Avandra
Not macht erfinderisch
Interview
Vor allem eines erregt bei Betrachtung der Vita von AVANDRA und ihres neuen Albums „Descender“ Aufmerksamkeit, abgesehen davon, dass die Band aus Puerto Rico kommt. Das Album ist während des Nachgangs der Katastrophe entstanden, die durch den Hurrikan Maria ausgelöst worden ist. Christian Ayala schrieb die Songs unter diesen schwierigen Bedingungen, zu denen wir den sympathischen Bandkopf auch gleich mal befragt haben. Natürlich wollten wir auch wissen, was AVANDRA musikalisch voran treibt und welche inhaltlichen Einflüsse hierin stecken.
Hallo Christian, zunächst einmal: Gratulation zu „Descender“. Wie geht’s?
Mir geht’s gut. Ich glaube aber, dass ich langsam Symptome des berüchtigten Devin Townsend-Syndroms entwickle. (lacht) Das neue Album ist noch nicht mal richtig erscheinen und ich arbeite bereits an der nächsten Platte, die schon Formen annimmt und in eine technischere Richtung geht. Während das alles passiert, schreibe ich noch an meiner Master Thesis. Und nebenher versuche ich, ein normales Leben an der Seite meiner Freundin zu führen. (lacht)
Oha, ganz schön was los bei dir! Aber erzähl uns doch bitte erstmal etwas über AVANDRA selbst.
Ja, die Band begann als Solo-Projekt von mir eigentlich aus einer gewissen Eitelkeit heraus, so frei nach dem Motto „Wenn ich sterbe, möchte ich wenigstens irgendetwas hinterlassen“. (lacht) Das klingt jetzt natürlich weitaus zynischer und pessimistischer, als es gedacht war. Ursprünglich hatte ich vor, akustische Musik zu machen. Als großer Fan von Nick Drake und John Mayer lag das für mich nahe. Nun, zumindest bis ich in Berührung mit einer Band namens RUSSIAN CIRCLES gekommen bin und eine Begeisterung für den Post-Metal zu entwickeln begann.
Von hier an gedachte ich entsprechend, Post-Metal zu spielen, den man auch auf dem Debüt „Tymora“ noch hört. Es ging teilweise ein bisschen in Richtung ISIS mit PORCUPINE TREE-Einschlag. Um die Veröffentlichung des Albums herum habe ich dann die Band formiert, um mit ihr erste Auftritte bestreiten zu können. Dann ist natürlich Hurrikan Maria passiert, gerade als wir anfingen, als Band richtig warm zu werden. Das hält alles natürlich abrupt auf, denn in dieser Situation haben du und deine Mitmenschen natürlich ganz andere Sorgen, als mit einer Band aufzutreten.
Wie bist du mit dieser Situation umgegangen?
Für mich war das natürlich ein klassischer Fall von Glück im Unglück. Denn obwohl mein Apartment in der Zeit unbewohnbar geworden ist, bin ich für einige Monate bei meiner Mutter untergekommen. Durch den Ausfall der Stromzufuhr lief das Haus mit Notstrom. Unter dieser Bedingung hatten wir im Sinne der Nachhaltigkeit pro Tag nur ca. acht Stunden, in denen wir mit Elektrizität arbeiten konnten. Die habe ich genutzt, um mein Tablet über das dazugehörige Dock aufzuladen, mit dem ich dann unabhängig von der Stromzufuhr an den Songs gearbeitet habe, dem Akku sei Dank.
Ich habe dafür eine Art Standalone-Plugin für das Tablet benutzt, mit dem ich die Songs dann nach und nach konzipiert habe, beginnend mit den Riffs. Ich fange beim Schreiben ja eigentlich immer bei den Gitarren an, überlege mir dabei aber schon, wie ich Keyboards einbauen kann, die den Song verstärken. Ich denke mir also von vorn herein schon, dass die Gitarre nicht die (alleinige) Hauptrolle spielen wird und versuche von dem Standpunkt aus, weiterzuarbeiten. Damit versuche ich exzessives Geriffe und Geklimper vorzubeugen. So entstanden nach und nach wenn auch zunächst rudimentäre Songgerüste.
Dann begann natürlich in gewisser Weise der Feinschliff, wiederum unter diesen Umständen. Da ich die Songs in verschiedenen Tonarten konzipiert habe, ging es dann erst einmal darum, diese so zu transponieren, dass sich ein kohärentes Klangbild zwischen den Tracks abzeichnet. Und um meiner Mutter nicht zur Last zu fallen, habe ich das alles Abends bzw. bei Nacht gemacht, ohne Strom wie gesagt. Allein der Bildschirm meines Tablets hat mir sein Licht ins Gesicht geworfen. Wir hatten ungefähr drei Monate keinen Strom, was verhältnismäßig sogar noch eine kurze Zeit gewesen ist.
Aber das ist schon eine surreale, gruselige Situation gewesen. Man ist es so gewohnt, dass man, sobald man den Fuß aus der Haustür setzt und hinaus geht, überall seine Mitmenschen sieht. Und dann ereignet sich so eine Katastrophe und plötzlich verwandelt sich das Umfeld in eine Art Geisterstadt. Die Welt um dich herum fühlt sich plötzlich so leer an. Und ein intensives Gefühl von Isolation und Einsamkeit breitet sich in einem aus.
Hast du das zu einem der Themen des Albums gemacht?
Eher weniger. Ich befasse mich in den Texten von „Descender“ mit philosophischen Fragen, die mich selbst interessieren und über die ich im weiteren Sinne auch meine Thesis schreibe. Im Mittelpunkt steht dabei Friedrich Nietzsche. Ich bin total besessen von seiner Philosophie, weshalb ich ihn auch zum Kern meiner Thesis gemacht habe. (lacht) Das tritt wohl am deutlichsten und wörtlichsten in „Adder’s Bite“ zu Tage, steckt aber subtiler auch in den anderen Texten drin. Es geht oftmals um die spezifische Sprache von Nietzsche, aber da ist natürlich mehr.
Vereinfacht ausgedrückt hat er zwei Arten von Nihilismus definiert, den aktiven und den passiven. Der Passive repräsentiert eine fatalistische Haltung gegenüber der Entwertung alter, durch Religion gesetzter Normen, gegen die das Individuum aber auch nichts unternimmt und dabei in eine Art Zustand der Katatonie verfällt. Das Christentum war für ihn ja so etwas wie der Platonismus für das Volk. (lacht) Ich sehe mich eher als ein Vertreter des aktiven, d. h. konstruktiven Nihilismus. Ich versuche, aus dem „Nichts“ etwas zu erschaffen, anstatt es einfach hinzunehmen.
Und über das Album möchte ich eben einfach meine Philosophie und meine Leidenschaft für seine Lehre zum Ausdruck bringen.
Und wie bist du zum Prog Metal gekommen?
Ein großer Einfluss für mich war schon immer die Arbeit von Kevin Moore während seiner Zeit bei DREAM THEATER. Bei dem Namen denkt man natürlich vor allem an John Petrucci, aber für mich waren die Aushängeschilder von DREAM THEATER ausgerechnet die, die nicht mehr da sind. (lacht) Und das sind eben Kevin Moore und Mike Portnoy. Wie bereits gesagt starte ich beim Schreiben zwar bei den Riffs, überlege mir dabei aber immer schon im Vorhinein, was das Keyboard daraus machen könnte beziehungsweise wie das Keyboard die Riffs verstärken oder ergänzen könnte. Immerhin sind Keyboards und Ambience für mich von großer Bedeutung.
Und die alten Werke von DREAM THEATER drehten sich nie so sehr um Technik, wie das seit dem Einstieg von Jordan Ruddess der Fall ist. Er hat das nervige Keyboard-Gedudel erst richtig in den Sound der Band hinein gezwungen. Die alten DREAM THEATER versuchten immer, einen emotionalen Zugang zum Hörer zu finden. Ich habe mich früher immer gerne mit den Frühwerken hingelegt und habe mich von der Musik einfach nur in einer andere Welt entführen lassen. Das geht bei dem neuartigen Gedudel beim besten Willen praktisch gar nicht mehr, so gut zugegeben deren neuestes Album auch wieder gewesen sein mag, so genial auch „A Dramatic Turn Of Events“ gewesen sein mag.
Gabe es auch Einflüsse von CYNIC, speziell bei „Derelict Minds“?
Ja, es ist seltsam, dass du das sagst. Ich habe das „CYNIC“-artige Riff bereits um 2005 herum geschrieben und habe mich dadurch von „When Dream And Day Unite“ von DREAM THEATER inspirieren lassen. Diese Art von Gitarren hat einen ungemein intensiven, emotionalen Eindruck auf mich gemacht und das wollte ich reproduzieren. Mit „Traced In Air“ kam ich erst ein zwei Jahre nach dessen Veröffentlichung in Berührung, auch wenn mir die Platte wiederholt empfohlen worden ist. Erst später habe ich also dieses Album entdeckt, dass praktisch auf dieser Rifftechnik konsequent aufbaut. Aber meine Inspiration stammt tatsächlich von DREAM THEATER, nicht von CYNIC.
Wohin wird sich die Band in absehbarer Zeit entwickeln? Kannst du das schon sagen?
Das ist schwer zu sagen und offen gesagt habe ich keine objektive Antwort dafür. Wir haben aber bereits mit den Arbeiten zur neuen Platte begonnen. Da wird es definitiv etwas technischer zugehen, wobei wir uns die Balance zwischen Feeling und Emotionen bewahren möchten. Es soll eine natürliche Entwicklung von den AVANDRA von heute zu den AVANDRA von morgen erkennbar sein. Wir haben bereits einen Longtrack um die 14 Minuten mit OPETH-artigen Cleans und das ganze geht mehr in Richtung eines Konzeptalbums, wobei wir noch nicht wissen, ob es das tatsächlich wird.
Grundlage ist aber ein Comic namens „War Of The Words“, bei dem unser Bassist Gabriel Alejandro Rodriguez mitgewirkt hat und der sich titelgemäß mit Sprache beschäftigt. Derzeit arbeiten wir noch an der möglichen Story, an den Charakteren und hoffen, dass es eine runde Sache wird.
Würdet ihr damit in Richtung Rockoper gehen?
Nein. Ich bin überhaupt kein Fan von Rockoper und verstehe auch nicht, was daran so toll sein soll. Ich kann zwar mit den Frühwerken von AVANTASIA was anfagen, bin aber nie so richtig reingekommen. Und die meisten Bands, die mit dem Thema arbeiten, kann ich auch nicht wirklich ausstehen. Es ist alles so oberflächlich und klingt so künstlich. Klar, ein gewisser, cinematischer Flair ist da schon. Aber es gibt mir einfach nichts. Allein die Agenda beeindruck, da hört es aber für mich auf.
Dann danke ich dir auf jeden Fall für das interessante Gespräch!
Gleichfalls!