Callejon
Interview mit Gitarrist Berni zu "Wir Sind Angst"

Interview

Callejon

Die Amigos von CALLEJON reiten schon seit einigen Jahren gekonnt auf der Welle des Erfolges, das wird sich zum Glück auch mit dem etwas dunkleren „Wir Sind Angst“ nicht ändern. Selbst wenn die meisten Fans den Namen der Band nicht richtig aussprechen können, so zeigen sie sich doch für die sozialkritischen und provokanten Texte der Band genauso offen, wie für die humorigen, emotionalen Botschaften. Wir sprachen mit Gitarrist Berni über die neue Platte, über Angst generell, erfuhren wann ihn das Leben zuletzt gefickt hat, ob CALLEJON sich selbst Grenzen setzten, wie weit die heftigen Fünf sich dem Mainstream annähern möchten und wann es heißt „Fickt euch tausendfach ins Knie, bitteschön“.

Was ist passiert, seit der Veröffentlichung von „Wir Sind Angst“, wie waren die ersten Reaktionen?

Bislang haben wir wirklich extrem positive Reaktionen zu „Wir sind Angst“ bekommen, sowohl was die Rezensionen als auch was das Feedback der Fans angeht. Ich glaube, dass viele Leute nicht mit dem Album in dieser Form gerechnet haben.

Wie zufrieden bist du mit „Wir Sind Angst“?

Ich bin mehr als absolut zufrieden mit dem Album, sowohl was das Songmaterial angeht, als auch den Sound. Das ist zwar eine Antwort, die viele Künstler auf diese Frage geben, aber es ist bei uns halt auch einfach der Fall. Unsere Alben unterscheiden sich ja teilweise auch ziemlich stark.  Wir sind eine Band, die sich nicht auf ein eng abgestecktes Feld beschränken will, sondern mit jedem Album eine Momentaufnahme dessen anfertigt, was uns beschäftigt.

„Wir Sind Angst“, warum?

Angst ist das zentrale Thema des Albums. Natürlich ist Angst eine basale Grundempfindung des Menschen, die jeder kennt. Uns geht es nicht so sehr um das anthropologische Phänomen der Angst, sondern um ihre strukturelle Bedeutung in unserer jetzigen Zeit und Gesellschaft. Wir lassen uns immer stärker von Angstmechanismen leiten und beherrschen. Unsere Generation ist eine ängstliche: Angst vor der Wirtschaftskrise, Angst den Job zu verlieren, Angst keine Altersvorsorge zu haben. Diese Ängste bewirken einen sehr intensiven Leistungs- und Entsprechungsdruck, eine immer stärker werdende Ich-Bezogenheit, und diese Problematik sprechen wir an. Man macht es sich zu einfach, wenn man die Nachrichten nur noch als Film oder als für das eigene Leben irrelevante Geschehnisse fernab der eigenen Wirklichkeit konsumiert.

Wie lange habt ihr an „Wir Sind Angst“ gearbeitet und habt ihr viel am Material gefeilt, um die Platte nun so optimiert präsentieren zu können?

Wir haben tatsächlich ziemlich lange an dem Material gearbeitet, einige Ideen sind schon relativ bald nach dem Release von „Man spricht deutsch“ entstanden. Insgesamt haben wir für das Songwriting so viel Zeit aufgewendet wie für keines der vorherigen Alben und so Manches von dem entstandenen Material haben wir für das Album gar nicht verwendet. Oft ist es viel wichtiger – und viel schwieriger – das eigene Schaffen auf das Wesentliche herunter zu brechen als einen mega-hohen Output zu haben. Unser Fokus lag darauf, ein komprimiertes, kompromissloses Album zu schreiben.

„Krankheit Mensch“ weicht auch musikalisch von der üblichen CALLEJON-Marschrichtung ab. Wie kam es zu diesem Song und setzt ihr euch überhaupt musikalische Grenzen?

Wir hatten schon länger vor, einen Song zu machen, der auf der Textebene mit dieser Antihelden-Italowestern-Bildsprache arbeitet, und diese Idee hat sich dann auch in die Grundstimmung des Songs eingeflochten. Wie so oft hat sich der Text in der weiteren Ausarbeitung des Songs dann ein wenig verselbstständigt, so dass am Ende diese apokalyptische Nummer dabei herauskam.

Im Titelsong „Wir Sind Angst“ heißt es unter anderem „werden unsere Sinne stumpf“. Dieser Satz hat mich betroffen gemacht, da ich ihn für mich teilweise bestätigen kann. Man wird bombardiert mit schlechten Nachrichten und zwar derart emotionslos vorgetragen, dass man sich dabei ertappt wie man manches als „wieder so ein Attentat“ oder „ach ja, da ist ja Krieg…“ herunterspielt. Wie genau kann man dem entgegenwirken, wie gehst du damit um?

Zum Teil muss man diese Dinge natürlich aus reinem Selbstschutz ein wenig filtern – das globale Elend in seinem vollen Ausmaß ist wahrscheinlich für den Einzelnen gar nicht fassbar. Aber tatsächlich stumpfen wir immer mehr ab und stellen uns kaum noch den ganzen unbequemen Wahrheiten, auch, weil die Zusammenhänge immer komplizierter werden. Es wird uns einfach gemacht, die Augen davor zu verschließen, dass die globalen Relationen Auswirkungen auf unser Leben haben und umgekehrt. Aber genau das muss uns bewusst sein. Das sich-bewusst-machen ist, glaube ich, ein Prozess, den man Schritt für Schritt gehen muss. Nur mit einem wachen und kritischen Bewusstsein kann man auch vernünftige Entscheidungen treffen.

Wovor hast du Angst?

Das kommt ganz darauf an, in was für einer Lage ich mich gerade befinde. Zum Beispiel mache ich mir natürlich auch Gedanken über die Zukunft und die ist halt als Musiker nicht im selben Maße abgesichert, wie wenn ich Beamter wäre. Aber ich glaube, es gehört zu einem erfüllten Leben dazu, sich seinen Ängsten zu stellen und auf dieser Grundlage bewusste Entscheidungen zu treffen. Und das schließt auch mit ein, ein Risiko einzugehen, um seinen Traum zu verwirklichen. Es geht nicht darum, keine Angst zu haben, sondern seine Angst zu überwinden, anstatt sich von ihr beherrschen zu lassen.

Wann hat dich dein Leben zum letzten Mal gefickt und wie hast du es zurück gefickt?

So richtig vom Leben gefickt wurde ich zum Glück in letzter Zeit nicht. Aber jeder kennt doch die Zweifel, die man bisweilen hat: Ob man vielleicht an einem bestimmten Punkt in seinem Leben einen besseren Weg hätte einschlagen können oder ob das, was man tut, wirklich das ist, was man will. Bei keinem von uns in der Band ist das anders. Aber sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, hilft einem zu erkennen, was einen glücklich macht und wie man dort hin kommt. Genau hier begegnet einem auch wieder ein Kernproblem der optimierten Leistungsgesellschaft: Selbstzweifel werden als ein Zeichen der Schwäche gewertet. In Wirklichkeit ist es aber schlichtweg ignorant und dumm, diese Zweifel zu unterdrücken. Man muss sich nicht zwangsläufig danach richten, was allgemein als erstrebenswert und was als naiv erachtet wird, sondern man kann seinen eigenen Weg gehen und seine eigenen Ziele erreichen. Das haben natürlich Tausend Leute vor mir schon gesagt. Aber das auch wirklich durchzuziehen ist viel schwieriger als es sich anhört. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es aber auch lohnenswert.

Mit CALLEJON befindet ihr euch aber eigentlich im optimalen Bereich, eine große Fanbase und die Freiheit keine Mainstream-Hure sein zu müssen. Strebt ihr doch noch nach mehr – wohin soll es mit CALLEJON gehen?

Richtig, wir sind wirklich in einer sehr komfortablen Lage. Wir haben die Freiheit, die Musik zu machen, die wir machen wollen, Platten zu veröffentlichen und damit auf Tour zu gehen. Das ist etwas Außergewöhnliches, und man muss sich das immer wieder ins Gedächtnis rufen, um es nicht als selbstverständlich zu erachten. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mir natürlich trotzdem aussuchen, dass CALLEJON noch erfolgreicher wird, noch größere Hallen spielt, etc. Aber das ist nicht unsere Priorität. Wir machen Musik, weil es nicht anders geht. Es ist Teil unseres Lebens, unsere wichtigste persönliche Ausdrucksform. Wohin soll es also gehen? Nach vorne, nach oben, wohin auch immer, weg von hier, wir sind weit davon entfernt, genug zu haben!

„Schweigen ist nichts, Schreien ist Gold“ singt BastiBasti auf „Wir Sind Angst“. Demos gegen Pegida oder einfach kein Fleisch essen, ist das genug Schreien oder muss da deutlich mehr gehen?

Das kann für jeden anders aussehen. Es gibt aus meiner Sicht mehr als genug Gründe, gegen Pegida auf die Straße zu gehen und auf den Konsum von Fleisch zu verzichten. Aber auf dem Album insgesamt, wie auch bei „Schreien ist Gold“, geht es in erster Linie darum, Wahrheiten auszusprechen – oder herauszuschreien – die man gerne beiseite schiebt, weil das einfach bequemer ist. Es geht um ein kritisches Bewusstsein dafür, was auf der Welt und in unserer Gesellschaft passiert.

Gibt es Themen, die ihr bewusst nie angreifen würdet, weil sie zu „heiß“ sind oder zu kontrovers?

Ich weiß nicht – ich denke eher, es gibt Themen, die wir als nicht so ergiebig oder nicht passend für unsere Musik empfinden würden. Wir sind allerdings auch keine Band, die zwingend auf Kontroversen oder Provokationen abzielt. Wir schreiben Musik über das, was uns beschäftigt. Wir müssen nicht so tun, als wären wir perfekt, aber wir sind eben auch weit entfernt davon, einen Scheiß auf alles zu geben.

BastiBasti hat wieder das Artwork für die Platte gemacht. Hat jeder, abgesehen von seinem Instrument, einen eigenen Bereich für CALLEJON, um den er sich kümmert?

Basti hat natürlich durch seine gestalterische Tätigkeit auch neben der Musik maßgeblichen Anteil an CALLEJON. Im Kern sind er und ich mit den Hauptaufgaben, insbesondere mit allen kreativen Bereichen, beschäftigt.

Mal abgesehen von den Texten, finde ich euch musikalisch sehr gut. Wie entstehen die musikalischen Arrangements und was macht einen Song letztendlich zu einem typischen CALLEJON-Song?

Ein typischer CALLEJON-Song ist ein Song von CALLEJON. Ich könnte Dir nicht sagen, was an dem einen Song typischer für uns ist als an einem anderen. Wahrscheinlich haben viele Leute hierzu unterschiedliche Meinungen und diese Art von Bewertung überlasse ich auch lieber Anderen. Beim Songwriting tragen, wie gesagt, Basti und ich die Hauptverantwortung, aber die anderen Boys haben auch ihren Anteil daran. Die Songs entstehen aus ganz unterschiedlichen Impulsen heraus. Das kann ein Riff sein, eine Textidee, eine bestimmte Thematik oder Bildsprache. Es passiert so gut wie nie, dass einer von uns einen komplett fertig geschriebenen und arrangierten Song aus dem Hut zaubert, sondern meistens steht eine Passage im Raum, die wir als Demo aufnehmen, und um die herum wir beide dann in einer Art kreativen Symbiose den Song entwickeln.

Ihr geht jetzt auf Tour. Auf was dürfen sich die Fans freuen?

Auf eine geile Tour! Wir haben extrem Bock, nach so langer Zeit wieder unterwegs zu sein. Und bei all den kritischen Inhalten, die auf „Wir sind Angst“ vorherrschen, werden wir natürlich trotzdem eine unterhaltsame und fette Show machen.

Und auf was freust du dich in Bezug auf die anstehende Tour?

Ich freue mich einfach darauf, die neuen Songs live zu spielen, mit der Band und unserer Crew auf Achse zu sein, und den Fans etwas von ihrem phänomenalen Support zurückzugeben. Wir sind wirklich verdammt dankbar dafür, so viel positives Feedback zu bekommen und die Möglichkeit zu haben, so eine Tour durchzuziehen.

Wenn du auf CALLJEON zurückblickst, von Tag 1 bis heute – was hat sich verändert und in welchem Bereich habt ihr die größte Entwicklung durchlaufen?

Wir sind ein ganzes Stück älter geworden, haha! Basti und ich sind ja die einzig verbliebenen Gründungsmitglieder, und manchmal erschrecken wir uns, wie lange manche Sachen schon her sind – unser erstes Demo kam vor 12 Jahren raus, da waren wir 19. Es hat sich natürlich eine Menge verändert, von den ersten AZ-Shows zu Europatourneen und riesigen Festivals. Aber die Begeisterung und die Liebe zur Musik ist dieselbe wie damals.

Sicherlich trudeln bei euch Angebote von Mainstream-Sendern und Redaktionen ein. Wie geht ihr damit um? Gibt es eine klare Grenze, bis zu der ihr euch öffnet, oder seid ihre offen für jeden, der euch eine Plattform bietet?

Also bei uns ist bis jetzt nicht eine Anfrage von großen Radiostationen o.Ä. eingegangen. Egal wie bekannt wir sind oder noch werden, unsere Musik ist für die einfach unspielbar. Das ist bei dem, was wir machen aber auch nicht verwunderlich, insofern ist das auch kein Problem für uns. Wenn es uns darauf ankäme, würden wir eine andere Art von Musik machen. Und wenn irgendwann der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass uns der Musikantenstadl einlädt, dann würde ich mir auf jeden Fall nicht die Gelegenheit entgehen lassen, mir diesen Film zu geben. Aber mal im Ernst: Es kommt immer auf die jeweilige Plattform oder das Format an. Und es gibt genug andere Leute, die bereit sind, sich für 20 Minuten TV-Sendezeit zum Affen zu machen. Die brauchen uns gar nicht.

01.02.2015
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