Blind Guardian
"Im Heavy Metal ist noch längst nicht alles gesagt" - Interview mit André Olbrich zu "Beyond The Red Mirror"

Interview

Mit „Beyond The Red Mirror“ wird ein konzeptioneller Bezug zu der „Imaginations From The Other Side“ hergestellt. Den Umfang dieser Rückkehr zu dem zwanzig Jahre alten Klassiker beschränkt André allerdings auf den lyrischen Bereich. „Musikalisch haben wir eigentlich von allen letzten Alben ein paar Elemente drin – die ersten Stücke, die wir geschrieben haben, waren sehr unterschiedlich von der gesamten Stimmung, dem Gefühl her. Da hat Hansi (Kürsch, Amn. der Red.) gedacht, es wäre gar nicht schlecht, wenn man eine Geschichte schreiben würde, die verschiedene Dimensionen beinhaltet. Dann ist ihm eingefallen, dass er sowas ja vor zwanzig Jahren schonmal gemacht hat: Er ist dann zurückgegangen zu der Story, die er damals auch selbst geschrieben hatte – denn die ist ja offen geblieben, man konnte also daran anknüpfen. In „Bright Eyes“ endet die Geschichte mit einem kleinen Jungen, der vor einer Entscheidung steht und es wird nicht erwähnt, welche Entscheidung dieser Junge trifft: Auf dem „Beyond The Red Mirror“ wird dann so angeknüpft, dass der Junge letztlich die falsche Entscheidung getroffen hat.“ Die Einflüsse der vergangenen Alben sind tatsächlich deutlich herauszuhören. Welche es genau sind fasst André detailliert zusammen und liefert gleich eine Analyse der Problematik eines großen Orchestereinsatzes mit: „Wir haben auf „Beyond The Red Mirror“ ein paar Sachen aus unseren vergangenen Alben aufgegriffen und versucht, diese noch ein Stück besser zu machen. Wir arbeiten ja schon länger an der Verknüpfung von Orchester und Metalband. Das geht weit in der Tradition von BLIND GUARDIAN zurück – „Theatre Of Pain“ waren die Anfänge, „And Then There Was Silence“ war dann das erste große Ding und auf dem letzten Album hatten wir zum Beispiel „Wheel Of Time“: Ich hatte immer das Gefühl, da ist noch Platz nach oben. Die Problematik, die sich bisher immer ergeben hat ist, dass der Metalsound von der Lautstärke relativ gleichbleibend ist – allein durch die verzerrten Gitarren ist man in der Dynamik eingeschränkt. Ein Orchester hingegen muss „atmen“, es muss sich bei einem Stück von Anfang bis Ende aufbauen und kann immer lauter werden. Das kann man als Metalband ganz schnell kaputt hämmern. Diesem Problem wollte ich mich stellen, das geht aber nur, wenn man schon im Songwriting das Orchester mit reinschreibt. Man muss also Platz lassen für die Gitarren, damit sich eine Dynamik aufbauen kann. Wir haben viele Experimente gemacht um uns langsam anzunähern: „At The Edge Of Time“ war der erste Song, den wir geschrieben haben – und da wollte ich einmal probieren, wie das ist, wenn man das Orchester zuerst aufnimmt. Ein Orchester hat ein ganz anderes Timing als eine Metalband – durch die Doublebass immer eher gerade, ein Orchester „schwankt“ schonmal. Dieses lebendige Elemente wollte ich gern beibehalten – deswegen haben wir unsere Parts hier nachträglich eingespielt. Das war echt schwierig, da sich bei einem Orchester nicht nur ständig das Timing, sondern auch das Tuning verändert. Alles war sehr aufwändig, aber wir sind bis zum Schluss die Unterstützung des Orchesters geblieben, wir haben Wert darauf gelegt, das Orchester als Metalband zu unterstützen – das ist eine komplett andere Nummer als unsere bisherige Vorgehensweise.“

Und eine sehr gelungene dazu, ist „At The Edge Of Time“ vielleicht das große Highlight dieser Veröffentlichung. Aber sind dennoch sehr unterschiedliche Stücke auf „Beyond The Red Mirror“, insbesondere, was das Verhältnis von Orchester zu Metalanteilen angeht: „Aus der Erfahrung von „The Edge Of Time“ heraus haben wir dann die folgenden Nummer wieder andersherum aufgenommen, aber eben mit mehr „Luft“ für das Orchester, und ich denke, dass das insbesondere bei „The Throne“ und bei „Grande Parade“ gut gelungen ist. Gerade bei „Grande Parade“ habe ich das Gefühl, dass sich da langsam was aufbaut, bis hin zum großen Finale, deshalb bin ich mit der Nummer auch ganz besonders zufrieden. Völlig zu Recht, kann man da nur einwerfen…

„Beyond The Red Mirror“ ist insgesamt sehr facettenreich geworden – und sicherlich ein neuer, großer Schritt für BLIND GUARDIAN. Diese Entwicklung beschreibt André als eher emotionale Angelegenheit: „Eigentlich hatten wir keinen festen Plan, wir haben das Ganze nicht vorher im Kopf durchdacht – das Meiste ist aus dem Bauch, aus dem Gefühl, heraus entstanden. Wir haben wirklich nach neuen Ideen gesucht, das hat lange gedauert, aber wir haben nicht aufgegeben. Wir haben natürlich auch nach Ansätzen gesucht, die uns noch „kicken“ – insbesondere nach all dem, was wir schon gemacht haben. Wir haben unsere Ideen dann konsequent verfolgt und in den Vordergrund gearbeitet – wie zum Beispiel bei „The Ninth Wave“. Dort sind eine Menge überraschende Effekte drin, aber trotzdem ist es unverkennbar BLIND GUARDIAN: Man hätte das auch alles anders produzieren können, diesen soundtrackhaften Charakter hätte man auch glätten können: Aber das wollten wir eben nicht.“ Was allerdings unverkennbar ist, ist der progressive Anstrich von „Beyond The Red Mirror“ – hier sieht André das Ende der Fahnenstange für BLIND GUARDIAN auch noch nicht erreicht:  „Es ist schon immer Teil meiner Philosophie gewesen, dass beim Heavy Metal noch längst nicht alles gesagt ist – obwohl er schon mehrfach für tot erklärt worden ist. Da ist noch viel Luft nach oben. Schon früher, als ich Alben von anderen Bands gehört habe, wie zum Beispiel QUEENSRYCHEs „Operation Mindcrime“, habe ich gedacht: Wenn das erstmal richtig zündet,  wenn man da noch weiter geht, dann kommt da noch einiges bei raus. Leider ist dies in der gesamten Metal-Szene dann nicht so richtig passiert – man hat wieder angefangen rückwärts zu gucken. Aber wenn ich so auf die Kreativität in unserer Band schaue, dann habe ich keine Sorge, dass da auch noch andere viele interessante Sachen kommen können.“

Vielleicht eine logische Konsequenz, wenn man bereits zehn Jahre und fast dreißig Jahre Bandgeschichte auf dem Buckel hat – aber ist man da bei der Neuveröffentlichung eines Albums eigentlich noch nervös oder kann man da befreit aufspielen? „Gerade am Anfang unserer Karriere haben wir sehr frei aufgespielt. Da gab es keinen Druck oder keine Erwartungshaltung –  da waren wir noch richtige Partylöwen. Inzwischen ist natürlich auch unser eigener Anspruch stark gewachsen, wir sind deutlich kritischer mit uns und unser Geschmack hat sich natürlich auch verändert.“

Und gerade geschmackliche Offenheit ist ja eine gute Inspiration: „Musikalisch bin ich offen für alles, was ich als qualitativ gut empfinde. Da kommt es überhaupt nicht aufs Genre an – Musik jeder Richtung, aber sie muss gut gemacht sein.“ Die Entwicklung eines Albums legt André dann auch sehr plastisch dar: „Das meiste im Songwriting spielt sich zwischen Hansi und mir ab. Wir sind ein eingespieltes Team und tauschen uns toll aus – wir können uns im Arbeitsprozess tief in einen Song fallen lassen. Wir vertrauen dabei nur unserer eigenen Meinung und lassen, bevor der Song nicht ausgereift ist, auch keinen dazwischen. Da sind wir sehr konsequent geworden, weil wir auch von niemandem irritiert werden wollen. Es muss also was rauskommen, wo wir uns sicher sind. Wir stimmen natürlich auch nicht immer überein, wir haben auch unterschiedliche Ansichten, verschiedene Geschmäcker, aber da wo es zusammenkommt, da wo die Schnittmenge ist, da sind wir sicher, dass es auch anderen Leuten gefällt. Das dritte Qualitätssiegel ist dann unser Produzent Charlie Bauerfeind, mit dem wir dann alles auch nochmal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Was ist produktionstechnisch möglich, welche Sachen harmonieren gut miteinander, wo sind wir zu weit abgedriftet – auf Charlies Meinung legen wir da viel wert. Drumherum haben wir dann das ganze Team, die so in die Materie eingewiesen werden, dass etwas Gutes rauskommt.“

Und welche Reaktionen erwartet man bei so einem Release? Ist man da nervös? André gibt sich recht entspannt: „Nervös bin ich eigentlich nicht, denn ich habe meine innere Ruhe immer direkt nach dem Mix gefunden. Der Mix ist nicht beendet, bevor ich nicht 100% zufrieden bin – und ich fasse ein Album dann auch nicht mehr an – zu diesem Zeitpunkt habe ich dann alles getan. Trotzdem bin ich natürlich gespannt auf die Reaktionen, insbesondere der Leute, die BLIND GUARDIAN schon seit vielen Jahren hören. Da hat es ja in der Vergangenheit schon die unterschiedlichsten Reaktionen gegeben. Ich freue mich natürlich, wenn die Fans das Album annehmen und genießen können – und auch wenn es Nörgler gibt, im Internet oder so, dann lasse ich mich davon nicht irritieren, ich freue mich mehr über diejenigen, die das Album dann wirklich genießen können.“

Insbesondere der Stellenwert von BLIND GUARDIAN innerhalb der Metalszene ist besonders – so ziemlich jeder kennt mindestens einen Song der Truppe und sei es „The Bard´s Song“. Warum dies so ist kann auch André nicht abschließend ergründen, hat aber einen Gedankenansatz: „Ich denke, weil wir sehr unabhängig sind – man kann uns schwer kategorisieren. Eine Schublade reicht ja nicht aus, für die Facetten, die wir im Laufe der Zeit schon gemacht haben, das merken die Leute. Zudem sprechen wir auch immer die nächste Generation an mit unseren neuen Alben. Das ist uns auch schon aufgefallen, das sehen wir auf unseren Tourneen – in den ersten Reihen stehen 16-25jährige und das war noch nie anders. Genreübergreigfend haben wir vielleicht auch einen Vorteil durch die Fantasy-Lyrics, dadurch haben wir auch Zugang zu den Rollenspielerkreisen, aber warum uns nun auch Death Metaller und Gothic-Fans hören kann ich im Detail nicht erklären: Vielleicht wirklich, weil wir so „übergreifend“ sind.“ Eine Kategorisierung fällt tatsächlich nicht leicht: „Ich habe neulich mit Hansi ein Gespräch über diese Einordnung  gehabt, wir werden auf unserer Facebookseite ja auch als Power Metalband-irgendwas gehandelt, aber so sehen wir uns eigentlich gar nicht. Wir sehen uns eigentlich als Heavy Metal Band, unsere Wurzeln sind Speed Metal, aber sind wir schon lange nicht mehr – und man sagt ja auch gern mal das ist folkloristischer Metal, aber das würde eben nur eine Facette zeigen. Power Metal schonmal gar nicht, das ist eine andere Kategorie von Bands, da haben wir nix zu suchen. Also Heavy Metal als allumfassender Begriff – das passt dann schon!“

Und zur anstehenden Tour gibt´s auch schon Informationen: „Das Stagedesign ist zwar noch in der Mache – ich denke aber, dass wir eine außergewöhnliche Lichtshow bieten. Abgesehen davon haben wir unseren Songpool ein wenig aufgeräumt. Wir haben bislang 17 Songs reingenommen, die wir sehr lange oder noch nie gespielt haben – das steht aber noch nicht ganz fest. Wir müssen noch ein bisschen proben, gucken welche Titel funktionieren gut oder gar nicht, aber wir sind ambitioniert andere Songs zu spielen als sonst. Wir werden aber auch alles mischen und versuchen ein Best-Of BLIND GUARDIAN  zu spielen, ich denke, dass das unsere Fans am meisten interessiert – ein paar Klassiker müssen einfach im Set sein. Wir wollen ja auch nicht, dass der Partyfaktor fehlt… Auch vom neuen Album bieten sich einige Tracks an, aber die Umsetzung ist nochmal richtig Arbeit, das wissen wir von älteren Titeln. Aber wir werden Stück für Stück Songs vom neuen Album einbauen.“ Na, das sind ja gute Aussichten. Und das nächste Album – wieder vier Jahre Wartezeit? „Das Ding ist: Es läuft fast automatisch auf so eine Folge hinaus – da könnten wir gar nicht viel straffen, da unsere Tourneen so endlos lang sind. Bis Weihnachten 2015 sind wir auf der ersten Welttour, 2016 planen wir dann Festivals zu machen – da denke ich schon, das wir in diesem Rhythmus bleiben. Zudem arbeiten wir auch gerade wieder an unserem orchestralen Side-Project – da stehen wir kurz vor der Vollendung, haben bereits sieben Songs aufgenommen, die vier restlichen Songs sind komponiert – die müssen noch produziert werden und Hansi muss noch unendlich viel einsingen: Das soll aber nächsten Sommer weitergehen. Da kann man also zwischendurch auch noch was erwarten…“ Dann warten wir das Release des neuen Albums doch mal ab – und beschließen mit einem musikalischen Tipp von Herrn Olbrich: „Ich würde allen die SANCTUARY („The Year The Sun Died“, Anm. der Red.) ans Herz legen – das ist die Platte des Jahres 2014.“

27.01.2015

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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