Bonjour Tristesse
"Die Hoffnung ist ein Gefängnis."

Interview

Nachdem wir bereits im Interview zum letzten Album einen Einblick in viele Ansichten und Details bekommen haben, hat sich Nathanael bereit erklärt, zur aktuellen Veröffentlichung von „The World Without Us“ noch weiter ins Detail zu gehen. Die Platte, die gerade bei Supreme Chaos Records erschienen ist, konnte auch unsere Soundchecker überzeugen.

Im Zusammenhang mit dem ersten Teil der Veröffentlichung „Against Leviathan! funktioniert „The World Without Us“ ziemlich gut. Es scheint seine Wut aber insgesamt etwas global nihilistischer einzufangen und wirkt auch musikalisch etwas anders, stellenweise sehr melancholisch durch die melodischen und schleppenden Passagen. Hast Du hier bewusst im Songwriting beide Alben abgetrennt, um mit dem zweiten Teil zum Abschluss noch düsterer auf den Punkt zu kommen?

Beide Alben verbindet das thematische Konzept und ein gewisser musikalischer roter Faden. Die Alben sind allerdings nicht gleichzeitig, sondern kurz hintereinander entstanden. Wie du ganz richtig erkannt hast ist „The World Without Us“ generell etwas weniger wütend und dafür eher düsterer bzw. melancholischer. Während „Against Leviathan!“ bereits im Titel eine Kampfansage andeutet ist das neue Album ein Abgesang auf die Menschheit bzw. eine Hymne an den Niedergang menschlicher Hybris.

Knüpft das inhaltliche Konzept an den Vorgänger an oder steht das für sich allein?

Die übergeordneten Themenbereiche auf beiden Alben sind Zivilisationskritik und Vereinsamung des menschlichen Individuums in der urbanen Massengesellschaft. Auf den Vorgängeralben wurden bereits die desaströsen Verhältnisse der Moderne thematisiert: Auf „Your Ultimate Urban Nightmare“ ging es um die Vernichtung der natürlichen Welt durch die Arroganz der modernen Menschheit und die damit verbundene industrialisierte, kapitalistische Lebens- bzw. Produktionsweise. Wichtig sind mir in diesem Zusammenhang Fragen von Macht und Ungleichheit. Dass durch die Eingriffe des Menschen in die Natur keine paradiesische moderne Welt entstehen konnte, sondern die Erde an den Rand des Abgrunds geführt wurde ist heute nicht mehr zu übersehen. Auch die menschlichen Gesellschaften konnten durch die Handlungen vorangegangener Generationen nicht in eine „goldene Zukunft“ des Fortschritts geführt werden. Vernetzt und umringt von Technologie kommunizieren wir mehr denn je, doch befindet sich die Einsamkeit auf einem ungebrochenen Siegeszug. „Against Leviathan!“ knüpft daran an und nimmt direkt Bezug auf das Buch „Against His-story, Against Leviathan“ von Fredy Perlman aus dem Jahr 1983. Darin beschreibt Perlman den Aufstieg verschiedener Zivilisationen nachdem die egalitären Stammeskulturen der Jäger und Sammler Gesellschaften durch die sesshaften Agrargesellschaften verdrängt worden waren. Nachdem die Menschheit mehr als 200.000 Jahre in Freiheit und im Einklang mit der natürlichen Welt als Tier unter Tieren gelebt hatte, begann in der neolithischen Revolution der Siegeszug der Landwirtschaft. Die Menschen unterwarfen die Natur ihrem Willen und generierten dabei nicht nur Nahrungsüberschüsse, die zu Bevölkerungswachstum, sozialer Ungleichheit und Krieg führten, sondern begründeten auch das Zeitalter der Krankheiten, der Mangelernährung und der ökologischen Degradation. Thomas Hobbes behauptete der „Naturzustand der Menschheit“ wäre ein prekärer Kampf aller gegen alle gewesen, dies kritisiert Perlman und nimmt Bezug auf die archäologische Forschung, die überzeugend dargelegt hat, dass die nomadischen Jäger und Sammler Gesellschaften der Frühgeschichte in Freiheit, Gleichheit und ökologischer Ausgeglichenheit lebten, bevor die ersten Staaten, die „Leviathane“, den Untergang der natürlichen Welt und der menschlichen Freiheit einläuteten. Aus dieser philosophischen Richtung kommend kritisiert das Album von 2023 die noch heute vorherrschende Fortschrittsgläubigkeit und die Arroganz eines Humanismus, der die bereits von der Bibel propagierte Vormachtstellung des Menschen auf radikale Art und Weise zum Ausdruck bringt.

„The World Without Us“ schließt sich daran nahtlos an. Allerdings gibt sich das Album weniger kämpferisch, sondern nimmt eine kritisch reflektierende Position ein, in dem Wissen, dass die Erde so stark vom „Leviathan“ überformt wurde, dass die Aussicht auf Hoffnung gering ist. Dieser gedanklichen Richtung entspringt die grundlegende Fragestellung des Albums: Wie würde die Welt ohne den modernen Menschen aussehen? Für die meisten Lebensformen auf der Erde wäre eine Welt ohne uns vermutlich eine paradiesische Vorstellung, denkt man beispielsweise an die Ausbeutung der Natur in kapitalistischen Wirtschaftssystemen, die menschliche Bevölkerungsentwicklung oder an die Tatsache, dass jeden Tag hunderte von Tier- und Pflanzenarten aussterben. „The World Without Us“ ist somit ein melancholisches und düsteres Album, welches kritisch auf die Zivilisationsgeschichte blickt und uns dazu anregen möchte die Arroganz und den Egoismus des „zivilisierten“ und angeblich so ‚fortschrittlichen‘ Teils der Menschheit verstärkt zu hinterfragen.

Die textliche Basis wirkt irgendwie finaler als Against Leviathan!, geschlossener und insgesamt hoffnungsloser. Täusche ich mich? Kannst Du hier ein wenig ins Detail gehen?

Wie eben dargelegt ist das Album weniger Kampfansage und mehr Meditation – über eine Welt ohne uns. Dabei bleiben die Texte anklagend, sind aber teilweise auch von Akzeptanz geprägt, von der bitteren Erkenntnis, dass den Menschen (bzw. Machthabenden) nicht nur die nötige Einsicht fehlt, sondern dass die etablierten Hierarchien, Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen unseren Weg auf dem Pfad Richtung Zerstörung bestimmen. Letzten Endes ist „The World Without Us“ also beides: Eine wütende und entschlossene Anklage an die moderne Welt, aber auch ein Album das voll Melancholie und Trauer den Weg in den Untergang reflektiert.

Warum hast Du diese Zweiteilung vorgenommen und woher stammt die Motivation der Abtrennung im Hinblick auf Musik und die Texte? Wie macht das für Dich zusammen Sinn?

Als ich mit „Against Leviathan!“ fertig war, hatte ich das Gefühl, dass noch nicht alles gesagt ist. Die Inspiration war ungebrochen und so schrieb ich weitere Songs und Texte. Was entstand war ein zweites Album, welches die Ideen des Vorgängers weiterführte und in neue Richtungen lenkte.

Der textliche Anspruch ist trotz seiner klaren Positionierung gegen die gesellschaftlichen Missstände nicht unbedingt zentral politisch. Siehst Du die grundlegende Weltordnung so wie sie ist als verlorenes Feld an oder meinst Du wir können hier noch intervenieren?

Die Hoffnung ist ein Gefängnis.

Wie siehst Du BONJOUR TRISTESSE im Strom der Entwicklung des Black metal? Nach den 90ern haben sich ja viele Strömungen gegen den ursprünglich elitären Black Metal gebildet, um hier neben Provokation vor allem auch politisch klar zu positionieren. Mit BONJOUR TRISTESSE reflektierst Du eher zentrale Themen als dir zB Slogans des antifaschistischen Black Metals auf die Fahne zu schreiben. Eine Wurzeln liegen ja klar in der Ursprünglichkeit des BM in seinem infernalischem Leichtsinn, dem es in Zeiten vor dem Internet vor allem um Provokation ging. Die Splittung in Mitte und die beiden ambivalente politischen Strömungen im BM entwickelt. Positionierst Du Dich mit dem Projekt bewusst nicht?

Ich denke, dass ich mich mit BONJOUR TRISTESSE bereits seit der Bandgründung vor über fünfzehn Jahren politisch klar positioniert habe. Der Bandname stammt aus einem Gedicht von Paul Éluard, der Kommunist war und sich der Résistance anschloss um Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu leisten. Sein Gedicht „À peine défigurée“ inspirierte den Bandnamen, das Gedicht „Liberté“ ist in Teilen als Songtext verarbeitet worden. Des Weiteren hört man ein Sprachsample des Anarcho-Primitivisten und Zivilisationskritikers John Zerzan bereits auf dem ersten Album. Auf dem zweiten Album findet sich ein Zitat des anarchistischen Kollektivs crimethinc. In den Booklets verschiedener Alben finden sich diverse Verweise auf Autoren, wie Bachmann, Bakunin, Benjamin, Perlman oder Zerzan, die als Inspirationen für die entsprechenden Songs gedient haben oder sogar direkt in den Texten zitiert wurden. Ich denke daher, dass ganz klar ist, wo die Band politisch steht.
Mittlerweile habe ich allerdings ein geringeres Interesse daran, dass dieser Aspekt allzu sehr im Zentrum steht. Wenn es jemanden interessiert, dann kann die Person auf die Suche gehen und wird sehr schnell die politischen Grundlagen finden. Diejenigen die sich eher für die übergeordneten philosophischen Zusammenhänge, die Stimmung, Atmosphäre oder die musikalischen Inhalte interessieren sollen aber ebenfalls Zugänge finden können. Die Band soll kein rein politisches Agitationswerkzeug sein, das feste Wege vorgibt. Vielmehr soll die Musik zum Nachdenken anregen und Raum für eigene Interpretationen und Gedanken lassen. Der politische Standpunkt ist klar, dieser ist aber nicht Hauptinhalt der Band sondern liefert eher so etwas wie die Grundlage für die Themen, die in den Texten verhandelt werden und letzten Endes die Philosophie der Band bilden. Zentral ist hierbei sowohl die Zivilisationskritik, als auch die Trauer um den Verlust der natürlichen Welt und eine explizit nicht anthropozentrische Perspektive auf die Natur.
Am Black Metal interessieren mich vor allem die inhärente Andersartigkeit bzw. der musikalische Gegenentwurf zum Mainstream, der Hang zur Dunkelheit, die Radikalität des musikalischen Ausdrucks, die offenkundige Religionskritik, die viel beschworene Naturmystik und die oft zu findende Kritik an der modernen Welt. In dieser Tradition steht auch BONJOUR TRISTESSE und ich persönlich versuche alle eben genannten Thematiken in meiner Musik zum Ausdruck zu bringen, insgesamt allerdings weniger in einer ausschließlich traditionellen und puristischen Art und Weise, sondern auch indem ich Veränderungen vornehme, Dinge anders auslege und umgestalte. Ich denke, dass dadurch etwas genuin Black-Metal-typisches, aber auch etwas neuartiges und eigenständiges entsteht.

Hattest Du beide Platten in einer Session eingespielt? Dass die beiden Alben trotz ihrer Unterschiede zusammen funktionieren, kann man musikalisch durchaus nachvollziehen. Gibt es schon Pläne für die Fortführung des Projekts in der Zukunft? Gibt es schon neues Material an dem Du arbeitest? Wirst Du eher bei diesem Stil bleiben, oder denkst Du, dass eine Rückbesinnung auf die postigen Alben erfolgen wird?

Wie gesagt wurde „The World Without Us“ nach Fertigstellung von „Against Leviathan!“ geschrieben und aufgenommen. Daher ergänzen sich die Alben gut, ohne identisch zu sein.
Die Arbeit am nächsten Album ist bereits weit fortgeschritten. Eine Rückbesinnung auf die Post-BM Elemente wird es nicht geben. Ich bleibe beim roheren und erdigeren Sound der letzten Alben. Musikalisch geht es eher in die Anfangstage der Band zurück, als schleppende und fast schon monotone Negativität im Fokus lag. Die bereits fertiggestellten Stücke führen jedenfalls noch tiefer in den Abgrund.

Der Sound der beiden Platten kommt in seiner Ursprünglichkeit den ersten Strömungen des BM nahe, was bei den ersten Alben nicht unbedingt so zu empfinden war. Hast Du das bewusst in eine andere Richtung gelenkt? Falls ja warum?

Für mich war BONJOUR TRISTESSE immer eine Depressive Black Metal Band, nie eine Post Black Metal Band. Mit dem zweiten Album änderte sich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und aufgrund des besseren Sounds und des „moderneren“ Stils bzw. der teils hoffnungsvolleren Stimmung kann man „Your ultimate urban nightmare“ sicherlich als Post BM Album einstufen. Das war aber keine geplante Entwicklung. Mit „Against Leviathan!“ wollte ich allerdings ganz gezielt weg von moderneren Black Metal Spielarten und sowohl hin zu mehr Geschwindigkeit und Härte, als auch zu den Sounds aus den Anfangstagen des Genres. Das führte unter anderem dazu, dass die letzten beiden Alben weniger typische depressive Elemente haben und so eher klassische Black Metal Alben wurden. Für mich funktioniert Schwarzmetall am besten, wenn die Musik nicht allzu überproduziert ist und einen gewissen Underground-Charme verkörpert. Den Reiz des Black Metal macht seine Kompromisslosigkeit, Radikalität und Unangepasstheit aus. Die der Hässlichkeit zugrundeliegende Schönheit ist etwas ganz Besonderes.

Wir haben ja Deine Top 10 zum Albumrelease am Start, kanalisierst Du für BONJOUR TRISTESSE ausschließlich Black Metal? Was hörst Du zuhause noch so und hast Du ein paar Tipps für unsere Leser was Klassiker oder auch aktuelle Alben anbelangt?

Ich bin kein Freund von Scheuklappen und höre ganz verschiedene Musikgenres. Die Ausdruckskraft und emotionale Wucht des Black Metal sind für mich ungeschlagen, aber es würde einem viel entgehen, wenn man sich ausschließlich einem Musikstil widmen würde. Ich mag die meisten Formen des Metal, ich höre gerne Post Rock und Shoegaze, ich schätze old school Hardcore Punk, habe ein Herz für Gothic und Dark Wave und neben meinem Faible für Jazz habe ich auch großes Interesse an klassischer Musik.
Wenn ich drei Bands nennen müsste, die jeder Mensch gehört haben sollte, dann wären das ULVER, AGALLOCH und natürlich SLAYER.

Erneut herzlichen Dank für Deine Zeit und die besten Wünsche für die Band. Möchtest Du abschließend noch etwas loswerden?

Ich möchte mich für das Interesse an meiner Musik und die Möglichkeit über selbige zu sprechen bedanken.

20.10.2024

- perfection is the end of everything -

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