Bethlehem
Interview mit Jürgen Bartsch zu "Hexakosioihexekontahexaphobia"

Interview

Bethlehem

Ganze zehn Jahre dauerte es, ehe die nonkonformen BETHLEHEM mit „Hexakosioihexekontahexaphobia“ den Albumnachfolger von „Mein Weg“ und damit den letzten Teil dieser Trilogie veröffentlichen. Nicht nur in der Bandkonstellation hat sich zwischenzeitlich einiges getan, auch das neue Album erweist sich wieder einmal als extravagant, stilistisch äußerst vielfältig und spannend. Wir sprachen mit dem sehr auskunftsfreudigen und freundlichen Jürgen Bartsch.

Vor eurem neuen Album „Hexakosioihexekontahexaphobia“ gab es zwei weitere, recht außergewöhnliche Veröffentlichungen: Die „S.U.I.Z.I.D.“-Neuauflage „A Sacrificial Offering To The Kingdom Of Heaven In A Cracked Dog’s Ear“, sowie die EP „Stönkfitzchen“. Was verbindest du aus heutiger Sicht mit diesen zwei Veröffentlichungen?

Nach „Mein Weg“ war erst einmal Sendepause, und diese Pause hat sich auch leider immer etwas weiter nach hinten verschoben. Eigentlich wollte ich damals BETHLEHEM auch beerdigen, da ich viel zu viele Jahre wie gegen Windmühlen gekämpft hatte, und irgendwann ist man der Sache auch überdrüssig. Ich hatte dann aus diesem Grund eine ganze Zeit etwas anderes gemacht und ein Electro-Projekt namens STAHLMANTEL. Das hatte ich schon Ende der Neunziger angefangen, und zwar einfach für mich ohne Hintergedanken. Aber irgendwann bin ich durch Freunde von mir an Leute geraten, die das geil fanden, das Zeug wurde dann anfänglich im Ruhrpott in Industrialclubs gespielt, und die Leute sind darauf abgefahren. Dadurch konnte ich viele neue Kontakte knüpfen, auch in die USA zu einem DJ in Florida. Ich machte dann auch Songs für größere Techno-Events. Da ja alles, was ich also mit Musik machte, irgendwann irgendwo landete, kam mir dann der Gedanke, dieses Projekt weiterzuführen. Ich hatte dann Marco Kehren von DEINONYCHOS als Sänger an Bord geholt, und mich noch mit einem anderen Electro-Spezialisten zusammengetan, ich hatte mich dann eine Zeitlang im Electro ausgelebt.

Einer meiner besten Freunde ist Niklas Kvarforth (SHINING). Ich war bei ihm in Schweden, und wir hatten es uns beim Angeln gutgehen lassen. Ein halbes Jahr später kam er zu mir zu Besuch. Eines Abends hörten wir gemeinsam Musik. Niklas hat genauso wie ich einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack, und wir tauschen uns da immer wieder aus. Irgendwann kamen wir dann auf KENT, einer schwedischen Pop/Rock-Band, die auch schwedisch singen, und wir sind beide Fans von KENT. Die Musik ist ziemlich melancholisch, und wir wurden beide rührselig. Wenn wir beide uns treffen, sprechen wir normalerweise nicht über unsere Bands SHINING oder BETHLEHEM, sondern eher die normalen Themen, worüber Freunde sich eben unterhalten, persönliche Sachen. Mit KENT, der rührseligen Stimmung und nach ein paar Glas Whiskey kam Niklas dann aber irgendwie auf BETHLEHEM. Ich hatte ihm dann erklärt, wieso da im Moment nichts passiert. Er fing dann an, auf mich einzureden, dass die Band mir, ihm und den Fans am Herzen liegt. Das Ende vom Lied war, dass er mich an dem Abend rumgekriegt hat, mit BETHLEHEM weiterzumachen.

Aus einer Laune heraus hatte ich dann meine alten Kollegen Klaus Matton und Chris Steinhoff angerufen. Andreas Classen (u. a. PARAGON BELIAL) nicht, der ist schon jenseits von Gut und Böse, den kann man nicht mehr anrufen. Wir hatten dann gemeinsam einen netten Nachmittag bei mir. Dann hatten wir die super Idee, uns an einem Sonntagnachmittag wieder im Proberaum zu treffen. Es war zwar ohne Kaffee und Kuchen, aber es hatte sich so angefühlt; wie in einem gemütlichen Wohnzimmer, da hätte nur noch Mutti reinkommen müssen mit Kaffee und Kuchen, dann wäre es perfekt gewesen. Wir haben dann zusammen wieder die alten Songs gespielt. Das Ganze habe ich dann auf einem alten Kassettenrekorder aufgenommen, also richtig old school. Mir kam dann die Idee, dass man das veröffentlichen könnte. Ich habe Patrick von Red Stream angerufen, der das auch geil fand. Dann nahm ich spontan mit Herr Morbid von FORGOTTEN TOMB Kontakt auf, der auch schon immer mal was mit mir machen wollte. Ich bot ihm an, da noch Gitarre drüber zuspielen. Das kam dann auch, aber leider erst als das Album „A Sacrificial Offering To The Kingdom Of Heaven In A Cracked Dog’s Ear“ schon veröffentlicht war. Ja und Niklas hatte ich gefragt, ob er nicht den Gesang übernehmen möchte, da wir auch schon immer mal was zusammen machen wollten. Niklas hat dann in Schweden bei Peter von ARCANA in dessen Studio in zwei Tagen den Gesang aufgenommen und mir die Files geschickt. Ich habe das dann hier zusammengemixt. Nachträglich gesehen war das vielleicht nicht die beste Idee. Das Album ist von vielen Fanzines verrissen worden, und selbst Klaus war im Nachhinein nicht mehr davon überzeugt. Ich weiß jetzt nicht, was ich im Nachhinein selbst davon halten soll. Komischerweise war „A Sacrificial Offering To The Kingdom Of Heaven In A Cracked Dog’s Ear“ das sich am schnellsten verkaufende BETHLEHEM-Album bisher. Die kleine Auflage war im nu ausverkauft. Inzwischen wird die Auflage zum dritten Mal nachgepresst. So schlecht kann es also doch nicht gewesen sein, man kauft sich ja kein Album, das man scheiße findet, ich zumindest nicht. Aber vielleicht war es doch etwas vorschnell aus einer nostalgischen, rührseligen Stimmung heraus. Nicht alle Ideen sind gute Ideen, aber wir haben es eben so gemacht und ich kann auch dazu stehen. Es entstand einfach aus dieser besonderen Situation, und wir hatten es damals für eine wirklich gute Idee gehalten.

Was „Stönkfitzchen“ anbelangt, so war es damals so, dass wir viele Kommentare und E-Mails mit negativen Beiträgen zu Niklas erhielten. Ich sammelte die damals alle, das waren so um die 200, druckte sie aus und steckte sie in den Kvarforth-Hater-Ordner. Es ging dabei inhaltlich immer darum, dass Kvarforth nicht zu BETHLEHEM passen würde usw. Die Sachen brachte ich dann immer in den Proberaum mit und wir amüsierten uns darüber köstlich. Das war fast so wie in den Anfangstagen, als uns Rock Hard und Konsorten gerne mal geschlachtet haben und wir uns darüber schlapplachten. Und da ich ja ab und zu doch ein Schwein bin, kam ich auf die Idee, nochmals was zusammen zu machen, aber dieses Mal etwas Neues und nichts, was es schon gab. Es ist nämlich völlig egal, was die Leute sagen, wir machen immer, was wir wollen. Das war also der Anstoß für „Stönkfitzchen“. Niklas kam dann im Hochsommer nach einer SHINING-Tour wieder zu Besuch vorbei, und dann haben wir spontan in einer Woche die EP hier in meinem kleinen Schreibzimmer aufgenommen. Der Raum ist echt winzig, aber wir haben sogar geschafft, ein Schlagzeug aufzubauen, was sich dann wie in einem U-Boot anfühlte. Es konnte sich außer dem Drummer eigentlich niemand mehr reinsetzen, aber ich hab mich dann irgendwie noch reingequetscht, um Start zu drücken. In dem kleinen Raum waren gefühlte 50 Grad, da ich das Fenster nicht öffnen konnte. Niklas schrie und sang tagsüber, und darunter befindet sich eine Apotheke. Komisch, dass sich da niemand beschwert hat, weil Niklas hat ein verdammt lautes Organ. Alles sehr spontan und direkt vor Ort umgesetzt.

Ich hatte vorher ein paar Songideen an Reuben Jordan von BENIGHTED IN SODOM in Florida geschickt, mit denen wir auch schon einige Veröffentlichungen hatten, und ihn gefragt ob er nicht eine Idee hat, aber es ging da nicht um „Stönkfitzchen“ sondern einfach so. Reuben hatte mir dann drei Songs geschickt, die nichts mit meinem Stoff zu tun hatten sondern seine eigenen Ideen waren, und das habe ich dann auch noch beim Mixen in diesen Songs einfließen lassen. Wenn ich etwas Zusage, kann das zwar Jahre dauern, aber es wird auf jeden Fall so oder so durchgezogen. Das war dann eine gute Gelegenheit, die alte Scharte auszuwetzen und ihn mit an Bord zu nehmen. Das hat der EP auch wirklich gut getan. Es ist jetzt nicht allzu viel von ihm vertreten, aber es hat gut zu der Stimmung gepasst. Natürlich gab es danach aufgrund der Teilnahme von Niklas einen Schrei der Entrüstung, aber darauf hatte ich es ja auch etwas abgezielt, das war ja die Intention dahinter. Jeder kann seine Meinung haben, aber wir wollten klarmachen, dass wir selbst entscheiden, was wir tun und was wir bleiben lassen. Ich war ja auch nicht so anmaßend und habe früher auch nicht meine Lieblingsbands angeschrieben, wenn sie etwas gemacht haben, womit ich nicht einverstanden war, und eine entsprechende Änderung eingefordert. Und letztendlich habe ich ja als Konsument die größte Macht, wenn mir etwas nicht gefällt, brauche ich es auch nicht zu kaufen. Wir haben für „Stönkfitzchen“ übrigens im Rock Hard die beste Bewertung aller Zeiten bekommen. Das Ding erschien bei Red Stream, mit null Budget, das ist ja eine Eigenproduktion, und es gab auch keinerlei Promotion. Es war einfach eine Veröffentlichung hauptsächlich für uns selbst.

Ich hatte mich damals auch verschrieben, was mir eigentlich selten passiert. Es musste aber schnell gehen und da passieren leider manchmal Fehler. Es sollte nicht „Stönkfitzchen“ heißen, sondern „Fönkstitzchen“ als Anagramm, wenn du das bei Google eintippst, kommt nicht ein einziger Eintrag, während bei „Stönkfitzchen“ gefragt wird, ob man „Stinkefötzchen“ sucht. Das war zwar sehr offensichtlich, aber dafür hat es dann auch jeder geschnallt, hahahaha!

Danach lief es mit BETHLEHEM wieder richtig weiter, daraus entstand dann diese Tourphase, und dann konnte auch endlich dieses dritte Album zu Ende gebracht werden. Das alles ist Niklas zu verdanken, ohne Niklas wären BETHLEHEM tot gewesen. Er hat das Ganze an dem besagten Abend wieder auf den rechten Pfad gelenkt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, er hatte auf jeden Fall recht.        

Wie verlief eigentlich eure Zusammenarbeit mit Niklas Kvarforth und warum arbeitet ihr nicht mehr zusammen?

Die Zusammenarbeit war fantastisch, wie es immer ist, wenn du mit Freunden zusammenarbeitest, da ist ja eine ganz andere Basis vorhanden. Aber es war auch deswegen fantastisch, da Niklas ein verdammt guter Sänger ist. Er singt nicht nur sehr gut, er hat sich mit Gesang richtig auseinandergesetzt, er hatte auch Gesangsunterricht und hat uns diverse Atemtechniken vorgeführt, dabei waren sogar welche, die ich noch nie im Leben gesehen oder davon gehört hatte. Zum Beispiel die Rückenatmung. Wenn man mit dem Rücken atmet, kannst du eine Ewigkeit lang volle Pulle schreien, ohne dass du vorzeitig abbrichst. Das nimmt man, um Schreie live selbst bei schlechten Soundverhältnissen überzeugend darbieten zu können. Das war natürlich sehr interessant. Genauso wie seine sehr professionelle Herangehensweise. Das war richtig schön.

Wir hatten dann in Köln unseren Proberaum, wo wir mit Niklas noch probten. Aber leider holt einen die Realität dann doch schnell wieder ein. Es fingen dann die ersten Konzerte wieder an. Ich nannte Niklas die Termine, was so abgesprochen war. Nur hatte dann der damalige Manager von SHINING dazwischengefunkt. Er tat uns ab und meinte, BETHLEHEM wären eine Altherren-Thrash-Metal-Band. Außerdem war er verliebt in Niklas, der war für ihn sein ein und alles. Jedenfalls lehnte er das immer ab. Am Anfang ließ ich mir gefallen, dass BETHLEHEM hinten anstehen und einige Shows nicht mit Niklas gespielt werden konnte, weil SHINING zur gleichen Zeit Konzerte hatten. Nur lange lasse ich mir das nicht gefallen, auch von Freunden nicht, und habe dann Niklas gefeuert. Es brachte ja nichts, sich hinter SHINING anzustellen, selbst wenn es IRON MAIDEN gewesen wären, da mache ich keinen Unterschied. Wir sind alle Kollegen, aber das geht nicht. Es hat leider nicht funktioniert, da uns der Manager sehr im Weg stand. Daher mussten wir einen anderen Sänger suchen, damit wir wieder live spielen konnten. Es wäre schön gewesen mit Niklas, das war schon ein geiles Bandfeeling.

Industrial, Electro als auch Ambient sind ebenfalls Bestandteile deines musikalischen Wirkens. Welchen Stellenwert haben diese Musikrichtungen für dich verglichen mit Dark und Black Metal?

Ich möchte das so nicht pauschalisieren. Eigentlich haben sie den gleichen Stellenwert. Ich bin zwar auch den klassischen Weg gegangen, mit 13 oder 14 hatte ich zum ersten Mal MOTÖRHEAD gehört, und ich war gleich in die Band verliebt. Ich hatte mir dann gleich die erste LP als Import vom Londoner Label Chiswick Records gekauft, obwohl man die auch hier bekomme hatte. Ich habe die immer noch, kann sie aber nicht mehr anhören, da das Cover dermaßen abgegriffen ist, dass es aussieht, als ob ich es vergraben hätte, und ich glaube auf der LP selbst hat sich die Nadel durchgefräßt, man kann es wirklich nicht mehr hören. Das war mein Einstieg in den Metal, danach kam recht schnell METALLICA und SLAYER, die üblichen. In der Zeit von 14 bis 19 habe ich ausschließlich Heavy Metal gehört, aber eher die extremen Sachen. Gerade die extremeren Geschichten haben mich immer angezogen. Als ich älter wurde und BETHLEHEM anfingen, fing ich recht schnell an, über den Tellerrand zu schauen, da mich Musik als Ganzes interessiert. Ich war Heavy-Metal-Fan, aber ich interessierte mich für Musik und wollte alles mitbekommen. Im Laufe der Jahre hat sich das immer weiter ausgeweitet. Mittlerweile gibt es für mich keine Abstufungen mehr, was ich lieber höre und was weniger. Das hat alles den gleichen Stellenwert. Mit BETHLEHEM habe ich schon gewisse Freiheiten mit denen ich mich ausleben kann, dazu eben STAHLMANTEL. Das sind Sachen, die von Herzen kommen, das ist ehrlich gemeint, ich werte da nicht mehr.

 

 

 

„Hexakosioihexekontahexaphobia“ steht für die Furcht vor der Zahl 666. Bitte erläutere uns die Bedeutung des Albumtitels näher!

Das ist auf gewisse Art und Weise auch ironisch gemeint. Bei uns Metallern fährt doch jeder auf die 666 ab. Nimm „Number Of The Beast“ oder all die Black-Metal-Bands mit ihren Logos oder Songtiteln. Da wollten wir einfach mal den Spieß umdrehen und die Furcht vor der Zahl 666 verwenden. Wir haben keine Angst vor der Zahl 666. Da ist auch eine gesunde Portion Selbstironie dabei. Diese Phobie ist verbreitet, zum Beispiel hatte sie Ronald Reagan. Wenn er als Präsident unterwegs war, durfte kein Hotel die Hausnummer 666 haben, ebenso wenig wie die Zimmernummer oder die Flugnummer. Da musste dann das Hotel gewechselt werden oder das Flugzeug, was teilweise zu extremen Terminschwierigkeiten führte. Ich nehme an, dass Ronald Reagan streng gläubisch war, und daraus hat sich dann diese Phobie wahrscheinlich entwickelt. Wir haben den Fall auch in meiner Familie, meine Schwester leidet auch darunter. Wenn man mit ihr einen Film wie „Das Omen“ anschaut, der ja jetzt nicht so schlimm ist, dann kam es schon vor, dass ihr abends vor dem Spiegel die 666 auf ihrer Stirn erschienen ist. Das ist schon heftig mit solchen Halluzinationen. Es ist also nicht nur Selbstironie sondern hat auch tatsächlich einen ernsthaften Hintergrund.

Das ist Teil eines Konzepts. Ende der Neunziger nach dem „S.U.I.Z.I.D.“ Album habe ich in einem Zeitraum von 1,5 Jahren eine Kurzgeschichte geschrieben. Diese Kurzgeschichte gab ich einigen Leuten zu lesen, die hat vielen gefallen da sie grauenhaft krank, sehr verstörend und bizarr war. Ich kam dann auf die Idee, daraus eine Album-Trilogie zu machen.

Teil 1 „Schatten aus der Alexander Welt“ beschreibt das Reich der Dämonen, das hat aber keinen religiösen oder spirituellen Hintergrund. Das sind die eigenen Dämonen. Rockstars haben ja immer Drogen genommen, und ich dachte mir dann, auch wenn wir nie Rockstars waren, dass ich das mit Sex, Drugs and Rock’n’Roll auch erleben möchte. Ich hatte dann so richtig über die Stränge geschlagen, was mir nicht bekommen ist, dadurch hatte ich dann die wahren Dämonen in mir selbst kennengelernt, bedingt durch den Drogenmissbrauch. Ich bin nämlich normal ein rational denkender Mensch und glaube nicht an Hokuspokus oder Aberglaube. „Schatten aus der Alexander Welt“ beschreibt dieses Dämonenreich.

Teil 2 „Mein Weg“ beschreibt die Reaktion auf diese Jahre. 2001 bekam ich einen Herzinfarkt, den zweiten bereits. Den ersten hatte ich während meiner Drogenzeit, aber ich war nicht einmal im Krankenhaus, mit Ende zwanzig denkt man nicht an einen Herzinfarkt. An dem zweiten Herzinfarkt bin ich hier in meinem Zimmer gestorben. Dann kam der Rettungswagen, die hatten dann die Tür unten aufgebrochen, während ich schon Herztod war. Sie fanden mich auf dem Boden liegend vor und reanimierten mich, zuerst mit Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung, da ging aber nichts mehr. Dann mit Adrenalin, aber nicht wie in „Pulp Fiction“ direkt ins Herz. Das hat auch nichts gebracht, daher schlossen sie dann als letztes Mittel den Defibrillator an. Der dritte Schock brachte mich dann wieder zum Atmen, was auch höchste Eisenbahn war. Ich war zu diesem Zeitpunkt wohl schon zwei Minuten weg. Wenn du zwei Minuten schon Herztod bist, können durch diesen Herzstillstand und Sauerstoffmangel schon dauerhafte Schäden entstehen. Zum Glück trug ich aber keine davon. Am nächsten Tag kam dann der Rettungsarzt zu Besuch in die Düsseldorfer Uniklinik und sagte: „Herr Bratsch, machen sie weiter! Wann machen sie denn ihr nächstes BETHLEHEM Album?“. Ich muss wohl im Schock um mich getreten haben, weswegen ich unter Morphium gesetzt wurde. Jedenfalls muss ich wohl einen der Helfer durchs Zimmer getreten haben, wovon ich aber nichts mehr weiß. Als ich dann unter Morphium stand, muss ich wohl im Krankenwagen von meiner Band BETHLEHEM erzählt haben. Und das war dann so lustig, wir haben Tränen gelacht. „Mein Weg“  beschreibt die Selbstreflexion auf diese Tage, die dann schlagartig vorbei waren. Es war klar, dass ich beim erneuten Mal sterben würde. Das nahm ich auch wirklich ernst. Es war tatsächlich schon in dieser Kurzgeschichte drin, ich arbeitete es dann nur in meine eigenen Erlebnisse aus. „Mein Weg“ ist auch der Versuch, einen anderen Weg einzuschlagen: weg von den Dämonen, weg von der Dunkelheit, weg von dem Bösen. Natürlich jetzt nicht hin zu den Zeugen Jehovas, der BETHLEHEM Spirit ist auch in Teil 2 vorhanden, aber es war die Suche nach dem Weg als übergreifende Thematik.    

Teil 3 „Hexakosioihexekontahexaphobia“ ist ein Resümee, die Erkenntnis, dass du deinen eigenen Dämonen nicht entfliehen kannst. Du solltest das als ein Teil deiner Selbst verstehen, unabhängig davon, wie Menschen dich beurteilen oder was sie in dir sehen. Ich durfte jetzt wieder im Metal Hammer lesen, dass ich der Sicko-Guru bin. Da ich das in ähnlicher Form schon öfter gelesen habe, kann ich mir schon vorstellen, wie ich in der Öffentlichkeit gesehen werde. Wobei ich das eher noch als positiven Aspekt sehe, da gibt es noch ganz andere Sichtweisen. Letztendlich ist „Hexakosioihexekontahexaphobia“ der Schlussstrich, die Erkenntnis. Gib dich der Sache hin, lehne es nicht ab. Es ist ein Teil von dir selbst. Daher vielleicht auch der selbstironische Titel. Wir sind also doch nicht von der 666 losgekommen. Wir stecken noch immer in diesem 666, Satan, Dämonen Klischee fest. Und ich akzeptiere das als Teil meiner Selbst. Ich kann also meiner Verrücktheit freien Lauf lassen, was ich auch getan habe vor allem mit Songs wie „Nazi Zombies mit Tourette-Syndrom“. Dieser beschreibt den Gedankengang eines Irren in einer geschlossenen Anstalt. Diesen Text habe ich schon oft versucht zu verstehen aber es klappt einfach nicht, weil der so irre und krank ist. Deshalb habe ich einfach losgelassen. Ich habe mich einfach als das akzeptiert und losgelassen. Also kein wirkliches Happy End. Zur Not gibt es ja noch immer die geschlossene Anstalt. Man kann sich ja auch selbst einweisen lassen, wenn man meint, dass es nicht mehr geht. Aber soweit ist es noch nicht gekommen. 

Auch auf „Hexakosioihexekontahexaphobia“  gibt es die typische Chiffrenlyrik in Form von metaphorischen Bildergeschichten. Kannst du uns bitte einige etwas näherbringen? Weiter würde mich interessieren, wie du deine Visionen zu Papier bringst, und was dich dabei inspiriert?

Ich hatte das schon mal versucht zu erklären, aber das klang so nach Oberlehrer. Ich habe keinen Bock auf Klugscheißerei, das ist ja widerlich. Aber im Prinzip funktioniert das einfach so, dass ich Bilder im Kopf habe, so wie jeder andere auch. Einige von den Bildern sind eher verstörender Natur. Das hängt alles miteinander zusammen. Diese Bilder sind ja eher eine Gefühlslage, eine Emotion. Und einige davon taugen für BETHLEHEM, das habe ich schon sehr früh festgestellt. Man denkt ja sehr viel und sieht viele Bilder, die dann aber normalerweise aber auch schnell wieder weg sind. Ich behalte diese aber, ich halte die Emotion fest. Ich habe mir da eine Schublade in meinem Gehirn gebaut, und da lege ich die rein. Wenn dann ein entsprechender Anlass kommt, krame ich sie wieder raus. Jetzt ist es natürlich schwer bis unmöglich, diese Bilder und Gefühle in Worte zu fassen. Für jeden Text ein Buch schreiben geht ja nicht. Größtenteils haben wir dann auch schon neue Songs, dann gehe ich die Bilder nochmals durch, die Texte kommen immer erst nach den Songs. Ich prüfe dann, ob es dazu passt, jetzt nicht vom Wortsatz oder Reim, das kann man alles noch zurechtbiegen, sondern von der Stimmung. Jeder Song braucht als Text eine gleiche oder ähnliche Stimmung, die zur Musik passt. Wenn ich das alles habe, nehme ich mir 20 bis 30 leere Blätter, noch ein Bier dazu, und dann sprudelt das aus mir heraus. Alle Blätter werden vollautomatisch beschrieben, ohne dass ich darüber nachdenke. Das sind dann die gesehenen Bilder und der Versuch, diese textlich darzustellen.

Das ist natürlich ein ganz eigenes persönliches Ding. Ich sehe ein Wort, und unter diesem Wort stelle ich mir eine ganz eigene Landschaft vor. Jemand anderes sieht ein Wort und sieht auch wirklich nur das Wort, ohne sich was drunter vorstellen zu können. Deshalb kommt es häufig zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen, oder die Leute denken „Mein Gott, ist das ein Schwachkopf, was schreibt der da wieder für einen Blödsinn?“. Das Geschriebene ist eine Masse ohne Punkt und Komma, mit vielen Worten, und aus diesen Worten heraus, aus diesen unzählig vollgeschriebenen Seiten, und darin sehe ich dann die Songthematiken. Ich kann das dann zusammenfügen. Es kann sein, dass die ersten beiden Worte von der ersten Seite ganz wunderbar zu den letzten beiden Worten von der dreißigsten Seite passen. Das ist ein richtiges Stückwerk. Natürlich soll es nicht Sinnfrei sein. Es soll zur Atmosphäre des Songs als auch zur Thematik passen. Zumindest für mich muss es Sinn machen. Ich erkläre beispielsweise auch immer dem Sänger, was ich mit diesen Texten sagen will. Guido Meyer de Voltaire brauche ich das nicht mehr so erklären, da er mittlerweile meine Herangehensweise kennt und es auch von selbst versteht. So schwer ist das auch garnicht zu verstehen. Diese Chiffrenlyrik kannst du auch ganz leicht entschlüsseln. Du darfst nur nicht den Fehler machen zu denken, dass das so ist wie bei normalen Texten und eins zu eins einen Sinn ergibt. Man darf nicht nach dem Sinn suchen. Wichtiger ist, dass man seine eigene Lebenserfahrung nimmt und das als Schlüssel verwendet. Dadurch wird man sich dann immer selbst oder zumindest einen Teil von sich in den Texten wiederfinden. Das ist interpretierbar, aus einer eigenen Reflexion heraus. Ich habe schon Leute in meinem Leben kennengelernt, die meine Texte vollends verstanden haben. Das war in der Regel selbst Künstler, die Bilder gemalt haben oder Kurzgeschichten geschickt, die genau die Thematik behandelt haben, die bei mir zugrunde lag. Das ist aber sehr selten, daher nehme ich an, dass meine und ihre Lebenserfahrung ähnlich sind. Viele andere sehen auch den Sinn, allerdings ihren eigenen Sinn darin, finden darin ihr eigenes Verständnis. Ich kann die Texte nicht anders schreiben, ich muss das in dieser kryptischen Art und Weise tun, sonst macht es für mich keinen Sinn mehr.

19.11.2014

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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