Summer Breeze Open Air
Interview mit Achim Osterstag
Interview
Einem ausgefeiltem Hygienekonzept zum Trotz musste auch das Summer Breeze Open Air zum zweiten Mal in Folge verschoben werden. Von einer Kapitulation kann aber keine Rede sein. In unserem Gespräch zeigt sich Achim Ostertag optimistisch und kämpferisch was die Zukunft von Open-Air-Großveranstaltungen angeht. Lest hier das gesamte Interview.
Dies zu entscheiden liegt natürlich nicht in unserer Macht.
Zunächst einmal: Wie geht es euch und wie ist die aktuelle Situation in eurem Team?
Uns geht es gut, auch wenn die herbe Enttäuschung über die erneute Absage noch tief sitzt. Wir sind nach wie vor fassungslos, wie seitens der Politik auf Landes- und Bundesebe mit Anliegen wie dem unseren umgegangen wird. Besonders hinsichtlich unseres Infektionsschutzkonzepts für Großveranstaltungen, welches leider nicht zum erhofften Austausch mit den entsprechenden Stellen geführt hat.
Gerade konzentrieren wir unsere sämtliche Energie auf die Rückabwicklung der Tickets und ein cooles Supporter Programm mit besonderem Merch für die Fans.
Werden bestimmte Praktiken und Erfahrungen aus der Pandemie uns weiterhin im Veranstaltungskontext begleiten? Könnten beispielsweise Impfnachweise, Symptomfreiheit und Quarantäneauflagen ein normaler Bestandteil des Konzerterlebnisses werden?
Die Möglichkeit besteht natürlich, dass uns so etwas zumindest vorübergehend noch eine Weile begleitet. Wir hoffen es natürlich nicht, denn wir möchte wie alle so schnell wie möglich zurück zu einem unbeschwerten Festivalablauf. Dies zu entscheiden liegt natürlich nicht in unserer Macht.
Werden Veranstalter von Livemusik-Events künftig gezwungen sein, die dauerhaft erhöhten Kosten für verschärfte Hygiene- und Sicherheitsvorgaben auf ihre Ticketpreise umzuschlagen?
Vielen Veranstaltenden wird nichts anderes übrig bleiben, vor allem wenn sie wie wir unabhängig von geldgebenden Konzernen agieren. Man gelangt hier schnell an einen Punkt wo die erhöhten Kosten gepaart mit den in den letzten Jahren explodierenden Künstlergagen nicht mehr allein mit Ticketverkäufen zu decken sind. Hinzu kommt, dass die Kosten für Dienstleister und Crew, Technik und Infrastruktur deutlich steigen werden, denn auch diese Firmen und Solo- Selbstständige sind massiv von den Ausfällen betroffen.
Erwartet ihr höhere Forderungen seitens der Künstler / Agenten?
Der Trend bestand ja bereits vor der Pandemie und bestimmt werden auch Agenten und Künstler versuchen einige Löcher zu stopfen. Daher ist wahrscheinlich auch auf der Bookingseite mit steigenden Forderungen zu rechnen.
Habt ihr durch die Ausfälle im vergangenen und in diesem Jahr erhebliche Einbussen? Wie habt ihr die Förderung bzw. die Hilfszahlungen der Regierung erlebt und gab/gibt es existenzbedrohende Situationen?
Ja natürlich bedeutet ein abgesagtes Festival auch, dass erhebliche Einbußen entstehen. Vor allem im jetzt im zweiten Jahr stehen Veranstaltende ohne Absicherung da. Die Hilfsprogramme schienen zumindest aus unserer Sicht einiges aufzufangen wenn auch teilweise viel zu spät. Aus unserem Umfeld hören wir jedoch, dass das nicht überall so gut läuft. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen in dieser Pandemie muss man aber sagen, dass wir in Deutschland gut aufgestellt sind was Hilfen angeht.
Wird sich der internationale Reiseverkehr jemals wieder auf einem vor-pandemischen Niveau einpendeln und zu welchem Preis? Wird die Live-Kultur nationaler bzw. kontinentaler werden?
Kurzfristig wird sie das bestimmt. Weder Veranstalter noch Künstler wollen erhöhte Risiken eingehen und möglichst sicher ihre Tourneen planen. Grundsätzlich sollte aber ja bei einer guten Durchimpfung fast jeder Künstler die Möglichkeit haben beruflich zur reisen. Nur müssen dann eben auch genügend Shows machbar sein um in anderen Ländern bzw. auf anderen Kontinenten zu spielen. Für kleinere Acts wird es wahrscheinlich schwieriger werden eine Tour im Sommer mit Festivalshows zu realisieren.
Hat die aktuelle Pandemie-Situation langfristig Auswirkungen aufs Booking hinzu mehr nationalen oder europäischen Künstlern?
Das kommt darauf an wie sich die Pandemie-Situation entwickelt. Zumindest in unserem Genre werden die Fans auch weiterhin ihre Lieblingskünstler aus aller Welt sehen wollen. Sollte ein langfristiges Planen von Shows und den dazu notwendigen Reiserouten nicht möglich sein, wird sicher vorerst noch etwas mehr europäisch / national gebucht.
Wer möchte darf sich gerne mit Zusatzangeboten eindecken aber der Besuch unseres Festivals soll allen Menschen möglich sein.
Werden wir die generelle Idee von Massenveranstaltungen mit 10.000 und mehr Menschen künftig gesellschaftlich in Frage stellen? Können mittelgroße Locations mit einer kleineren Auslastung jemals eine ökonomisch sinnvolle Alternative sein?
Ich denke nicht. Die bereits stattfindenden Veranstaltungen im Ausland zeigen, dass die Menschen heiß sind auf Events und die Zustände in den Städten bei gutem Wetter zeigen, dass die Menschen sich nach Freiheit und ausgelassenem Miteinander sehnen. Mittelgroße Locations sind keine Alternative für ein Festival wie unseres, da man ein solches Lineup nicht mit 10.000 Besuchern ökonomisch umsetzen kann. Das heißt aber ja nicht, dass kleine und mittlere Locations nicht mit entsprechenden Konzepten und Lineups punkten können.
Wird die Live-Kultur zum Luxusgut? Oder können gerade kleinere und nicht-kommerzielle Künstler und Veranstalter die Pandemie besser überstehen als große Umsatz-Maschinen?
Wie man momentan sehr schön bei unseren Freunden von HÖME sehen kann, scheint 2021 das Jahr der kleinen Festivals zu werden! Über 1000 kleine und mittlere Open Airs sind noch nicht aufgegeben und die Teams arbeiten noch an einer möglichen Umsetzung der Events. Es ist gut denkbar, dass auch im nächsten Jahr kleine, nichtkommerzielle Teams, zum Beispiel in einer Vereinsstruktur oder mit ehrenamtlichen Organisator*innen einen Vorteil gegenüber großen Firmenstrukturen haben. Wenn Arbeitsplätze vieler Menschen im Spiel sind muss man genau hinschauen und Entscheidungen gut überdenken.
Wird sich die Publikumszusammensetzung bei Festivals und Konzerten verändern? Welche Klientel kann und will die erhöhten Preise noch zahlen?
Das kommt sicher auf die Preisgestaltung der jeweiligen Veranstaltung an. Irgendwann ist sicher ein Limit erreicht wo ein junges, studentisches Publikum nicht mehr die Möglichkeit hat mehrere Events im Jahr zu besuchen. Wir haben für das SUMMER BREEZE jedoch schon immer sehr viel Wert darauf gelegt, ein erschwingliches Angebot mit einem guten Preis/Leistungsverhältnis zu bieten. Fans die jung einsteigen bleiben meist lange treu – zumindest erfreuen wir uns beim Breeze über viele „Wiederkehrer“.
Wir haben das Ziel möglichst viel Angebot optional zu gestalten. Wer möchte darf sich gerne mit Zusatzangeboten eindecken aber der Besuch unseres Festivals soll allen Menschen möglich sein. Generell muss man auch sehen, dass sich bei Musikkonsumenten die Budgets mit der Zeit einfach verlagert haben. Während meine Generation damals noch monatlich hunderte Mark, später Euro in den Plattenladen brachte, verlagerten sich die Ausgaben zunehmend ins Live Geschäft. Aus Sicht vieler Bands sind ja ebenfalls Touring und Merchandise zur wichtigsten Einnahmequelle geworden, was bei uns als Veranstaltungsteam natürlich wieder in den Bookingkosten zu Buche schlägt.
Einfach mal dankbar sein und sich nicht so viel über unnütze Dinge aufregen!
Geht der Trend zu mehr Open Air? Auch außerhalb der Sommersaison? Wäre es sinnvoll, den Betrieb in kleinen und schlecht durchlüfteten Venues entsprechend einzudämmen?
Beides hat seinen Charme und beides gehört zum musikkulturellen Angebot und ist somit erhaltenswert und wichtig. Wahrscheinlich müssen geschlossene Venues mehr Aufwand betreiben, in Lüftungsanlagen investieren oder sich an strengeren Auflagen halten. Aber auch hier können wir hoffentlich bald aufatmen und neustarten.
Gibt es Learnings, die ihr für die Zukunft aus der aktuellen Situation zieht?
Einfach mal dankbar sein und sich nicht so viel über unnütze Dinge aufregen!
Gibt es eine realistische Chance, dass wir 2022-2023 einen Live-Kultur-Betrieb wie vor 2020 werden erleben können?
JA! Daran werden wir weiterhin arbeiten und nicht locker lassen, wenn es darum geht den Diskurs und die Kooperation mit Politik und Behörden zu suchen. Wir haben mit unserem Infektionsschutzkonzept für Großveranstaltungen Anfang des Jahres bewiesen, dass die Veranstaltungsbranche bestens vorbereitet ist. Nun gilt es die Expertise auch zu nutzen und alles daran zu setzen, dass 2022 unsere Musikkultur in allen Genres wieder aufblühen kann.