Barren Earth
Neue Musiker, neue Horizonte
Interview
BARREN EARTH? A-ha!
Am 30. März 2018 wird mit „A Complex Of Cages“ das vierte Studioalbum der Death/Doom Metaller BARREN EARTH erscheinen. Es ist also höchste Zeit, sich anzuschauen, was sich bei den Finnen alles getan hat. Das ist eine ganze Menge und wirft die Frage auf, wie eine Band mit Musikern, die in so vielen anderen Bands nicht weniger aktiv sind, überhaupt funktioniert. Wer sind die neuen Gesichter, die 2017 mit auf der Bühne waren, und woher kommen sie? Und schließlich: welchen Input liefern die „Neuen“ musikalisch und was darf man insgesamt vom vierten Studioalbum erwarten? Autorin Katja Geßner begibt sich auf Spurensuche.
Das Spiel mit der Zeit – schwer aber machbar
Doch zunächst einmal: Wie funktioniert BARREN EARTH? Oder besser: wie kann BARREN EARTH überhaupt funktionieren? Wir erinnern uns: Olli-Pekka „Oppu“ Laine ist seit April 2017 wieder bei AMORPHIS aktiv, seit Dezember 2016 treten MANNHAI wieder auf, und dann ist da noch KILJUVELKA-70, seine Anarcho-Hardcore-Punk-Kombo. Sami Yli-Sirniö verdient seine Miete bekanntlich mit KREATOR und mischt bei JIMSONWEED und WALTARI mit. Janne Perttilä und Marko Tarvonen spielen außerdem bei MOONSORROW. Und dann sind im Zweifelsfall auch noch Familien und bürgerliche Arbeitsverhältnisse …
Wie geht das? „Ja, es ist mit Sicherheit irgendwie hart“, beginnt Oppu. „Oft proben wir einfach nur zu dritt mit Marko und Janne oder Marko und Sami und mir“, erklärt er. „Und sehr selten kommen wir alle zusammen, wenn eine Show oder ein Album ansteht. Dann proben wir vorher ein paarmal alle zusammen.“ Am Ende ist es ein gemeinsamer Kalender und die Arbeit des Managers, passende Slots zu finden, wie er sagt und betont: „Es ist schwer, aber machbar.“
Mit dem Gedanken an Oppus Terminkalender, der mit seinem Einspringen bei seinen ständig tourenden Jugendfreunden von AMORPHIS kaum entspannter geworden sein dürfte, frage ich ihn lachend: „Ich wundere mich ohnehin, wann du Zeit zum Essen und Schlafen findest?“ Ebenfalls lachend antwortet er: „Zuhause ist das einfach, wenn ich arbeite, habe ich nachts noch etwas Zeit übrig.“ Mir entfährt ein zynisches „Wirklich?“ Und er antwortet: „Nur wenn wir nicht mit AMORPHIS proben, natürlich. Ja, ich freue mich wirklich auf nächstes Frühjahr, wenn ich vielleicht Freizeit für Urlaub oder so was haben werde. Es war ein echt hartes Jahr.“ Nickend bestätige ich ihm, „klingt danach.“ Er grinst etwas versonnen, als er sagt: „Aber es ist auch echt viel Spaß gewesen.“ Wir lachen beide.
Lil‘ Wizard an den Tasten: Antti Myylynen
Was die Band während der Tournee im Januar 2017 noch unter Verschluss hielt, auch wenn es zwischen den Zeilen bereits zu lesen war, ist, dass das neue Gesicht an den Tasten tatsächlich Kasper Mårtensons Nachfolger ist: Antti Myylynen– Lil‘ Wizard, wie sie ihn in einem Post aus dem Studio während der Aufnahmen zum neuen Album begeistert nannten. Mårtensons Trennung von BARREN EARTH konnte man in stilistischer Weise schon mit dem „On Lonely Towers“-Album erahnen. Die schwermütigere und deutlich düsterere Stimmung gegenüber den ersten beiden Alben entsprachen nicht seiner persönlichen, musikalischen Entwicklung hin zu weniger harten Tönen, wie Kasper im Post bekannt gab, in dem BARREN EARTH Antti vorstellten.
Auf der Bühne sieht man nicht viel von Antti, da sein Gesicht fast immer hinter dem Schleier seiner fast bauchnabellangen Haare verschwindet. Im Sommer begegnete er uns nicht nur auf der Bühne des Virgin Oil beim dortigen Auftritt von BARREN EARTH, sondern auch freundlich grüßend als Techi auf dem Tuska Metal Open Air.
Antti, der normalerweise schüchtern ist, erklärte mir belustigt, als wir uns in Zürich unterhielten, dass er sich auf eine anonyme Anzeige an einer einschlägigen Stelle ganz klassisch beworben hatte. Er versuchte aus der Erinnerung die Selbstbeschreibung der Band aus der Anzeige zu zitieren, und die deutete meiner Ansicht nach schon sehr auf BARREN EARTH hin. Und nun sei er halt dabei.
Myylynen hatte zunächst CREINIUM, einer technischen Melo-Death-Metal-Band, mit emotional sehr gewichtigen, düsteren und imposanten Keyboardpassagen seinen Stempel aufgedrückt. Zuvor, in der zweiten Hälfte der 2000er, war Antti unter anderem mit einigen anderen Mitgliedern von CREINIUM bei PATH OF ANNIHILATION aktiv.
Oppus Begeisterung für Antti kennt keine Grenzen. Es hätte keine Zweifel beim Vorspielen gegeben, ob er in die Band kommen würde. So gut sei er! Und das Ausrufezeichen kann man hören – wie so oft, wenn redet. Er beschreibt Antti als einen eher stillen Menschen, der aber über ein sehr breites Repertoire verfügt. In der Band schätzt man ihn für seine Arrangements. Als Anttis größte Stärke gilt seine Zuverlässigkeit. Lächelnd hebt Oppu noch hervor, dass er seinem Kurzweil-Synthi ganz großartige Töne zu entlocken vermag. Und dem kann ich nur zustimmen. Antti selbst auf seine Anteile am neuen Album angesprochen (auf dem Metal Crane Festival, kürzlich in Helsinki), reagiert mit typisch finnischem Understatement und einer herabspielenden Geste.
Stimmgewaltig: Jón Aldará
Als Mikko Kotamäki BARREN EARTH vor dem geplanten Beginn der Aufnahmen zu „On Lonely Towers“ verließ, hatte er bereits Jón Aldará unterbreitet, sich um seine Nachfolge bei BARREN EARTH zu bemühen. Warum auch immer, er zögerte, tat es dann aber doch. Jón kannte man bis dahin als Sänger der Doom-Metaller HAMFERÐ, eine der wenigen von den Färöer-Inseln stammenden, bekannteren Bands. HAMFERÐ tourten 2014 u. a. durch Deutschland als Support-Band von AMORPHIS und erreichten spätestens zu diesem Zeitpunkt einige Bekanntheit auf dem Kontinent.
Aldarás erste Amtshandlung bei BARREN EARTH war es, alle bestehenden Texte, die die Band in alter Gewohnheit gemäß den Absprachen mit Kotamäki fertiggestellt hatte, über Bord zu werfen und neue Texte und Textmelodien einzubringen. Die Argumentation war schlicht und wirkungsvoll: entweder wir tun es auf meine Weise oder gar nicht. Ein bemerkenswerter Einstand für den deutlich jüngeren Vokalisten in einer Band, die vor großen Namen nur so überläuft. Das Ergebnis – ohne die Alternative zu kennen – dürfte ihm aber recht geben. Seine Texte sind vielseitig und tiefsinnig, fassen „On Lonely Towers“ zu einer fortlaufenden Geschichte zusammen. Mich faszinieren immer wieder seine sehr bewusst gesetzten und unglaublich präzisen Wechsel zwischen Klargesang und Growls.
An Jóns Durchsetzungsvermögen, das auch Oppu im Gespräch hervorhebt, dürfte kein Zweifel bestehen. Auch nicht an seinem künstlerischen Talent und sicher noch am wenigsten an seinen Fähigkeiten als Sänger – und diese Anmerkung sei erlaubt: Auf dem neuen Album überrascht er mit einer wenigstens mir völlig neuen Richtung in seinem Repertoire. Auch seine Bühnenpräsenz ist im Vergleich zur Tournee im Januar 2017 noch spürbar weitergewachsen. Seine Show im Virgin Oil einige Monate später war deutlich ausdrucksstärker und merklich selbstbewusster. Lustigerweise erscheint Jón im Gespräch eher zurückhaltend und nachdenklich als durchsetzungsvermögend und sieht auch seinen Einfluss auf die musikalische Entwicklung der Band als begrenzt an.
Unterwegs mit Freunden – das Live-Line-up
Wer sich ein bisschen in der finnischen Metal-Szene auskennt, weiß, dass eigentlich jeder jeden kennt und auch irgendwie jeder mit jedem mal was gemacht hat oder wenigstens gerne machen würde. Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, dass die Musiker, die während der letzten Shows (für Marko, Janne und Sami) einsprangen in der Szene keineswegs Unbekannte sind.
Kimmo Korhonen (Gitarrist, auf der Tournee für Sami eingesprungen), dessen vorrangiges Interesse seiner bereits in den 1990ern gegründeten Band SOLACIDE gilt, ist ein guter Freund von Oppu. Er hat in früheren Jahren bei AMBERIAN DAWN gespielt, die als Talentschmiede betrachtet werden dürfen (schließlich entspringt ihren Reihen z. B. auch Kasperi Heikkinen, früher U.D.O./DIRKSCHNEIDER, heute BEAST IN BLACK). Darüber hinaus ist Kimmo inzwischen festes Mitglied der finnischen Kultband WALTARI, in der auch Sami mitwirkt, wenn auch mittlerweile nicht mehr live. Und SOLACIDE ist ein gutes Stichwort. Denn als den Black/Death Metallern im März ein Bassist für einen Gig zu Hause in Lahti fehlte, sprang Laine selbstverständlich ein. Man hatte auf der Tournee darüber geredet, und dann hat er halt mitgemacht.
Am Schlagzeug saß ein Freund und inzwischen ehemaliger SOLACIDE-Bandkamerad von Kimmo: Eero Wuokko, Multi-Instrumentalist. Eero genoss bei SOLACIDE einen ausgezeichneten Ruf, wo er im übrigen neben Korhonen als zweiter Gitarrist mitwirkte. Er ist dort erst 2015 eingestiegen, beteiligt sich aber rege am Songwriting, wie mir der Vokalist der Band mitteilte. Laine charakterisiert Eeros Stil als weniger „tight“ im Vergleich zu Marko.
Gitarrist Timo Ahlström ist ein äußerst leidenschaftlicher Live-Musiker und mehr als erlebenswert! Oppu lacht jedes Mal, wenn er seinen Namen nennt und ist von den Showqualitäten seines Freundes begeistert. Völlig zu Recht! Timo hat drei Jahre (2013 bis 2016) lang bei KILJUVELKA-70 mitgewirkt. Das war mir irgendwie entgangen und mir schon ein bisschen peinlich, als ich mich mit Timo unterhielt. Der aber nahm es mit Humor und freute sich, dass überhaupt jemand außerhalb Finnlands die Band kennt. Während er im Januar auf der zweiten Tourneehälfte Janne vertrat, sprang er im Sommer für Sami ein, der fast zeitgleich einen Auftritt mit JIMSONWEED hatte. Das dürfte hinreichend belegen, wie vielseitig und gut Timo als Gitarrist ist.
Grundsätzlich jedoch finden es BARREN EARTH wichtig, dass die ‚Stand in‘-Musiker ihren eigenen Stil mit in die Auftritte der Band einbringen. Es ist explizit nicht gewünscht, dass sie versuchen, die eigentlichen Bandmitglieder zu kopieren. So entsteht eine eigene Interpretation der BARREN EARTH-Werke. Dazu passt auch, dass Laine selbst sich die Freiheit nimmt, mal genauer und strikter zu spielen oder, wenn es das Publikum hergibt, auch einfach mal zugunsten von mehr Energie, es nicht so ganz so genau nimmt, wie er sagt.
Oppu hatte mir schon im Januar zum Ende der Tournee erklärt, dass die Band bewiesen habe, für eine größere Tournee eben gegebenenfalls auch mit einer deutlich vom eigentlichen Band-Line-Up abweichenden Besetzung bereit zu sein. Natürlich werde man dann versuchen mit regulären Besetzung zu touren, weil das einfacher sei. Klar. „Sami hatte geplant, mit auf die Tournee zu gehen, und musste erst in letzter Minute absagen. Deshalb war Kimmo dabei. Du weißt nie, was passiert“, erklärt er. „Natürlich, es hätte auch einfach jemand erkranken können und deshalb eine Tournee absagen“, mutmaße ich. „Es ergibt manchmal einfach keinen Sinn. Und es ist sogar noch mehr Spaß auf diese Weise – mit den neuen Gesichtern in der Band“, sagt er zufriedenen lächelnd.
Dunkler und schwerer – das vierte Album
Es werde ganz anders sein als alle andere BARREN EARTH-Alben, „dunkler und schwerer“, beschreibt Oppu das kommende Werk. Aber es werde auch Humor dabei sein. Und so viel sei verraten: stimmt! Welchen Input haben Jón und Antti beigesteuert, wie hat sich das Fehlen von Kasper ausgewirkt, und wie kam man darauf, das erste Mal mit einem Produzenten zusammen zu arbeiten?
„Sie [Jón und Antti] hören modernen Metal, was ich persönlich nicht mache. Aber es ist interessant, über die beiden neue Bands und Einflüsse kennenzulernen. Ja. Das ist der Weg, den es zu gehen gilt“, erklärt Oppu mit einiger Begeisterung und ist in Gedanken schon fast wieder woanders. Antti bringe darüber hinaus neben einem klassischen Metal-Hintergrund auch einiges aus dem progressiven 70er-Spektrum mit. „Nicht nur den Orgelkram oder die Vintagesachen, wie Hammond. Auch mehr Synthisounds, Achtziger-Einflüsse, was wir dieser Tage toll finden.“ Antti hat auch bereits einige Songs geschrieben. Diese werden auf dem nun anstehenden Album allerdings noch nicht hören sein. Die Zeit zwischen Tournee und Studiotermin war nicht ausreichend, um seine dann neuen Songs noch einzustudieren. Wir müssen uns also bis zum nächsten Album gedulden“, wie Oppu zu Protokoll gibt.
Nicht nur durch das Fehlen von Kaspers „sehr leicht zugänglichen“ Songs ist das neue Album dunkler und schwerer geworden. Kaspers Material war „irgendwie auf der leichteren Seite“, beschreibt Laine. Das Material mache schon den Hauptunterschied, erklärt er, aber auch die ganz andere Produktion wirke sich aus. Ob jetzt alle Songs von ihm sind, frage ich. Sie sind „natürlich zur Mehrheit von mir“, sagt er. Aber eben nicht alle. „Marko hat einen Song gemacht. Und Janne hat einen gemacht. Und Sami hat einen gemacht.“ – Eher also wie auf den ersten Alben.
Erstmals haben BARREN EARTH einen Produzenten für das neue Album engagiert. Viktor Santura war Oppu von Markus Laakso (KUOLEMANLAAKSO, ein alter Freud und Biograph von AMORPHIS) persönlich empfohlen worden. „Und natürlich mochten wir alle seine Arbeit“, sagt er und verweist auf die letzten beiden Alben von KUOLEMANLAAKSO. Die Tatsache, dass es für das vierte Studioalbum einen Produzenten gibt, ist im Wesentlichen der knappen Zeit und den vielen über BARREN EARTH hinausgehenden Aktivitäten geschuldet: „Nun, wir haben genug andere Dinge zu tun“, bestätigt Oppu in seiner ihm eigenen Bescheidenheit und skizziert die extrem zeitaufwendige Alternative, „weil du ständig in den Prozess involviert bist – jeder von uns.“
Mit dem Produzenten, Viktor Santura, ließen sich die Aufnahmen im Wesentlichen auf zwei Wochen zusammenschieben. Dennoch verschiebt sich auch dieses Mal das Veröffentlichungsdatum immer wieder. Auf der Tournee im Januar 2017 hatte man noch September 2017 angepeilt. Nun wird es Ostern 2018. Kurz vor meinem Treffen mit Oppu im Spätsommer hatten BARREN EARTH die Reihenfolge der Songs festgelegt und dabei beschlossen, dass man für den ersten Song doch noch ein Intro brauche. „Aber es kostet etwas Zeit, das zu komponieren, zu mischen und all das. Und das Artwork ist auch noch in Arbeit. Und die Videos und alles. Wir sind also beschäftigt“, erklärt er lachend und belegt, dass man eben noch nicht fertig ist. War. Denn inzwischen ist das Album fertig und pünktlich zur Veröffentlichung spielt man in Helsinki eine Headliner-Show sowie am Abend darauf im Rahmen des Saarihelvetti Easter Bashs in Tampere, um das Album vorzustellen. Eine weitere Tour ist für Herbst 2018 angedacht.
Fehlt noch die Erklärung der Überschrift. Die findet sich von selbst, schon im ersten Song des neuen Albums. Hör einfach mal rein! Jón findet den Vergleich durchaus schmeichelhaft.
Text: Katja Geßner
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Stile | Death-Doom Metal, Progressive Death Metal |
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