Bohren & Der Club Of Gore
Interview mit Morten Gass und Christoph Clöser
Interview
Zwanzig Jahre BOHREN & DER CLUB OF GORE. Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Unglaublich wäre damals sicherlich auch für Morten Gass der Gedanke gewesen, wo man heute steht, welche Musik man heute spielt. Die ‚Gore Story‘ beginnt in kleinen Bands, die sämtliche Extreme der Musik ausloteten. Hardcore. Grindcore. Death Metal. Doom. 1988.
2008. Im gemütlichen, aber an diesem Abend doch etwas kalten Leipziger Club UT Connewitz werden gerade die letzten Feinheiten im Soundcheck abgestimmt. Ich treffe Morten Gass und Christoph Clöser, wie man will die beiden kreativen Köpfe der Band. Etwas haben wir gemeinsam: Wir haben beide „Dolores“ im Gepäck. Es ist das sechste Album der Band, das sechste Kapitel ihrer „doom ridden jazz music“. Was bei mir allerdings im edlen Digipak in den Rucksack passt, wollen Robin Rodenberg (Bass), Thorsten Benning (Schlagzeug), Morten Gass (Bass, Synthesizer, Vocoder) und Christoph Clöser (Fender Rhodes, Vibraphon, Saxophon) auf der Bühne vorstellen.
Von Vergänglichkeit und Poesie
„Dolores“ – ein leuchtender Titel, eins von vielen kleinen Details, von denen das Album lebt. „Wir haben diesmal musikalisch versucht, auch mal kürzere Stücke zu machen, um zu schauen ob das funktioniert mit unserer Musik, ob man uns darin wiedererkennt und wir uns selber auch“, erzählt Christoph. Tatsächlich war der Vorgänger „Geisterfaust“ ein ziemlich kompaktes Mammutwerk, mit fünf minimal aber tiefenwirksam inszenierten Epen. Dagegen scheinen die kürzeren Stücke des neuen Albums fast schon per se zugänglicher zu sein. Für Clöser und Gass stellte sich die Frage, ob es gelingen würde, die Musik in dieses kürzere Format zu übertragen. Wenn man die zehn Titel auf „Dolores“ erst einmal hört, muss man ihnen zustimmen. „Es funktioniert, und darüber waren sehr froh.“ Das wohlige Gefühl bei jedem Album, eine Stunde mit dem Club of Gore zu verbringen, es ist das Gleiche, und dennoch gibt es, wie jedes Mal, viel zu entdecken.
Was hat es wohl mit Titeln wie „Schwarze Biene (Black Maja)“, „Unkerich“, „Staub“, „Faul“ oder „Still am Tresen“ auf sich? Ich erzähle den beiden von meinen spontanen Assoziationen, den Namen, die doch etwas Persönliches in sich tragen, die Tiere und das dominante Thema der Zeit. „Von Tieren, von Verwesung und Vergänglichkeit. Interessante Eintteilung“, sagt Christoph. „Eigentlich sind es ja unspektakuläre Worte, die natürlich auch eine zweite Ebene haben. Gut, wenn man mal von Titeln wie ‚Orgelblut‘ absieht. Wir können jetzt nicht genau sagen, was ‚Orgelblut‘ ist. Es ist poetisch.“ „Harmlose Titel wollten wir gern haben“, fügt Morten hinzu. Manchmal spielt einem aber auch der Zufall in die Hände. So erzählt Morten von seiner Freundin und ihrem Pullover, den sich mal gekauft hatte. „Der war Schwarz in Schwarz gestreift, und ich meinte zu ihr, sie sieht aus wie Black Maja.“ Christoph nickt, „Schwarze Biene, Black Maja – das ist nicht mehr zu toppen.“ Willkürlich werden die Titel dennoch nicht vergeben. „Die Musik muss passen. So eine thematische Einteilung kann sich im Nachhinein ergeben, vielleicht ist das dann auch kein Zufall, wenn man lange genug darüber nachdenkt. Bei Geisterfaust war es anfangs relativ klar – die fünf Finger einer Hand. Da hat sich diese Sinnhaftigkeit und das Geschlossene in der Erscheinung, der Musik und dem Titel fast von alleine ergeben. Hier war es anders. Die Stücke sind anders, es sind mehr und es ist eher ein ’normaleres‘ Album. Es ist zwar auch ein Konzeptgedanke dahinter, aber man kann die Stücke auch einzeln wahrnehmen. Es ergibt trotzdem ein Ganzes.“
Neue Klänge, neue Ufer, neue Wege
Wie bei allen Vorgängern zeigen sich BOHREN & DER CLUB OF GORE auf ihrem neuen Werk in einem etwas anderen Licht, ohne sich dabei selbst untreu zu werden. Ihren Weg kennzeichnet eine konstante Veränderung, leicht, mitunter subtil aber deutlich spürbar. „Es muss ja auch immer die Motivation geben, eine neue Platte zu machen“, erklärt Morten. „Wir könnten ja auch alle drei Jahre dieselbe Platte machen. Unseren Stil wollten wir nicht verändern. Man sucht immer nach einer Kleinigkeit, selbst wenn es nur ein anderes Instrument ist.“ Christoph pflichtet bei, „Man verändert sich ja. Wenn vor fünf Jahren jemand gefragt hätte, ob wir was mit einer Orgel machen, wäre der rausgeflogen.“
Auf „Geisterfaust“ hörte man zum ersten Mal einen Chor bei BOHREN, zart, zerbrechlich, elfenhaft. Einen ähnlichen Eindruck erwecken Stücke wie „Orgelblut“ oder „Welten“, in denen diesmal ein Vocoder und auch Synthesizer vorkommen. Neue Klänge, neue Ufer, neue Wege. „Es hat sich zwar etwas geändert“, erzählt Christoph, „aber es ist immer noch langsame, kraftvolle, poetische und geheimnisvolle Musik.“
Immer noch genug Licht am Ende des Tunnels
Da wirkt es schon fast befremdlich, was man manchmal in Rezensionen oder anderen kurzen Textzeilen über BOHREN erhaschen kann. „Nichts für Suizidgefährdete“ ist dort unter anderem zu lesen. Verwechseln die Autoren da eventuell Todessehnsucht mit Melancholie? Diese Ewigkeit, das Vergängliche, welches BOHRENs Musik ausstrahlt, stehen wohl näher am Leben, als am Abgrund. Auf den Alben „Midnight Radio“ und „Sunset Mission“ wird sie fühlbar, diese Ruhe inmitten einer pulsierenden Metropole, die Stille an einem Ort, der niemals schweigen kann. Christoph stimmt mir zu. „Wenn das ein Suizidgefährdeter hört, müsste er diese Gedanken eigentlich wieder verwerfen, weil er eine Möglichkeit sieht, in diesem beschissenen Leben weiter zu existieren. Unter anderem, in dem er unsere Musik hört.“
Und wie wirkt die Musik auf BOHREN selbst? Ist es eine Art Refugium im Alltag, ein Ventil, Träumen oder Geschichtenerzählen? „Ich wäre ein sehr unglücklicher Mensch, wenn ich das nicht hätte.“ erzählt mir Christoph von seinem persönlichen Empfinden. „Vieles was mir nicht gefällt am Leben wird erträglich durch das, was wir machen. Nebenbei bin ich auch davon überzeugt, dass es uns überdauert. Ohne die Musik würde ich vor die Hunde gehen.“ ‚Leidenschaft‘ ist an dieser Stelle vielleicht auch das falsche Wort, wenn man diese Bindung beschreiben wollte. Christoph lacht. „Bei Leidenschaft denke ich eher an Flamencotänze. Ich finde alles relativ sinnlos, aber es hilft mir halt ein bisschen dabei, morgens in die Puschen zu kommen.“
Schwarze Schwärmer auf dem Highway
Neben dem Titel, der dieses Mal über dem Bandnamen leuchtet, fällt vor allem das Coverbild von Melanie Höner ins Auge. Es geht eine schwer zu beschreibende Faszination von ihm aus, wie die Totenkopfschwärmer aus dem geöffneten Hals herausfliegen. „Es war einer von drei oder vier Vorschlägen, der uns unterbreitet wurde, und es war der, der uns allen unabhängig voneinander gefallen hat. Und wie immer bei schönen Sachen, wenn es um Kunst geht, kann man es nicht richtig erklären. Es ist geheimnisvoll, es hat irgendwie etwas Bedrohliches, etwas Unangenehmes, aber es ist jetzt kein Drache, der irgendjemanden verschlingt.“ erzählt Christoph.
Wie die meisten Bands haben BOHREN klein angefangen, mit der Unterstützung von Freunden und Bekannten. Morten lehnt sich zurück und holt aus. „Unsere Anfangslabels waren ja alle do-it-yourself-Labels. Unsere erste Single kam auf Burt Reynolds Moustache Records raus. Das waren Leute aus Wuppertal, die das Label extra für uns gegründet haben. Die haben ja sonst eher Hardcore und Punk veröffentlicht. Wir kannten ja auch kaum jemanden damals. Die haben uns einfach gefragt, ob wir ne Platte machen wollen, und da haben wir zugesagt.“ Die nächste Station war Epistrophy Records. Dort kam 1994 das Debüt „Gore Motel“ und ein Jahr später die Doppel-LP „Midnight Radio“, das „Kritikeralbum“, wie es Christoph nennt. Mit dem Wechsel zu Wonder und ihren Alben „Sunset Mission“ und vor allem dem bisher kommerziell erfolgreichsten „Black Earth“ erlangten BOHREN dann auch eine wesentlich breitere Aufmerksamkeit.
Gore Musik für die Welt
Manchmal habe ich den Eindruck, dass dieser Zuspruch vor allem aus dem Lager der Metalfans kommt – was aber auch ein bißchen ‚Betriebsblindheit‘ sein kann. Das Publikum gestaltet sich tatsächlich „querbeet, vom 70-jährigen bis zum 12-jährigen“, sagt mir Christoph. „Metalfans sind sehr treu, manche von denen interessieren sich ja auch, was so aus uns geworden ist, schließlich ist das ja auch ein Teil unserer Vergangenheit.“
In Deutschland haben sich BOHREN mit ihrem einzigartigen Sound mittlerweile einen festen Ruf erspielt, diese Kunde soll sich nun auch im Ausland verbreiten. „Black Earth“ erschien, zwar mit Verspätung, auf dem amerikanischen Label Ipecac, und „Dolores“ dieses Mal sogar zeitgleich in Europa und den USA. Von dem Wechsel zum belgischen Label PIAS versprechen sich BOHREN in dieser Hinsicht mehr Wirkung. „Der Vertrieb ist das Problem, was im Prinzip alle Künstler haben“, stellt Christoph fest. Ein Album will schließlich nicht nur gefunden werden, es soll auch den Weg zu den Fans finden können. Und die Reaktionen, die ihre Musik hervorruft, geben ihnen Recht. „Sie zeigen mir: Das ist kein Quatsch. Wenn ich mein Lebensziel als junger Mann beschreiben wollte, dann war es: Ich will keinen Quatsch machen und mich auch nicht zum Affen machen.“
Haben BOHREN eigentlich jemals daran gedacht, ihre Musik in einen Soundtrack einzubinden? Für den Film im Kopfkino erscheint sie geradezu perfekt, wie wäre es da mit echten Visualisierungen? Morten winkt ab. „Wir haben eigentlich keine Lust, Musik für einen Film zu schreiben. Wir brauchen ja ungefähr zwei oder drei Jahre für eine Platte, und ich glaube nicht, dass irgendein Regisseur auf der Welt so lange darauf warten würde.“ Christoph nickt. „Uns fehlt einfach die Zeit. Selbst im Idealfall, wenn es ein wirklich guter Film wäre.“ Denn Fließbandarbeit, wie sie teilweise von Filmkomponisten ausgeübt werden muss, liegt ihnen überhaupt nicht. Ebenso wenig eine Verhackstückelung ihrer Stücke, nur um sie häppchenweise irgendwo hineinzuwürfeln. „Es ist schon schlimm genug, dass man beim Fernsehen keinen Einfluss darauf hat. Unsere Musik hat ja immerhin eine ziemliche Präsenz. Da muss man trotz der Anfragen, die hin und wieder kommen, schon aufpassen“, meint Christoph.
Ein Film mit BOHREN-Soundtrack müsste der Musik gerecht werden, ganz klar. Und dazu braucht es vor allem einen der seltenen Regisseure, die ein wirkliches Verständnis für Musik mitbringen. „Und das weiß man ja vorher nicht“ resümiert Morten. „Man muss Glück haben. Eigentlich wäre es eine interessante Arbeit, eine gute Vorbereitung für eine Platte“, sagt Christoph. Abgeneigt wäre man nicht, aber wie bei jedem BOHREN-Album muss eben alles stimmig zusammenpassen. Und das braucht Zeit.
Ein Abend mit dem Club
Mittlerweile ist es wärmer geworden im ehemaligen Kinosaal des UT Connewitz, und auch Alexander Tucker ist mit seinem Soundcheck fertig. Wie werden BOHREN den heutigen Abend gestalten? Allzu großem Entscheidungsdruck setze man sich nicht aus, meint Christoph. „Wir überlegen uns für jede Tour ein Programm. Wir wollen viel Neues spielen, viele Stücke vom neuen Album und dann schauen wir, welche von den älteren Stücken am besten dazu passen würden.“
Morten überlegt noch, ob er seine Mütze nachher lieber doch aufbehält, und auch Christoph zeigt sich nicht abgeneigt. Ganz so schnell will das Bier nicht wärmen. Trotzdem gefällt den beiden das urige Ambiente hier, und die große Bühne, „auch wenn man die jetzt gleich nicht mehr sehen wird“ lacht Morten. „In größeren Städten ist es immer schwieriger, da hat man oft Ärger mit dem Sound, lustigerweise. Die besten Läden, mit den besten Anlagen und den angeblich erfahrensten Mixern.“ erzählt mir Christoph, den ich vorhin noch mitten im Soundcheck angeklingelt habe.
An diesem Abend wird der Sound jedenfalls stimmen. Etwa zwei Stunden später betreten BOHREN die Bühne. Ohne Mützen, im Anzug. Es wird ein schöner Abend, der allen sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
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