Blood Incantation
"Manchmal denkst du dir nur: Ich habe keine Ahnung, was ich hier gerade tue."

Interview

Die US-Deather BLOOD INCANTATION haben jüngst mit dem Release ihres ersten vollständigen Ambient-Albums „Timewave Zero“ doch überrascht. Grund genug, sich mal die Band zu schnappen und über ihre Liebe zu altem Krautrock und elektronischen Pionieren, vor allem deutschen Künstlern, zu reden. Auch wenn es hauptsächlich ein (sehr langer) Monolog von Bandkopf Paul Riedl geworden ist, Morris Kolontyrsky (Lead-Gitarre) und Jeff Barrett (Bass) waren zumindest physisch später anwesend. Isaac Faulk stand nicht zur Verfügung, da auf Tour mit seiner anderen Band STORMKEEP. Teil I ist hier zu finden. Leider wurde das Interview sogar vorzeitig abgebrochen und konnte nicht beendet werden, andererseits hätte das den Bogen (noch mehr) überspannt hinsichtlich Länge.

metal.de: Das ist sehr interessant, vor allem mit dem binären System, was du erwähnt hattest. Denn gefühlt existieren heutzutage nur zwei Denkrichtungen: Solche, die das Digitale oder das Analoge bevorzugen, aber wenig Künstler, die das wie ihr zu verbinden versuchen.

Paul: Am Ende des Tages sind es einfach nur Werkzeuge. Es gibt kein richtig oder falsch in dem Prozess ein Album aufzunehmen. Wir probieren nicht, ein Statement damit zu machen, wir bevorzugen es einfach nur. Unsere gemeinsame Präferenz für diese Aufnahmetechnik und die tonale Qualität im Sinne der Eigenheit ist für uns einfach eine Priorität für unsere Band. Sowohl für den Metal-Teil als auch den elektronischen Anteil in unserem Sound.

Morris: Wenn wir aufnehmen tun wir das zwar auf Tape, du hast diese massiven Maschinen und Boards, aber wir laden die Dateien trotzdem auch in ProTools um die weiter zu bearbeiten, also wir nutzen immer noch moderne Technik in unserem Aufnahmeprozess, als Backup und Sicherheit. Das ist ein Vorteil von der Vorgehensweise.

Paul: Und in den digitalen Audiostationen kannst du die Wellenform sehen. Manche Leute würden sagen, das ist „cheaten“ (lacht). Wenn du spielst und auf Tape aufnimmst, kannst du nicht sehen, wie du spielst. Du kannst wegen der fehlenden Wellenform nicht sehen, ob du zu laut spielst oder in der Zeit bist, wenn du Overdubs machst, musst du auf gut Glück über Stellen spielen, ohne dir vollkommen sicher zu sein, richtig zu „sitzen“. Wo und wann kommt der Schlag vom Schlagzeug bei einem Break? Treffe ich den? Das muss man irgendwie fühlen.

Als ich zusammen mit Morris für SPECTRAL VOICE zum ersten Mal Overdubs auf diese Weise aufgenommen habe, hatten wir keine Ahnung wie lange die Lücke sein würde und dachten uns nur: Scheisse. Auf dem Computer siehst du die Wellenform und wo der Beat oder das Instrument wieder einsetzt. Also ist das während dem Aufnehmen als Gruppe unglaublich gut zu wissen, wo gerade sich alles abspielt. Auf diese Weise können diese zwei Techniken, das Digitale und Analoge, gut kombiniert werden um sich gegenseitig zu unterstützen. Die Master der Alben von uns sind alle auf alten CDs, AAD, das steht technisch für analoge Aufnahme, analoge Abmischung, digitales Mastering.

Das bedeutet, wenn du auf Tape recordest, Multitrack, 24-Track-Maschinen, was auch immer, wird das dann auf kleineres 1-Zoll-Tape überspielt. Das ist das Master-Tape, was dann in eine neue Maschine geht und da modifiziert wird, du hast da quasi analog deine Filter, Busse, Gates und so weiter, die jeder auch in seiner digitalen Audiostation hat. Und dieses Master-Tape wird dann in eine verlustlose DAW überspielt, es ist eine digitale Kopie des Master-Reels wenn man so will. Dem gegenüber haben wir in der alten Band in der ich mit Jeff  2011 war die Lacke vom Band selbst entfernt, das ist wirklich der „old-school-Way“ beim Recorden. Und ich finde den total geil. Für BLOOD INCANTATION präferiere ich aber einfach den kleinen extra Punch und die Klarheit im Sound, die AAD einem bietet. Es gibt einfach ein bisschen mehr „Biss“ und aggressive Musik wie BLOOD INCANTATION braucht das. Wir könnten es in der Art und Weise wie in der alten Band machen und ich wäre total dafür, aber dann müssten die Master wirklich mit der Post geschickt werden. Witzgerweise sind die AADs sogar aus Deutschland, sie werden dort hergestellt. Und diese Master-Tapes sind groß und schwer, die Transportkosten wären astronomisch.

Morris: Und sie sind natürlich auch sensibel und anfällig, Transport ist ja nicht immer nett zu Gegenständen.

Paul: Die Frage der Haftung würde sich schon stellen… Ich hoffe, wir bekommen unsere Master unbeschädigt zurück, Daumen drücken! Du siehst also, cool in der Theorie, in der Praxis weniger geeignet und deshalb haben wir als Vorsichtsmaßnahme einfach den Weg über AAD gewählt, was erneut im Prinzip eine Verschmelzung von den Vorteilen von Analog und moderner digitaler Technologie ist. Unsere Band ist eine Synthese musikalisch aus verschiedenen Dingen und auch im Prinzip auf unsere Philosophie was Aufnahme und so weiter angeht sind wir eine Synthese aus den Meinungen und Neigungen unserer Mitglieder. Wie schon gesagt gibt es keinen richtigen oder falschen Weg beim Musikmachen, aber es ist einfach die Art und Wiese, wie wir vier in unserer Band funktionieren und was wir selber gut finden. Ich höre selber viele Alben, die komplett digital sind und liebe die auch. Das gilt auch für komplett analoge Aufnahmen. Solange es cool klingt und die Musik toll ist, was gibt es zu meckern?

metal.de: Ich weiß nicht ob ihr Podcast-Fans seid, es gibt etwa „GEAR OF THE DARK“ von zwei deutschen Musikern, die mittlerweile sogar nach Amerika ausgewandert sind und auch da ist eine gewisse Polarität hinsichtlich Aufnahmetechniken vorhanden. Einer der zwei präferiert eher Quality-of-Life Aspekte der digitalen Aufnahmetechniken, ob nun fürs Recorden oder auch Live, der andere beschäftigt sich mehr mit Tube-Amps, Mikrofonierung und so, ist also eher im analogen Rumexperimentieren zuhause. Wie ihr bereits sagtet, gibt es da auch nicht eine 100%ige Festlegung, aber durchaus Präferenzen in der Herangehensweise, wie man Musik produziert. Trotz Synthese aus Digital und Analog. Aus ähnlichen Gründen präferieren Leute wahrscheinlich auch Vinyl oder Tape über CD oder digitalen Formaten, obwohl technisch gesprochen die Qualität einer Platte etwa eigentlich schlechter ist gegenüber CD oder Lossless-Formaten. Aber ich glaube diese Unebenheiten, das Knarzen, das Einzigartige macht den Unterschied für diese Leute dann aus.

Paul: Nein, ich kenne den Podcast nicht, aber bei dem Namen bin ich jetzt schon Fan. Um auf die von dir angesprochenen „Unebenheiten“ zurückzukommen, ich denke dieses unperfekt „Menschliche“ trifft nicht nur auf Musik zu, sondern auch auf Dinge im Leben allgemein wie physische Attraktivität, Arbeitsethos, Handwerk. Wir Menschen sind eben nicht perfekt und das einfliessen zu lassen ist für mich einfach von größter Bedeutung. Wenn etwas zu perfekt ist, fällt es gleich ins „Uncanny Valley“, Leute können sich nicht so sehr damit identifizeren, es hat eine etwas außergewöhnliche Qualität. Ich weiß, dass manche Leute mit ihrer Musik, aber vielleicht auch gesellschaftlich auf diese Perfektion hinarbeiten.

Und eines Tages leben wir dann in einer technokratischen Dystopie die wie aus einer Episode von Black Mirror anmutet (lacht). Ich glaube einfach, dass Imperfektion etwas ganz Zentrales im menschlichen Erleben ist, selbst im Universum als Grundprinzip verankert ist. Das gibt dem Leben erst Sinn und eine interessante Qualität. Stell dir vor alles wäre perfekt konzipierbar und planbar bei dieser Musik. Die Seele würde fehlen.

metal.de: Ich denke, gerade diese „Seele“ ist nicht nur dank eurer Herangehensweise auf den Alben zu hören, aber auch live bei euren Shows. Ich hab euch bis lang nur einmal gesehen, 2017 auf dem Party.San müsste das gewesen sein. Diese Energieübertragung von der du sprachst habe ich definitiv während dem Konzert gefühlt. Eine Band mag vielleicht technisch perfekt spielen, aber die Show total langweilig sein, während eine andere Band sich durchaus auch mal Schnitzer erlauben darf, solange die Leidenschaft dahinter zu spüren ist.

Paul: Ich meine wir probieren so gut und präzise wie möglich zu spielen, aber der ein oder andere humane Fehler schleicht sich da auch ein, das will ich nicht abstreiten (lacht). Aber solange das durch die Passion der Musiker wieder wett gemacht wird, ist alles gut. Diese Spontanität und Improvisation live ist da ein großer Aspekt, statt wie auf der Platte zu spielen wirft man mal eine Pinch-Harmonic oder einen Slide mit hinein oder man geht mit einer Dive-Bomb ins Solo, weil es sich in dem Moment einfach gut anfühlt. Oder bei den Vocals kommt ein zusätzliches Tom-Warrior-Ugggh mit dazu, weil ich es gerade in dem Moment fühle, weißt du (lacht)? Was denke ich für BLOOD INCANTATION als Konzept, aber auch in der Ausführung wichtig ist, involviert die Balance zwischen purem, animalischem Instinkt und diesem Perfektionsmus wenn es an Aufnahmetechnik und so weiter geht. Wie bereits schon gesagt, es geht um die Energieübertragung, den Elektromagnetismus der sich sowohl von der Musik als auch den Menschen her vereint und wir probieren das einfach so ehrlich wie möglich zu dokumentieren, sei es live oder auf Platte.

Und es gibt definitiv Shows, wo wir dieses Feeling nicht haben, die scheiße laufen, wo entweder die Perfektion oder eben dieses spontane Moment nicht so da oder ausgeprägt sind. Es gibt Videos von uns wo wir echt schlecht spielen (lacht). Aber das ist eben Teil des menschlichen Daseins und der menschlichen Erfahrung.

metal.de: Da du live spielen erwähntest, gibt es Pläne mit „Timewave Zero“ auch auf Tour zu gehen?

Paul: Ja, wir haben unsere Alben-Release-Show sogar erst letztes Wochenende hier in Denver vollzogen. Wir haben im Gothic Theatre gespielt zusammen mit einem klassischen indischen Sitar-Spieler namens Roshan Bhartiya. Wir haben probiert, so wie TANGERINE DREAM unser Setup aufzusetzen, also viel kleine Deko, Weihrauch, kleine Obelisken, Gongs, symmetrisch arrangiert und so weiter. Es war ein bestuhltes Event und wir haben so etwas zuvor noch nie durchgeführt. Nicht in meiner ganzen Bandgeschichte, aber auch speziell mit BLOOD INCANTATION. Viele Leute hatten Death Metal erwartet, was ungewöhnlich ist, da es von Anfang an als Ambient-Show angekündigt war.

Wieso würde man auf einer Ambient-Show Death Metal erwarten? Aber ich glaube das zeigt nur, wie unvollständig Leute heute Tourplakate oder Konzertflyer lesen (lacht). Es gibt ja auch Leute, die ziehen an Türen wo drücken drauf steht, also wundert mich das auch nicht sonderlich. Aber die Leute die da waren fanden es fantastisch, was uns dann doch überrascht hat. Wir haben am Ende Standing Ovations bekommen. Wir bekommen bis zum heutigen Tag noch Nachrichten von Gästen, die sich bedanken, da der Abend für sie etwas ganz besonderes war.

Morris: Es gibt ein wenig Videomaterial von dem Konzert auf Youtube, falls du interessiert bist. Und es wurde auch gefilmt von uns. Falls wir denken, dass es veröffentlichungswürdig in Zukunft ist, könnte da noch was kommen, das ist aber noch nicht sicher.

Jeff: Wir haben auch zwei Sets gespielt. Das erste war „Timewave Zero“ von Anfang bis Ende und das zweite Set war eine Impro-Session.

Paul: Ja, die Live-Impro war ziemlich aufregend und stressig. Du bist da vor sechs- oder siebenhundert Leuten die dafür gezahlt haben, dass du etwas machst und du denkst dir manchmal nur: Ich habe keine Ahnung was ich hier gerade tue. Aber es hat funktioniert! Wie bei „Chronophagia“ wollten wir einfach zeigen, wie dieser Improvisationsprozess bei uns abläuft und natürlich auch unseren Respekt vor den Pionieren zollen, die ja selber auch oft in dieser improvisierten Art und Weise musiziert haben. Bei der Show war es aber etwas besonderes. Wir haben vorhin bereits über diese elektromagnetische Übertragung bei der normalen Metal-Show gesprochen.

Aber das hattest du hier nicht, das Publikum sitzt und kann nicht headbangen oder moshen. Das heißt diese Reaktion bleibt ein wenig aus. Und wenn du auf der Bühne stehst, an den Knöpfchen drehst und quasi in Real-Time mit dem Kosmos kommunizierst, wissen weder die Person die dir zuhört noch du selber, was als nächstes passiert. Das ist „Zen“, das ist „im Moment sein“. Selbst wenn du dich verspielst oder die Improidee nicht so toll war, es ist immer noch eine gemeinsame Erfahrung. Denk nur daran wie selten im Alltag es vorkommt, das hunderte Personen auf ein und dieselbe Sache in demselben Moment fokussiert sind, simultan. Das findet so gut wie nie statt. Dasselbe Konzept wird etwa auch bei Gruppenmeditation genutzt.

Nicht um die Musik irgendwie abwerten zu wollen, aber auch TANGERINE DREAM waren elektronische Meditation, musikalische Meditation wenn du so willst. Es waren Leute, die gemeinsam darauf fokussiert waren, was gerade passiert ist, aber auch bald passieren wird, vollkommen in der Essenz des „Jetzt“ aufgehend. Das ist eine der härtesten Sachen, die von Menschen bewerkstelligt werden kann. Leute zahlen verdammt viel Geld, um etwa in einem Yoga-Studio oder sonst wo bei zu solchen Gefühlszuständen zu gelangen. Und dasselbe kannst du prinzipiell auch mit Musik erreichen. Es war wirklich episch und komplett anders zu jeder Show die wir je gespielt haben. Wir würden es lieben, das zu wiederholen.

Morris: Es ist allerdings auch ein gewaltiger Aufwand, wir haben Stunden gebraucht um einfach nur die Instrumente aufzusetzen und zu verkabeln. Das kannst du im normalen Touralltag nicht leisten. Es muss der richtige Ort zur richtigen Zeit für so etwas sein.

metal.de Also ist es eher unwahrscheinlich, dass ihr etwa nach Europa mit einem „Timewave Zero“-Set kommen werdet. Es wird also für so ein Vorhaben bei wenigen ausgewählten Shows bleiben, nehme ich an.

Paul: Wir fänden das klasse, aber logistisch wird das wahrscheinlich nicht zu machen sein. Metalshows könnte man theoretisch von Ambientshows trennen, etwa zwei aufeinanderfolgende Abende bei derselben Location, aber insgesamt wäre das doch zu aufwändig.

Morris: Das zum einen, zum anderen fühlen wir uns auch ein wenig verantwortlich, die verschobene Tour von „Hidden History“ nachzuholen und das zu so viel Menschen wie möglich auf der Welt zu bringen. Danach können wir immer noch solche Vorhaben starten.

Paul: Wir haben viele Pläne für den Rest des Jahres, aber die beziehen sich alle auf „Hidden History“.

metal.de: Ihr seid ja selber sehr divers was Genres und Einflüsse angeht, könntet ihr euch für eine Tour zu „Hidden History“ auch vorstellen, das ins Line-Up einfliessen zu lassen?

Paul: Ja, bei den meisten Shows hast du nur durchgehend Death Metal und ein wenig mehr ruhigere Musik kann dann gut genutzt werden.

[Hier an dieser Stelle ist das Interview aufgrund einer Zeitbeschränkung leider abgebrochen und konnte auch nicht erneut aufgenommen werden. Entschuldigung an dieser Stelle, wir hoffen, das Interview war trotzdem unterhaltsam!]

Quelle: Zoom-Interview Blood Incantation vom 04.03
26.03.2022
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