Borknagar
Interview mit Øystein G. Brun zu "Origin"
Interview
BORKNAGAR waren noch nie eine Band, der es an Einfallsreichtum mangelte. Mit jedem Album wurde ihre Musik komplexer und vielseitiger, spätestens mit Vintersorgs Einstieg bekam sie einen stark progressiven Anstrich – eine Entwicklung, die mit den sehr anspruchsvollen Werken „Empiricism“ und „Epic“ zweifellos auf die Spitze getrieben wurde. Umso mehr überrascht es nun, dass BORKNAGARs neues Album „Origin“ eine Rückbesinnung zu ihren akustischen Wurzeln darstellt. Was auf den ersten Blick wie eine Rückentwicklung wirkt, ist in Wahrheit das bisher größte Experiment in der Bandgeschichte und letzten Endes nur ein weiterer Schritt nach vorne. Øystein G. Brun, Gründer und Mastermind von BORKNAGAR, gab bereitwillig Auskunft über „Origin“, das dahinterstehende Konzept und den Entstehungsprozess eines Albums, das sogar die Mütter großer Rockstars mögen.
Erst einmal Gratulation zu Eurem neuen Album „Origin“, es ist wirklich sehr gelungen und klingt 100% nach BORKNAGAR! Da das Album noch nicht veröffentlicht wurde, habt Ihr vermutlich noch nicht allzu viel Feedback bekommen. Was für Reaktionen erwartest Du denn, insbesondere von alten BORKNAGAR Fans?
Doch, wir haben schon ein paar Meinungen gehört, zum Beispiel von Dir und von anderen Journalisten. Die waren allesamt sehr positiv, das ist toll.
Was ich von unseren Fans erwarten soll weiß ich nicht so recht. Ich selber mag das Album sehr. Ich glaube wir sind eine Band, die so ein Album machen kann ohne ihr Gesicht zu verlieren. Natürlich wird es immer eine Menge Leute geben, die so etwas nicht mögen, aber für mich ist vor allem wichtig, dass ich selber wirklich zufrieden damit bin. Ich halte das Album für einzigartig und denke, es ist ein musikalisches Statement, das viele Jahre überdauern wird.
Wollt Ihr die Hörer mit diesem Album ein wenig herausfordern?
Ja, das möchten wir eigentlich immer. Was Du von uns erwarten kannst, ist das Unerwartete. Wir wollen uns mit jedem Album weiterentwickeln und versuchen jedes Mal, neue Ideen und Einflüsse einzubauen. Weißt Du, ich will keine Easy-listening-Musik oder sowas machen. Ich will Musik machen, die man sich wirklich aufmerksam anhören muss und für die man auch ein wenig seinen Kopf benutzen sollte. Wir verlangen also schon etwas vom Hörer und wollen ihn immer mit frischen Ideen konfrontieren.
Glaubst Du, „Origin“ könnte Eure Musik auch für Leute interessant machen, die normalerweise gar nichts mit Metal anfangen können?
Ja, klar! Ich meine, es ist ein akustisches Album, sogar meine Mutter findet es gut (lacht). Ich könnte mir also durchaus vorstellen, dass es auch Leute anspricht, die mit der Metal-Szene nichts zu tun haben. Sicher bin ich mir da natürlich nicht, aber die Möglichkeit besteht, schließlich kommt das Album komplett ohne Schreigesang, verzerrte Gitarren und so weiter aus. Auch ohne diese ganzen Metal-Elemente sind die Energie, der Groove und die Atmosphäre unserer Musik absolut vorhanden, es ist schließlich kein langweiliges Lagerfeuergezupfe oder so.
Wie haben denn überhaupt Century Media [BORKNAGARs Label – Anm. der Red.] reagiert, als Du ihnen sagtest, dass Ihr ein Akustik-Album aufnehmen würdet? Haben sie Euch von Anfang an unterstüzt oder waren sie erst einmal skeptisch?
Da wir ja schon ein paar Alben bei Century Media veröffentlicht haben, garantieren sie uns volle künstlerische Freiheit. Wir gehen da keine Kompromisse ein, kommerzielle Interessen sind uns egal. Wir machen immer genau das, was wir wollen. Positiv reagiert haben sie aber schon, denn sie wussten wahrscheinlich, dass wir einfach eine Band sind, die so ein Album machen kann. Ihnen war allerdings auch klar, dass sich das Album vielleicht etwas schlechter verkaufen wird, vielen Leuten wird es sicher zu „soft“ sein.
Ist Origin etwas, was Ihr schon lange machen wolltet, war es eine spontane Idee oder hat das Material einfach nach einer etwas anderen Instrumentierung verlangt?
Die Idee entstand eigentlich bereits im Jahre 2001. Wir spielten ein wenig herum und hatten dann vor, ein Album mit Akustikversionen einiger alter BORKNAGAR-Songs aufzunehmen. Das Ganze hat sich aber entwickelt, und so habe ich letzten Endes doch komplett neue Songs dafür geschrieben, denn irgendwie ist es doch langweilig, ein komplettes Album nur mit Neuinterpretationen von alten Stücken zu machen.
War der Songwriting-Prozess anders als bei einem „normalen“ BORKNAGAR-Album? Du komponierst die Grundgerüste Deiner Songs ja häufig auf Deiner Akustikgitarre und dürftest diese Herangehensweise daher gewöhnt sein.
Ganz genau, im Grunde genommen basiert die gesamte Band auf akustischer Musik. Dieser akustische Ansatz und der organische Sound haben mich schon immer beeindruckt. Für uns war das fast schon wie eine Rückkehr zu den Wurzeln, wir alle haben so etwas schon einmal gemacht. „Epic“, unser sechstes Album, ist sehr massiv. Es besteht aus vielen langen Songs, hat sehr komplizierte Arrangements und anspruchsvolle Texte. Diesmal hingegen versuchten wir, alles auf das Wesentliche zu reduzieren und den alten Geist der Band einzufangen. Ich wollte aber nicht einfach ein zweites Debut-Album aufnehmen, sondern die wahre Essenz, die Grundlage der Band aufblühen lassen – und das sind eben die akustischen Elemente, die Folk-Elemente in unserer Musik.
Die Herausforderung an der Sache war, dass wir umdenken mussten. Wir konnten keine verzerrten Gitarren, Blastbeats oder geschrieenen Gesang benutzen, mussten eben ohne diese aggressiven Komponenten auskommen.
Bei den Aufnahmen zu „Epic“ hattet Ihr bekanntlich einige Probleme. Lief es diesmal besser für Euch? Wie war die Zusammenarbeit mit den Gastmusikern?
Es lief ziemlich gut, würde ich sagen. Wir brauchten zwar eine ganze Weile um alles aufzunehmen und zu mischen, aber das lag einfach daran, dass wir eigentlich nur unregelmäßig daran gearbeitet haben. Das sah dann zum Beispiel so aus, dass ich eine Woche lang mit meiner Akustikgitarre im Studio war und erst im nächsten Monat jemand den Bass einspielte. Die Möglichkeit mit all diesen tollen Musikern zusammenarbeiten zu können, half uns sehr dabei, die Vision dieses Albums wahr werden zu lassen. Wir haben eine echte Violine, ein echtes Cello und Steinar Ofsdal, ein bekannter norwegischer Folkmusiker, hat die Flöten eingespielt. Erst das hat für uns den Kreis geschlossen und das Album so erstklassig gemacht. Es gab keine Probleme und alle Bandmitglieder haben sich richtig reingehängt, ich denke, alle die involviert waren, sind mit dem Ergebnis wirklich zufrieden.
Neben acht komplett neuen Stücken ist mit „Oceans Rise“ auch eine Neuinterpretation eines älteren Songs auf „Origin“. Warum gerade dieser Song und, das hast Du ja bereits kurz angeschnitten, welche Änderungen waren nötig, damit er auf einer akustischen Basis funktioniert?
Ich habe mit ein paar alten Songs herumexperimentiert und letztendlich war „Oceans Rise““ einfach perfekt dafür geeignet, da er so ein starkes akustisches Fundament hat. Das war also eine ganz natürliche Entscheidung. Wie eben beim kompletten Album mussten wir auch bei „Oceans Rise“ ein wenig umdenken und überlegen, wie wir ihn umsetzen und auch produzieren müssen. Er sollte nicht langsam und langweilig, sondern so kraftvoll und atmosphärisch wie die Originalversion sein, halt nur in einem anderen Gewand. Wir haben ihn aus aus einer anderen Perspektive betrachtet. Hmm, irgendwie war das ein ganz natürlicher Vorgang, wir haben es einfach getan (lacht). Es gab keinen großen Plan oder sowas, ich habe mich einfach mit meiner Akustikgitarre hingesetzt und es hat funktioniert.
Leider enthält meine „Origin“ Promo-CD keinerlei Texte. Ich weiß zwar, dass Du Deine Texte nicht so gerne erklärst, aber könntest Du bitte ein wenig das lyrische Konzept erläutern?
Es ist eigentlich so ähnlich wie bei den vorherigen Alben. Es geht um die enge Begegnung von Mensch und Natur, philosophische Theorien und dergleichen. Weißt Du, in unseren Texten gibt es keine große Message, wir wollen niemandem vorschreiben, was richtig und was falsch ist. Sie sind unpolitisch und unreligiös. Wir wollen einfach nur Kunst präsentieren. Natürlich spielt die Natur eine große Rolle, ich benutze sie immer als eine Art Schauplatz in meinen Texten. Diesmal sind es eher kurze Gedichte, keine komplizierten, astral-mäßigen Texte (lacht). So etwas würde bei diesem Album ganz bestimmt nicht funktionieren.
Der Titel des Albums (Origin = Ursprung, Herkunft) passt da natürlich schon einmal sehr gut, aber vermutlich bezieht er sich doch auch auf die Rolle der Folk-Elemente in Eurer Musik, oder?
Ja, exakt! Das ist der Gedanke hinter dem Titel, die ganze Essenz. Ich erinnere mich noch daran, wie ich das erste Riff für BORKNAGAR auf einer Akustikgitarre schrieb, das muss ’94 oder so gewesen sein. Damals war ich wirklich total fasziniert von diesem Klang, davon, wie ich diese magischen Töne erzeugen kann. Weißt Du, irgendwie hat es mich einfach verzaubert. Das legte den Grundstein für die komplette Band, für mich sind diese akustischen Elemente unser Ursprung. Unser erstes Album ist zwar sehr Black-Metal-lastig, aber es sind trotzdem viele dieser akustischen Elemente vorhanden. Ich habe schon immer diese Spannung, Energie und die mystische Seite der Folkmusik geliebt, das hat mich inspiriert. Ich will sie nicht einfach nur kopieren und in meine Musik einfügen, stattdessen geht es mir darum, die Magie einer Musikrichtung zu finden. Das mag jetzt ein bisschen kitschig oder albern klingen, aber für mich steckt die Magie der Musik nicht in den eigentlichen Tönen, sie liegt dazwischen. Ich war immer auf der Suche nach dieser Magie, die die einzelnen Töne verbindet. Das ist halt so ’ne komische Idee die ich da habe, aber so läuft das bei mir (lacht).
Ich denke aber, ich weiß was Du meinst. Es geht Dir eben einfach darum, dieses ganz besondere Gefühl einzufangen, das man hat, wenn man solche Musik hört, richtig?
Ja, ganz genau! Ich will nicht einfach nur Folkmusik mit E-Gitarren spielen, weißt Du. Viele Bands machen das und es ist ja auch in Ordnung, manchmal höre ich mir so etwas ganz gerne an, aber ich will eben diese Spannung und Magie der Musik aufdecken.
Meiner Meinung nach wirkt das Cover doch etwas anders als das bei Euren letzten beiden Alben der Fall war. Würdest Du mir zustimmen wenn ich sage, dass es organischer und minimalistischer ist?
Ja, das folgt auch wieder ganz dem Grundgedanken des Albums. Das Artwork musste minimalistisch werden, denn im Grunde genommen ist auch die Musik ziemlich minimalistisch. Die Songstrukturen sind eben relativ einfach. Ich finde, das Cover sieht wirklich gut aus. Bei der richtigen CD ist es auf ein besonderes Papier gedruckt, das sieht dann ein wenig so aus, als wäre es alt.
Es lohnt sich also auf jeden Fall das Album zu kaufen, auch wenn man bereits die MP3s mit weiß der Geier welchem Programm heruntergeladen hat, ja?
Wahrscheinlich mit Bittorrent (lacht). Ja, es wird das Geld wert sein. Es ist einfach gute Musik und wie gesagt kommen die ersten paar 1000 Exemplare oder so mit diesem speziellen Papier, es ist echt cool.
Für Dich ist es also sehr wichtig, dass Musik und Gestaltung eine Einheit bilden?
Ja, das muss eine runde Sache sein, es muss zusammenpassen. Das Cover sollte das Album im Idealfall 100% repräsentieren, aber eigentlich ist das unmöglich, da die Musik und Texte einfach zu facettenreich sind.
Okay, lass uns mal über etwas ganz anderes reden. Du hattest mit BORKNAGAR schon seit Anfang an Probleme mit dem Line-Up, aber mit „Epic“ und „Origin“ wurden tatsächlich zum ersten Mal in der Geschichte der Band zwei Alben von genau den selben (Haupt-) Musikern eingespielt (Øystein G. Brun, Vintersorg, Lars A. Nedland, Asgeir Mickelson). Glaubst Du, die jetzige Besetzung könnte endlich stabil sein?
Ja, wir vier sind schon seit einigen Jahren so etwas wie der Kern der Band. Wir kommen alle sehr gut miteinander zurecht, es gibt keinerlei Probleme. Natürlich gibt es bei uns manchmal Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen, aber wir bilden eine echte Einheit. Ich kann selbstverständlich nicht in die Zukunft sehen, aber bis jetzt läuft es wirklich gut.
Euer ehemaliger Bassist Tyr hat die Band während der Aufnahmen zu „Epic“ verlassen, seine Basslinien konnte er nicht mehr einspielen. Auf „Origin“ ist er wieder als Gastmusiker mit von der Partie, es gibt also kein böses Blut zwischen Euch?
Nein, ganz und gar nicht! Es waren einfach ungünstige Umstände, es war viel los in seinem Leben. Wir konnten halt nicht ewig warten, weil wir Deadlines einhalten mussten. Natürlich sind wir immer noch gute Freunde, er hilft uns bei Liveauftritten und ist einfach ein großartiger Musiker. Auch auf „Origin“ hat er tolle Arbeit geleistet.
Aber er wird der Band nicht wieder als vollwertiges Mitglied beitreten?
Schwer zu sagen. Die Sache ist, wir vier haben beschlossen, dass wir erst einmal nichts an dem Kern der Band ändern wollen, da das eben so gut funktioniert. Wir möchten diesen Kreis nicht stören. Aber wer weiß! Ich liebe Tyrs Schaffen und hoffe sehr, dass er uns auch wieder bei unserem nächsten Album helfen wird. Vielleicht bleibt er ein Session-Musiker, vielleicht wird er aber auch wieder ein festes Mitglied.
Habt Ihr eigentlich vor, ein paar der neuen Songs live zu präsentieren? Das wäre sicher eine tolle Erfahrung, aber es könnte sich auch als zu schwierig herausstellen.
Mal schauen. Wir schreiben eigentlich eh nie Live-Songs für BORKNAGAR. Ich weiß nicht, ob wir mit dem Album auf Tour gehen werden, aber wir wollen zumindest eine Akustik-Show spielen. Wir haben da momentan noch gar keine Pläne, aber es wäre eine coole Sache.
Wie sieht’s denn mit dem nächsten BORKNAGAR-Album aus? Du sagtest ja einmal, Du wärest im Kopf immer zwei Alben voraus.
Zwei bis drei Alben, um genau zu sein (lacht). Es wird wieder ein „normales Metal-Album“. Ich habe da schon einige Songs fertig geschrieben, die sind ziemlich cool, denke ich. Wir werden auch einen alten Song aufnehmen, den ich ’96 oder ’97 geschrieben habe. Er heißt „My Domain“ [ein bisher unveröffentlichter Song, der ursprünglich als Instrumental geplant war – Anm. d. Red.] und ICS Vortex / Simen von DIMMU wird dort den Gesang übernehmen. Außerdem werde ich versuchen, dem Album einen ähnlichen Sound wie bei „The Archaic Course“ oder „The Olden Domain“ zu verpassen. Wir werden sehen!
So, das war dann auch schon die letzte Frage. Vielen Dank dafür, dass Du Dir die Zeit genommen hast! Die letzten Worten sind Dein, falls Du noch etwas loswerden möchtest.
Kein Problem! Hmm (überlegt eine Weile). Hoffentlich werden sich ein paar Leute in Deutschland das Album anhören. Hoffentlich werden es auch ein paar davon mögen (lacht). Danke!
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