Avantasia
Interview mit Tobias Sammet zum neuen Album "The Mystery Of Time"

Interview

Avantasia

Eigentlich wollte Tobi Sammet sein Metal-Oper-Projekt AVANTASIA nach dem umjubelten Auftritt auf dem 2011er „Wacken Open Air“ endgültig ad acta legen. Doch Gottseidank hat es sich der quirlige EDGUY-Frontmann noch einmal anders überlegt, so dass uns mit „The Mystery Of Time“ ein weiteres Bombast-Meisterwerk – ja womögich sogar der AVANTASIA-Geniestreich schlechthin – ins Haus steht. Wir ließen uns die Gelegenheit natürlich nicht nehmen, den Kreativkopf im Donzdorfer Nuclear-Blast-Hauptquartier zu treffen, um ihm weitere Informationen zu der Scheibe zu entlocken.

Hallo Tobi. Lass mich dir zunächst einmal zu einem sehr schönen neuen Album gratulieren! Man hört, dass du gewissermaßen einen Schritt zurück gegangen bist und wieder stärker an die ersten beiden AVANTASIA-Alben erinnerst.

Das ist lustig, das habe ich heute tatsächlich schon öfters gehört.

Das muss dir doch aber schon beim Songwriting aufgefallen sein…

Jaa – ähm, hmm, nee. Also ich wusste, dass es wieder einen stärkeren Märchencharakter kriegt, das ganze Konzept war in sich wieder sehr geschlossen. Aber den bewussten Eindruck, dass es zurück zu den alten Sachen geht, hatte ich nicht. Michi Kiske hat mir gesagt, dass das Power-Metal-Songs sind, die er gesungen hat. Da hab ich gesagt: „Ok, gut, cool! Das wird die Leute freuen.“ Aber ich hatte das nicht geplant, überhaupt nicht.
Ich gucke auch nicht so… (unterbricht sich selbst) Das stimmt gar nicht, ich gucke natürlich schon zurück. Aber nicht, weil ich etwas machen will, was ich früher schon gemacht habe, sondern einfach weil ich das schön finde, wenn man seiner Vergangenheit auch die entsprechende Bedeutung beimisst. Das mache ich aber jetzt nicht insbesondere bei den ersten beiden Alben und bei den letzten nicht. Ich denke, das steckt alles in der AVANTASIA-DNA oder auch in meiner Handschrift drin, mal kommt es ein bisschen stärker zutage, mal nicht.
Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass ich einfach eine europäische Platte, eine bombastische, klassisch angehauchte Platte gemacht habe. Mit „bombastisch“ meine ich halt dieses epische daran. Ansonsten hatte ich gar nichts bestimmtes geplant. Ich habe es einfach so passieren lassen und mich nicht dagegen gewehrt.

Ich hoffe, du verzeihst es mir, wenn ich einen Hauch von Kritik anbringen muss. Ich gehöre ja zu der schrecklichen Sorte Musikhörer, der von einer Band immer überrascht werden und immer etwas zu hören bekommen möchte, was er so nicht erwartet hatte. Insofern fand ich die Platte im ersten Moment fast ein wenig vorhersehbar.

Na gut, auch bei den alten Platten war es ja nie mein größtes Ziel, die Leute zu überraschen. Ich wollte einfach etwas Spannendes für mich selbst machen und ich wollte das machen, woran ich glaube, einfach die Songs schreiben, die ich geil finde. Und ich denke, das ist mir auf der neuen Platte auch wieder gelungen. Es liegt halt im Auge des Betrachters, ob jetzt viel Neuland dabei ist oder nicht.
Ich denke mir, einen Song wie beispielsweise „Spectres“ und auch diese fließenden Tempo-Wechsel im letzten Song „The Great Mystery“ hatten wir in dieser Form überhaupt noch nicht. Es sind also schon Sachen dabei, mit denen ich die Sache auch für mich spannend zu halten versuche. Das mache ich aus Eigeninteresse, denn Stillstand finde ich persönlich auch langweilig. Aber es ist nicht meine oberste Zielsetzung, die Leute in dem Sinne zu überraschen, sondern ich will es einfach spannend und frisch für mich selbst halten. Und ich denke, das ist mir gelungen, ich finde, die Platte klingt sehr frisch.
Auch die Tatsache, dass da vier Sänger drauf zu hören sind, die noch nie bei AVANTASIA dabei waren, halte ich für ein Zeichen dafür, dass es eigentlich nicht so sehr vorhersehbar war. Ich meine, gut, wenn man schon aus dem Internet wusste, dass Eric Martin dabei ist und Ronnie Atkins oder Biff Byford – wenn man das im Vorfeld gar nicht gewusst hätte und hätte dann diese Platte gehört und ich hätte jetzt heute gesagt „achso, wir haben ein paar Neuerungen, es ist zum ersten Mal ein echtes Symphonie-Orchester dabei, es sind Biff und Ronnie dabei“ und ich hätte vielleicht auch noch aufgezählt, was es für andere Veränderungen gegeben hat, ich glaube, dann hätte man da schon anders aufgehorcht und gesagt: „Ja, ok, er hat doch wieder was ganz anderes gemacht.“

Wo du schon das echte Orchester ansprichst: Das hört man klanglich total geil raus! Das ist auch ein riesiger Pluspunkt und bringt AVANTASIA meiner Meinung nach noch einmal einen großen Schritt nach vorne.

Danke! Das war für mich von Anfang an auch ein gewisses Risiko, denn Miro (Michael Rodenberg, AVANTASIA-Keyboarder – Anm. d. Red.) macht das Orchester auch aus der Dose immer so gut, dass man sich überlegt hat: Wenn man nachher halt keinen Unterschied hört, haben wir einfach riesig viel Geld in den Wind geschossen. Aber ich habe mir gesagt, ich weiß dann, dass es ein echtes Orchester ist, also machen wir das. Du baust dann selbst ein anderes Verhältnis zu so einer Platte auf, weil du dir selbst diese Wertschätzung entgegengebracht hast. Es wird dadurch einfach wertvoller, wenn man diese Investition tätigt und das bis ins Detail so ausklügelt. Dann wird man später für sich selbst auf eine wertvollere Platte zurückblicken. Und das war mir wichtig, dass ich quasi für mich selbst wusste, dass das passiert ist.

Bei „The Watchmaker’s Dream“ hast du mit Arjen Lucassen (AYREON) zusammengearbeitet. War er bei diesem Stück auch am Songwriting beteiligt oder hat er letztlich nur sein Solo beigesteuert?

Nur das Solo stammt von ihm, sogar die Akkorde des Solo-Parts standen vorher schon. Er hat den Song quasi als Playback bekommen, bei dem an der Stelle, wo jetzt das Gitarren-Solo ist, nur die Akkorde und der Rhythmus drunter liefen, und da hat er dann seinen Part dazu eingespielt. Ich habe es zurückbekommen und gesagt: „Arjen, das klingt hundertprozentig nach dir, das klingt total super!“ Und da hat er dann gesagt: „Yes, it was really inspiring to me, good song!“ Und das ist dann so ein Kompliment, wo du dir halt sagst: Cool!
Es war dann auch offensichtlich die richtige Entscheidung, ihn bei diesem Song das Solo spielen zu lassen. Ich finde es auch ganz grandios, aber es klingt halt nach Arjen, es klingt wirklich wie AYREON. Da habe ich aber überhaupt nicht drüber nachgedacht, der Song stand schon, als Arjen gesagt hat: „Übrigens, ich schulde dir ja noch einen Gefallen, jetzt würde ich ein Solo für dich spielen.“ Das wollten wir beim letzten Mal schon machen, aber da hat er noch gesagt: „Äh, ich habe schon so lange nicht mehr Gitarre gespielt und dann auch noch ein Solo, das würde ich im Moment lieber nicht machen.“ Und jetzt hat er zugesagt, da war der Song schon geschrieben.

Ich finde aber auch, dass du da genau den richtigen Song ausgewählt hast, denn der hatte schon vom Songwriting her ein bisschen diesen AYREON-Touch.

Er hat so einen Pomp-Rock-Touch und klingt mit der Hammond so ein bisschen Seventies-mäßig, Arjen hat ja auch immer Hammond-Orgeln drin. Ich weiß, was du meinst, die Akkordfolge in der Strophe ist so typisch Art-Rock, so Prog-Rock-mäßig – Prog-Rock im eigentlichen Sinne, ich meine jetzt nicht diese Fuddel-Könige, sondern so diesen 70er-Jahre-Prog-Rock.

Im ersten Moment bin ich mit der Ballade, „Sleepwalking“, nicht so recht klargekommen, vor allem mit diesem leichten Electro-Beat im Anfangsteil. „Lost In Space“ fand ich damals gerade deshalb großartig, weil es so poppig war, hier übertreibst du es jetzt meiner Meinung nach ein bisschen. Ich nehme an, dir ist klar, dass du damit die Fans wieder einmal etwas vor den Kopf stoßen könntest?

Ja, weiß ich. „Sleepwalking“ ist auch der älteste Song auf der Platte. Das Songwriting stand in den Grundzügen schon vor zwei oder drei Jahren. Den habe ich aber nicht auf die letzten Platten gepackt, weil ich damals gedacht habe, das ist vielleicht doch ein bisschen zu viel, vielleicht würde man mir das übel nehmen. Jetzt war ich einfach so überzeugt davon, weil ich den Song wirklich ganz, ganz, ganz geil finde. Und ich habe mir gesagt, das ist scheißegal, wenn man dran glaubt, muss man es einfach machen.
Er passt auch in dieses Konzept und er bringt eine neue Facette rein. Auch dieser Anfang, das war ursprünglich nur eine Klavier-Ballade und dann haben wir diesen Beat da drunter gelegt – diesen „Beat“, also es ist halt ein Sequencing, was wir auch früher schonmal hatten. Ok, in der Form könnte es halt auch irgendwie ONE REPUBLIC sein, aber das ist auch nur eine Passage von dreißig Sekunden, wo dieser Beat drunter liegt, ob den jetzt das Schlagzeug spielt oder ob der jetzt irgendwie von ’nem Sequencer kommt, das ist eigentlich wurst.
Es war nur mit Piano einfach ein bisschen leer an dieser Stelle, deshalb haben wir den nachträglich reingebaut. Da habe ich damals schon gedacht, dass es dafür Haue geben könnte, aber ehrlich gesagt habe ich dann gedacht, das ist eigentlich völlig egal. Für irgendwas gibt es immer Haue und inzwischen würde ich gar nicht mehr klarkommen, wenn es nicht für irgendwas Haue geben würde. Von daher ist das auch ok, da muss ich natürlich mit rechnen, es ist halt ein Pop-Song.

Das hat mir an dir aber auch immer schon imponiert, dass es dir – egal, ob bei EDGUY oder bei AVANTASIA – immer scheißegal war, wenn die Leute gemeckert haben, dass das jetzt kein Metal mehr wäre oder dergleichen.

Man muss ja irgendwie ein bisschen darauf achten, dass es einem scheißegal ist. Es ist einem nicht immer alles scheißegal, wenn du so viele Monate viel Energie dafür aufgewendet und natürlich auch viel investiert hast – auch monetär – um eine Platte zu produzieren, weil du absolut dran glaubst. Und NUR, weil du dran glaubst, und nicht, weil du dran glaubst, dass du damit nachher Millionen scheffelst, sondern weil du einfach sagst, das ist die Platte, die du machen möchtest. Ich bin da irgendwie so ein bisschen altmodisch und denke, wenn du das machst, worauf die Bock hast – und NUR das, ohne nach links und rechts zu sehen, ohne auf die Plattenfirma zu hören, ohne auf diesen und jenen zu hören – dann bist du immer richtig. Und wenn du dann damit Erfolg haben sollst, dann kommt der Erfolg damit.
Und wenn man das macht und dann kommen Leute daher und sagen: „Das macht er jetzt aber nur, weil er Geld verdienen will,“ dann ist das halt unfair und das regt einen natürlich schon auch auf. Aber man muss sich dann selbst irgendwie bewusst machen: Nein, ruhig Brauner, du darfst dich da gar nicht von beunruhigen lassen. Das muss ich mir schon manchmal auch einreden, klar, weil manchmal nervt es natürlich schon und Kritik ist manchmal schon verletzend. Aber das muss man sich einfach auch bewusst machen, das geht natürlich nicht immer. Ich meine, die Leute denken immer: „Dieser arrogante Hund, der steht ja über allem!“ Das stimmt aber gar nicht. Ich versuche es, es gelingt mir manchmal, aber manchmal eben auch nicht. Künstler sind halt so – und Menschen ja sowieso. An einem guten Tag geht einem alles am Arsch vorbei und an einem schlechten, da nervt es dann halt.

Das kann ich nachvollziehen. Lass uns aber mal auf das Songwriting zu sprechen kommen! Schreibst du die Songs für EDGUY und AVANTASIA quasi zeitgleich und überlegst dir dann, für welche Band das jeweilige Stück besser passt?

Nee, neenee, nie. Ich versuche immer, mich hundertprozentig auf das zu konzentrieren, was ich gerade mache. Ich könnte es auch mir selbst gegenüber nicht verantworten, irgendwie in den Gewissenskonflikt zu kommen, zu entscheiden, ob irgendwas qualitativ für das eine oder nur für das andere taugen würde. Das würde ich nicht machen. Deswegen war es auch gut, dass ich AVANTASIA ad acta gelegt habe und wir dann mit der neuen EDGUY-Platte angefangen haben, denn da habe ich mich dann hundertprozentig drum gekümmert. Ich finde „Age Of The Joker“ (jüngstes, 2011 erschienenes EDGUY-Album – Anm. d. Red.) ist eine tierische Platte und ich glaube, dass die auch nur so gut werden konnte, weil man sich da hundertprozentig drauf konzentriert hat. Anders würde ich das nicht wollen, sonst verzettelt man sich.

Ich würde das auch keinesfalls qualitativ festmachen wollen, aber rein stilistisch finde ich, dass man inzwischen merkt, dass du diesen bombastischen, epischen Breitbild-Sound bei AVANTASIA richtig rauslässt, während EDGUY wesentlich rockiger zu Werke gehen.

Ja, das stimmt, aber auf der letzten EDGUY-Scheibe hatten wir Sachen wie „Behind The Gates To Midnight World“, „Rock Of Cashel“ oder „The Arcane Guild“. Das waren Songs, die hätten vielleicht auch so auf einer AVANTASIA-Scheibe stehen können – mit anderen Sängern vielleicht ein bisschen noch… Ich sage aber, wenn du wirklich dann alles auf einmal machst, verzettelst du dich, und dann wird wahrscheinlich auch die Qualität leiden.
Aber auch da kamen Vorwürfe – ich weiß das, ich kriege das mit – dass Leute sagen: „Ja, EDGUY ist für ihn ja nur noch so ein Alibi-Ding, die guten Sachen hebt er sich für AVANTASIA auf.“ Es gibt auch Leute, die genau das Gegenteilsagen! Irgendjemand sucht immer das Haar in der Suppe und wittert hinter allem immer gleich eine Verschwörung. Manche Leute wissen auch immer ganz genau, wie es sich wirklich zugetragen hat und wie sich das alles verhält. Die Wahrheit ist einfach, ich habe mir für jede Platte, die ich gemacht habe, immer den Arsch völlig aufgerissen, für EDGUY und für AVANTASIA. Alles andere wäre auch indiskutabel, weil ich muss ja mit dieser Platte dann leben.
Es wäre ja viel einfacher, wenn ich mit einer Platte nicht zufrieden wäre, einfach drei Monate länger zu warten, bis sie dann perfekt wäre. Wenn ich vorher nicht das Gefühl hätte, dass sie perfekt wäre, würde ich sie ja nicht rausbringen, denn dann würde ich lieber warten, bis es so wäre, weil ich dann wüsste, dass dann nachher auch eine Tour und alles von einer besseren Platte natürlich viel stärker profitieren würde. Von daher arbeite ich – egal ob bei EDGUY oder bei AVANTASIA – so lange, bis ich hundertprozentig zufrieden bin, und das ist auch bei beiden gleich viel Engagement natürlich.

Das Album selbst hat wieder eine Konzeptstory, bei der es im weitesten Sinne um Zeit geht. Kannst du das noch etwas näher erläutern?

Es handelt von einem jungen, agnostischen Wissenschaftler, der registriert, dass um ihn herum die Leute immer weniger Zeit haben und dass das Zeitempfinden der Leute sich immer weiter dahingehend verändert, dass ihnen Stunde um Stunde immer kürzer vorkommt und den Leuten quasi die Zeit genommen wird, sich auf wesentliche Dinge im Leben, auf wesentliche Fragen und auf das Beschäftigen mit sich selbst und ihrem Ursprung zu… (überlegt) Welches Verb könnte ich jetzt nehmen? Ich weiß nicht mehr, wie ich den Satz angefangen habe, das ist immer bei diesen langen Sätzen das Problem, da weiß man nicht, mit welchem Verb man eigentlich aufhören muss…
Jedenfalls hat er das Gefühl, dass die Leute einfach keine Zeit mehr haben, sich mit essenziellen Dingen im Leben auseinanderzusetzen, und dass irgendetwas scheinbar mit System die Leute in ein Hamsterrad reinjagt, wo sie Nichtigkeiten hinterrennen, um sich mit wesentlichen Dingen nicht mehr auseinanderzusetzen. Und dieser Sache möchte er auf den Grund gehen und auf diesem Weg, den er dadurch beschreitet, begegnet er ganz interessanten Schlüsselfiguren und eigenen Gedankengängen, denkt eigene, neue Gedankengänge und kommt dann im Laufe dieser Geschichte, in der er sich dann immer mehr mit den Zusammenhängen von Wissenschaft und Spiritualität auseinandersetzt – und der Rolle, die Zeit bei der ganzen Geschichte spielt – immer mehr in die Denke rein, dass er eine Nichtexistenz eines göttlichen Wesens oder Wirkens ausschließen muss, was ihn ja nicht mehr zum Agnostiker im eigentlichen Sinne macht.
Die Geschichte spielt im viktorianischen England, ist so ein bisschen ein Märchen, vielleicht auch ein bisschen eine Kriminalstory und begleitet dann eben einen Wissenschaftler auf seinem Weg, wie er spirituell etwas wächst und vielleicht auch ein Stückweit geläutert wird von seiner reinen Wissenschaftsgläubigkeit, die per se nichts Schlechtes ist, aber die man meines Erachtens nicht einfach so von der Spiritualität loseisen kann. Wie auch immer, im Endeffekt habe ich diese Geschichte gesponnen, weil ich da wunderbar meine eigenen Gedankengänge reinbauen konnte und auch Fragen stellen und auch Dinge, die mich beschäftigen, erörtern konnte.
Im Idealfall nehmen die Leute das nicht als „Unterhalte mich eine Stunde und gib mir jetzt eine Stunde irgendwie ‚Herr der Ringe‘!“ hin, sondern eher als etwas, mit dem sich der Hörer auseinandersetzt und dabei vielleicht auf eigene Fragen kommt. Und im Nicht-Idealfall – oder in einem anderen Idealfall – in einem anderen Fall soll er einfach schöne Stimmungen und schöne lyrische und musikalische Bilder vorfinden, mit denen er einfach in so eine andere Welt abtauchen kann. Im Prinzip ist es alles offen zur eigenen Interpretation, man kann die Lyrics für sich nehmen und kann sich dazu auch einfach Fragmente rauspicken und da einfach eine gute Zeit damit haben.

Bei einem Songtitel wie „The Watchmakers‘ Dream“ musste ich unweigerlich an den bekennenden Atheisten Richard Dawkins und das Bild des „blinden Uhrmachers“ denken, mit dem dieser auf Basis der Evolutionstheorie gegen das Weltbild der Kreationisten argumentiert. Sind dir diese Theorien auch geläufig und haben sie dich vielleicht beim Schreiben der Geschichte beeinflusst?

Nee, aber es klingt auf jeden Fall interessant, als ob es was damit zu tun haben könnte.

Ok, dann lass uns lieber noch auf die Sänger eingehen, die du dieses Mal um dich geschart hast. Du hast ja bereits erwähnt, dass du einige neue Stimmen in deinen Reihen hast. Der ein oder andere dürfte besonders überrascht gewesen sein, dass Jorn Lande diesmal nicht dabei ist.

Ja, ich habe relativ am Anfang, als ich die Platte dann aktiv angegangen bin, mit ihm gesprochen. Er hat aber gleich von Anfang an gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er für eine Tour nicht zur Verfügung stehen wird, relativ groß ist. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, das diesmal ohne ihn zu machen. Wir haben immernoch einen guten Draht zueinander, das ist gar kein Ding, aber es hat diesmal einfach nicht gepasst, er hatte halt andere Pläne. Da habe ich gedacht, wir gehen dann einmal über Los und etablieren auch eine komplett neue Truppe auf dem Album.
Irgendwie tut es der Sache auch gut, denn AVANTASIA lebt ein bisschen von der Vielseitigkeit. Ich meine, Jorn ist ein tierischer Sänger, der ist über jeden Zweifel erhaben, aber wir haben jetzt mit Eric Martin, mit Biff, Ronnie und Joe Lynn Turner auch wieder Granaten dabei, da mache ich mir gar keine Gedanken, das ist alles wunderbar geworden. Eine Tür fällt zu und die nächste geht irgendwie auf. Es klingt total blöd, weil ich will jetzt nicht despektierlich klingen und das hat nichts mit mangelndem Respekt für Jorn zu tun, aber ich sage wirklich, es ist jetzt auch sehr viel positives Neues auf der Platte zu hören.

Wo du nun am Rande bereits die Live-Umsetzung angeschnitten hast: Ein echtes Orchester werdet ihr wohl nicht mit an Bord haben?

Nee, das wird der Miro als Keyboarder machen. Aber ein echtes Orchester bringt auf der Bühne einfach nichts. Du hast bei einer Heavy-Metal-Band, die so einen Radau macht, einfach so viel Dreck, der dann da mit rüberkommt, wenn da 65 Leute mit Tonabnehmern sitzen, macht das meines Erachtens keinen Sinn. Und das ist auch nicht wirtschaftlich, dann kannst du nicht mehr touren.

Wen werdet ihr dann als Sänger mit an Bord haben?

Ja, also Michi Kiske, Bob Catley, Oli Hartmann, Amanda Summerville, Eric Martin – und einen kann ich so noch nicht ankündigen.

Zum Abschluss wollte ich dich dann noch auf die ziemlich geile Show ansprechen, die du mit EDGUY kurz vor dem Jahreswechsel 2011/2012 in der Rockfabrik in Ludwigsburg gespielt hast.

Das war geil! Diese Show war tierisch!

Ich hatte so den Eindruck, ihr seid von den größeren Bühnen, die ihr sonst bespielt, endlich mal wieder in einen kleinen, stickigen Schuppen gekommen und hattet da einen tierischen Spaß dran.

Ja, aber die Leute waren auch super! Wenn du so eine Show spielst, dann merkst du schon nach zwei Liedern: Heute Abend macht’s einfach nur Spaß, heute Abend kannst du einfach gar nicht verlieren! Das merkst du, da passt es einfach, ich kann das gar nicht in Worte fassen, es hat einfach gestimmt. Wir standen auf der Bühne, wir hatten das Tourjahr irgendwie schon abgeschlossen, das war so eine Show außer Konkurrenz, da waren irgendwie 700 Leute drin, der Laden war rappelvoll und die Stimmung war gigantisch. Und dann macht das aber auch Spaß, dann springt das auf die Band über, man befeuert sich dann so gegenseitig.
Ich kann mich an die Show erinnern, das war super! Irgendwann stand der Hasche (örtlicher Veranstalter – Anm. d. Red.) mit so einem Kraut auf der Bühne, mit so einem komischen Schnaps und mit einem roten Piratenhut – denn eine Nikolausmütze hatte er nicht gefunden. Er stand da dann mit so einem Piratenhut und hat so ein Tablett gehabt mit irgendwelchen Schnäpsen. Und ich so: „Boah, Hasche, du bist doch pervers!“ Aber die Show hat echt Spaß gemacht!

In solch kleinen Clubs spielt ihr hier in Deutschland mit EDGUY ja sonst eigentlich nicht mehr, hat das vielleicht auch eine Rolle gespielt?

In Deutschland nicht, aber wir spielen ja auch im Ausland öfter mal solche Clubs, grade in den USA passiert das schon. Aber dass dann so die Luft brennt, das hast du nur ganz selten. Ich sag mal, normalerweise sind die Schwaben da eigentlich tatsächlich schon gut. In Süddeutschland ist das einfach heißblütiger, es ist tatsächlich so. Und Schwaben war immer gut, wir hatten auch mal eine Show gespielt in der Filharmonie in Filderstadt, das war nicht die letzte, sondern auf der „Rocket Ride“-Tour oder so… (überlegt) „Rocket Ride“- oder „Tinnitus Sanctus“-Tour…

Ihr habt auf jeden Fall auf beiden Touren da gespielt. Und die letzte Tour…?

Die auch. Da war aber die Stimmung so okaaaayyyy….

Stimmt, da war ich enttäuscht.

Von der Stimmung oder von uns?

Nee, von der Stimmung, von euch nicht.

Ja, weil ich war auch von uns nicht enttäuscht, aber von der Stimmung so ein bisschen. (grinst) Aber davor ging’s da ab, das war unglaublich!

Ich denke, ich habe seit 2006 jede Show von euch im Großraum Stuttgart mitgenommen und war da nie enttäuscht von euch. Ich glaube, selbst wenn ihr mal einen schlechten Tag habt, könnt ihr keine richtig schlechte Show spielen.

Ach, ich glaube, wenn wir uns richtig viel Mühe geben, kriegen wir das hin, da mache ich mir keine Gedanken. (lacht) Aber nee, das ist halt das schöne an einer Band wie EDGUY, wir machen seit so vielen Jahren zusammen Musik und sind so ein eingespieltes Team, so richtig scheiße geht das eigentlich wirklich nicht.

Bei AVANTASIA seid ihr ja nicht ganz so eingespielt.

Nee, da müssen wir uns schon Mühe geben, dass es nicht richtig scheiße wird, da könnten wir potentiell richtig scheiße sein. Aber das werden wir nicht, wir werden gut proben für die Tour und das passt dann alles.

Ok, da sehen wir uns dann hoffentlich bei der Show in Ludwigsburg!

Ja, ich bin da. Ich hab an dem Tag ja eh nichts anderes vor. (lacht)


08.03.2013
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