Blood Incantation
"Wenn alles eigentlich Energie ist, Vibration, [...] dann modulierst du die Natur der Realität selbst."
Interview
metal.de: Was haben analoge Synthesizer, das digital emulierte Synthesizer nicht haben? Mit anderen Worten: Warum habt ihr euch so eine Mühe gemacht?
Paul: Wir haben dieselbe Philosophie für unseren Aufnahmeprozess bei unseren Metalalben: Natürlich bist du mit den heutigen digitalen Tools schneller, einfacher und günstiger unterwegs. Aber Leute haben die Debatte nun seit über fünfzig Jahren geführt. Wenn du live spielst hast du vier Leute im Raum und eine gewisse Energie. Du kannst dir eine Show auf Youtube ansehen und nicht direkt dabei sein, aber den Vibe spüren, was für mich eine gute Performance ausmacht. Wenn man in der „Zone“ ist, diese Balance zwischen Fokus und „Flow“, gilt das ebenso beim Aufnehmen. Wenn du mit vier Leuten im Raum gemeinsam auf Tape aufnimmst, gibt es einfach einen gewissen Synergie-Effekt, den du beim digitalen, getrennten Aufnehmen nicht hast. Speziell bei analogen Synthesizern ist diese Synergie durch die Spieler und die elektrischen Ströme, die dadurch resultieren, übertragbar.
Die eigentliche elektromagnentische Sound-Welle, die natürlich durch die ganzen Filter, Effekte und Gates moduliert wird, ist dieselbe, die das Licht aus deiner Lampe macht, die aus deiner Steckdose kommt, die deinen Computer antreibt. Es ist fundamental dasselbe Prinzip. Und diese reale, magnetische Energie der analogen Synthesizer erlauben es dem menschlichen Geist als Vehikel im Moment etwas zu verändern. Im Digitalen ist alles binär, du hast nur Nullen und Einsen, die probieren ein vielschichtiges Universum abzubilden. Du drückst einen Knopf, die eine Soundbank triggert, wo Daten des modulierten Instruments, sei es ein Synthesizer, eine akustische Gitarre oder was auch immer gespeichert ist. Ein analoger Synthesizer kann das nicht. Du modulierst die Welle selber. Und wenn alles eigentlich Energie ist, Vibration, wir Menschen sind auch elektro-magnetische Wesen, dann modulierst du die Natur der Realität selbst.
Das beste an analogen Synthesizern ist ganz einfach dasselbe, was für das Improvisieren jeglicher Musik gilt. Es geht um das „Zen“, im Moment da zu sein, einen „Flow“-Zustand zu erreichen, beim Malen zum Beispiel machen Leute das auch um den Kopf freizubekommen, das kannst du digital nicht replizieren. Speziell bei analogen Synthesizern sind die Oszillatoren sind nicht stabil, du bekommst wahrscheinlich nie dieselbe Welle zweimal, sie müssen aufwärmen wie ein Tube-Amp und es wird nie denselben Sound nochmal herstellen können. Also im Grunde genau das Gegenteil, was man mit digitalen, reproduzierbaren Sounds erreichen will. Für manche Leute ist das problematisch, deshalb nutzen sie ja gerade digitale Instrumente um Gleichförmigkeit gewährleisten zu können, für andere ist das sogar gewünscht. Das war sogar einer der Gründe, weshalb digitale Synthesizer erfunden wurden, natürlich neben so Sachen wie Kosteneffektivität und so weiter. Aber gerade das Imperfekte, die „Launenhaftigkeit“ der analogen Synthesizer, das spontane Moment, das lässt sich alles nicht digital replizieren. Es macht analoge Synthesizer deswegen nicht nur so interessant, fasizinierend und cool, sondern ist auch für mich Ausdruck dafür, was das menschliche Leben und Musik selbst erst interessant und unvorhersehbar macht.
Du kannst Künstler haben, die unmenschlich schnell spielen und alle Noten perfekt spielen, aber wie Tony Iommi schon sagte: Der Ton ist in den Fingern, nicht dem Equipment. Und der Typ hat nicht mal mehr seine Finger komplett (lacht). Und ähnlich kann das Tape diesen kleinen, vielleicht nicht hörbaren Unterschied ebenfalls mit einfangen, auch wenn die meisten es nicht einmal bemerken werden, aber genau deswegen haben viele Menschen eben eine Präferenz für diesen analogen „Fingerabdruck“.
Morris: Ich meine das Analoge kommt auch im Bereich der Instrumente zurück, es gibt mittlerweile viele Re-Issues von alten analogen Synthesizern obwohl die ganzen digitalen Möglichkeiten heutzutage existieren und die sind ziemlich nachgefragt.
Paul: Es ist momentan eigentlich ein goldenes Zeitalter für Equipment angebrochen. In den 1970er Jahren war der Transistor gerade einmal zwanzig, dreissig Jahre alt und heutzutage gibt es einfach viel mehr Möglichkeiten an diese Sounds zu kommen, sei es digital oder analog.
Morris: MIDI-Sequencer und so etwas existierten damals gar nicht, aber heutzutage gibt es Synthesizer mit solchen Interfaces, also es hat eine Kombination stattgefunden, die einem eigentlich mehr Optionen bietet.
Paul: MIDI wurde erfunden, gerade weil damit die alten Synthesizer quasi alle dieselbe „Sprache“ sprechen können. Als TANGERINE DREAM damals gestartet sind hatten sie gar keine Synthesizer und als MIDI aufkam und sie damit auch experimentieren wollten, hat sich ihr ganzer Sound geändert.
Morris: Die erste Platte von KLAUS SCHULZE und die erste TANGERINE DREAM, die erste KRAFTWERK-Platte hatten alle noch gar keine Synthesizer, keine Elektronik und trotzdem konnten sie diese neuen Sounds kreieren.
Paul: Ja, viele haben einfach elektronische Orgeln genutzt, die vorher vielleicht auf Jahrmärkten oder Schlagerparaden gespielt haben und dann einfach die Tapeaufnahmen modifiziert. Bevor es Tape-Echo, eines der ersten Echo-Geräte, gab, musste man umständlich das Tape zwischen den verschiedenen Rekordern neu verbandeln, BRIAN ENO hat das getan, ROBERT FRIPP ebenfalls. Die spätere Entwicklung in den 1970ern, was dann später als „Ambient“ bekannt werden würde, ist quasi mit dem absoluten Minimum an Material und Equipment realisiert worden, da es die ganzen Dinge noch nicht gab. Als Synthesizer dann später verfügbar wurden, ich glaube Florian Fricke von POPOL VUH hatte eines der ersten MOOG-Modular-Systeme (POPOL VUH waren eine Münchner Experimental-Band, die später den legendären Moog-3-Synthesizer tatsächlich an Klaus Schulze abtreten sollten, der damit dann Musik machte – Anm. d. Redaktion) in Deutschland und nutzte es auf dem ersten TANGERINE DREAM-Album mit Synthesizern.
Warte, das stimmt glaube ich nicht ganz. Der erste Moog den TANGERINE DREAM benutzten kam auf der LP „Zeit“, aber auf „Alpha Centauri“ hatten sie bereits die EMS-Synthies, ich glaube es war ein VCS-3 (Tatsächlich war der VCS-3 auf „Zeit“ erstmals vertreten – Anm. d. Redaktion). Mein Punkt ist der: Diese Jungs haben „kosmische“ Musik anfangs noch vollkommen ohne Synthesizer gemacht, als die dann aber aufkamen wussten sie: Das ist die Zukunft. Um zurück zu deiner Frage zu kommen, die tonalen Fehler der analogen Synthesizer erlauben es, ein quasi unendliches Klangspektrum zu bekommen. Hast du nur eine binäre Logik hinter dem Sound, wie im digitalen, kannst du den Sound modulieren, aber nicht quasi aus dem vorgegebenen Sound ausbrechen, darüber hinaus gehen. Ein künstlerischer Vorteil von analogen Synthesizern wenn man so will ist die tonale Instabilität, die Unvorhersehbarkeit, es ist dieser „menschliche“ Aspekt. Was du als Künstler tust, wann du wie welchen Knopf drehst ist spontan und keiner Logik unterzogen, der Sound entsteht im Moment. Es ist eine Kommunion vom Menschen mit dem Elektromagnetismus, quasi mit dem Universum selber wenn man so will. Es ist transzendental.
Morris: Wie wir erstmals daran gegangen sind, dachte ich eher an eine Mixtur aus Analog und Digital miteinander, die Möglichkeiten die wir heute haben und wie die zusammen spielen können, um etwas neues zu erschaffen, ist heutzutage echt bemerkenswert. Es ist möglich, den Rahmen digital zu kontrollieren, gleichzeitig ist aber immer noch dieses spontane Moment, von dem Paul gerade erzählt hat, gerade wegen den analogen Synthesizern gegeben.
metal.de: Ist das auch derselbe Ansatz, den ihr für die Aufnahme selber verwendet? Denn beim Aufnehmen auf Band muss das Material halt sitzen, die Option für Post-Produktion ist da nicht so bequem und gegeben wie mit digitalen Tools, was einen letztlich im Moment der Aufnahme dazu zwingt, mehr im „Moment“ zu sein und eine gute Performance liefern zu müssen. Keine Option, noch mal und noch mal und noch mal aufnehmen zu können, das Tempo am Grid anzupassen und so weiter, zumindest nicht unendlich oft bei Tape.
Paul: Ja, dazu kommt, jedes erneute Recorden auf dem Tape verschlechtert die Qualität etwas. Also möchte man ein Re-Recorden möglichst vermeiden. Als ich mit meinen ersten Bands angefangen habe gab es für mich überhaupt keine Möglichkeit, auf Tape aufzunehmen. Wir konnten im Keller vielleicht auf einen kleinen Tape-Recorder, einem Tascam, aufnehmen, aber Jeff und ich waren in einer Band 2011 wo wir auf Tape aufnahmen und direkt davor war ich in einer anderen Band die in demselben Studio auf Tape aufgenommen hat und das war auch das erste Mal, das ich in einem echten Studio war oder überhaupt eine analoge Tape-Maschine gesehen habe. Und seitdem bin ich darauf hängen geblieben. Ich will einfach nur auf Tape aufnehmen. Vielleicht ist es pure Nostalgie meinerseits, aber ich schwöre, es gibt einfach einen Vibe mit Tape-Aufnahmen, den du ohne einfach nicht hast. Und wie du schon sagtest zwingt es die Band dazu, tighter zu spielen, präziser zu sein und nicht den Luxus unzählige Spuren einzuspielen zu haben. Speziell heutzutage ist Tape auch so verdammt teuer geworden.
In den 1970ern war es anfänglich wahrscheinlich noch teurer in Deutschland, da die Technologie komplett neu war. Das zweite Album von QLUSTER wurde über das erste Album gespielt, da sie nicht mehr Tape hatten. Deswegen konnten viele alte Platten auch nicht remastert werden, weil sie nicht mehr als Kopie irgendwo existierten. Sie wurden verloren oder überspielt oder sind kaputt gegangen. Eines der Tapes auf die wir aufgenommen haben, genauer für den Bonustrack „Chronophagia“, wurde improvisiert und spontan aufgenommen und dann in der Post-Produktion verändert, also so wie die Pioniere es damals auch gemacht haben. Genau so wie wir hätten TANGERINE DREAM es damals auch gemacht in meiner Vorstellung.
Ein bisschen was gemeinsam rauchen, dabei die Tapes neu zusammenschneiden, Overdubs hinzufügen und so weiter. Das ist für mich der „wahre“ kreative Prozess. Das war aber nur der Bonustrack, nicht das Album. Aber das Tape stammte von Isaac, genauer von seinem Vater, der es seit den 80er Jahren einfach rumliegen hatte, ungenutzt. Die Idee stammte eigentlich noch von Zeiten zu „Hidden History History Of The Human Race„, aber wir haben uns so fokussiert darauf, das Album damals wirklich gut zu machen, dass wir die Idee und das Tape zurückgestellt und aufgespart haben. Denn das ist unsere Philosophie: Wir wollen neue Alben eigentlich mit frischen, neuem Tape starten (lacht). Aber wir hatten eben noch dieses alte, schon etwas „eingerostete“ Tape und „Chronophagia“ hat finde ich deswegen auch eine etwas dunklere Tonalität bekommen, da es einfach auf bereits gebrauchtem Tape eingespielt wurde.
Morris: Ich finde genau deswegen hört es sich an wie ein Song, der auch auf „Zeit“ stehen könnte.
Paul: Wir wollten dasselbe Feeling erreichen. Ich mein das ganze Album ist eine Homage an diese alte Zeit und an die Krautrock-Pioniere. Und für „Chronophagia“ war die Überlegung, das Stück aufzunehmen, wie die Bands es damals getan hätten, also improvisiert, noch einmal geändert, auf benutztem Equipment und natürlich analog aufgenommen. Leute wie Conny Planck hatten ein mobiles Studio, sie konnten NEU! aufnehmen, das erste KRAFTWERK-Album, für QLUSTER dann auf einer Farm in der Mitte vom Nirgendwo und so weiter. Dieser Geist der Improvisation und Spontanität ist etwas, was wir honorieren und weiterführen wollen.
Der Metal-Anteil von BLOOD INCANTATION hat das ebenfalls. „Inner Paths (To Outer Space)“ wurde genau in derselben Weise konzipiert und aufgenommen. Wir haben uns ein paar Pilze reingeschmissen, zusammen geprobt und gejammt. Dann sind wir auf Tour gegangen, kamen zurück und haben uns erneut dran gemacht. „Hey Morris, spiel noch mal dieses eine Riff, lass uns mal schauen, was wir damit noch so machen können“. Wir haben das auch schon auf dem vorausgegangenem Album „Starspawn“ so gemacht. Selbst auf dem Demo ist „Hovering Lifeless“ genauso entstanden. Also das hat bei uns immer schon eine Rolle gespielt. Und „Inner Paths“ war für uns einfach nur die logische Fortführung dieses Ansatzes, der für mich die zukünftigen BLOOD INCANTATION am besten widerspiegelt. Der Synthesizer-Anteil am Sound wird also nicht verschwinden, sondern eher zunehmen. Die Synthese aus Improvisation, progressiver Musik und rauem Death Metal ist das, was ich tun möchte in meinem Leben.
Galerie mit 20 Bildern: Blood Incantation performing Timewave Zero - Roadburn Festival 2024
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Band | |
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Stile | Ambient, Dark Ambient, Electro-Industrial, Experimental |
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Eines der interessantesten Reviews die ich hier jemals gelesen habe! :)) Es ist ein pures Vergnügen den Aussagen dieser geilen Band, zum Schaffensprozess ihrer Musik zu folgen.
„Selbst in der optischen Präsentation der Künstler. Guck dir mal Bandfotos von Black-Metal-Bands aus den 90ern an, viel Leder, lange Mäntel, Sonnenbrillen, das schreit förmlich Matrix“
Ganz ehrlich, ich habe dabei noch nie an Matrix gedacht. Ja, sie tragen alle schwarze Mäntel und solche Dinger, aber deswegen sehe ich da noch keinen direkten Zusaammenhang. Wahrscheinlich ist Batman der Vater aller BM Veteranen… ach ne, sind ja die Pandas. :))
„Das schlimmste ist, solche Art von elektronischer Musik wird heute so gut wie nicht mehr produziert.“
Dem kann ich nur widersprechen. Der Techno der 90er ist genau so tot wie der BM der 90er Jahre, aber gerade das Ambient Zeugs ist heutzutage sehr gefragt und es gibt tonnenweise Veröffentlichungen. ich glaube die Einflüsse dieser Band sind eher altgediegenen elektronischen Musikern zuzuschreiben. Mir scheint es, dass die Band da nicht wirklich up-to-date ist, daher werden in dem Artikel auch nahezu keine neuen, modernen Musiker minmalistischer, elektronischer Musik genannt. Hier gibt es sehr geile Sachen, auch heute noch.