Avantasia
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Interview

EDGUY, AVANTASIA, Power Metal aus Deutschland – diese Begriffe haben sich in den letzten Jahren auf einen gemeinsamen Nenner geeinigt – Tobias Sammet. Der singende Wirbelwind hat trotz vollgepacktem EDGUY-Terminkalender die Zeit gefunden, um sein All-Star-Nebenprojekt in Form von AVANTASIA zu einem weiteren Höhepunkt zu führen. Mit dem Doppelschlag „The Wicked Symphony“ und „Angel Of Babylon“ führt Sammet die auf „The Scarecrow“ begonnene Story zu Ende und liefert mit frenetischer Starbeteiligung (Jorn Lande, Jon Oliva, Tim Owens, Klaus Meine, Michael Kiske,…) eines der frühen Melodic Metal-Highlights dieses Jahres ab. Natürlich tritt der erfolgreiche Fronter mit seinem eigenen Stil auch vielen auf die Füße. Davon lässt sich der eifrige Workaholic aber nicht wirklich aufhalten. Bei einem Telefongespräch ist mir ein hörbar entspannter, hervorragend aufgelegter Tobi Sammet Rede und Antwort gestanden und hat ein wenig über den musikalischen Spagat zwischen EDGUY und AVANTASIA erzählt…

Avantasia

Hi Tobi, schön dich zu hören! Wie geht es dir?

Hallo Mathias, danke, sehr gut. Ich bin gerade beim Joggen. Das mache ich öfters, wenn ich Interviews habe, damit die Zeit doppelt gut genützt wird.

Multitasking par excellence. Damit kommen wir gleich zum eigentlichen Thema. Mit deinem eigentlichen Nebenprojekt AVANTASIA hast du dieser Tage gleich einen musikalischen Doppelschlag veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Na ja, das war ursprünglich nicht so geplant. Als wir damals „The Scarecrow“ gemacht haben, war uns schon klar, dass es eine Fortsetzung geben wird, weil einfach dort schon genügend Material dafür da war. Wir haben damals zwanzig Songs – zumindest die Basics – aufgenommen und haben uns dann dafür entschieden, nur zehn, elf Songs wirklich fertig zu produzieren und den Rest irgendwann später zu machen. „The Scarecrow“ ist dann veröffentlicht worden, wir sind auf Tour gegangen, an der neuen EDGUY-Platte gearbeitet, bevor es wieder Zeit wurde, sozusagen „The Scarecrow Part II“ mit dem Material zu machen, das wir schon in der Hinterhand hatten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber schon wieder so viele neue Ideen und ich wollte einfach nicht nur das ältere Material fertigmachen, sondern auch meine aktuellen Inputs irgendwie mit einfließen lassen. Deswegen haben wir gesagt: „Komm, lass uns einfach ein paar mehr Songs machen“ und im Endeffekt sind dann ganze 22 Titel dabei herausgekommen. Dadurch ist eben dann die Idee entstanden, ein Doppelalbum zu machen. Wobei der Begriff Doppelalbum in dieser Hinsicht nur bedingt zutrifft, da ich wollte, dass die Leute die beiden Alben als eigenständige Veröffentlichungen betrachten, weil eben auch so viel Arbeit drinsteckt. Doppelalben haben für mich irgendwie auch immer den Charakter von zeitlich gestreckten Alben. Ich möchte damit jetzt niemandem zu nahe treten, der ein solches aufgenommen hat, aber ich habe dabei die Assoziation von vielen Instrumental- oder gesprochenen Parts. Das wollte ich einfach nicht. Die Leute sollen den Eindruck haben, dass sie zwei unterschiedliche Alben bekommen, die lediglich zur selben Zeit veröffentlicht werden.

Thematisch sind „The Wicked Symphony“ und „Angel Of Babylon“ – wie du schon sagtest – die Fortsetzungen von „The Scarecrow“. Kannst du uns einen kurzen Überblick über die gesamte Story, die dahinter steckt, geben?

Das Ganze handelt immer noch von diesem wahrnehmungsgestörten Autisten, der sich in Klangwelten flüchtet, weil er anders keine emotionale Verbindung zur Außenwelt aufbauen kann. Er schafft sich dadurch seine eigene kleine Welt, die aber dieser so genannten Außenwelt nicht verborgen bleibt. Dadurch verschafft er sich einen immer größer werdenden sozialen Status und zum Schluss auch eine gewisse Portion an Ehre. Er sieht diese Anerkennung als Liebesersatz an. Je höher er fliegt, desto größer werden seine moralischen Konflikte, in die er gerät und desto näher wird er an die inneren Abgründe des Menschen herangeführt. Dadurch wird das Ganze für ihn immer mehr zu einer emotionalen Achterbahn. Je höher die Berge, desto tiefer die Täler sozusagen.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist das Ganze einfach eine menschliche Tragödie, die ein wenig in die Richtung von Faust geht. Die beiden neuen Alben reflektieren nun also seine Gefühlswelt. Ich habe die Figur in den neuen Songs weiter ausgelotet, habe auch in mich selbst reingehört und ich denke, dass sich einige Menschen in den Geschichten wieder erkennen werden, weil wir einfach mit elementaren Gefühlen, Stärken, Schwächen und Ängsten spielen. Und das Schöne an dem ganzen Konzept ist, dass die einzelnen Songs auch für sich selbst einen Sinn machen. Es ist also nicht so, dass bestimmte Titel nur im Kontext mit anderen Songs funktionieren. Man kann sie herauspicken und sie haben durch ihren metaphorischen Stil allgemeine Gültigkeit und das gefällt mir besonders daran.

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Da gebe ich dir definitiv Recht. Für die musikalische Umsetzung hast du auch dieses Mal wieder in der Hard Rock- und Power Metal-Überraschungskiste gewühlt und neben altbekannten Namen auch neue Musiker für dein Projekt hinzugewinnen können. Als Erstes fallen da natürlich Klaus Meine von den SCORPIONS und Ex-SAVATAGE-Schwergewicht Jon Oliva auf. Wie kommst du zu diesen Leuten?

Also, Klaus kannte ich schon zuvor, weil wir schon bei EDGUY mit den SCORPIONS gespielt haben und auch Rudolf (Anm. Red.: Schenker) bei der letzten AVANTASIA-Platte mitgemacht hat. Von daher war der Weg zu Klaus nicht allzu weit. Jon habe ich vor drei oder vier Jahren auf einem Festival kennengelernt. Die ganze Metalszene ist ja nicht wirklich groß und irgendwie kennt jeder jeden. Es sind zwar alle über die ganze Welt verteilt und man trifft sich einmal in Deutschland, dann wieder in Australien, aber im Endeffekt sind es immer die gleichen Gesichter, die man sieht. Das ist ganz lustig, weil man dadurch eigentlich erst sieht, wie klein die Welt doch ist [lacht].

Und dadurch herrscht ein gewisser Zusammenhalt vor…

Ja, wie das eben so ist. Zum einen hat man mehr Kontakt, zum anderen weniger bis gar nichts. Jon und ich sind jetzt keine privaten Freunde, aber man kennt sich, kommt gut miteinander aus und respektiert einander. Und die Musik schafft dann einfach gewisse Gemeinsamkeiten. Er fand meinen Song (Anm. Red.: „Death Is Just A Feeling“) von Anfang an gut und ich finde es tierisch, was er aus dem Song gemacht hat. Es ist quasi eine Art Zweckgemeinschaft [lacht].

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Wie gehst du eigentlich an das Schreiben von neuem Songmaterial heran? Wie kann man sich das bei dir vorstellen?

Du, das ist ganz unterschiedlich. Gestern hatte ich zum Beispiel eine geniale Songidee, die man wahrscheinlich auf dem neuen EDGUY-Album hören wird. Ich habe mir zwar geschworen, jetzt erstmal Pause zu machen, aber wenn die Idee schon einmal da ist, kannst du sie nicht einfach ignorieren [lacht]! Und es war tatsächlich so, dass mir diese Idee im Halbschlaf gekommen ist. Ich finde es immer wieder geil, wie man so in ganz neue Situationen kommen kann. Bis jetzt ging es mir noch nie so, dass ich wach geworden bin und mich an eine Melodie erinnern konnte, die ich nachts geträumt habe. Ich bin dann morgens natürlich gleich ans Keyboard gerannt, um sie aufzunehmen.

Bevor sie wieder weg ist…

Genau! Das wird nicht im Langzeitgedächtnis verankert, das muss sofort aufgeschrieben oder aufgenommen werden. Jedenfalls sind das einfach Ideen, die in mir herumspuken. Manchmal sitze ich wirklich gezielt vor dem Keyboard, um Songs zu schreiben. Ich versuche mich in eine entspannte Gefühlslage zu bringen oder irgendwie in Situationen zu kommen, die mich inspirieren. Ich gehe zum Beispiel gerne in den Wald, wo ich auch jetzt gerade bin [lacht], um Inspiration zu tanken. Hilfreich ist es auch, wenn ich ein Instrument habe. Das habe ich im Wald natürlich nicht bei mir, dort ergeben sich eher lyrische Ideen. Aber mit Instrument ergibt sich dann hin und wieder die ein oder andere Vorstellung von einem Song.

Durch die jahrelange Erfahrung, die ich mittlerweile schon habe, ergibt sich daraus auch eine Art Initialzündung, wo man merkt, dass das was werden kann. Man kann versuchen diesen Moment zu ködern, aber im Prinzip muss das einfach irgendwie kommen. Das Drumherum hat dann im Endeffekt auch viel mit Erfahrung zu tun. Wenn du eine schöne Melodie im Kopf hast, weißt du sofort, welche Akkorde du darunter legen musst, um diese Ursprünglichkeit beizubehalten und ihre wahren Stärken ausspielen zu können. Das klingt jetzt zwar sehr musiktheoretisch, ist es aber in Wirklichkeit überhaupt nicht. Das ist schwer zu beschreiben und passiert eigentlich alles total intuitiv.

Könntest du aus den 22 Songs auch deinen persönlichen Favoriten küren oder ist der Abstand zum Material noch zu klein?

Das ist schwierig. Im Moment könnte ich dir sagen, dass es „Your Love Is Evil“ ist. Ich habe den Song gestern gehört und dachte mir: „Geil gesungen!“, obwohl das eigentlich überhaupt nicht mein Gradmesser ist. Das Ganze kann sich aber täglich ändern. Ein Song kann dich montags emotional ganz anders berühren als mittwochs. Da muss einfach alles zusammenpassen. Gestern war es eben „Your Love Is Evil“.

Und heute kann das schon wieder ganz anders sein…

Ja, klar, aber heute werde ich mir die Platten nicht mehr anhören. Ich habe sie in letzter Zeit schon so oft gehört, deshalb bleibe ich dabei [lacht].

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Beim Durchhören der Platten ist mir aufgefallen, dass dein kongenialer Partner Jorn Lande dieses Mal relativ viele Gesangspassagen übernommen hat. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Na ja, Jorn spielt einen wichtigen Charakter in der Story. Er ist so etwas wie mein ständiger Begleiter, der kleine Teufel in mir. Jorn ist außerdem einfach ein tierisch geiler Sänger und jeder Song, der von ihm gesungen wird, kann von ihm nur profitieren und besser werden. Damals bei dieser Sommertour, wo wir auf ein paar Festivals gespielt haben, waren wir auch größtenteils zu zweit zu hören und das hat einfach wunderbar funktioniert. Ich habe mir nicht bewusst vorgenommen, dass Jorn auf den Alben viele Gesangsteile übernimmt, die Story und der ganze Aufbau haben sich einfach so ergeben und somit auch die Anteile von Jorn.

Zusammen mit den beiden „Metal Operas“ und deiner „aktuellen“ Trilogie hältst du mittlerweile schon bei fünf offiziellen AVANTASIA-Veröffentlichungen. Planst du mit diesem Sideprojekt schon wieder weitere Aktivitäten oder ist das Ganze für dich vorerst abgeschlossen?

Es ist eigentlich nicht abgeschlossen, aber ich habe derzeit auch keine wirklichen Pläne für ein weiteres AVANTASIA-Album. Ich mache mir da im Moment keine Gedanken darüber. Ich plane immer so viel und lebe die meiste Zeit in der Zukunft, ohne mich einmal zurückzulehnen und die aktuelle Sache zu genießen. Ich arbeite zum Zeitpunkt einer Veröffentlichung meistens schon wieder am nächsten Ding und dieses Mal habe ich mir vorgenommen, mir einfach mal mehr Zeit zu nehmen. Vielleicht geht es in drei, fünf oder zehn Jahren mit AVANTASIA weiter, wir werden sehen. Auf alle Fälle werden wir zunächst an einem neuen EDGUY-Album arbeiten, das irgendwann nächstes Jahr erscheinen wird. Wir machen das aber ganz ohne Stress und gehen das Ganze einfach ruhig an.

Tobi, wie differenzierst du zwischen AVANTASIA und EDGUY? Warum gibt es überhaupt diese beiden musikalischen Betätigungsfelder für dich?

Das eine ist eine Live-Band, fünf Leute, die auf die Bühne gehen und Spaß haben. Ich will damit nicht sagen, dass wir nur Spaß haben wollen. Wir sind natürlich mit genügend Ernst bei der Sache und wollen unsere Musik auch professionell und gut umsetzen. Der Spaß steht aber trotzdem immer im Vordergrund. Und AVANTASIA hat natürlich etwas Konzeptionelleres, Musicalmäßiges an sich, da es einfach aufgrund der vielen Sänger so unterschiedlich geprägt wird. Das ist im Prinzip der Hauptunterschied.

Somit kannst du deinen persönlichen Musiktraum in zweierlei Hinsicht ausleben. Gibt es rückblickend Dinge, die du heute bereust oder die du anders machen würdest?

Nee, ich glaube nicht. Das ist alles super so gelaufen. Das ist fast so, wie in diesen Science Fiction-Filmen, wo du zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit reist und einen Lichtschalter einmal zu oft ein- oder ausschaltest und die ganze Zukunft ist verändert. Im Großen und Ganzen wäre es daher einfach undankbar zu sagen, dass ich irgendwas in meinem Leben für falsch gelaufen hielte. Also, nee, ich bin wunschlos glücklich. Auch wenn in deinem Leben Scheiße passiert, musst du einfach immer denken, dass es für irgendetwas gut sein wird. Natürlich gibt es Dinge, bei denen man sich denkt: „Warum muss das jetzt ausgerechnet mir passieren?“, aber vielleicht weißt du ja ein paar Jahre später, für was dir das damals passiert ist. Bei manchen Sachen weiß man es wahrscheinlich nie, aber nur weil wir es nicht begreifen können, heißt das noch lange nicht, dass nicht trotz allem ein guter und legitimer Grund dahinter steckt. Ich bin auf alle Fälle glücklich mit all den guten und schlechten Dingen, die mir bis jetzt passiert sind. Zum Glück waren es meistens gute Sachen [lacht].

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Dann scheint ja alles eitel Wonne zu sein. Dir geht es gut, mit EDGUY feiert ihr weltweite Erfolge und auch die AVANTASIA-Alben wurden schon sehnsüchtig von deinen Fans erwartet. Gibt es da irgendeinen persönlichen Traum, den du gerne einmal musikalisch umsetzen würdest? Sprich ein Akustikkonzert oder etwas Ähnliches…

Nein, überhaupt nicht. Ich weiß gar nicht, was ich gerne machen würde [lacht]. Ich würde es lieben, einmal mit Freddie Mercury Musik zu machen, aber ich denke, das wird mir in diesem Leben nicht mehr vergönnt sein.

Leider nicht… Stehst du auch privat auf diese Art von Musik?

Das ist ganz unterschiedlich, aber im Großen und Ganzen kann man schon sagen, dass ich am liebsten Hard Rock höre. Sachen wie MAGNUM kann ich mir jederzeit anhören. Aber auch Klassiker wie DEF LEPPARD oder DIO zählen zu meinen privaten Favoriten. Im Endeffekt hauptsächlich Rock aus den 80ern. Das sind die Sachen, die einfach immer gehen [lacht].

Na gut, Tobi, damit haben wir einen perfekten Ausklang für unser Gespräch gefunden. Ich lasse dich wieder in Ruhe weiter joggen und bitte dich abschließend noch um ein paar Worte für unsere Leser.

Ich möchte mich hauptsächlich bei allen Fans und Lesern bedanken. Ich hoffe natürlich, dass ihr die Platten gut findet, bin aber auch nicht böse, wenn sie euch nicht gefallen. Auf alle Fälle solltet ihr unbedingt einmal reinhören, denn das Ganze ist wirklich tierisch gut geworden. Ich habe mir so viel Mühe gegeben, das kann nur gut geworden sein [lacht].

Ist es auch. Tobi, danke für deine Zeit und alles Gute.

Danke dir ebenfalls. Ciao.

Galerie mit 59 Bildern: Avantasia - Jailbreak 2024
07.04.2010

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