische Menschen gibt, die neues Material vor dem Erscheinungstermin irgendwo hochladen. Das schadet einfach jedem.
Für mich sind Downloads nicht wirklich greifbar, da es dabei kein Produkt gibt, das mit der Musik verbunden ist. Es ist nicht mehr als unsichtbarer Sound. Du kannst dabei nichts sehen, nichts fühlen. Deswegen steckt auch kein wirklicher Sinn hinter dieser neuartigen MP3-Kultur. Ich mag die künstlerische Seite der Musik genauso, wie die Musik an sich. Heutzutage konsumiert man so gesehen eigentlich nur noch die Hälfte, der andere Aspekt fehlt zur Gänze. Auch die Produktionsbedingungen sind derzeit nicht ideal. Manche Bands klingen nicht mehr wie Menschen, sondern eher wie Maschinen. Trotz allem gebe ich die Hoffnung nicht auf und wünsche mir, dass die Dinge wieder besser werden. Es ist eine verrückte, undurchsichtige Zeit, in der wir uns gerade befinden.
Dieser Hoffnung sind wir, denke ich, alle. Gibt es trotz allem einen Song, der dir privat zurzeit sehr am Herzen liegt?
Nein, nicht wirklich.
So, dann lasse ich dich wieder in Ruhe. Gibt es noch irgendetwas, das du euren Fans gerne mitteilen würdest?
Vielen Dank für die Lektüre dieses Interviews. Ich hoffe, dass euch unser neues Album gefällt und wir bald wieder live bei euch spielen können und dürfen. Danke sehr.
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