Bent Knee
Den Song in die Luft jagen
Interview
„Land Animal“ verspricht, einerseits ein geradezu vertraut klingendes Album zu werden – für BENT KNEE-Verhältnisse versteht sich. Und doch gehören einige der Songs zu den sperrigeren Stücken der Band. Wie sehr sich das Sextett aus Boston mit dem Menschen im Wandel der sozialen Medien beschäftigt hat, welche ungewöhnlichen Einflüsse ihren Weg in das Songwriting gefunden haben und wie sich der Deal mit InsideOut/Sony auf deren Arbeitsweise ausgewirkt hat, erzählte uns Violinist Chris Baum im Interview.
Chris Baum von BENT KNEE sprach mit uns…
… über die neue Labelheimat
Der neue Plattenvertrag fühlt sich für uns eigentlich eher nur wie ein weiterer Schritt auf der Leiter an. Man möchte ja meinen, dass die Zusammenarbeit mit Sony ein großer Schritt sein sollte, aber wenn man bereits sieben Jahre in diesem Business arbeitet, ist man da etwas abgehärtet. Was natürlich nicht heißt, dass wir uns nicht dennoch riesig darüber freuen. Wir waren natürlich anfangs ein wenig unsicher und hatten auch etwas Angst. Denn jeder kennt sicher die ein oder andere Horrorgeschichte über Major Labels und ihren Kontrollzwang. Aber das ist hier nicht so gewesen. Nahezu alle unsere Ideen und Pläne haben grünes Licht bekommen. Und wir haben nach wie vor die gleichen Langzeitziele für BENT KNEE vor Augen. Der Deal ist natürlich unglaublich und hoffentlich ermöglicht er uns bald, etwas intensiver durch Europa zu touren.
… über die Aufnahmen zum neuen Album „Land Animal“
InsideOut Music/Sony und die Booking-Agentur APA sind zu uns gekommen mit der Bitte, möglichst schnell ein neues Produkt fertig zu stellen. Das Songwriting von „Land Animal“ haben wir innerhalb von acht Wochen erledigt, die Aufnahmen fanden dann im Herbst statt. Es ging relativ flott. Neben den Deadlines lag das auch daran, dass wir innerhalb der Band ein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut haben. WIR sind BENT KNEE, wenn du so möchtest. Wir haben so eine Art demokratisches Konzept der Zusammenarbeit entwickelt. Das macht es leichter, auf die Ideen der anderen einzugehen. Denn jeder in der Band hat eine wertvolle Meinung. Das vergessen Bands manchmal, vor allem die, die ihre Bassisten nur drei unterschiedliche Töne pro Song spielen lassen. (lacht) Das wichtigste an der Kreativität ist, zu wissen, dass deine Stimme gehört wird.
… über das Songwriting
Es ist wie eine Sammlung von Musikstücken, aus der sich eine fließende Geschichte ergibt. Wir versuchen natürlich immer, in sich geschlossene Songs zu kreieren, aber bei BENT KNEE ging es schon immer darum, über die traditionellen Strukturen hinaus zu blicken. Den Titelsong zum Beispiel haben wir nach einer brutalen Tour aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt fiel es uns schwer, Abstand zu bekommen und das Gesamtbild zu sehen. Es hat sich fast schon wie das Ende angefühlt, sodass wir uns wirklich selbst ermutigen mussten. Eine entsprechende Geschichte erzählt der Song: Der erste Teil stellt den unangenehmen Drang zur Kreativität dar. Der zweite Teil dann handelt davon, wie wichtig es ist, einfach weiter zu kommen. Wir sind auf jeden Fall gespannt auf das Feedback. Es ist unser bündigstes Album bisher und wir freuen uns schon richtig, es live spielen zu können.
… über ungewöhnliche Einflüsse und wie sie die musikalische Vision beeinflussten
Einer unserer Haupteinflüsse für „Land Animal“ war der zeitgenössische Hip Hop, speziell Kendrick Lamar, der mit „To Pimp A Butterfly“ Wände zwischen so vielen Genres eingerissen hat. Aber wir bedienten uns auch anderen Künstlern wie Flying Lotus, Chance The Rapper oder auch Kanye West. Letzterer mag kein sonderlich talentierter Lyriker sein, aber er ist ein herausragender Produzent, was uns wirklich inspiriert hat. Wir hatten dadurch das Bedürfnis bekommen, die Genres mal richtig zu dekonstruieren, Dinge zu tun, von denen wir gar nicht wussten, dass man sie mit einem Song tun kann. Ich denke, dass viele Bands von diesen Künstlern lernen und profitieren könnten.
Auf „Say So“ experimentierten wir ja mit Songformen, auf „Land Animal“ dagegen experimentieren wir mehr mit Grooves. Wir wollten erforschen, wie Rhythmen unterhalb der Melodien fließen. So haben wir bei „Hole“ etwa durch einen automatisierten Delay der Kickdrum einen unmenschlichen, automatischen Sound geschaffen. Der Track selbst handelt davon, abhängig von Sozialen Medien zu sein. Wir wollten die Idee eines „Songs“ einfach mal in die Luft jagen, im Grunde genau das, was auch der zeitgenössische, experimentelle Hip Hop macht. Arrangements werden regelrecht dekonstruiert. Es ist einfach eine großartige Zeit, um Musiker und Musikfan zu sein, denn die Musik wandelt sich schneller denn je.
… über das Konzept und den Menschen an sich…
Es ist ein sehr vages Konzept. Wir wollten eine menschliche Erfahrung darstellen. Alle Songs repräsentieren Probleme des 21. Jahrhunderts. Je mehr wir unter anderem durch das Internet verbunden sind, desto mehr wird unser Verstand mit Informationen überladen, desto mehr werden wir abgestumpft und desto leichter ist es, uns abzulenken. Was in den letzten zehn Jahren abgegangen ist in puncto Fortschritt oder Nachrichten, darum geht es. „The Well“ handelt von der Ignoranz gegenüber der Erderwärmung. „Boxes“ handelt im weiteren Sinne vom Sterben. Es geht eigentlich um mentale Abstumpfung und körperliche Ermüdung. Ursprünglich wollten wir einen mechanischen Beat unter die Melodien legen und es dann so aufziehen, dass die Melodien allmählich verschwinden, ähnlich wie auch das Leben allmählich aus einem alternden Körper verschwindet. Doch letzten Endes haben wir uns dafür entschieden, selbst diesem Track etwas Positives zu verpassen. Wir möchten auf Probleme hinweisen, aber auch Worte der Ermutigung beifügen.
„Terror Bird“ handelt von der Gefühllosigkeit, speziell gegenüber den Nachrichten. Wann immer etwas Tragisches geschieht, kommt mehr und mehr die Reaktion „schon wieder so etwas“ zurück. Es scheint zu etwas Unvermeidbarem geworden zu sein. Die schiere Menge an solchen Nachrichten hat uns einfach desensibilisiert. Und die Lyrics stellen im Grunde die Frage: „Warum kann ich die Trauer der Welt nicht nachempfinden?“
… über die Musikvideos und warum die Band diese oft in Eigenregie dreht
Das Video von „Terror Bird“ handelt im Grunde von einer Person, die verzweifelt nach Aufmerksamkeit ringt und dennoch ignoriert wird. Für die Videos versuchen wir, möglichst viel Kontrolle zu bewahren. Wir möchten so viele Formen der Kunst erforschen, wie nur möglich, was auch das Filmemachen mit einschließt. Natürlich buttern wir den Großteil unseres Budgets in unser Album hinein, daher arbeiten wir für die Videos meist mit beschränkten Ressourcen. Daher sieht man meistens auch uns in den Videos statt irgendwelcher Schauspieler. Wir haben beide Musikvideos – zum Titeltrack und zu „Terror Bird“ – an einem Wochenende gedreht. Natürlich ohne Post-Produktion, die kam danach. Wir arbeiten auch oft mit Freunden und Bekannten zusammen. Ein Freund und ehemaliger Bandkollege von Ben etwa hat die Produktionsfirma Being Human Productions, die für uns die Videos zu „Leak Water“ und „Hands Up“ produziert hat.
Ein allgemeines Missverständnis ist ja, dass viele denken, niedriges Budget wäre gleichbedeutend mit niedriger Qualität. Aber dem ist nicht so. Wenn man eine Vision und etwas Übung darin hat, Dinge effektiv und effizient umzusetzen, muss man gar nicht so viel Geld in die Hand nehmen. Man muss eben einerseits stets ein Auge auf die eigenen Ressourcen haben, sollte andererseits aber auch bereit sein, quer und kreativ zu denken und zu arbeiten. Sonst ist die Katastrophe vorprogrammiert und man bekommt ein CGI-Durcheinander vom allerfeinsten. (lacht)
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Stile | Art Rock, Avantgarde, Experimental, Progressive Rock |
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