Back to normal oder alles anders?
Interview mit Lorenz Deutsch (FDP)
Interview
Wie blickt die Politik auf die Lage im Veranstaltungssektor? Wir sprachen im Juni 2021 mit Lorenz Deutsch (FDP), Sprecher im Ausschuss für Kultur und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und kulturpolitischer Sprecher der FDP Köln.
Herr Deutsch, wann haben Sie zuletzt ein Konzert oder sonst eine Live-Kulturveranstaltung besucht?
Das ist schon sehr lange her. Ich war vor der Pandemie in der „Divine Comedy“ in der Live Music Hall in Köln.
In den letzten Monaten hat es ja durchaus Pläne für Veranstaltungen gegeben. Was haben sie dabei an Hygienemaßnahmen mitbekommen?
Wenn wir über Konzertveranstalter reden, dann habe ich bisher fast nur Hygienekonzepte in Bereitschaft erlebt. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich die Kulturfabrik Krefeld besucht habe, wo vieles geplant wurde, wie zum Beispiel eine großzügige Bestuhlung in ihrer großen Halle. Veranstaltungen konnten dort aber nur im letzten Sommer und nur spärlich durchführen werden. Das waren Literaturevents oder ähnliches, aber ein echter Konzertbetrieb ist da nicht angelaufen.
Könnten Sie sich vorstellen ob und welche dieser Maßnahmen uns vielleicht auch nach der Pandemie weiter begleiten?
Die Frage ist natürlich spekulativ. Seriös kann man sie nur beantworten, wenn man einigermaßen weiß, wie sich die Rahmenbedingungen dieser Pandemie entwickeln. Mein Lieblingsszenario wäre, dass es, von anderen Influenzaerkrankungen bekannte, saisonale Impfkampagnen gibt und wir tatsächlich wieder zu so etwas wie Normalität, wie wir sie vor der Corona-Zeit hatten, zurückkehren können. Dann sehe ich nicht, dass wir dauerhaft diese Hygienekonzepte weiterführen müssen.
Ich kann mir aber auch ganz andere Szenarien vorstellen. Wir könnten es auch mit mutierenden Varianten zu tun kriegen, die jedes Mal neu eine flächendeckende Impfung notwendig machen. Da können wir nicht zwischendurch dazu aufrufen, dass es ganz gut wäre, sich impfen zu lassen, sondern müssen für eine weitgehende Schutzwirkung den Großteil der Bevölkerung erreichen. Das wird immer sehr zeitaufwändig sein, auch wenn die Impfstoffmengen dann vielleicht größer sind.
In dem Fall kann ich mir schon vorstellen, dass es auch dauerhaft solche Hygienekonzepte geben wird. Dass man Tests zur Voraussetzung macht, um Sicherheit zu schaffen, scheint mir das naheliegendste zu sein.
In Frankreich hat vor einigen Tagen ein Konzert stattgefunden, dessen Kosten 1,3 Millionen Euro betrugen, davon 900.000 Euro allein für Tests. Gehen wir mal vom schlimmsten aus und es bleibt langfristig so. Was für Auswirkungen hat das dann auf Finanzierungsmodelle von Veranstaltungen?
Das naheliegendste ist, dass sich das in den Ticketpreisen bemerkbar macht. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass wir diese Kosten alle durch Zuschüsse oder ähnliches sozialisieren – auf Dauer. Dass wir eine Anlaufunterstützung geben, ist klar. Monika Grütters, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien stellt 2,5 Milliarden für den Neustart von Veranstaltungen bereit. Das sind sehr sinnvolle Hilfen für den Start.
Dass aber dauerhaft von staatlicher Seite Testinfrastrukturen aufrechtherhalten werden, und wenn es nur die Finanzierung ist, kann ich mir nicht vorstellen. Da wird auf die Dauer ein Nutzerprinzip Einzug halten, dass das über die Ticketpreise ausgleicht.
In welcher Höhe sich das bewegen wird, weiß ich nicht. Heute bekommen Testzentren 18 Euro pro Test. Ich kann mir zwar vorstellen, dass es bei dem Preis nicht bleibt und das auf Dauer noch günstiger werden kann, aber nicht, dass das mit einem Euro getan sein wird.
Sie hatten bereits das Modell einer Anschubfinanzierung erwähnt. Sie selbst haben an einem Antrag zur Förderung der Popkultur in NRW mitgearbeitet. Ist er unter dem Eindruck der Pandemie entstanden und soll ähnlichen Zwecken dienen?
Der hat tatsächlich einen etwas längeren Vorlauf und ist auch nicht aufgrund der Pandemie initiiert worden. Die Idee, ein popboard NRW zu gestalten, nach dem Vorbild zum Beispiel von Berlin, gibt es schon länger. Es hat durch Corona aber eine neue Dringlichkeit bekommen, dass man die Szene strukturiert in den Fokus einer Kulturförderung holt.
Das ist lange nicht der Fall gewesen. Unter der Maßgabe, dass sich popkulturelle Konzerte tendenziell privatwirtschaftlich refinanzieren, hat man lange Zeit keinen Förderbedarf gesehen. Bislang sehe ich auch nicht, dass wir den Konzertbetrieb staatlich fördern müssten. Als Vertreter der FDP bin ich froh und finde es gut, dass es privatwirtschaftlich funktioniert und die Leute bereit sind, Ticketpreise zu bezahlen.
Das Problem kenne ich eher aus anderen Bereichen der Kulturpolitik, beim Theater oder ähnlichem, wo ja sehr stark subventioniert wird, weil Preise, die vergleichbar mit Konzertpreisen sind, da offenbar nicht bezahlt werden.
Gehen wir vielleicht doch mal zurück zur Glaskugel, auch wenn ich weiß, dass das schwierige Fragen sind. Aber vielleicht bekommen wir das Bild gemeinsam ja etwas schärfer. Wie schätzen Sie es ein, wie es in der Zukunft mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von Massenveranstaltungen mit 10.000 und mehr Besuchern aussehen wird? Geht der Trend vielleicht eher zu überschaubaren und damit auch eingrenzbaren Events?
Wir werden auf jeden Fall eine längere Eingewöhnungsphase für diese Akzeptanz benötigen. Die wird sich nicht plötzlich wieder einstellen. Hier in Köln haben wir gestern (31.05.2021), die Außengastronomie und die Geschäfte wieder geöffnet und ich habe jetzt schon in mehreren persönlichen Gesprächen mitgekriegt, dass die Menschen ein bisschen irritiert sind, dass die Stadt wieder voll ist und man wieder zusammensitzen kann.
In dem Punkt glaube ich, dass sich das schnell wieder legen wird, man sich an alles erinnert und das dann auch wieder praktiziert. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass sich über 15 Monate Pandemie Sensibilitäten aufgebaut haben, die so schnell nicht wieder abgebaut werden. Das Thema wird es im Sport geben, bei Fußballstadien und ähnlichem, aber auch bei großen Festivals. Dass solche Bilder zurückkommen, noch in diesem Sommer, das glaube ich nicht. Dafür wird man werben müssen, damit die Leute sich wieder wohl fühlen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch eine große Sehnsucht. Die Leute wollen wieder ins Fußballstadion, auf Konzerte, auf Festivals.
Zwischen diesen beiden Punkten werden wir uns bewegen. Zum einen haben wir eine gewachsene Sensibilisierung für die Gefährdungen, die eventuell mit dem Besuch einhergehen, nicht nur durch Corona. Immer schon waren der Herbst und der Winter die Grippesaison. Ich will jetzt nicht Corona mit der Grippe vergleichen, aber es gab ja Grippewellen und damit solche Gefährdungen, denen man sich ausgesetzt hat, auch hier in Köln beim Karneval, aber vielleicht nicht immer mit der Bewusstheit, die wir heute haben. Die Sensibilität dafür ist gestiegen, dass das eine Gefährdung ist, wenn man sich so eng mit so vielen Leuten auf einem Platz bewegt. Und ob diese Sensibilität in einen Ausgleich kommt mit der Sehnsucht, das ist die Frage.
Sie haben gerade die Hersbt- und Wintermonate angesprochen. Könnte der Trend vielleicht auch mehr Richtung Open Air gehen, auch außerhalb des Sommers?
Ja, Open Air hat eine ganz andere Akzeptanz als alles, was in geschlossenen Räumen stattfindet. Wir hatten am Samstag unseren Parteitag in Köln in einem sehr, sehr großen frisch sanierten Saal mit guter Klimaanlage, aber trotzdem kam schnell die Frage, ob die Türen geöffnet werden können. Praktisch war das kein Problem, aber mit offenen Türen war das Gefühl besser. Das gibt einen Hinweis darauf, dass mit frischer Luft ein ganz anderes, besseres Gefühl von Sicherheit verbunden wird.
Insofern geht die Akzeptanz sicher klar zum Open Air. Hier in Köln ist es zum Beispiel der Fall, dass zusätzliche Open-Air-Spielorte entwickelt werden. Das wird auch gefördert, da es sehr aufwändig ist, so etwas aufzubauen. Deswegen glaube ich, dass der Einstieg über Open Air-Veranstaltungen erfolgen wird.
Zu einem anderen Thema: Was schätzen Sie ein, was diese Pandemie für Auswirkungen auf die Attraktivität von langen Reisen zum Beispiel für Bands aus Übersee hat?
Nach allem, was ich bislang mitbekommen habe, ist das Tourgeschäft in der Metal- und Rockszene eine der zentralen Einnahmequellen geworden, weil über die Musik, ob über Tonträgerverkauf oder im Streaming, die Erwirtschaftung schwierig geworden ist. Von daher lastet ein hoher wirtschaftlicher Druck darauf, dieses Modell wieder ans Laufen zu bringen.
Ja, da sehe ich eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die Szene, dass das wieder in Gang kommt. Es ist ja nicht nur das Publikum, das vor der Frage steht, ob es sich wieder in volle Konzertsäle begibt und in die Menge drängelt, um in die vorderen Reihen zu kommen. Backstage ergeben sich ganz ähnliche Fragen. Auch da sind Tourbusse unterwegs, in denen es im Zweifel eng wird. Man muss reisen, auch über Ländergrenzen hinweg. Das muss dann auch mit Hygienemaßnahmen begleitet werden, im Zweifel mit Teststrategien für die gesamte Crew.
Wir haben bereits darüber gesprochen, dass wahrscheinlich die Ticketpreise steigen werden. Ich frage mal provokant: Werden Konzerte zum Luxusgut und kann man dem vielleicht irgendwie entgegensteuern?
Ich würde es nicht gleich Luxusgut nennen, aber die Gefahr steht ganz klar im Raum, dass es kostspieliger wird. Denn es wird mehr Aufwand betrieben werden müssen. Im Zweifel wird man eine Weile auch nicht mit 100% Kapazität arbeiten können, sondern mit geringeren Zuschauerzahlen, auch um den Anwesenden ein sicheres Gefühl zu geben, zum Beispiel mit mehr Abstand im Publikum.
Da ist die Frage, ob das die Kleinen besser können als die Großen. Ich bin jetzt zu wenig Betriebswirt in dieser Szene, nein, ich bin gar kein Betriebswirt in dieser Szene (lacht), um das einschätzen zu können. Es ist die Frage, was ich einsetzen muss, um welchen Umsatz zu erzeugen. Vielleicht sind kleine Einheiten da flexibler, vielleicht sind es die Großen, die mehr Puffer haben. Das wird sehr unterschiedlich sein und ist deswegen nur schwer einzuschätzen. Sicher ist, dass es sich an der Ticketkasse bemerkbar machen wird. Das kann eigentlich gar nicht anders sein.
Das führt uns dann auch zu der Frage, wie sich das Publikum in Zukunft sozioökonomisch zusammensetzen wird. Gibt es da Möglichkeiten – sie hatten ja schon erwähnt, dass es bei anderen Veranstaltungen Ermäßigungen gibt – die Heterogenität zu erhalten oder gar zu vergrößern?
Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie man das praktisch macht. Wenn es zum Beispiel um Rock am Ring geht, dann ergibt die Einteilung in Senioren-Tickets, Schüler-Tickets und so weiter, nicht so wirklich Sinn. Meinem Eindruck nach gibt es da ein tendenziell eher junges Publikum. Aber in welchen Systematiken erfasst man das eigentlich?
Es ist was anderes, ob wir über eine Jazz-Veranstaltung sprechen oder über eine Pop-Band, die für Teenies interessant ist. Welche Veranstaltung will man da erfassen, um zu ermitteln, wie sich die Zusammensetzung entwickelt? Da tauchen große Fragen auf. Wenn man aber in diese Richtung Überlegungen anstellen will, dann muss man sich genau angucken, wie sich das entwickelt, aktuell auch sicherlich mit einer gewissen Wachsamkeit.
Es ist auch die Frage, ob wir vom Produkt her denken, also ob es kulturell wertvoll ist und ob es gefördert wird, oder ob wir die ökonomische Lage des Publikums differenzieren wollen. Hinzu kommt auch der Aspekt, dass manche Spielstätten gefördert werden, andere nicht.
Ich frag einmal bewusst schlicht: Warum gibt es denn Ermäßigungen zum Beispiel bei einer Theateraufführung in der Waldbühne und beim Konzert im Club nicht?
Bei der öffentlichen Förderung, die das Theater vielleicht hat, ist die Maßgabe, dass man dann fördert, wenn Veranstaltungen und Spielstätten es ökonomisch schwer haben, man sie aber erhalten möchte, weil man sie für kulturell wertvoll hält. Da hat man bis jetzt große und kleine Konzertereignisse, die in ihrem Bereich privatwirtschaftlich klarkommen, nicht auf dem Schirm gehabt. Verständlicherweise, denn wieso sollte man in ein Modell, dass sich selbst trägt, mit einer öffentlichen Förderung reingehen? Wenn in diesem Punkt nun aber was kippt, dann könnte sich das ändern. Die Frage bleibt aber, wie man das erfasst.
Danke sehr. An dem Punkt sind wir dann auch wieder beim Spekulieren. Um abschließend noch einen höchst spekulativen Blick in die bereits erwähnte Glaskugel zu werfen: Gibt es eine realistische Chance, dass wir 2022-2023 einen Live-Kultur-Betrieb wie vor 2020 werden erleben können? Was denken Sie?
Ich hoffe es sehr, weil ich darauf setze, dass wir mit der Impfkampagne so erfolgreich sind, dass das Virus sich mit saisonalen Nach-Impfungen in Zaum halten lässt. Dann sollte man das eigentlich in 2022/23 in Angriff nehmen können. Das ist aber der Blick in die Glaskugel, denn das Virus entscheidet mit.
Das Virus wird auch nicht verschwinden, das ist klar. Das sagt jeder Virologe. Die Frage ist, ob wir damit klarkommen. Ob der Impfschutz so funktioniert, dass wir uns keine Sorgen mehr machen müssen, zumindest nicht in einem solchen Ausmaß, dass unser Gesundheitssystem überlastet wird. Wenn ja, dann sollten wir das wieder erreichen.
Wollen wir es hoffen. Herr Deutsch, danke für das Gespräch.
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