Avatarium
Gespräch zum neuen Album "Hurricanes And Halos"

Interview

So einen Mann der ersten Stunde hat man nicht alle Tage am Telefon – mir wird die Ehre Ende April zuteil, denn ich darf Marcus Jidell von AVATARIUM mit meinen Fragen betexten. Der Gitarrist war einer der ersten, die Leif Edling in seine Projekt-Pläne einbezog und ist seitdem integraler Bestandteil der Band. Außerdem verdanken die Schweden ihm auch den Kontakt zu ihrer sensationellen Frontfrau Jennie-Ann Smith, die zu Gründungszeiten seine Freundin war. Er brachte sie damals mit, um bei den Proben zu singen, bis ein Sänger gefunden wäre. Die Suche wurde dann schnell beendet – inzwischen sind die beiden übrigens verheiratet.

Über eine Tasse Tee hat er nun mit mir über „Doomy Psychedelic Folk Rock“, Freud und Leid des Berufsmusikerdaseins und die Rolle von Leif Edling bei AVATARIUM geplauscht.


Wenn ich mit Leuten über AVATARIUM spreche, wird es am ehesten mit Doom Metal in Verbindung gebracht. Aber das passt eigentlich gar nicht richtig, da AVATARIUM sich ja schon ganz schön weiter entwickelt haben. Wie würdest du euren Stil benennen, was ist das Bindeglied der einzelnen Elemente?

Gute Frage… Also natürlich haben wir diese doomigen Elemente. Als wir AVATARIUM anfingen, hatten wir ein paar Schlüsselbegriffe: Dunkel, schwer, poetisch. Damit ging es los. Und dann wollten wir da Gefühl und ein bisschen Farbe reinmischen. Ich finde das immer schwer, also auch Journalisten tun sich immer schwer damit, uns einem Genre zuzuordnen. Wir klingen nicht, wie eine bestimmte andere Band und für mich ist das etwas Gutes. Wir wollen ja unseren eigenen Stil finden. Also wenn ich gefragt werde, dann würde ich sagen, dass wir von Bands wie BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN, CROSBY STILLS & NASH beeinflusst sind. Also, da ist etwas doomiges dabei, aber eben auch Folkrock. Also vielleicht „Doomy Psychedelic Folk Rock“ (lacht).

Ja, das passt. Und klar, du hast Recht, euer Stil ist nicht leicht zu beschreiben. Aber das mögen die Leute denke ich auch, eure Musik ist nicht zu sperrig, aber trotzdem einzigartig.

Ja, freut mich, dass du das so siehst. Das ist das, was wir uns wünschen. Wir lernen selbst immer mehr, wie wir klingen und was uns ausmacht und wir hoffen, dass die Leute einfach sagen: Das ist AVATARIUM! Und das ist auch unser Weg. Wir gehen mit unserer Musik auf Erkundungstour und wenn wir nur wiederholen würden, was andere schon gemacht haben, wäre es den ganzen Aufwand und die viele Zeit nicht wert. Es ist eine musikalische und emotionale Reise.

Ihr habt gerade euer drittes Album heraus gebracht. Ich finde, es hat diesen typischen AVATARIUM-Sound, aber es unterscheidet sich auch recht deutlich von den beiden Vorgängeralben. Was war euch bei den Aufnahmen für dieses Album wichtig?

Ich wollte vor Allem anknüpfen an „The Girl In The Raven Mask“. Und der Sound ist so, wie ich wollte: Fett, warm, natürlich, mit einem modernen Einschlag. Was die Musik angeht, versuchen wir immer, die Songs wirklich zu fühlen. Wir arbeiten viel mit unterschiedlichen Emotionen, mal aggressiv, oder zärtlich, oder traurig. Du hast dann deinen Text, deine Melodie, aber da ist etwas, das kann man eigentlich nicht in Worte fassen. Das drücken wir dann mit Musik und Klängen aus. Keine Ahnung, ob das die Frage beantwortet (lacht), aber das ist uns wichtig.

Marcus Jidell von Avatarium, 2017

Marcus Jidell von Avatarium, 2017

Ja, ich denke, das passt! Ich habe den Eindruck, wenn man das Album hört, ist es aus einem Guss, aber die Songs stehen alle für sich und haben einen Wiedererkennenswert. Da konnte ich schon nach einem Duchlauf sagen:“Ah, das der Titel am Anfang, der da ist aus der Mitte.“

Das ist gut, denn wir denken unsere Alben in zwei Seiten, also klassisch „A-Side“ und „B-Side“. Wir wollen, dass es fließt. So landen wir dann auch manchmal bei den Songs, weil wir sagen: Da muss jetzt noch was in dieser oder jener Stimmung rein. Am Ende soll das komplette Album als Gesamtkunstwerk dastehen, aber eben auch jeder Titel für sich.

Wer ist denn eigentlich für Texte und Songwriting zuständig? Macht die Band das gemeinsam, oder macht Leif Edling das?

Leif Edling hat sechs der Songs geschrieben, Jennie-Ann und ich haben zwei Songs geschrieben, ich die Musik und Jennie-Ann die Texte. Leif Edling ist ein erfahrener Songwriter und es ist großartig, ihn dabei zu haben, als Spiegel, als Inspiration. Er kommt normalerweise mit den Songs hereinspaziert und dann tritt er zur Seite und lässt uns den Rest machen.

War er dann überhaupt mit euch im Studio?

Tatsächlich nicht viel. Er hat ein, zwei Male vorbei geschaut. Als wir den Prozess begonnen haben, war er eigentlich die ganze Zeit dabei. Wir haben alle zusammen im Studio die Demos und Riffs aufgenommen. Am Anfang war er also sehr involviert. Leif und ich haben uns auch einige Male getroffen und über Songs gesprochen. Die Proben und Arrangements hat dann die Band parallel ohne ihn gemacht.

Das scheint ein ungewöhnlicher Prozess zu sein, dass jemand so stark an der Musik beteiligt ist, aber an den eigentlichen Aufnahmen irgendwie nicht.

Ja schon, aber wir kennen uns einfach auch sehr gut. Er und ich, wir haben schon so viel miteinander gemacht, wir verstehen uns da sehr gut. Er schenkt mir auch viel Freiheit und Vertrauen als Produzent, was ich sehr mag. Wir haben auch großen gegenseitigen Respekt. Für AVATARIUM ist es, denke ich, wichtig, dass er nicht so wahnsinnig involviert ist. Die Band muss da auf eigenen Beinen stehen. Wenn du dir das neue Album anhörst, dann kannst du wirklich die Band hören. Jeder hat seinen eigenen Geist in die Musik gepackt.

Ich denke, man hört das auch. Das erste Album klingt für mich noch sehr „candlemassy“, dieses hier klingt viel mehr nach AVATARIUM.

Da stimme ich dir voll und ganz zu! Ich finde man merkt sofort, dass man auf dem neuen Album wirklich die Arbeit einer Band hört. Beim ersten Album haben wir noch nicht so zusammen gearbeitet.

Damals war es eher ein Projekt, oder?

Ja, genau.

Und wie sieht es damit jetzt aus? Wenn ich das richtig nachvollziehe, sind alle Mitglieder auch an anderen Bands beteiligt, richtig?

Ja, stimmt. Das ist heutzutage ziemlich üblich. Aber wir verstehen uns auf jeden Fall als feste Band und jeder investiert entsprechend Zeit und Anstrengung. Wir wollen auch möglichst viel touren- aktuell planen wir eine Tour für Herbst. Wir wollen eine Headliner-Tour in Clubs machen, ein komplettes Set spielen und die Fans treffen. Da sind wir wirklich alle richtig scharf drauf. (lacht)

Wo soll es denn hingehen? Europa, oder auch weiter weg?

Auf jeden Fall Europa und dann schauen wir mal! Ich weiß noch nicht, ob wir den Kontinent verlassen werden – aber hey, vielleicht!

Bandfoto von Avatarium 2017 Photographer Linda Åkerberg

Bandfoto von Avatarium 2017

Wunderbar! Ich habe mal versucht, nachzulesen, wer eigentlich gerade Mitglied bei AVATARIUM ist, da ich meistens die Auflistung eines Tour-Lineups gefunden habe. Und es war gar nicht wirklich möglich, einen Überblick zu bekommen, was die einzelnen Mitglieder sonst noch so machen. Kannst du mir erzählen, wer wirklich dazu gehört und was ihr sonst noch so macht?

Sonstige Bands, wow, das wäre eine lange Liste. Also in AVATARIUM: Natürlich Jennie-Ann und ich. An der Orgel haben wir jetzt Rickard Nilsson, der auf dem Album zu hören ist und auch mit uns touren wird und inzwischen wirklich dazu gehört. Man kann also sagen: Die Musiker auf dem Album, das ist wirklich die Band. Lars Sköld, Mats Rydstrom.
Was die anderen Bands angeht: Wir sind Musiker, wir spielen verschiedene Sachen und wenn die Leute neugierig sind, dann können sie da reinhören, na klar. Aber als Musiker lernst du so dein Handwerk: Du spielst mit vielen verschiedenen Musikern in verschiedenen Bands. Das ist einerseits ein Lernprozess. Andererseits verdienen wir so auch ganz einfach unser Geld. Und das steckt eigentlich dahinter: Wir sind alle Berufsmusiker. Und es ist echt schwer, ein guter Musiker zu sein, wenn du parallel noch einen normalen Vollzeitjob hast und am Wochenende auf einmal ein großartiger Künstler sein sollst. Für mich gilt: Wenn ich ein guter Musiker sein will, dann muss ich wirklich meine ganze Zeit und Energie da rein stecken, dann verbringe ich meine Zeit wirklich mit Gitarre spielen und arrangieren und was sonst noch dazu gehört. Sonst kann ich nicht auf dem Niveau arbeiten, auf dem ich arbeiten will.

Ah, alles klar. Der Hintergrund meiner Frage war, dass ich finde, AVATARIUM zeichnet sich durch eine runde Mischung wirklich vieler Einflüsse aus und ich vermute mal, das kommt daher, dass ihr musikalisch auch alle so breit aufgestellt seid.

Stimmt, wir mögen eine Vielzahl verschiedener Genres. Aber am Ende ist es Hard Rock, Metal, Blues und Jazz – und Folk und solche Sachen. Blues ist für mich tatsächlich auch eine Form von Folk. Da gibt es den amerikanischen Folk und dann den schwedischen Folk. Also ja, wir interessieren uns wirklich für ganz verschiedene musikalische Stile. Um das dann in AVATARIUM zu verschmelzen, müssen wir behutsam und sorgfältig sein. Wir sagen nicht: So, jetzt machen wir mal eine Blues-Passage. Wir fühlen uns ein, was der Song braucht. Das ist wie kochen: Da kannst du auch nicht einfach alles, was du gerne isst in einen Topf schmeißen. Du musst behutsam, richtig zärtlich sein. Aber wir haben eine breite Palette, die wir nutzen können. Das ist sicher gut. Wir wollen mit der Musik Emotionen ausdrücken – je mehr du gelernt hast, desto besser kannst du das.

Wo wir gerade beim Stil und der Entwicklung der Band sind: Was wünscht du dir für AVATARIUM in fünf Jahren?

Ich glaube, ich wünsche mir einfach, dass mehr Menschen AVATARIUM kennen lernen, dass wir mehr live spielen können und dass wir einfach weiter machen können, mit dem, was wir gerade tun. Dafür müssen wir eben weiter auf Tour gehen – ohne Publikum kann die Band nicht überleben. Wir sind sehr dankbar für die Fans, die wir haben. Das ist tatsächlich anders, als bei meinen anderen Bands. Wenn ich Fans von AVATARIUM treffe, sind sie wirklich berührt von der Musik und das ist etwas besonderes. Das zeigt mir, dass wir weiter machen wollen. Ich hoffe also, dass in Zukunft noch mehr Leute zu den Konzerten kommen. Es liegt natürlich an uns, weiterhin gute Musik zu machen. Aber es ist einfach wahnsinnig inspirierend, wenn du auf der Bühne stehst und die Fans triffst. Das schafft eine Beziehung zu den Fans. Da sind wir gerade: Wir bauen die Beziehung zu unserem Publikum auf und das ist wirklich großartig. Und da wollen wir weitermachen.

Das klingt nach einer guten Vision! Und nochmal zu den Zukunftsplänen – ich hoffe, du bist nicht schon zu genervt von der Frage, aber: Hat Leif Edling vor, als aktives Mitglied zu AVATARIUM zu kommen, oder werdet ihr so weiter machen, wie bisher?

Nein, wir wollen so weiter machen, wie wir jetzt sind. Mats Rydström ist ein hervorragender Bassist. Leif hat ihn vor einem Jahr mit uns in Stockholm gesehen und sagte auch: „Behaltet den Kerl, der ist großartig!“ Und er ist echt perfekt für die Band. Also denke ich nicht, dass Leif live mit uns spielen wird. Wir sind echt zufrieden, so wie es im Moment ist.

Dann bedanke ich mich ganz herzlich für die gute Unterhaltung! Willst du zum Schluss noch einen Satz an unsere Leser loswerden?

Nur, was ich schon gesagt habe: Wir freuen uns sehr auf die Tour, mit drei Alben haben wir genug Material für eine richtig gute Setlist. Also: Ich hoffe, im Herbst viele Leute zu sehen!

Galerie mit 22 Bildern: Avatarium - Summer Breeze Open Air 2022
29.05.2017

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