Blind Guardian
Interview mit Hansi Kürsch zum 25-jährigen Band-Jubiläum

Interview

Blind Guardian

Verstehe. Wenn wir nun aber schon euer Jubiläum feiern, müssen wir auch ein wenig auf die Bandgeschichte zurückblicken. Erinnerst du dich noch an eure Anfangstage, als ihr für euer Debütalbum („Battalions Of Fear“, 1988) im Studio standet?

Da kann ich mich recht gut dran erinnern. Ich kann mich auch noch an die Demo-Aufnahmen für LUCIFER’S HERITAGE erinnern. Bei den Aufnahmen zu „Battalions“ war es dann so, dass wir ein Zeitfenster von 20 Tagen hatten, was für die damaligen Verhältnisse schon extrem viel gewesen ist, so dass wir das natürlich auch als puren Luxus empfunden haben. Wir sind ins „Karo Studio“ nach Münster gegangen und waren eigentlich guter Dinge, dass wir die 20 Tage gar nicht komplett brauchen würden. Dem war natürlich nicht so. Wir sind dann schon drei oder vier Tage länger geblieben als wir eigentlich bleiben durften, was das Produktions-Budget etwas überstrapaziert hatte und für unsere damalige Plattenfirma wiederum ein bisschen kritisch war.
Kalle Trapp war für uns der absolute Produzenten-Guru, er hat uns echt supergeil durch die Produktion geführt. Aber wir mussten doch erkennen, dass wir auf dem Weg an die Spitze, was die Professionalität an unseren Instrumenten anging, noch einiges zu lernen hatten. Auf der anderen Seite hatten wir ein extremes Selbstvertrauen und waren echt felsenfest davon überzeugt, dass wir mit dem Album direkt zur absoluten Top-Spitze der Metal-Bands in Europa oder sogar der ganzen Welt aufsteigen würden. Für uns gab’s nix besseres! Und da hat man dann auch so gelebt. Wir waren zwar wirklich sehr fannah von Anfang an – und hatten von Anfang an auch Fans, das war ziemlich geil! – aber waren hundertprozentig davon überzeugt, dass wir recht schnell an die Spitze stoßen würden.
Im Studio selbst waren wir eigentlich vier Typen, die auf Klassenfahrt waren, wenn man so will. Ich hatte damals eine Lehrstelle anfangen müssen und musste morgens immer mit dem Zug von Münster nach Krefeld fahren. Das war damals noch eine extreme Tortur, weil da doch zwei oder drei Zugverbindungen nötig gewesen sind, so dass ich dann immer um 8 Uhr entweder im Betrieb oder in der Schule angekommen und während der Arbeitszeit immer eingeschlafen bin.

Was mir zu „Battalions Of Fear“ einfällt, ist, dass da mit dem Titeltrack quasi euer politischster Song überhaupt drauf ist.

Wir hatten zwischenzeitlich immer mal wieder Sachen, die politisch waren, aber „Battalions“ ist sicherlich von den Songs, die wir gemacht haben, im Bezug auf den Text der „punkigste“. Das war ein klares Statement, passte auch in die damalige Zeit, da muss ich mich auch nach wie vor nicht für verstecken. Aber hätte man auch besser machen können, wenn ich ehrlich bin.

Gut, das kann man… meistens, immer eigentlich…

Ja, kann man meistens immer, genau! (lacht) Aber damals war die textliche Ausrichtung eigentlich noch weniger klar als bei den späteren Alben, so dass wir da auch noch wesentlich unbefangener rangegangen sind. Und dann kommt auch mal ein politischer Text zustande. Wir hatten nachher immer mal wieder solche Ansätze. „Theatre Of Pain“ ist zum Beispiel ein Versuch, einen Song zu schreiben, der von der Zerstörung der Natur kundet. Es gab immer mal wieder diese Versuche, aber die sind meistens ignoriert oder überhaupt nicht wahrgenommen worden. Das war eigentlich bei allen Alben so, dass sich die Leute meistens immer nur auf die Fantasy-Themen gestürzt haben, was vielleicht auch besser zur Musik gepasst hat.

Ich glaube, ihr habt es halt textlich auch selten so offensichtlich auf den Punkt gebracht wie bei „Battalions“.

Ja, aber das ist ja bei den Fantasy-Sachen häufig auch so, dass die gar nicht so extrem auf den Punkt sind und auch gar nicht so – wie soll man sagen? – plastisch, sondern ein bisschen differenzierter. Und das ist den Leuten ja meistens auch nicht so aufgefallen.

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Wir hatten vorher schon einmal kurz Kai Hansen erwähnt. Als es dann mit „Follow The Blind“ (1989) bei euch weiterging, dürfte er eine ziemlich wichtige Rolle gespielt haben. Wie kam der Kontakt zustande und wie war es dann, mit einer Szene-Berühmtheit wie Kai zusammenzuarbeiten?

Kai war für uns auf jeden Fall eine absolute Berühmtheit und aufgrund der davor erschienenen HELLOWEEN-Alben eines unserer großen Vorbilder. Der Kontakt kam zustande über Kalle Trapp. Kai hatte HELLOWEEN gerade verlassen, wir waren eben dabei, dieses Album aufzunehmen, und haben dann irgendwann in der Küche ein bisschen herumgeträumt, mit wem man gerne zusammenarbeiten würde. Und dann fiel bei uns der Name Kai Hansen und Kalle sagte: „Den kenn ich doch! Mit dem bin ich gut befreundet, den kann ich einladen. Wenn ihr den mal kennenlernen wollt, dann kommt der ins Studio.“
Und dann kam Kai ins Studio und wir waren dreist genug zu fragen, ob er nicht in „Hall Of The King“ ein Gitarren-Solo spielen wollte. Das hat er auch gemacht. Wir haben dann die anderen Songs durchgehört, „Valhalla“ hat ihm am besten gefallen und dann hat er sich selbst direkt angeboten, das Solo zu spielen und auch den Pre-Chorus zu singen, was für uns natürlich obergenial gewesen ist. Ich glaube auch, dass der Erfolg von „Follow The Blind“ zu großen Teilen darauf zurückzuführen ist, dass Kai auf dem Album für uns praktisch mit Promotion gemacht hat.

Solches Namedropping wird heutzutage vielerorts ja noch wesentlich exzessiver betrieben…

Ich muss auch sagen, dass es für uns nicht der erste Gedanke gewesen ist, damit ein Promo-Tool zu haben, sondern es stand tatsächlich die Kooperation an sich im Vordergrund. Es war für uns natürlich eine Art sehr früher Ritterschlag, dass eine Größe wie Kai Hansen mit uns Musik machte. Im zweiten Ansatz wurde uns dann klar, dass das natürlich auch für die Presse und für die Fans da draußen vielleicht ein Grund ist, sich dieses Album zuzulegen.

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Den vielleicht größten Schritt eurer Karriere habt ihr aber mit „Tales From The Twilight World“ (1990) gemacht. Da klang alles noch eine ganze Ecke toller und reifer und die Scheibe gilt heute zurecht als der erste Klassiker in eurem Backkatalog. War euch damals schon klar, was ihr mit der Scheibe erreichen könnt?

Wir haben zumindest gewusst, dass wir mit der Scheibe einen Qualitätssprung gemacht hatten, jeder einzelne in der Band. Ich glaube, dass tatsächlich die Zusammenarbeit mit Kai da ein echter Motivationsschub gewesen ist. Aber auch unsere komplette mentale Ausrichtung damals war zum einen komplett darauf ausgelegt, dass wir uns noch mehr aufs Songwriting konzentrieren. Und für uns alle war zu dem Zeitpunkt klar, wir können als professionelle Musiker bestehen und haben wirklich das Potential, eine international erfolgreiche Band zu werden. Mit der „Follow The Blind“ war es so, dass wir Deutschland auf jeden Fall als Metal-Eck für uns erschlossen hatten, und in einigen anderen Ländern fingen die Fans an zu zucken. Man hatte erste Kontakte nach Japan und ins benachbarte europäische Ausland.
Und das alles war tatsächlich für uns der entscheidende Kick, nochmal 100 Prozent mehr in die Musik reinzugeben, als wir es vorher schon getan hatten. Wir hatten dann auch – was vielleicht auch ein Grund gewesen ist – zum ersten Mal mit unserem eigenen Studio-Equipment arbeiten können. Wir hatten uns damals eine Aufnahme-Maschine geholt, mit der wir sehr viel herumexperimentiert haben. Wir waren auch immernoch extrem tief in der Szene drin. Es gab eine Menge Musik, die uns beeinflusst hatte, von irgendwelchen amerikanischen Thrash-Bands über die alten Heroen bis hin zu nicht-metalstämmigen Sachen wie QUEEN zum Beispiel, die wieder eine Rolle gespielt haben. Das alles führte dazu, dass das Songwriting extrem einfach von der Hand ging und wir in relativ kurzer Zeit dieses Album fertig hatten. Wir waren uns auch schon relativ früh darüber bewusst, dass da nochmal ein Quantensprung vorgenommen worden ist im Vergleich zu dem, was wir davor gemacht hatten.

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Den Nachfolger, „Somewhere Far Beyond“ (1992), halte ich für absolut großartig und liebe die Scheibe total, aber im Allgemeinen geht die Scheibe in eurer Diskographie fast ein wenig unter.

Das ging mir genauso. Für mich war die Scheibe nie besonders wichtig, wegen „Tales From The Twilight World“ und wegen den Alben nach der „Somewhere“, weil die einfach so übermächtig gewesen sind. Und das obwohl „Somewhere“ zum Beispiel unser erstes Nummer-Eins-Album gewesen ist. Das war eigentlich das Album, was in Japan für uns den absoluten Durchbruch bedeutet hatte. Das war auch das erste Mal, dass wir da dann touren durften. Und es beinhaltet den „Bard’s Song“. Also eigentlich alles Sachen, die für das Album sprechen. Aber ich hätte auch immer gesagt: Es ist ein gutes Album, da muss man sich nicht für verstecken, aber es steht in der Tradition von „Tales From The Twilight World“ und ich würde dieses erstmal als noch wichtiger und noch stärker bezeichnen. Wichtiger war „Tales“ – ich glaube schon, dass man das immernoch sagen kann – aber stärker ist eindeutig „Somewhere“. Das war mir lange nicht bewusst.

Als ich damals – das dürfte um 2000 herum gewesen sein – über einen Kumpel auf BLIND GUARDIAN (und dadurch überhaupt erst zur Metal-Szene) gekommen bin, war die „Somewhere“ das erste Album, das mich richtig überzeugt hat. Inzwischen halte ich zwar die „Imaginations From The Other Side“ für wesentlich besser, aber „Somewhere Far Beyond“ war für mich definitiv die Einstiegsdroge.

Ja, für Frederik (Ehmke, Drummer – Anm. d. Red.) auch. Das war auch ein Grund, warum wir auf die Best-Of jetzt schlussendlich drei Nummern von der „Somewhere“ draufgepackt haben. Klar, der „Bard’s Song“ ist relativ kurz und irgendwie kann man die beiden Teile auch als ein Stück bewerten. Aber Frederik meinte schon immer, es wäre auch sein Einstieg in BLIND GUARDIAN gewesen und für ihn wäre es immernoch die beste oder eine der besten Scheiben. Ich war da immer so ein bisschen befremdet, aber nachdem ich dann jetzt die Chance hatte, nochmal an den Sachen zu arbeiten, muss ich schon sagen, ich kann es verstehen.

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Mit „Tokyo Tales“ (1993) habt ihr dann schon euer erste Live-Album herausgebracht. Japan muss für euch damals ein absoluter Kulturschock gewesen sein, oder?

Ja, absolut. André und ich sind im Juli 1992 erstmalig zwei Wochen lang in Japan auf Promo-Tour gewesen und das war der Mega-Kulturschock. Damals gab es eben noch nicht an jeder Ecke irgendwelche Sushi-Läden und überhaupt japanisch zu essen war etwas, was sich der Normal-Europäer nicht vorstellen konnte. Die ganze Mentalität, die ganze Hektik, das war so anders. Es gab niemanden, der in Japan Englisch sprechen konnte, außer den Leuten, die entweder für die Magazine oder für die Plattenfirmen gearbeitet haben. Man war in einer vollkommen anderen Welt und wenn man sich ein Bild machen will, wie es ungefähr gewesen ist, kann man sich den Film „Lost In Translation“ angucken. Der gibt eigentlich genau das wieder, was ich in den ersten fünf Jahren immer empfunden habe, wenn wir in Japan spielen durften. Das ist eigentlich so surrealistisch-abgefahren, dass man aus dem Schmunzeln und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.
Hinzu kam, dass ich aufgrund der ständigen Erdbewegungen dort die ersten fünf Jahre jede Nacht die brutalsten Alpträume hatte, die man sich vorstellen kann. Also wirklich mega-ultra-brutale Alpträume. Und die hab ich wirklich nur da gehabt und auch nur in dieser Phase, weil da die Eindrücke einfach so anders waren als irgendwo sonst auf diesem Planeten. Diese Zeit kann man nicht zurückholen. Es war wirklich so, dass man als Europäer noch ein absoluter Exot gewesen ist. Es gab wenig Tourismus. Klar, es gab die amerikanischen Soldaten, die dort rumgerannt sind, aber die haben immer schon eine Sonderstellung gehabt. Ansonsten gab es praktisch nur Musiker und Künstler, die überhaupt einmal den Trip nach Japan gewagt haben oder die Chance hatten, da hinzukommen. Und dementsprechend anders war alles.
Das hat sich dann in den darauffolgenden Jahren doch ein bisschen normalisiert und die letzten drei, vier Male, die wir da gewesen sind, war es immernoch besonders, aber doch schon westlicher orientiert. Spätestens nach der Fussball-Weltmeisterschaft (2002 in Japan und Südkorea – Anm. d. Red.) hat sich da dann doch etwas geändert und alles sich ein bisschen angenähert. Und mittlerweile kriegt man überall japanisches Essen, auch das ist dann dort nicht mehr so überraschend, obwohl immernoch überragend. Ja, es ist schon ganz besonders in Japan.

Gerade in den Neunzigern war Japan auch DIE Hochburg für europäische Power-Metal-Bands.

Das stimmt, aber wir hatten auch immer ein gutes Standing in Europa, deswegen war es für uns nur EIN Riesenmarkt, den wir gerne mitgenommen haben. Wir sind logischerweise den Japanern auch extrem dankbar. Aber für uns war es nicht so wichtig wie für andere Power-Metal-Bands, die praktisch ihr überleben dort sichern mussten.

 

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13.02.2012

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