Behemoth
Im Gespräch mit Nergal über "Opvs Contra Natvram" und die menschliche Freiheit

Interview

Kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Opvs Contra Natvram“ haben wir uns einen gut aufgelegten und redseligen Nergal für ein Gespräch über das neue Werk seiner Hauptband BEHEMOTH, den Kampf für Freiheit und straffes Tourprogramm geschnappt. Was bei der Unterhaltung mit dem charismatischen Satansbraten herausgekommen ist, erfahrt ihr innerhalb der nächsten zwei Seiten.

Hey Nergal, schön, dass wir die Gelegenheit haben uns zu unterhalten und ich freue mich schon sehr auf das Gespräch. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es echt schlauchen kann, wenn man so viele Interviews am Stück führt und oft die gleichen Fragen gestellt bekommt. 

Nein, Nein, nicht unbedingt. Du wärst überrascht. Manche Interviews nehmen echt interessante Wendungen und sind nicht wirklich immer das Gleiche. Und ich bin glücklich, dass ich das sagen kann. Vielleicht liegt es am momentanen Stand der Dinge. Ich habe den Eindruck, dass dies das erste Album ist, bei dem wir natürlich über Musik usw. reden, aber manchmal wird auch über existenzielle Dinge gesprochen und Politik nimmt immer mehr Raum ein. Über Musik wird da nicht mehr ganz so viel geredet. Das fühlt sich seltsam an, ist aber auch sehr real. Viele Leute machen sich Sorgen über Dinge, über die man sich tatsächlich Sorgen machen sollte.

Da wir das Thema gerade ansprechen, wie ist denn die momentane Stimmung in Polen? Jeder weiß, dass der Krieg in der Ukraine schlimm ist, aber ihr seid viel näher an dessen Grenzen, als zum Beispiel wir hier in Deutschland. 

Also, das betrifft uns natürlich schon, aber traurigerweise fängt man an sich daran zu gewöhnen. Leider, denn man sollte sich bewusst sein, dass die Situation dort nicht besser wird und es für die Bevölkerung wirklich schlimm ist. Das sollten die Leute nicht außer Acht lassen. Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber ich nutze diese Plattform mit unserer Band und unseren Auftritten, um über das Thema zu reden. Ich rede auch über Frauenrechte. Das ist eine Sache, bei der ich denke, dass es sehr wichtig ist darüber zu sprechen und die nicht ignoriert werden darf. Auch wenn das jetzt alles nicht wirklich „Black Metal“ ist. Aber was ist denn „Black Metal“? „Hail Satan“ ist einer der meistgenutzten Slogans meiner gesamten Karriere. Es fühlt sich für mich einfach natürlich an das zu sagen. Warum? Weil Satan für mich immer ein Sinnbild für Freiheit war. Es wird immer für menschliche Freiheit stehen.

Aber was heutzutage mit Menschenrechten geschieht, ist eine starke Verletzung dieser Rechte. Also möchte ich „Hail Satan“ für ein „Erhebt euch für Frauenrechte“, oder ein „Erhebt euch für die Ukraine“ tauschen. Es hat die gleiche Bedeutung, ist aber deutlicher. „Satan“ ist eine Metapher und ist mehr universell. Aber ich werde immer die Seite wählen, die sich für mich richtig anfühlt. Ich wette, es gibt immer noch Leute, die denken: „Es ist die Schuld der Ukraine“, oder „die Frauen sind schuld“. Nein! Ich denke, dass es das Gegenteil ist. Das ist meine Sicht der Dinge und ich bin sicher, dass ich da richtig liege. Ich denke, dass ich mit „Opvs Contra Natvram“ erwachsener geworden bin. Mit all dem, was um uns herum geschieht und dreißig Jahren Bandgeschichte, geht es jetzt nicht mehr nur um Metaphern. Es geht nicht mehr nur um die Bilder, die ich in unseren Songs darstelle. Ich versuche immer eine wichtige Botschaft durch meine Songs zu verbreiten. Es fühlt sich an, als ob die Botschaft dieses Mal am stärksten ist.

Ich denke, es ist sehr gut, dass du diese Themen ansprichst. Denn viele Leute in der Metal-Szene und vor allem im Black Metal, scheinen sich da komplett raushalten zu wollen. 

Nicht nur in der Black-Metal-Szene, sondern auch generell in Szenen. In der Rock-Szene ebenso. Aber ich muss sagen, als ich GUNS N‘ ROSES und JUDAS PRIEST live gesehen habe, haben sie massiv Solidarität mit der Ukraine gezeigt. Oder als ich THE CULT gesehen habe, hat Ian Astbury über Frauenrechte gesprochen. Das macht mich nur zu einem noch größeren Fan dieser Bands. Das gibt mir den Eindruck, dass diese Leute sich der Situation bewusst sind und sich darüber Gedanken machen. Da geht es dann nicht nur noch einzig um Entertainment. Denn wir sind nun mal Entertainer. Wir gehen auf die Bühne, um euch ein Lächeln zu bescheren und euch zu unterhalten. Aber auf der anderen Seite, habe ich auch eine Mission. Ich bin so eine Art Missionar. Das Wort macht natürlich direkt einen religiösen Eindruck. Ich bin natürlich kein religiöser Mensch, aber ich bin trotzdem ein Missionar. Ich verbreite eine Botschaft, aber es ist die Botschaft der Freiheit, der Selbstbestimmung und des Selbstbewusstseins.

Das ist besser, als ein religiöser Missionar zu sein. Liegt es denn auch an der heutigen Zeit, dass das neue Album sich aggressiver und roher anhört, als die beiden Alben davor? Die sind natürlich großartig, aber halt auch ein bisschen eingängiger und das neue Album hat bei mir ein bis zwei Anläufe mehr gebraucht. Das hat sich dann aber letztlich umso mehr gelohnt. 

Ja, dieses Album wurde in der Isolation des Lockdowns geboren. Es war dazu bestimmt wütender und aggressiver zu sein. Ich liebe die letzten drei BEHEMOTH-Alben (das neue Werk eingeschlossen) und halte sie für das Beste, das wir gemacht haben. Alle drei Alben sind für mich gleich großartig. Vielleicht bilden sie sogar eine Art Trilogie. „Evangelion“ ist ebenfalls richtig, richtig stark. Es ist sicher eins unserer besten Alben und „Demigod“ auch. Aber die letzten drei sind die stärksten BEHEMOTH-Alben. „I Loved You At Your Darkest“ hatte diese Momente wie „Bartzabel“, die echt cool waren und die ich einfach machen musste. Das ist vielleicht die allererste, oder vielleicht sogar die einzige BEHEMOTH-Ballade (lacht).

Ja, das könnte man echt so sagen. 

Aber es ist eine Ballade ohne weich zu werden. Es ist wie bei BATHORY. Songs, die sehr ruhig, aber trotzdem immer noch düster und großartig sind. Ich musste sowas einfach machen, aber dieses Mal wollte ich das nicht. Zuerst gab es Leute, die sich beschwerten, dass BEHEMOTH zu soft werden und sich dachten „Oh Shit, gibt es auf dem nächsten Album dann „Bartzabel“-Part 2?“. Fuck, No! So ticken manche Leute. Es gibt hier kein „Bartzabel“-Part 2, aber dafür „The Deathless Sun“-Part 1. Und auf dem nächsten Album gibt es dann wieder etwas anderes. Ich weiß nur zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was es wird. Ich weiß noch nicht mal, ob es überhaupt einen Nachfolger gibt.

Aber extreme Zeiten verlangen eine extreme Musik. So sehe ich das und ich hoffe, dass das Album bei den Leuten gut ankommt. Denn es gibt so viel Spannung darin. Ich weiß noch, als ein Freund von mir das Album hörte und mir eine Nachricht schrieb, dass er doch zwischendurch auch mal durchatmen müsse. Es geht nur Schlag auf Schlag und dann kommt „Versvs Christvs“, das in Richtung Gothic geht. Aber auch nur für die ersten zwei Minuten, dann wird es zu einem echten Riff-Tornado und endet mit einem epischen Knall.

Das Album schlägt in alle Richtungen und hat dabei immer noch reichlich Hooks. „Once Upon A Pale Horse“ ist mein persönlicher MANOWAR-Tribute. Bis zu einem bestimmten Punkt ist das schon Power Metal. Ich bin zwar kein großer Power Metal-Fan abgesehen von RUNNING WILD, HELLOWEEN und MANOWAR, aber es gibt da diese bombastischen Parts. Manche der schnellen, aggressiven Parts erinnern wiederum an „Evangelion“ und sind eine Hommage an unsere Death-Metal-Roots. Mir haben auch Leute gesagt, dass „Malaria Vvlgata“ mit seinen ca. zwei Minuten schon fast Punk ist. Ich mag diesen Vergleich, da ich ein großer Punk-Rock-Fan bin. Der Song hat die gleiche Energie und klingt, als ob er kurz davor steht die Kontrolle zu verlieren und auseinanderzufallen.

Wir haben uns wirklich viel Mühe gegeben, dass „Opvs Contra Natvram“ sehr organsich klingt. Viele der Sachen, die ich heutzutage höre, verlieren irgendwie den Gefahrenfaktor. Von einer Extrem-Metal-Band erwarte ich einen gefährlichen Vibe. Ich nenne dir jetzt mal ein paar Alben, von denen ich persönlich denke, dass sie diesen Gefahrenfaktor haben: das erste Album und „Legion“ von DEICIDE, „Iowa“ von SLIPKNOT und „God Hates Us All“ von SLAYER. Diese Alben oder auch „Roots“ von SEPULTURA. Auch wenn es nicht die ganze Zeit über schnell ist, sondern eher Midtempo. Der Sound dieser Alben klingt, als ob er aus den Boxen kommt, dich am Hals packt und gegen die Wand schleudert.

Das gleiche Bild hatte ich auch im Kopf.

Ja, genau danach haben wir gesucht. „I Loved You At Your Darkest“ hatte das nicht so wirklich. Es war mehr glattpoliert und kontrollierter. Ich sichergehen, dass das neue Album komplett anders ist, als die letzten beiden, aber immer noch BEHEMOTH. Es ist also ein sehr rohes Album geworden, hat aber trotzdem noch eine Produktion mit großem Budget. Wir hatten Joe Barresi, eine Legende unter Mixern und Produzenten. Der Mann ist bekannt für seine Arbeit mit NINE INCH NAILS, QUEENS OF THE STONE AGE, SLIPKNOT, MONSTER MAGNET und viele, viele mehr. Nicht unbedingt Extreme Metal, aber ich wollte einen Produzenten mit einer Rock-Ästhetik. Er machte eine  großartigen Job. Wenn du genau hinhörst, entdeckst vor allem beim Gesang viele verschiedene Nuancen. Nichts wiederholt sich, nichts ist vorhersehbar und außerdem ist jeder Song ein bisschen anders, als der andere. Hier steckt der Teufel so zu sagen im Detail (lacht).

Ich denke, das beschreibt es sehr gut. Als ich es das erste Mal hörte, war es genau das Gefühl, das ich hatte. Wie du schon sagtest, war „I Loved You At Your Darkest“ sehr eingängig und clean. Und das nicht mal im schlechten Sinne, denn ich liebe dieses Album. Das neue Album klingt aber halt wirklich roher und chaotischer, jedoch gibt es auch mehr Tiefgründiges. 

Richtig, aber versteh mich nicht falsch. Ich denke, dass es viele großartige Dinge auf „I Loved You At Your Darkest“ gibt. Ich liebe „Ecclesia Diabolica Catholica“, „Bartzabel“ und „God=Dog“. Wir haben alles aus diesem Album herausgeholt. Wir haben so viele Singles daraus veröffentlicht und den Großteil des Albums auf Tour gespielt. Es ist ein großartiges Album, ich bin sehr stolz darauf und das gilt auch für „The Satanist“. Mit dem neuen Album werden wir es genau so machen und ein Statement setzten. Wenn ich mich so umschaue, ploppen jeden Tag so viele neuen Alben auf. Ich kann damit nicht umgehen, es ist zu viel.

Ich denke, der einzige Weg um heutzutage ein Statement zu setzten ist, sich bewusst zu machen, dass man gerade das Werk seines Lebens erschaffen hat und dann Gas zu geben. Man muss die Dinge direkt vor dem Gesicht der Leute veröffentlichen, sich weiterentwickeln und besser werden. Wenn du eine Show, oder eine Tour spielst und sie es nicht wirklich begreifen, musst du verdammt noch mal zurückkommen und so lange alles geben, bis sie es begreifen. Die Musik Schlag auf Schlag in die Köpfe der Leute hämmern. Das ist unser Plan und warum ich nicht still sitzen kann. Ich freue mich schon so sehr darauf, die Musik auf die Bühnen von Europa und Südamerika bringen zu können und hoffentlich nächstes Jahr im Sommer eine große Festivaltour zu machen.

Das ist die richtige Einstellung. Du scheinst auch momentan selbst für deine Verhältnisse sehr beschäftigt zu sein. Du spielst live mit BEHEMOTH und ME AND THAT MAN und wirbst gleichzeitig für euer neues Album. Wie schaffst du gleichzeitig so viele Dinge auf einmal?

Ich bin getrieben von dieser Energie, die quasi überall ist. Manchmal mache ich gleich drei Dinge auf einmal. Ich schreibe etwas, spreche mit jemandem und schaue nebenbei im Internet. Das ist meine Natur während manche Menschen sich nur auf eine Sache fokussieren können. Ich bin gut darin. Manchmal komme ich an den Punkt, an dem ich ausgebrannt bin, weil es zu viel ist. Dann weiß ich aber, dass ich das allein aus meinem eigenen Wunsch mache. Vor allem nach der zweijährigen Pause, als es kaum ein Einkommen, keine Touren und nicht viel zu tun gab, dachte ich mir: „Verdammt, gebt mir etwas zu tun!“

Ich bin dazu bereit, härter für dieses Album zu arbeiten, als für die letzten beiden Alben. Nur weil ich realisiert habe, wie sehr ich mein Leben vermisst habe. Das ist meine Profession, aber auch wie gesagt, meine Mission. Das ist, warum ich auf dieser Welt bin. Es mag sich kitschig anhören, aber das ist, wofür ich lebe. Ich habe keine Familie und hatte auch sogar schon für längere Zeit keine Freundin. Vielleicht habe ich deshalb so viel Zeit, um all diese Dinge auf einmal erledigen (lacht). Und ich kann mich daran erinnern, dass mich unser Agent vor dem Sommer fragte: „Bist du wirklich sicher, dass du all diese Shows mit ME AND THAT MAN spielen und dann noch BEHEMOTH oben drauf packen willst?“. Das waren dann 25 Gigs diesen Sommer. Du würdest nicht glauben, was das für ein logistisches Hin und Her war. Kein Schlaf, sondern einfach nur ab in den Van und ab durch die Nacht. Einfach wahnsinnig.

Oldschool.

Sehr Oldschool. Glaube mir, wir haben unsere ganz schön Standards heruntergefahren, nur um das alles möglich zu machen. Letztendlich  sind ME AND THAT MAN keine große Band. Es ist eine kleine Nischenband, aber die Leute mögen sie. Ich war von der positiven Reaktion zu diesen langsamen Songs echt überrascht. Ich habe mir den Arsch abgearbeitet, um Leute zu treffen und von ihrer Energie zu zehren. Ich brauchte das einfach. Dann haben wir in letzter Minute noch ein paar BEHEMOTH-Shows gespielt. Die Show in Wacken war absolut monumental. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Leute gesehen. Ungefähr 70.000 Leute, oder so, die bis zum Horizont reichten. Einfach Wahnsinn.

Das kann ich mir vorstellen.

Es mich natürlich absolut geschlaucht, ich bin ja auch nur ein Mensch. Es war sehr erschöpfend, aber ich bereue nichts und habe jede Minute dieser Tour geliebt. Das machen wir jetzt wieder. Angefangen in zwei Wochen, werden wir ungefähr 45 Shows spielen. Erst Europa, dann Südamerika. Ich kann dir hier direkt sagen, dass unser Drummer Inferno gesagt hat, dass er aufgrund von familiären Verpflichtungen nicht beide Touren schafft. Wir haben gesagt: „Alles cool, wir finden einen Ersatz.“ Jon Rice (ehemals JOB FOR A COWBOY), der auch bereits mit uns gespielt hat und der die perfekte Vertretung für Inferno ist. Er wird Südamerika übernehmen. Das wird alles sehr intensiv werden, sowas haben wir schon ewig nicht mehr gemacht. Die letzten Jahre waren da sehr komfortabel. Nach einer Tour immer zwei Monate Pause. Aber die Sache ist, dass die Zeiten gerade auch nicht komfortabel sind.

Ich will flexibel sein und wir erleben ja auch gerade einen ökonomischen und geopolitischen Wandel. Etwas verändert sich und manchmal muss man seine Standards herunterfahren. Auch wenn man immer weiter wachsen will, kann man es manchmal einfach nicht. Oder wir machen eine Tour, die nicht so profitabel ist, wie vor der Pandemie. Aber hey, wir haben diese Tour vor drei Jahren angekündigt und wir akzeptieren, was es kostet. Dadurch nehmen wir vielleicht nicht so viel ein, aber was soll ich machen? Soll ich die Tour canceln? Zuhause sitzen und den guten Zeiten nachheulen? Ich bin aus einem Grund hier und dieser ist nicht Geld. Natürlich ist Geld wichtig. Ich muss Rechnungen zahlen und ich muss überleben. Aber an erster Stelle kommt meine Mission. Wir haben ein großartiges Album, werden das live beweisen und wir sind in wirklich hervorragender Form.

Kommen wir zurück zum Album. Ich bin wirklich neugierig, worum es in „Ov My Herculean Exile“ geht. Ich konnte es nicht wirklich herausfinden, aber es ist ein sehr interessanter Song. Kannst du mir etwas über die Hintergründe erzählen?

Ich kann mich nicht mehr wirklich daran erinnern, wie es dazu kam, dass wir diesen Titel gewählt haben. Ich nenne diesen Song gerne einen „Geschichtenerzähler“. Das ist ein eigenes Musikgenre. BOB DYLAN ist ein Geschichtenerzähler, TOM WAITS ist ein Geschichtenerzähler, oder NICK CAVE. Aus irgendeinem Grund hat „Ov My Herculean Exile“ ebenfalls diese Elemente. Es hat diese monumentalen Elemente und ich erzähle diese Geschichte während einer Reise und trage diese Bürde auf meinem Rücken, mit der ich immer weitermarschiere. Und „Herculean“, weil es monumental und massiv ist.

Ich habe der Dame, die das Video gemacht hat, freie Hand gelassen. Sie hat einfach ihre eigene Interpretation gemacht, aber irgendwie ist es doch miteinander verbunden. Es stellt eine Straße dar, die ich „das reisende Böse“ nenne, das von einem Menschen auf den anderen springt. Wir haben alle dieses Gen des Mörders. Lass es uns das „Kain-Gen“ nennen. Wir machen weiter mit dem Töten, wir fügen uns weiter gegenseitig Böses zu. Sie entwickelte dieses Konzept, das nicht unbedingt das ist, woran ich bei meinem Text gedacht hatte. Aber es passt, wenn du das Video zu dem Song packst, passt es. Es gab Leute, die zu mir meinten, dass sie die Musik vergaßen, als sie sich das Video anschauten. Weil sie davongetragen wurden. Und das ist das beste Kompliment, das ich jemals bekommen kann. Denn das heißt, dass das Video und der Song gleich und nicht voneinander getrennt sind. Es ist wie ein einziges Ding, das so gut zusammengebaut ist. Also finde ich, dass wir damit einen guten Job gemacht haben und auch die Dame spektakuläre Arbeit geleistet hat.

 

Und „Neo-Spartacvs“? Ich meine, er war offensichtlich ein Kämpfer und ein Rebell, aber warum habt ihr euch ausgerechnet für ihn entschieden?

Weil Spartacus das größte Sinnbild für Rebellion in der Geschichte ist. Natürlich war ich schon immer von den ganzen Außenseitern und Rebellen fasziniert. All diese Sinnbilder, die für den Kampf um Freiheit stehen. Angefangen mit Satan, Luzifer, Dionysus und viele mehr. Die Liste ist lang. Aber das sind alles metaphorische und literarische Wesen. Spartacus ist eine tatsächliche historische Figur, also warum nicht? Ich habe schon immer viele Einflüsse aus der Geschichte bezogen. Dieses Mal haben wir Spartacus wörtlich in den Song gepackt.

Aber am Ende ist es auch wieder eine Metapher. Um es kurz zu machen: Die Welt in der wir leben, ist so abgefuckt und es gibt viele Dinge wie den Krieg in der Ukraine und soziale Dinge in unserem täglichen Leben, die wir ansprechen sollten. Wir müssen aufmerksam für das sein, was um uns herum geschieht. Ich habe das Gefühl, dass es immer mehr Dinge und Gründe gibt, gegen die rebelliert werden sollte. Wenn du mich fragst, wer „Neo-Spartacvs“ ist, dann sage ich: „Ich bin „Neo-Spartacvs“.“ Du kannst „Neo-Spartacvs“ sein. Jeder kann das sein, der selbstbewusst genug ist, um öffentlich und laut „Nein!“ zu sagen. Also, wenn du für Abtreibungsgesetzte kämpfst bist du ein Spartacus für Frauen. Das möchte ich gerne sein, denn was momentan mit den Frauenrechten geschieht, ist absolut empörend.

Das ist wirklich unglaublich und wie eine Reise zurück ins Mittelalter, denn ich dachte, so etwas hätten wir hinter uns gelassen.

Ja, du kommst aus Deutschland und ihr seid ein sehr liberales Land. Ihr hattet natürlich eure Probleme in der Vergangenheit, aber bei euch ist es immer noch sehr, sehr sicher. Aber bedenke, dass ich aus einem Land komme, das von Fundamentalisten, Nationalisten und extrem religiösen Menschen geführt wird. Es ist kein Spaß hier.

Glaube ich dir.

Ich meine, wir sind am Arsch. Es wird eine Weile dauern, aber hoffentlich können wir diese Leute durch bessere Vertretern unserer Regierung ersetzen.

Ja, aber Dinge dieser Art passieren leider wirklich nicht über Nacht. Ich hoffe, dass Polen eines Tages ebenso liberal sein wird wie Deutschland und ähnliche Länder.

Das ist der Plan. Das ist, was ich mir vorstelle. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, aber vor kurzem kam unsere Regierung mit der Idee von Reparationszahlungen durch Deutschland für die Schäden aus dem zweiten Weltkrieg. Das wurde in der Vergangenheit bereits getan und wir sind quitt. Aber sie stellen die Deutschen als die natürlichen Feinde Polens dar.

Was?

Das ist komplett absurd, so wie ich das sehe. Bei dem was heutzutage im Osten geschieht, sollte Polen eine Allianz mit Deutschland mehr und stärker als zuvor anstreben. Wir gehörten bereits zur westlichen Demokratie und haben diese gewählt. Warum untereinander zu Feinden werden? Wir sind eins. Ich verstehe es nicht. Es ist sehr schmerzlich das zu sehen. Diese Leute kreieren eine Propaganda, die ihre Wähler denken lässt, es gäbe eine Gefahr aus Deutschland. Es soll eine Atmosphäre von Bedrohung und Gefahr von außen geschaffen werden. So sollen Leute in einem Land kontrolliert werden. Sie bekommen Angst und es gibt einen Schockeffekt und wenn Scheiße passiert, sollen sie denken, dass die Regierung sie rettet. Es ist wie eine Regel. Viele Länder haben das so gemacht. Ich meine, so hat es das dritte Reich gemacht. Sie haben alle um sich herum zu Feinden gemacht, so dass das ganze Land manipuliert werden konnte. Ich bin ausgebildeter Historiker und kenne diese Mechanismen. Und die Menschen werden auf diese Art immer noch hereingelegt.

Zuletzt bin ich noch neugierig, was es mit den Teasern der letzten Tage auf sich hat, bei denen ihr auf dem Dach eines großen Gebäudes steht. Wird es eine spezielle Show zum Release des Albums, oder ein neuer Livestream?

Ja, wir haben das Set auf dem Dach auf eines zentralen Gebäudes in Warschau errichtet. Es trägt den Namen „Palast der Kultur“. Es ist ein Gebäude, wie du es oft in Russland und speziell in Moskau siehst. Es ist kommunistische Architektur und wurde Polen in den Fünfzigern von Stalin geschenkt. Wir haben dort oben ein zwanzigminütiges Set mit viel Licht und Feuer  gespielt. Wir performen die ersten vier Singles des neuen Albums und veröffentlicht wird das Ganze auf unserem Youtube-Channel. (Dieses Interview erscheint einige Tage später und die eindrucksvolle Performance könnt ihr hier bewundern.)

Dann habe ich jetzt keine Fragen mehr. Ich habe das Interview echt genossen.

Ja, ich finde wir hatten ein sehr interessantes Gespräch. Danke dir für deine Zeit.

Danke dir ebenfalls. Mach’s gut!

Auf Wiedersehen!

 

Quelle: Phonecall mit Nergal
17.09.2022
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