Blind Guardian
Interview mit Hansi Kürsch zum 25-jährigen Band-Jubiläum

Interview

Blind Guardian

Als ihr dann wieder zurück wart, habt ihr angefangen an „Imaginations From The Other Side“ (1995) zu arbeiten, das für viele Fans – mich eingeschlossen – im Grunde das perfekte BLIND-GUARDIAN-Album darstellt. Kannst du das nachvollziehen oder siehst du das ganz anders?

Ich kann das generell nachvollziehen, bei jedem Album, egal ob man jetzt vom letzten sprechen würde oder vom ersten. Wir haben uns ja auch immer die gleiche Mühe gegeben. Unsere Qualitäten haben sich verändert und unsere Einstellung zur Musik hat sich auch ständig verändert. Von daher ist klar, dass man mal mehr den Zahn der Zeit trifft, mal ein bisschen weniger. Alle Alben haben ihre ganz besonderen Reize, die beim einen oder anderen dann dazu führen, dass für denjenigen immer ein anderes Album das beste ist. Aber es scheint so, dass wir mit „Imaginations From The Other Side“ und „Nightfall In Middle-Earth“ den Zahn der Zeit extremst getroffen hatten und die Erwartungen unserer Fans auch zu 100 Prozent erfüllt hatten.
Ich denke mal, das ist ein Entwicklungsprozess. Qualitativ kann man in meinen Augen bei keinem von unseren Alben sagen, dass da irgendwie mal geschludert worden wäre oder dass da eine Handvoll an Fillern auf einem Album wäre. So ist keines unserer Alben angelegt. Bei „Imaginations“ war es eben auch genau wie bei der „Tales From The Twilight World“ dieser extreme Enthusiasmus, der da war. Wir waren eine etablierte Band, die an dem, was sie gemacht hat, extrem viel Spaß hatte, und wenn eben Bestätigung von außen kommt, dann investiert man gerne noch mehr Zeit. Wir haben eigentlich alle Zeit, die wir hatten, und unser komplettes Dasein der Musik verschrieben, wenn man so will. Und ich glaube, das hört man auf dem Album einfach. Wir waren sehr geschmackssicher und haben da die Gunst der Stunde genutzt.
Es gibt bestimmte magische Momente, die kann man nicht erzwingen, die sind einfach da. Ich merke das immer wieder bei unserem Songwriting, vieles ist grundsätzlich sehr solide Handarbeit und in bestimmten Momenten entzieht sich so ein Song oder eine ganze Songwriting-Phase der eigenen Kontrolle. Man ist praktisch auch nur noch ein Teil des Ganzen und das war bei der „Imaginations“, glaube ich, spürbar. Und das macht sie zu so einem besonderen Album. Auch der Wechsel von Hamburg nach Dänemark zu Flemming Rasmussen hatte bestimmt einen gewissen Einfluss, aber die Songs sind alle in Krefeld entstanden. Und von daher glaube ich, dass der Hauptgrund für die Klasse des Albums tatsächlich in der Band zu suchen ist.

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Du sagst ja schon selbst, dass ihr noch nie halbgare Sachen gemacht habt. Das ist wohl auch der Perfektionismus, den man euch immer unterstellt und den ihr immer wieder aufs Neue bestätigt. Bei der „Imaginations“ sind aber im Aufnahmeprozess auch einige Sachen schiefgegangen. Ist euch da nicht sogar mal ein kompletter Refrain plötzlich verloren gegangen?

Ohja! Aber das hatten wir bei der „Nightfall In Middle-Earth“ auch. Das war bei „Mordred’s Song“. Da ist dann im Mix – damals hat man ja noch auf Bändern gearbeitet – das Hauptband gerissen. Glücklicherweise war das an einer Stelle, wo sich ein Refrain befand, so dass man das Band wieder fixieren und dann an dieser einen Stelle einen anderen Refrain einschneiden konnte. Wenn das in einer anderen Passage passiert wäre, wäre „Mordred’s Song“ nicht auf dem Album gelandet und wir hätten uns wahrscheinlich geärgert. Und dann wäre vielleicht alles anders gewesen, weil „Mordred’s Song“ ist nicht so unwichtig für die Platte.
Aber ansonsten ist bei der Platte fast alles reibungslos gelaufen. André (Olbrich, Gitarrist – Anm. d. Red.) hatte sich zwischenzeitlich einen Nerv im Ellenbogen eingeklemmt, was dazu führte, dass die Spielhand nicht mehr funktioniert hatte. Und das führte dazu, dass wir die Produktion unterbrechen und noch einmal nach Deutschland zurück mussten. In der Zwischenzeit haben wir dann aber „Bright Eyes“ fertiggestellt, was im Nachhinein für uns von Vorteil gewesen ist. Es war während der Produktion echt schlimm zu sehen, wie André eben immer größere Probleme hatte, die Sachen zu spielen. Man denkt dann natürlich erstmal, dass derjenige – also egal wer – gerade ein kleines psychisches Tief hat, was in diesem Fall nicht so gewesen ist, sondern es gab tatsächlich eben ein Problem im Arm.
André ist dann operiert worden und eine Zeitlang war nicht ganz klar, ob die Operation erfolgreich gewesen war. Es stellte sich zwar ziemlich schnell raus, dass er wieder hundertprozentig einsatzfähig werden würde, zu dem Zeitpunkt war es aber wirklich nicht klar, ob er in der Band bleiben könnte oder nicht. Es hätte alles auch anders laufen können. Das war also eine Sache, die noch schief gelaufen ist. Ansonsten gab es an und für sich die gleichen Probleme, die man bei jeder Platte hatte, aber die Arbeit mit Flemming hat einfach so viel Spaß gemacht. Wir waren wie gesagt so enthusiastisch damals, dass wir uns von den ganzen Sachen eigentlich überhaupt nicht beirren haben lassen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass an irgendeinem Punkt irgendwer mal skeptisch gewesen wäre, dass die Sache nicht gut ausgehen würde.
Das war bei der „Tales From The Twilight World“ übrigens ähnlich. Da hatten wir auch die Schlagzeugaufnahmen beendet und Thomen (Stauch, ex-Drummer – Anm. d. Red.) hatte schon im Vorfeld immer Blut gespuckt. Er ist dann direkt nach dem Ende der Schlagzeugaufnahmen nach Krefeld zurückgefahren, hat sich von einem Lungenarzt untersuchen lassen und musste dann auch an der Lunge operiert werden. Da gab es praktisch auch eine Parallele zur „Imaginations“, dass wir eine ganze Weile nicht wussten, ob Thomen in der Band bleiben könnte. Er musste immerhin zwei Monate im Krankenhaus bleiben und wir mussten dadurch eine Tour canceln. Das waren schon aufregende Zeiten, aber eigentlich immer überdeckt von dieser extremen Euphorie.

Es zeichnet eine erfolgreiche Band wohl auch aus, sich von solchen Rückschlägen nicht beirren zu lassen, sondern daraus immer auch gestärkt hervorzugehen.

Wir hatten bis jetzt aber immer auch ein glückliches Händchen, wir hatten immer das Happy-End auf unserer Seite. Wenn man da früh irgendwelche Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommt, wenn man ein Bandmitglied so verliert – da gibt es ja genügend andere Beispiele – kann einem das auch den Boden unter den Füßen wegziehen und dann hätte auch alles anders laufen können. Es ist wie bei jeder anderen Band auch, es ist immer so eine Kombination aus Können, Glück und Durchhaltevermögen.

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Als nächstes habt ihr mit „Nightfall In Middle-Earth“ (1998) ein Konzeptalbum über J. R. R. Tolkiens „Silmarillion“ gemacht. Worin liegt für dich persönlich der besondere Reiz von Tolkien und seinen Büchern? Was macht die so viel spannender für so ein Konzeptalbum als beispielsweise Stephen King, über dessen Bücher du ja auch schon viele Liedtexte geschrieben hast?

Gerade Stephen Kings „The Dark Tower“ wäre eigentlich auch konzeptionell eine schöne Sache. Das könnte man genauso angehen, da würde ich gar keine großen Unterschiede sehen. Es sprach damals praktisch bloß die Musik eher eine Tolkien-Sprache als eine Stephen-King-Sprache. Das wäre bei mir generell der Hauptgrund, an Tolkien-Themen heranzugehen. Wenn man eine musikalische Vorlage hat, die schon stark in diese Richtung tendiert, liegt es auf der Hand, auch in solche Themen abzudriften. Es war bei der „Nightfall“ relativ früh absehbar, dass es in diese Richtung gehen würde. Ich hatte auch noch ein keltisches Konzept in Richtung der Arthus-Sage und ein germanisches Konzept in Richtung der Rheingold-Sage. Aber wir haben uns relativ schnell für die Tolkien-Geschichte entschieden. Tolkien kann sehr komplex sein und kann auch sehr differenziert betrachtet werden. Man ist da nicht so sehr ans Storytelling gebunden, das finde ich persönlich sehr wichtig. Man kann im Grunde genommen ein bisschen hin und her springen. Dadurch kann man persönlicher arbeiten als bei vielen anderen Fantasy-Autoren und deswegen fand ich Tolkien immer sehr passend.

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Dann kam mit „A Night At The Opera“ (2002) euer Bombast-Album schlechthin. Habt ihr da rückblickend den Eindruck, dass ihr es an manchen Stellen vielleicht doch ein wenig übertrieben habt mit der Anzahl an verschiedenen Spuren?

Nee, aber wir haben die Diskussion mitbekommen, dass es Leute gibt, die das so empfinden. Wir sind da immer wieder in uns selbst gegangen und haben versucht herauszufinden, ob man Sachen besser machen kann – das war ja auch einer der Gründe, warum wir jetzt „And Then There Was Silence“ nochmal aufgenommen haben. Wir mussten dabei aber auch wieder feststellen, dass an und für sich alles, so wie es 2001/2002 aufgenommen wurde, nicht ohne Grund passiert ist. Für uns ist es so, dass wir nach wie vor hinter dem Album stehen, auch so wie es passiert ist. Wir versuchen im Laufe des Jahres dieses Album noch einmal zu remixen, um vielleicht auch so ein Aha-Erlebnis bei den Leuten hervorzurufen, wie du es mit den älteren Geschichten auf „Memories Of A Time To Come“ erlebt hast, wenn man vielleicht dieses komplexe Thema etwas offener angeht.
Ich glaube, dass teilweise die Komplexität dadurch entsteht, dass wir keine roten Linien für den Hörer eingebaut haben. Das haben wir dann bei „A Twist In The Myth“ und vor allem bei „At The Edge Of Time“ versucht zu beherzigen und da ist es uns auch ganz gut gelungen, glaube ich, so dass der Zugang ein bisschen einfacher wird. Ich könnte mir vorstellen, dass man das bei „A Night At The Opera“ jetzt im Nachhinein nochmal versucht zu justieren. Aber was die grundsätzliche Ausrichtung von dem Album angeht, war die absolut notwendig, weil die Songs tatsächlich so komponiert gewesen sind.

Ich selbst bin bei „A Night In The Opera“ immer ziemlich erstaunt, wenn ich einzelne Lieder davon höre, wie gut die eigentlich sind. Wenn ich aber das komplette Album am Stück höre, funktioniert es für mich irgendwie nicht so ganz.

Mal sehen, wenn wir jetzt die Sachen nochmal remixen, ob man den Eindruck ein bisschen verändern kann. Wir haben letzte Woche in „The Maiden And The Minstrel Knight“ reingehört. Das ist von der Präzision, die wir da an den Tag gelegt haben, mit Abstand das ambitionierteste und eigentlich auch bestgelungene Album. Nur irgendwo ist anscheinend irgendwas auf der Strecke geblieben, weil wenn so viele Leute der Meinung sind, dass die Komplexität alles andere übertüncht, dann mag da durchaus irgendwo noch was im Argen sein. Und vielleicht können wir das durch den Remix etwas gerade biegen. Ich sehe es ähnlich, wenn ich einzelne Songs höre, dann bin ich immer wieder überrascht, was für Ideen wir da hatten und wie schlüssig die Songs auch in sich sind. Aber wenn ich tatsächlich dann beim siebten oder achten Song angekommen bin, ist es mir auch zuviel.

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Ihr habt dann euer „Live“-Album (2003) aufgenommen und später das große „Blind Guardian Open Air“ in Coburg veranstaltet. Ich muss gestehen, dass ich euch da auch zum ersten Mal live gesehen habe.

Besser spät als nie! Aber wenn du erst um die Jahrtausendwende eingestiegen bist, dann war es ja auch gar nicht so spät. Dieses Festival war unfassbar. Das war ein Glückstreffer was die Location anging, was das Wochenende anging, was die Idee mit den zwei unterschiedlichen Sets anging, was die Bands, die wir eingeladen haben, anging – da hat wirklich alles gepasst. Es war eine rundum gelungene Sache, die uns aber sehr viel Zeit gekostet hatte, deswegen haben wir es bis jetzt auch noch nicht wiederholt, was aber nicht heißt, dass es nicht doch irgendwann nochmal passiert. Wir brauchen nur einen würdigen Aufhänger und dementsprechend viel Zeit, um die Sache dann auch wieder so pompös und gut detailliert durchzuplanen.
Das war mehr oder weniger der Abschluss der „A Night At The Opera“-Tour, die zu dem Zeitpunkt die erfolgreichste Tour gewesen ist, die wir gespielt hatten. Das war schon einer der krönenden Abschlüsse. Wacken war auch super, aber Coburg fand ich ehrlich gesagt damals noch ein bisschen erhebender. Was allerdings im Nachhinein für uns echt schwierig war, war die Kosten zu kalkulieren, die da aufgrund der örtlichen Gegebenheiten entstanden sind. Da mussten wir viel Lehrgeld bezahlen. Man muss sagen, wir hatten damals schon viele Leute da, aber es wären mit Sicherheit noch mehr gewesen. Nur war zum damaligen Zeitpunkt dann klar, dass OZZY OSBOURNE, IRON MAIDEN und METALLICA bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ spielen würden. Die sind praktisch einen Monat nachdem wir unser Festival announced hatten erst angekündigt worden. Das hat natürlich auch den ein oder anderen davon abgehalten, zu uns zu kommen. Ich denke, es hätten sogar doppelt so viele Leute werden können, dann wäre es für uns natürlich ein sehr erfolgreiches Unterfangen gewesen.

Ihr habt ja schon Andeutungen in die Richtung gemacht, dass euer lange geplantes Orchester-Album der perfekte Aufhänger für eine Wiederholung des Festivals wäre.

Das sehe ich auch nach wie vor so. Ich glaube zum einen, dass wir wenige Möglichkeiten haben werden, mit diesem Orchesterprojekt live zu spielen. Dann hat man natürlich, wenn man ein Orchester vor Ort hat und die technischen Gegebenheiten eh schon geschaffen hat, auch mal die Möglichkeit einen „Classic-Rock-Blind Guardian-Abend“ zu machen, also tatsächlich auch noch unser reguläres Set mit Orchester zu verfeinern. Und man kann natürlich auch ein klassisches Best-Of-Set spielen, so dass wir Material für drei Abende hätten und die Leute dann tatsächlich auch dreimal was anderes geboten bekommen würden.

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Das wäre eine großartige Sache!

Ja, super, aber auch schwierig. Ich bewundere RAGE, die in Wacken mit Orchester gespielt haben. Es ist nicht so einfach, das technisch hinzukriegen, dass man ein Orchester auf die Bühne stellt, das sich hört, die Band performt und das Orchester dann auch noch wohltemperiert ist – das hängt auch ein bisschen mit Glück zusammen. Aber da muss man halt ein bisschen dran arbeiten.

So lange ihr es nicht so macht wie MANOWAR 2005 beim „Earthshaker Festival“, die ihr Orchester nur Playback haben spielen lassen…

Gut, da wären sie aber nicht die einzigen. Ich weiß, dass RAGE dieses Unterfangen wirklich gewagt haben, in Wacken mit einem echten Orchester auch live zu spielen, aber das machen die meisten nicht. Da sind MANOWAR wirklich nicht alleine, aber das will ich für uns auch vermeiden.

Ich muss da immer auch dran denken, wie ich HAGGARD bereits auf Festivals gesehen habe, die alleine ihren Soundcheck immer ewig überziehen mussten, um überhaupt die ganzen klassischen Instrumente aufeinander einzustimmen.

Vor allen Dingen braucht da bloß mal ein Windzug zu kommen… Du schaffst es ja noch nicht einmal, in einer regulären Konzerthalle Verhältnisse zu schaffen, die es möglich machen, ein Orchester mitzuschleppen. Sobald da ein bisschen zuviel Luftfeuchtigkeit ist oder die Temperatur dann doch schwankt – und das ist einfach so, wenn das Licht angeht – dann hat man eigentlich ein verstimmtes Orchester. Aber RAGE haben das alles irgendwie in den Griff gekriegt und wir haben ja ein enges Verhältnis zu Victor (Smolski, RAGE-Gitarrist – Anm. d. Red.), deswegen werden wir uns dann, wenn es soweit ist, kurzschließen. Mittlerweile gibt es auch einige, die das können. Da ja diese Kooperationen immer häufiger auftreten, werden sich da auch Klassiker Gedanken drüber gemacht haben, wie man das in den Griff bekommt. Tarja (Turunen, ex-NIGHTWISH-Sängerin – Anm. d. Red.) ist zum Beispiel auch jemand, der häufig mit einem Orchester auftritt – und dann spielt das Orchester da auch. Aber es bleibt eine schwierige Sache.

 

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13.02.2012

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