Atheist
Interview mit Steve Flynn zu "Jupiter"

Interview

Es ist wohl eine der größten Sensationen des Musikjahres 2010: ATHEIST sind zurück mit einem neuen Album. Entgegen vieler Befürchtungen haben ATHEIST mit ihrem neusten Output „Jupiter“ nicht nur ein superbes Comeback-Werk abgeliefert, sondern sie machen den Vorgängern „Piece Of Time“, „Unquestionable Presence“ und „Elements“ selbst ganz große Konkurrenz. Ausnahme-Drummer Steve Flynn stand offen und ehrlich Rede und Antwort zu Fragen bezüglich der Band-Geschichte, „Jupiter“, Ex-Bassist Tony Choy und dem Business allgemein. Here we go…

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Hey, welcome back! Ich möchte gleich mit der Tür ins Haus fallen: Leute, ihr habt das absolute Sahnealbum schlechthin abgeliefert!
Ihr habt mit „Jupiter“ sicherlich ganz vielen Fans von ATHEIST ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk beschert. Eine aufrichtige Verneigung von mir dafür, denn ihr habt meine Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern tatsächlich übertroffen.

Wow! Was soll ich sagen, ein einfaches ‚Danke‘ scheint für ein solches Kompliment kaum angemessen. Trotzdem – DANKE!

…obwohl ich ehrlich gesagt nichts Bestimmtes erwartet habe, außer vielleicht eine technische Vollbedienung erster Güteklasse. Es ist in der Zwischenzeit so viel passiert in der Szene und auch mit dem Metal allgemein (es wird zum Beispiel fortwährend stilübergreifender gespielt), dass ich mir im Vorfeld gar kein Bild davon machen konnte, was mich auf „Jupiter“ erwarten würde.
Hattet ihr das Gefühl einer Erwartungshaltung ausgesetzt gewesen zu sein, bzw. habt ihr eine Art Druck gespürt, „etwas“ zu erfüllen, jemandem gerecht zu werden?

Gute Frage. Wären wir so an die Kompositionen herangegangen, mit dem Versuch, allen möglichen Gruppen und Wünschen gerecht zu werden, den älteren wie den neueren Fans, den Technikfans, den Prog-Fans, etc., dann hätte das Endresultat furchtbar erzwungen und unecht geklungen. Die einzige Prämisse für das neue Album war, dass wir uns einfach hinsetzen und die Songs so schreiben, wie wir das schon immer gemacht haben: Mit einer einfachen Idee beginnen und solange daran arbeiten, bis daraus ein Song wird, den wir genauso gern hören wie wir ihn den Leuten live vorspielen wollen.
Wir hatten keinen Plan davon, was dabei am Ende herauskommen würde, wie es klingen würde, oder wie es von den Hörern aufgenommen wird. Es hätte uns wahnsinnig gemacht, wenn wir ständig daran hätten denken müssen, die Musik möglichst modern klingen zu lassen, oder das richtige Maß von Techniklastigkeit zu finden. Wir wollten einfach einen organischen ‚flow‘ haben, und das hat letztendlich in „Jupiter“ gemündet.

Was war denn schlussendlich der Beweggrund dafür, ATHEIST wieder zum Leben zu erwecken? Ich meine, 17 Jahre sind eine sehr lange Zeit und ich glaube, so manch einer hätte sich nie und nimmer gedacht, dass es die unchristliche Vereinigung noch einmal geben wird…
Erzähl doch mal bitte kurz, was passiert ist, von der damaligen Trennung bis heute.

Haha, das ist aber ne Menge Geschichtsstoff für eine Frage. Ich versuch es kurz zu machen: Wir haben viele Jahre mit der Überzeugung verbracht, kein neues Album aufnehmen zu wollen. Doch über die Verquickung sehr kleiner, entscheidender Schritte kamen wir dann doch auf den Geschmack. Letztlich war es Michael von Season Of Mist, der uns vollends davon überzeugen konnte. Der Grund, die Band überhaupt zu reaktivieren, war hingegen ziemlich einfach: Die Nachfrage nach einem neuen Album war einfach da, die ersten drei Alben waren neu aufgelegt worden, und man hat uns gefragt, ob wir nicht eine Show spielen wollen. Dann kamen noch die Veranstalter vom Wacken Festival hinzu, die uns die Bühne boten – und der Rest ist Geschichte.
Nachdem wir uns 1992 aufgelöst hatten, ist jeder von uns seinen eigenen Weg gegangen, privat sind wir jedoch immer eng befreundet geblieben. Ich saß über 14 Jahre lang nicht am Schlagzeug und war (bzw. bin es immer noch) in der Wirtschaft beschäftigt.

Erst hieß es (ich erinnere mich grad nicht ob offiziell oder unter der Hand), dass euer Gitarrist Rand Burkey mit dabei sein wird, dann aber kam es anders?

Wir haben wirklich alles versucht, damit Rand hinzukommt, wir wollten unbedingt, dass er dabei ist. Unglücklicherweise hatte Rand mit einer ganzen Reihe persönlicher Probleme zu kämpfen, die ihm eine Teilnahme unmöglich gemacht haben. Wir wären schon froh gewesen, wenn er nur irgendetwas auf „Jupiter“ eingespielt hätte, aber er ist nie im Studio aufgetaucht.

Ihr habt dann die GNOSTIC-Jungs Jonathan Thompson und Chris Baker ins Boot geholt, was im Grunde auch auf der Hand lag. Hattet ihr nicht Bedenken, dass sie spieltechnisch nicht wirklich den Spirit von ATHEIST rüberbringen? Ich meine Burkey und Shaefer waren immer die Macher und haben ihren eigenen Stil.

Nun ja, die beiden waren schon immer große Fans von ATHEIST und kannten sich auch bestens mit unserem Stil und unserer Philosophie aus. Chris war ohnehin schon seit unserer Reformierung 2006 dabei. Beide haben fantastische Arbeit abgeliefert, sowohl beim Spielen der alten Songs, bei denen sie den hohen Standards wirklich gerecht wurden, als auch auf „Jupiter“, zu dem sie viel beigetragen haben.
Kelly stand mir auch die ganze Zeit zur Seite, um ATHEIST auf eine Linie zu bringen. Er und ich haben ja den größten Teil der Arrangements und überhaupt der kreativen Arbeit auf den ersten drei Alben gemacht. „Jupiter“ ist nun ein Kind aller vier Köpfe.

Es gibt da einige unschöne Gerüchte über Tony Choys Abgang, die ein bisschen an die Geschichte mit Jason Newsted und METALLICA erinnern. Was ist da dran? War Tony der Bassist, der nie so richtig aus dem Schatten von Roger Patterson heraustreten konnte?

Um Gottes Willen, absolut nicht! Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Tony war auf jeden Fall ein gleichberechtigter Nachfolger nach Rogers Tod. Unglücklicherweise hat uns Tony kurz nach den Aufnahmen zu „Unquestionable Presence“ 1991 verlassen, um sich PESTILENCE anzuschließen und blieb dort auch, zumindest für einige Jahre. Deshalb sahen wir uns gezwungen, Daren McFarland mit auf die folgende Tour zu nehmen. Tony kehrte dann für „Elements“ zurück, nur um dann kurz darauf wieder zu gehen. Dann lagen ATHEIST auf Eis, und somit gab es auch keine Gelegenheit wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen, bis zur Reunion 2006.
Tony sollte eigentlich auch auf „Jupiter“ spielen, er hat sich dann jedoch, vier Wochen vor Beginn der Aufnahmen, aus diversen persönlichen Gründen dagegen entschieden. Deshalb kam Jonathan Thompson mit an Bord und hat einen exzellenten Job abgeliefert. Er war so gut, dass wir das Gefühl hatten, fehlerfrei durch die Aufnahmen zu gehen. Natürlich waren wir sauer wegen Tony, der uns nun schon ein zweites Mal im Stich gelassen hatte, aber wir sind immer noch befreundet. Ich hatte ihn erst vor zwei Tagen am Telefon. Mal sehen, vielleicht wird es ja doch noch was, und wir stehen eines Tages wieder gemeinsam auf der Bühne.

Damit hast Du im Prinzip auch schon meine nächste Frage beantwortet. Einige Fans hatten ja die Befürchtung geäußert, dass ein neuer Bassist nicht den hohen Ansprüchen der Musik gerecht werden könnte.

Das wird in dieser Band nie passieren, an keinem Instrument. Jonathan hat wirklich tolle Arbeit auf dem Album geleistet, und wir haben bereits einen jungen, sehr talentierten Bassist in der Reserve – doch dazu kann ich momentan noch nichts Genaueres sagen.

Wie läuft das jetzt genau mit dem Songwriting bei euch? Kelly schreibt trotz seiner gesundheitlichen Einschränkung immer noch den Großteil der Musik? Welchen Einfluss haben denn die beiden neuen? Und du schreibst auch einzelne Parts, oder sogar komplette Songs wie ich gelesen habe!? Ihr seid wohl Allrounder?

So gesehen ja, der Schreibprozess war schon immer eine kollektive Angelegenheit, jeder steuert seinen Teil dazu bei. Von Kelly stammen viele Gitarrenparts, Chris Baker und Jonathan haben ebenfalls viel für die Gitarre und den Bass geschrieben und ich ebenso. Kelly und ich kümmern uns um einen Großteil der Arrangements, aber dazu haben auch die anderen beigetragen. Es ist wirklich unser gemeinsames Baby.

War die Entstehung von „Jupiter“ ein schwieriger Prozess oder ging euch das komplette Werk leicht von der Hand? Gab es Hindernisse, Komplikationen, Unmögliches?

Absolut nicht, es war in der Tat so, als hätten wir direkt an „Unquestionable Presence“ angeknüpft. Als wir erstmal Fahrt aufgenommen hatten, ging uns alles leicht von der Hand.

Auch in Sachen Sound ist in all den Jahren sehr viel passiert. Die Möglichkeiten der Technik sind weitläufiger aber auch „gefährlicher“, denn man kann Musik ja auch überproduzieren oder ihr durch zuviel Technik den Atem, sprich das Feeling rauben. Wie seid ihr die Sound-Produktion von „Jupiter“ angegangen?

SEHR organisch. Uns allen ist durchaus bewusst, welche technischen Fortschritte es in der Musikindustrie gegeben hat. Viel Großartiges aber ebenso viele weniger wünschenswerte Dinge gehören dazu. „Jupiter“ wurde sehr ‚old school‘ produziert. Ich hab das gesamte (!) Schlagzeug in gerade mal sechs Stunden eingespielt, nicht an sechs Tagen, wie das heute durchaus üblich ist. Jonathan hat die ersten Rhythmussektionen an der Gitarre in einer Stunde eingespielt. Manche Songs wurden nur einmal eingespielt und liegen in ebendieser Form auch auf dem Album vor.

Es ist wirklich toll, dass die Technologie den ganzen Prozess erheblich beschleunigt, und dass mithilfe der digitalen Produktion auch ein wesentlich besserer Klang in viel kürzerer Zeit (und auch viel günstiger!) erreicht werden kann. Trotzdem achteten wir darauf, es nicht zu übertreiben oder etwas zu perfekt zu klingen, denn das Problem haben heutzutage viele Produktionen.

Du nimmst mir die Worte aus dem Mund! Ihr hattet also keine Angst, dass „Jupiter“ trotz aller klangtechnischen Transparenz zu steril klingen könnte?

Nein, denn darauf haben wir wirklich ein Auge gehabt. Viele Bands nutzen die Technologie als eine Art Gehhilfe – wir wollten das vermeiden und möglichst realistisch und echt klingen. Genau deshalb haben wir uns auch den Besten im Geschäft geschnappt – Jason Suecof. Der Mann ist erste Sahne.

Ich denke, ihr habt einen rundum perfekten Job abgeliefert, Sound, Songwriting und Technik sind bei „Jupiter“ einwandfrei!
„Elements“ klingt unterm Strich leider nicht ganz so glücklich. Stellenweise leidet der Sound an Übersteuerungen (z.B. bei den Vocals) und, wie soll ich sagen, an minderer Qualität? Siehst du das ähnlich?

Guter Punkt. „Elements“ stammt nämlich von einer „anderen Band“. Kelly und ich haben ja ATHEIST gegründet, waren aber nicht zusammen als „Elements“ geschrieben wurde. Wir haben „Piece Of Time“, „Unquestionable Presence“ und aktuell „Jupiter“ zusammen geschrieben. Diesen Unterschied hört man deutlich. „Elements“ ist ein tolles Album, aber es klingt, verglichen mit den anderen Werken, wirklich wie von einer anderen Band eingespielt.

Wie wird sich der Aspekt, dass du bei „Elements“ nicht dabei warst, heute ausüben? Werdet ihr Tracks von „Elements“ live spielen und wenn ja, hast du den Songs einen eigenen Stil verpasst, einzelne Parts vielleicht sogar in deinem Rahmen als Schlagzeuger etwas umgebaut, oder übernimmst du 1:1 die Parts von Josh Greenbaum, der euch seinerzeit ausgeholfen hat?

Wir spielen diese Songs nun schon seit vier Jahren. Ich gebe selbstverständlich mein Bestes, so nah wie möglich am Original zu bleiben, aber natürlich fließt auch etwas von meinem eigenen Stil mit ein.

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Ich könnte hier noch unendlich viele Fragen zur Vergangenheit und der Verknüpfung zu heute stellen und einiges aufarbeiten aber das würde leider den Rahmen des Interviews sprengen, deshalb an dieser Stelle bitte ein paar freie Worte zu „Piece Of Time“, „Unquestionable Presence“, „Elements“:

Wir sind alle so eng verbunden mit der Musik, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Teil von uns ist, von unserem Leben und unserer gemeinsamen Geschichte. Diese Songs und diese Zeit haben sich eingebrannt, sind eng verflochten mit unserer DNA. Es fällt schwer, das Ganze aus der Distanz zu betrachten. Das einfachste, was man zu diesen drei Alben sagen könnte, ist wohl: „Das sind WIR.“

Ihr habt mit „Jupiter“ nicht komplett den Weg von „Elements“ verfolgt, sondern es sind Einflüsse aus allen Alben vorhanden. Ich finde, das war der beste und optimalste Weg, den heutigen Sound von Atheist zu definieren!
Nun stellt sich natürlich die Frage, was zukünftig passiert. Wird es überhaupt weiterhin Veröffentlichungen geben und wenn ja, wohin wird die musikalische Reise führen?

Das werden wir sehen. Als wir wieder zusammengefunden hatten, gab es keine genaue Planung, was dann geschieht. Wir sind einfach nur dort hingegangen, wo uns die Fans und das universum hingeführt haben. Es war ein sehr organischer Prozess: Ein Konzert führte zum nächsten, und dann irgendwann zu diesem Live-Album und schlussendlich zu „Jupiter“. Nichts davon war vorgesehen oder geplant. Solange die Fans und das Universum uns auf ihrem Ritt dabei haben wollen, werden wir auch dabei sein. Wie lieben die Auftritte, wir lieben die Zeit miteinander, unsere Freundschaft. Es macht einfach riesigen Spaß, das erleben zu dürfen. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht dankbar dafür sind. Deshalb kann es auf deine Frage nur eine wahre Antwort geben: Die Reise wird uns dorthin führen, wohin ihr uns mitnehmt!

Ihr habt mit Season Of Mist aktuell den Deal laufen, „Unquestionable Presence: Live At Wacken“ erschien bei Relapse. Hatten die etwa kein Interesse daran, sich auch „Jupiter“ unter den Nagel zu reißen oder wurdet ihr über die Konditionen nur nicht einig?

Michael und Season Of Mist haben sich wirklich ins Zeug gelegt, damit wir bei ihnen einsteigen, und ließen sich das auch durch kein anderes Label streitig machen. Relapse gebührt unser aller Respekt, keine Frage. Beides sind hochqualitative Labels, auf die wir gleichermaßen stolz sein können.

Ihr habt ja nun schon viel Erfahrung als Musiker, in der Szene und im Business. Was erwartet ihr von eurem Label und wohin möchtet ihr als Band? Wie wägt ihr ab, ob ein Label gut genug ist für euch und ob es eure Visionen (habt ihr denn welche?) auch erfüllen kann?

Wir erwarten, wie eigentlich jede andere Band auch, einen fairen Deal und die dazugehörige Unterstützung unserer Anstrengungen, um das Beste aus dem Album herauszuholen, und sein Potential voll auszuschöpfen. Natürlich kann auch das Label niemanden dazu zwingen, unser Album zu kaufen, aber als ein Team möchten wir einfach sicherstellen, dass jeder die Möglichkeit hat, es ohne Umwege bekommen zu können. Es ist schon ein ziemlich brutales und kompliziertes Geschäft mit der Musik.

Wie sehen die Livesets aus bei euch? Vornehmlich „Jupiter“ oder kommen auch „die anderen drei“ ausreichend zum Zuge?

Wir arbeiten gerade an der Setlist der kommenden Tour. Es wird immer ein Mix aus allen vier Alben sein, wobei kein Album das Set wirklich dominiert – eben weil wir wissen, dass wir sowohl Fans von individuellen Alben im Publikum haben, wie auch Fans, die auf alle Alben stehen. Beiden Gruppen möchten wir auf jeden Fall gerecht werden.

Mit welchen Bands würdest du denn gerne mal live spielen?

RUSH!

OK, das sollte es für jetzt gewesen sein. Meine restlichen 700 Fragen stelle ich dann das nächste Mal…
Alles Gute für euch und vielen Dank für die Geduld!

Der Dank gebührt Dir! Nochmals vielen Dank für deine Zeit, deine Unterstützung und vor allem für all die lobenden Worte!

05.12.2010

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