Blutmond
Blutmond
Interview
Frischer Wind tut gut, doch ein musikalischer Richtungswechsel kann für eine Band schnell zum Stolperstein werden. Nicht so bei den Schweizern BLUTMOND, die wahrhaft geschickte Hände bewiesen haben. Ihr neues Album „Thirteen Urban Ways 4 Groovy Bohemian Days“ hat mich derart aus den Socken gehauen, dass ich gleich mal einen Schwung Fragen in den Süden geschickt habe. John und Jerry standen zum Rapport.
Vor zwei Wochen ist euer Album „Thirteen Urban Ways 4 Groovy Bohemian Days“ erschienen. Lasst uns doch gleich mal den Fluxkompensator anwerfen: Hättet ihr euch vor 4 Jahren so ein Werk zugetraut?
John: Jein! Wir wussten schon damals von unseren musikalischen Qualitäten, jedoch hätten wir uns nie und nimmer jenseits unserer damaligen Black Metal-Pfaden bewegt. Tja, ein bornierter Geist verschließt halt so manche Türen…
Seit „Endzeit“ sind vier Jahre vergangen, in denen sich einiges verändert hat. Das Corpsepaint ist verschwunden, das Logo wurde runderneuert. Die Krieger mit Nieten und Patronengurt sind zu edlen, langhaarigen Männern in Anzügen geworden. Was hat euch zu diesem Wandel bewogen?
John: Musikalische Stagnation war schon immer unser größter Feind. Zudem waren wir es einfach leid unser Können mit 08/15 Riff-Geschrammel und permanentem Kakophonie-Gebolze zu verballern. Wir waren schlicht und ergreifend unterfordert und haben uns vollständig nach neuen Wegen umgesehen. Das eine führte zum anderen. Zudem sehen wir in Anzügen unglaublich gut aus…
Jerry: Und musikalisch will man als „ernsthafte“ Band ja auch etwas Originelles oder zumindest Eigenständiges erschaffen, ganz egal wie weit fernab man sich von bekannten, resp. verwandten Genres bewegt… die einen mehr, die anderen halt weniger.
Aber nicht nur äußerlich hat sich einiges getan. „Groovy“, „bohemian“, „urban“ – das ist nun alles andere, als gängiges Black Metal Vokabular. Wie würdet ihr eure Musik im Vergleich zu den „alten“ Blutmond beschreiben?
John: Als eigenständig, mutig und aufbrausend. Die „alten“ Blutmond waren schlicht und einfach langweilig und ausgelutscht. Den Mut, etwas Neues auszuprobieren, hat leider nicht jede Band. Eigentlich schade; so viel geht verloren dadurch…
Jerry: Im Gegensatz zu früher drehen sich unsere neuen Texte ausschließlich um Dinge, die sich auch wirklich ereignet haben, oder um Anekdoten aus unserem Alltag, die wenigstens auch einen Sinn oder roten Faden für jeden potentiellen Hörer ergeben.
Vielleicht können wir ja die Genese von „Thirteen…“ etwas nachzeichnen. Betrachtet man das Album und „Endzeit“ nebeneinander, wirkt das Ganze (ohne die vier Jahre im Hinterkopf) wie ein totaler Bruch. Wann haben sich die ersten, frühen Ideen für das neue Album gebildet, und wann habt ihr gemerkt, dass ihr endgültig eine neue Richtung einschlagen werdet? Wann war sozusagen die Transformation von Blutmond 1.0 zu Blutmond 2.0 abgeschlossen?
John: Nach unzähligen Live-Eskapaden mit der „Endzeit“ im Gepäck kamen wir an einen Punkt welchen wir nicht tolerieren konnten. Wir langweilten uns! Unser ganzes Image, die Songs, die ewigen Gigs in den immer gleichen Clubs – Es war unbefriedigend. Parallel dazu entstand im Stillen die Idee einer neuen Ausrichtung. Erste Songs entstanden (welche auf der aktuellen Scheibe auch vertreten sind – jedoch stark abgeändert) und Ideen und Konzepte wurden konkreter. Der eigentliche Umbruch kam dann Anfang 2007 als die heute verbliebenen Mitglieder die Schnauze definitiv voll hatten.
Jerry: Will heißen: die einen wollten gehen, die anderen wurden gegangen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, ganz ohne Scheuklappen an neue Songs herangehen zu können. Und bevor wir’s noch vergessen: die eigentliche Entwicklung, die hat gerade erst begonnen…
Kam euch eigentlich irgendwann mal der Gedanke, den Bandnamen zu wechseln, oder war dieser Problematik mit der Umgestaltung des Logos Genüge getan?
John: Wir haben darüber diskutiert: Wir sind zum Schluss gekommen, dass es total unnötig gewesen wäre. Klar, Line Up und Stil haben sich von Grund auf verändert, trotzdem sind wir ein und dieselbe Band. Frag doch mal ULVER oder MANES nach einem Namenswechsel… 😉
Wie hat eigentlich euer Umfeld – Musiker wie Fans – auf die Veränderung reagiert?
Jerry: Nun, hier im Süden kennt jeder jeden, so durfte auch noch keiner ein schlechtes Wort über uns verlieren, khähä… nee, also eigentlich eine Frage, die uns durchaus beschäftigte seit wir 2009 aus der Stock’schen Klangschmiede zurück sind. Interessanterweise fingen selbst eingefleischte Old-Skooler an zu strahlen, als sie die Platte zum ersten Mal zu hören kriegten. Ein gutes Omen, wie wir hoffen… eventuell liegt es auch nur daran, dass unsere „uns letztlich eh egal“-Attitüde richtig verstanden wird.
John: Also fast ausschließlich positiv! Obwohl einige Personen natürlich auch die Stirn runzeln…
Apropos Reaktionen: Meine Lobeshymne kennt ihr ja schon, aber bei euch sind ja sicherlich noch zahlreiche andere Rezensionen eingetrudelt. Wie ist denn der Tenor? Habt ihr das Gefühl, die Leute verstehen eure Botschaft?
John: Durchaus! Glücklicherweise ist der Grundtenor der Rezensionen sehr sehr positiv! Es gab einige kleine „Verrisse“, die sind jedoch alle von Hardlinern. Von denen haben wir nix anderes erwartet…
Jerry: Jeap, also wenn man die bisherigen Reviews so durchgeht könnte man schon meinen, dass die Botschaft angekommen ist. Klingt vielleicht paradox, aber die wirklich interessanten Rezensionen sind jene, die man als „Verriss“ bezeichnen würde… für uns zumindest. So gesehen haben wir selbst von metal.de was gelernt, danke an dieser Stelle! 😛
Für meinen eigenen Text bot sich der Vergleich mit einer Großstadt nahezu an, denn genau dieses Gefühl habe ich mit „Thirteen…“. Nix mit Wald und Wiesen: Black Metal trifft auf Jazziges, düsterer Rock auf elektronische Klänge, absolutes Riffgebretter vs. lauschiges Ambiente, Gitarren, Blasts und Saxophon – welches Konzept steckt hinter dieser offenherzigen Herangehensweise?
Jerry: Kurz und knackig: es gibt einfach kaum ein Genre das uns kalt lässt, ergo fließen da einfach die vermeintlich unmöglichsten Moods ineinander. Solange es in unseren Ohren noch homogen klingt, sind wir froh darüber und wüssten nicht, warum wir dies wieder ändern sollten – für uns käme das einem Rückschritt gleich. Außerdem stecken uns die Leute zur Zeit schnell in den selben Topf wie die ganzen Post-Irgendwas-Bands, mit denen wir höchstens das Wort „urban“ gemeinsam haben. Unser Ziel ist es, nicht auf einen Zug aufzuspringen, sondern ihn zu fahren!!
Haben nun endlich alle musikalischen Einflüsse, die euch über die Jahre hinweg angetrieben haben, damit in die Musik gefunden? Oder anders gefragt: Fühlt ihr euch heutzutage „befreiter“ beim Schreiben von neuer Musik als noch zu End-Zeiten?
John: Haha, End-Zeiten… ja natürlich! Da wir nicht mehr nach „Schema Reißbrett“ arbeiten sind wir auch viel freier. Aber glaub‘ mir, wir haben noch lange nicht alle Asse ausgespielt und werden noch viel befreiter schreiben! 😉
Kurze Zwischenfrage, weil ich bei „Metro Aesthetix“ daran denken musste: Einer von euch hat doch garantiert eine CD von BOHREN & DER CLUB OF GORE im Regal stehen, oder?
John: Ich hab sie alle und trage gerade ein Shirt von ihnen. 😉
Jerry: Wir sind riesige Fans von BOHREN, ohne Ausnahme! Vor ca. 2 Jahren durften wir die Gentleman mehrmals auch hier live bestaunen… ich sag nur: BOHREN statt Kleben!!
Ihr habt mit Markus Stock in der Klangschmiede aufgenommen. Wie schwer (oder leicht) war es, eure musikalischen Visionen auch angemessen in der Produktion umzusetzen? Habt ihr erreicht, was ihr wolltet?
Jerry: Das geile an ihm fand ich persönlich, dass ihn unsere Vorproduktion einen Feuchten interessierte – und trotzdem wusste er genau, was wir brauchten…
John: Genau darum haben wir Markus besucht. Er wusste vom ersten Ton an was wir wollten und was er damit machen konnte. Von daher war die ganze Produktion sehr entspannt. Wir sind voll und ganz zufrieden mit dieser Kollaboration und der vorzüglichen Arbeitsweise.
Jerry: Und freilich hoffen wir, dass wir bald wieder eine Session bei ihm anstehen haben…
Schon die Songtitel allein sind mit viel Bedeutung aufgeladen. Da sind Stichworte wie „lifestyle obsession“, „Yuppie“, „CRY.sys“ oder der berühmt-berüchtigte Slogan der MISSING FOUNDATION, „The Party Is Over“. Welchen Themen gebührt anno 2010 eure lyrische Aufmerksamkeit?
John: Och, eigentlich die Selben wie 2009. Der Alltag, die Gesellschaft, die Schlagzeilen und natürlich: unser Leben. Uns werden bestimmt niemals Themen ausgehen.
Jerry: Das ist eben das geile am „neuen Konzept“ … solange wir nicht über „Odin und Gretel im Wald, tanzen ums Feuer, denn selbst zu zweit ham’se kalt“ sinnieren müssen, können wir texten über Dinge, die uns auch WIRKLICH inspirieren und nicht nur „nachempfunden“ wurden…
Das Cover zeigt nackten Asphalt, rot schimmernde Straßenlaternen und eine mysteriöse Gestalt im Nebelschleier. Ist das vielleicht die wahre Hölle? Kein biblischer Feuerpfuhl, keine lodernden Autofriedhöfe á la „Constantine“, sondern der ganz normale Großstadtwahnsinn?
John: Interessante Ansicht. Jedoch möchten wir dem Hörer diese Interpretationsfreiheit lassen.
Jerry: Ein kleiner Hinweis zum inhaltlich roten Faden, mehr nicht…
Ihr seid beim renommierten Label code666 untergekommen, was für Szenekenner schon fast vorab ein Qualitätsbeweis ist. Fühlt ihr euch dort gut aufgehoben?
John: Code666 leistet ausgezeichnete Arbeit. Professionell, schnell und immer durchsichtig. Wir fühlen uns verstanden und super aufgehoben.
Was steht als Nächstes an, jetzt wo das Album draußen ist? Live-Auftritte? Weltherrschaft?
Jerry: Also als erstes versuchen wir, im Gegensatz zum aktuellen Werk, etwas zügiger mit dem nächsten Album voranzukommen!
John: Einige Gigs stehen an, zudem suchen wir immer nach Auftrittmöglichkeiten außerhalb der Schweiz. Wer was weiß: Melden! Zudem haben wir wieder angefangen Songs zu schreiben. Jetzt erst recht, da die beiden Session-Mitglieder Marlon (Rhythmus-Gitarre) und Marc (Saxofon) zu vollwertigen Mitgliedern aufgestiegen sind, können wir beim Songwriting noch mehr Möglichkeiten nutzen und aus tieferen Quellen schöpfen. Von daher wird die Weltherrschaft wohl sehr realistisch…
Jerry: Hmmm… dazu würde ich jetzt nur allzu gern „Inis Mona“ anstimmen…
OK Jungs, danke fürs Interview! Ich drücke wirklich beide Daumen, dass die Platte auch die Hörer finden wird, die sie verdient!
John: Wir bedanken uns für das interessante Interview und den Support!
Jerry: An dieser Stelle doch gleich ein Aufruf an unsere nördlichen Nachbarn: ihr wisst ja gar nicht wie langweilig es hier unten ist… BUCHT UNS, VERFLIXT NOCHMAL!!