Back to normal oder alles anders?
Interview mit Camilo, Cassiopeia, Berlin
Interview
Das Cassiopeia sieht in den während der Pandemie erprobten Open-Air-Veranstaltungen eine Ergänzung zum Clubbetrieb für den Sommer. Auf Dauer wird ein Clubbetrieb unter begrenzter Auslastung nicht durchführbar sein ohne staatliche Subventionen. Für die Zukunft ist Camilo optimistisch: der Musikfan wird auch zukünftig versuchen seinen Lieblingsact live zu sehen.
Werden Veranstalter von Livemusik-Events künftig gezwungen sein, die dauerhaft erhöhten Kosten für verschärfte Hygiene- und Sicherheitsvorgaben auf ihre Ticketpreise umzuschlagen?
Das ist möglich, da die Gewinnmargen im Livemusiksegment bis vor Corona ohnehin sehr knapp berechnet wurden. Momentan erhalten wir als Club Bundesmittel für die Veranstaltung von Corona-gerechten Konzerten. Kürzlich wurde ein weiterer Fonds für Ausfälle bzw. Einbußen von Einnahmen eingerichtet. Das sind gute Signale. Ob es in Zukunft weiterhin Subventionen für den privaten Kulturbetrieb geben wird, bleibt offen.
Werden bestimmte Praktiken und Erfahrungen aus der Pandemie uns weiterhin im Veranstaltungskontext begleiten? Könnten beispielsweise Impfnachweise, Symptomfreiheit und Quarantäneauflagen ein normaler Bestandteil des Konzerterlebnisses werden?
Das hängt von den Auflagen und Voraussetzungen ab, unter denen Konzerte überhaupt stattfinden können. Die meisten Veranstaltungsfirmen und Venues haben sehr gute Konzepte vorgelegt sowie in Infrastruktur investiert. Ich persönlich finde die Idee eines Impfausweises denkbar, ergänzt durch ein Testsystem, welches Menschen ohne Impfschutz ermöglicht, an einer Veranstaltung teilzunehmen.
Ein Impfausweis in Kombination mit einem Testsystem sollte den Menschen die Möglichkeit geben an einer kulturellen Veranstaltung teilzunehmen
Wird sich der internationale Reiseverkehr jemals wieder auf einem vor-pandemischen Niveau einpendeln und zu welchem Preis? Wird die Live-Kultur nationaler bzw. kontinentaler werden?
Die Pandemie ist eine globale Angelegenheit und solange wir sie nicht weltweit unter Kontrolle bekommen, wird es sicherlich Reisebeschränkungen geben. Das stärkt den lokalen Livemusikmarkt, schränkt die Vielfalt an Acts und den internationalen Austausch wiederum ein.
Werden wir die generelle Idee von Massenveranstaltungen mit 10.000 und mehr Menschen künftig gesellschaftlich in Frage stellen? Können mittelgroße Locations mit einer kleineren Auslastung jemals eine ökonomisch sinnvolle Alternative sein?
Jede Location, egal ob groß oder klein, kann nur unter mindestens halber, manche sogar erst unter voller Auslastung wirtschaftlich arbeiten. Es ist also langfristig keine Option, mit eingeschränkter Auslastung zu arbeiten, ohne dass die Preise für die Endverbraucher:innen steigen. Ob die Menschen den Konzepten bei Großveranstaltungen vertrauen, wird sich noch zeigen.
Die Grenze zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Veranstaltungen sollte nicht so scharf gezogen werden
Wird die Live-Kultur zum Luxusgut? Oder können gerade kleinere und nicht-kommerzielle Künstler und Veranstalter die Pandemie besser überstehen als große Umsatz-Maschinen?
Hoffentlich wird Kultur nicht noch mehr zum Luxusgut. Generell sollte es mehr Förderungen geben und die Grenze zwischen kommerziell und nicht-kommerziell nicht so scharf gezogen werden, da ein privatwirtschaftlicher Musikclub ebenso zum Kulturangebot beiträgt wie ein staatliches Konzerthaus.
Wird sich die Publikumszusammensetzung bei Festivals und Konzerten verändern? Welche Klientel kann und will die erhöhten Preise noch zahlen?
Musikfans werden weiterhin versuchen, ihre Lieblingsacts live zu sehen. Da bin ich optimistisch.
Geht der Trend zu mehr Open Air? Auch außerhalb der Sommersaison? Wäre es sinnvoll, den Betrieb in kleinen und schlecht durchlüfteten Venues entsprechend einzudämmen?
Es wäre wünschenswert, dass die in der Pandemie erprobten Open Air – Konzepte für die Sommermonate bestehen bleiben und den Clubbetrieb ergänzen. Viele Clubs haben ihre Infrastruktur während der Pandemie aufgerüstet, um eine sichere Durchlüftung zu ermöglichen.
Gibt es eine realistische Chance, dass wir 2022-2023 einen Live-Kultur-Betrieb wie vor 2020 werden erleben können?
Die Chance besteht, der Wunsch ist groß, aber unter welchen Umständen dieser Livebetrieb stattfinden kann und wird, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab – vor allem weltweit.
Ist eine parallele Nutzung des Clubs oder der Bar (zum Beispiel als Tagesstätte für Obdachlose) dauerhaft denkbar, um die Lokation ökonomisch betreiben zu können?
Manche Clubs können das räumlich abbilden, andere nicht. Wenn es entsprechende Förderungen für soziale Nutzungen gibt, lässt sich das sicher bei vielen umsetzen. Dann hört der Ort aber auch ein Stück weit auf, ein Club zu sein. Langfristig müsste man sich für eine der Nutzungen entscheiden. Wo abends und nachts gefeiert wurde, werden Eltern morgens wohl kaum ihre Kinder zur Betreuung abgeben.
Eine Spaltung gab es schon vor Corona, welche nur nicht so sichtbar war wie jetzt
Es gibt Clubs und Musiker, welche während der Pandemie in Richtung “Querdenker” unterwegs sind (Eric Clapton, Nena, Wendler). Wird zukünftig ein Auswahlverfahren bei den Konzerten stattfinden? Würdest Du zum Beispiel einem Xavier Naidoo eine Bühne zur Verfügung stellen?
Ich würde Herrn Naidoo keine Bühnen bieten und ich glaube da gibt es sehr viele Veranstalter:innen und Venuebetreiber:innen, die das genau so sehen. Eine Spaltung gab es schon vor Corona, vielleicht war diese nur nicht so sichtbar wie jetzt, wo es einen klaren Feind gibt, etwa das Impfen bzw. das Virus an sich.
Es ist zu vermuten, dass zunächst ein gewisser Mehraufwand entsteht bei ggf. geringerer Auslastung. Gibt es für derartige Szenarien bereits Konzepte? Wie sieht das mit dem Ticketing aus? Nur noch “named tickets” und wie erfolgt ggf. eine Rückabwicklung, wenn ein Besucher einen positiven Test erhält? Oder soll es nur noch Abendkasse geben?
Es gibt Konzepte und wahrscheinlich werden diese noch ausgefeilter, sobald der Livebetrieb in geschlossenen Räumen wieder anläuft. Eine Rückerstattung sollte technisch kein Problem sein, wie das rechtlich aussieht, muss geklärt werden. Nur als Beispiel: wenn ich als Ticketinhaber:in wegen eines Magendarminfekts nicht zum Konzert kommen kann, erstatten mir die Veranstalter:innen das Ticket nicht. Daher müsste geklärt werden, ob es bei einer Corona-Infektion bzw. eines Verdachts Sonderregelungen gibt.
Wahrscheinlich werden die ersten Konzerte nicht mit einer 100% Auslastung der Lokation starten. Ab welcher prozentualen Kapazität lohnt sich die Wiederbelebung des Konzertbetriebs?
Eine 50-prozentige Auslastung ist das mindeste, um kostendeckend zu arbeiten, ohne die Einnahmen an der Bar zur Deckung der Kosten in Anspruch zu nehmen. Eine weitere Stellschraube sind die Ticketpreise. Ich glaube, dass diese tendenziell ansteigen werden.
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