Arch Enemy
Interview mit Sharlee D'Angelo zu "Rise Of The Tyrant"
Interview
Mit „Rise Of The Tyrant“ haben ARCH ENEMY jüngst ihr siebtes Studio-Album veröffentlicht. Nachdem die Band mit den Vorgängern einen Erfolg nach dem anderen verbuchen konnte, wird es ihnen dieser Output wohl gleichtun, besinnt sich die Band darauf doch auf ihre musikalischen Stärken. Im Vorfeld des Up From The Ground-Auftritts, den die Band als Headliner bestritt, schaute Bassist Sharlee D’Angelo mit uns ein wenig zurück und ebenso nach vorn.
Freut ihr euch schon auf den Up From The Ground-Gig?
Absolut. Wir haben letztes Wochenende unsere ersten zwei Shows seit Februar gespielt. Wir waren schon ein wenig eingerostet, haben es aber ganz gut hingekriegt. Dieses Wochenende sollte aber alles prima laufen.
Das Up From The Ground ist im Vergleich zu anderen Festivals ja nicht unbedingt das Größte…
Ich weiß, aber genau das ist gut! Auf Wacken waren dieses Jahr über 70.000 Leute, was einfach zu viel ist. Man kann es nicht einmal mehr genießen dort. Du kannst nirgends mehr hingehen, ohne in irgendwelche Leute zu rennen. Festivals mit einer Größe von 5.000 bis 15.000 Leuten sind eigentlich ideal.
Spielt ihr denn eher gern Headliner-Slots wie jetzt oder gefallen euch die Gigs mitten im Billing besser?
Das hängt ganz davon ab. Wenn du nachmittags spielst, stehst du eben in der Sonne und kannst keine Lightshow einsetzen. Auf der anderen Seite kannst du dir abends noch ein paar Drinks reinstellen und dir selber die ein oder andere Band anschauen. Wenn du aber selber Headliner bist, hängst du den ganzen Tag herum und wartest auf deinen Auftritt, der dann ganz zum Schluss kommt. Beides hat seine Vor- und Nachteile.
Hast du eigentlich noch Lampenfieber?
Nicht, was das Spielen an sich angeht. Das einzige, was mich bei Festivals immer ein wenig unruhig macht, ist, wenn du auf die Bühne kommst und nicht mit deiner eigenen Backline spielst. Dazu bekommst du vielleicht noch einen Tech, mit dem du noch nie gearbeitet hast, einen Line-Check bekommst du sowieso selten und oft gehst du raus und weißt nicht einmal, ob du überhaupt einen Sound hast. Während des ersten Songs versucht man hauptsächlich, alles auf die Reihe zu bekommen, was vielleicht nicht von Anfang an funktioniert hat. Der erste Songs ist immer ein wenig wie ein Blindflug, während dem du hauptsächlich mit der Crew kommunizierst.
Steht nach dem Gig eigentlich direkt eine Tour an?
Wir werden danach eine Woche proben und ein Video drehen. Danach geht es aber direkt in die USA, wo wir zusammen mit MACHINE HEAD die „Black Tyranny“-Tour headlinen. Dabei sein werden daneben noch THROWDOWN und SANCTITY. Bevor wir dann in Europa die „Black Crusade“-Tour starten, werden wir noch Japan und Australien betouren. Die letzte Tour dauerte von Juli 2005 bis März diesen Jahres. Und diese hier wird nicht unbedingt kürzer. Die nächsten Dates werden jetzt langsam geplant.
Macht das überhaupt noch Spaß oder ist das Touren eher eine Pflicht für dich?
Nein, wirklich nicht. Seit wir das Album aufgenommen haben, haben wir nicht mehr live gespielt. In der Zwischenzeit haben wir nur Promo-, Foto- und Pressetermine wahrgenommen. Wir können es jetzt kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Wenn man nach 18 Monaten von einer Tour zurück kommt, will man sich einfach nur noch einschließen, niemanden mehr sehen und gar nichts tun. Dann geht man ins Studio und will neue Musik machen, weil man die alten Tracks so oft gespielt hat. Man platzt beinahe vor neuen Ideen. Nach einer gewissen Zeit, die man dann nicht auf der Bühne war, beginnt man sich zu fragen „Was fang ich nur mit mir an…?“ Das ist ein Problem, das mit der Zeit kommt. Wenn man zu lange daheim bleibt, hält man es irgendwann nicht mehr aus.
Also bist du ein Nomade?
Absolut. In meiner Wohnung verwahre ich nur meinen Krempel, ich lebe nicht dort.
Über zu wenig Arbeit kannst du dich aber wirklich nicht beklagen. Du spielst ja immer noch in WITCHERY. Hat eigentlich der Gig mit GROTESQUE im April stattgefunden?
Nein, leider nicht. GROTESQUE haben ihn in letzter Minute noch abgesagt. Sie haben sich aufgelöst, bevor sie sich überhaupt wieder vereinigt haben. Sie konnten sich einfach nicht einig werden, was aus ihnen werden sollte. Wir hatten uns sehr auf das Konzert gefreut, weil wir selber seit 2002 nicht mehr live gespielt haben. Es wäre unser großes Comeback in unserer Heimatstadt geworden.
Hätte dich eine GROTESQUE-Reunion überhaupt gefreut?
Im Falle GROTESQUEs wäre es sowieso keine wirklich Reunion geworden. Der Auftritt war lediglich als einmalige Sache im Zuge der Release-Party eines Buchs über Death Metal [„Swedish Death Metal“ von Daniel Ekeroth – Anm. d. Red.] geplant. Daraufhin hatte ich sie gefragt, ob sie diesen Gig auch noch spielen würden. Es wäre definitiv cool gewesen, denn damals hatte ich GROTESQUE nie live gesehen.
Wenn sich Bands allerdings wirklich wieder zusammen finden und sich dazu entschließen, ein neues Album aufzunehmen, kann das genauso nach hinten los gehen. Oftmals ist zwischenzeitlich zu viel Zeit vergangen und die Band ist musikalisch nicht mehr das, was sie einmal war. Da haben sich dann im Zweifel die Mitglieder in verschiedene Richtungen entwickelt. Und mit dieser Entwicklung im Gepäck wird es dann schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der dann auch noch wie früher klingen soll. Denn genau das erwarten die Leute ja: Zwar alt, aber doch neu. Reunions sind gut, wenn sie live passieren, aber sehr zweischneidig, wenn ein neues Album dabei heraus kommen soll.
Würdest du dich selbst als Traditionalist bezeichnen?
Absolut. Wenn es um Musik geht, wird es jedem ein Stück weit so gehen. Jeder hat seine Helden. Vor allem, wenn eine Band lange nicht existiert hat, und man sich die alten Sachen immer und immer wieder angehört hat, ist das Bild davon, wie diese Band zu klingen hat, sehr deutlich. Wenn die Band dann zurück kommt und etwas anderes macht, empfindet man das gleich als weniger gut. Und wenn sie klingt wie früher, ist es trotzdem lange nicht so gut wie die Klassiker. Als wiedervereinte Band kannst du nur verlieren! (lacht)
Man verliert ja auch ein gutes Stück seiner Glaubwürdigtkeit.
Ja, irgendwo schon. Allerdings kann ich auch die andere Seite verstehen. Für viele wird es einfach so sein, dass sie das Feeling von einst wieder finden wollen und es genießen, mit den alten Kumpels wieder zu zocken. Es macht einfach Spaß. Und von dieser Warte aus muss man die Sache auch sehen. Nach einer gewissen Zeit fällt ihnen aber wieder ein, warum sie sich damals getrennt haben. Die Probleme werden wieder kommen, denn es geht zuallererst immer um die Leute in einer Band.
Die Gerüchte über eine CARCASS-Reunion halten sich seit Jahren wacker. Hat Michael diesbezüglich irgendwann einmal etwas gesagt?
Es gab ein paar Gespräche. Aber just letzten Donnerstag war die Band zum ersten Mal seit 1993 wieder zusammen in einem Raum, um etwas Material für eine DVD-Retrospektive zusammen zu stellen. Es scheint, als seien ihre Probleme von damals überwunden. Aber das reicht nicht, um die Band wieder zusammen zu bringen. Ich habe allerdings auch nicht die Einsicht. Man soll zwar niemals nie sagen, aber derzeit sieht es nicht danach aus. Michael hätte jetzt aber auch gar keine Zeit dafür. Gefallen würde mir eine CARCASS-Reunion allerdings schon, denn live gesehen habe ich sie damals nie.
Auch eine Art Reunion war, als Chris dieses Jahr wieder zur Band stieß. Was war eigentlich der Grund für seine Auszeit?
Ich denke seine Situation. Er kam damals direkt aus der Schule und direkt in eine Semi-professionelle Metal Band. Er hat nie die „normale“ Seite des Lebens erlebt. Das „normale“ Leben war für ihn das Leben in einer Metalband. Er wusste nicht, was es da sonst noch gibt. Irgendwann war er dessen überdrüssig und ausgelaugt. Ich denke, er musste tun, was er getan hat. Nachdem er es getan hat, hat er dann aber realisiert, was wir anderen schon immer wussten: ein normales Leben ist nichts für uns. (lacht) Was wir tun, können wir einfach am Besten, und das hat er, glaube ich, verstanden. Er ist jetzt ein komplett anderer Chris. Ende 2004 ging es ihm einfach lausig. Er mochte nicht mehr, was er tat. Er mochte zwar die Musik noch, aber das ganze Drumherum, das ganze Business und das Touren war ihm einfach zu viel. Jetzt kann er es aber kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Er hat es richtig vermisst. Er hatte seine Pause, um herauszufinden, wie es auf der anderen Seite ist. Es ist eine neuer alter Chris, der jetzt zurück ist.
Denkst du, es ist schwer für ihn, sich wieder einzufinden?
In der Zeit seiner Abwesenheit haben wir mehr getourt als je zuvor und sind mittlerweile wie eine gut geschmierte Maschine. Natürlich muss er sich da erst wieder einfinden, aber er lernt sehr schnell. Da sehe ich kein Problem.
Wie erlebst du persönlich den wachsenden Erfolg der Band seit „Anthems Of Rebellion“?
Ich finde diese Entwicklung sehr positiv. Die Dinge entwickeln sich bereits seit „Wages Of Sin“ so und haben sich seither konstant entsprechend weiter entwickelt. Wir hatten immens viel Glück, einige unserer Helden, wie SLAYER oder IRON MAIDEN supporten zu können. Das hat uns ein viel breiteres Publikum eröffnet. Die Sache hat sich zwar langsam, dafür aber sicher aufgebaut. Der Erfolg kam nicht über Nacht und wir hatten alle genug Zeit, um uns daran zu gewöhnen. Wir scheinen in die richtige Richtung zu gehen, da uns mit jedem Album mehr Leute mögen. Von jeder neuen Veröffentlichung verkaufen wir mehr Einheiten, es kommen mehr Leute zu unseren Shows. Das ist wie eine Quittung dafür, dass wir etwas richtig machen, und damit sehr befriedigend. Es geht mir dabei nicht um Ruhm oder Geld, sondern um die musikalische, künstlerische Seite. Es ist eine große Bestätigung deines Tuns, wenn dem immer mehr Leute folgen.
„Anthems Of Rebellion“ war so etwas wie ein musikalisches Experiment, da es viel weniger Melodien und viel mehr Härte und Kälte in sich vereint hat. War das nicht gefährlich für die Band?
In dieser Hinsicht sind wir vielleicht ein wenig dumm. Wir denken nie darüber nach, was karriertechnisch das Beste für die Band sein könnte. Wir tun, wonach uns ist. Zu diesem Zeitpunkt waren wir sehr lange mit dem Material von „Wages Of Sin“ und der ersten drei Alben unterwegs gewesen. Diese Alben haben alle viele Melodien, Taktwechsel und eine gewissen Progressivität in sich. Wenn du live spielst, spielst du am Liebsten die straighten Songs, weil sie einfacher sind, die Leute mitsingen und schneller in den Song finden können. Man bekommt eine bessere Reaktion. Ich denke deshalb haben wir „Anthems…“ aufs Wesentliche reduziert. Wir haben alles Überflüssige entfernt und haben kürzere Songs geschrieben, die direkt auf den Punkt kommen. Taktwechsel, Soli und Melodien haben wir stark heraus genommen.
Ich weiß nicht, ob es an der Musik an sich lag, oder dass wir einfach mehr im Rampenlicht standen. Als wir mit dem Material unterwegs waren, vermissten wir allerdings einige unserer alten Songs. Und das führte dazu, dass „Doomsday Machine“ wieder mehr Soli trägt. Es ist progressiver, aber dennoch ähnlich, da die Songs im Vergleich zu unseren alten Sachen immer noch recht simpel gehalten sind. Das neue Album ist wiederum eine Reaktion darauf. Diesmal haben wir versucht, so viele Melodien wie möglich in die Songs zu packen, um genug Abwechslung zu haben. Und dadurch ist auch das Album insgesamt sehr abwechslungsreich ausgefallen. Nachdem ich das Album zum ersten Mal komplett gehört hatte, wollte ich es direkt noch einmal hören, da ich noch nicht genug davon hatte. Nach „Doomsday Machine“ waren meine Ohren etwas müde, da sich viel wiederholt hat. „Rise Of The Tyrant“ ist variantenreicher.
Kann man eure Musik noch immer mit euren alten Sachen aus der Prä-Angela-Phase vergleichen?
Wir verwenden noch immer ähnliche Elemente. Aber seit dem ersten Album haben wir uns ständig weiter entwickelt. Man verändert sich als Person, hört andere Musik, und auch die Umwelt – nicht einmal auf die Musik bezogen – verändert sich ebenfalls. Aber man hört, dass es noch immer dieselbe Band ist. Der erhöhte Melodieanteil war allerdings keine bewusste Entscheidung. Wir haben nicht in Erinnerungen geschwelgt und wollten wieder so klingen wie früher. Es kam automatisch so.
Wir hören auf niemand anderen. Die Plattenfirma hat keinen Einfluss auf uns. Wir haben einen Lizenz-Deal mit unserem Label, liefern ein fertiges Produkt ab und wenn sie es nicht mögen… haben sie eben Pech gehabt! (lacht)
Habt ihr die Songs während der letzten Tour geschrieben oder während der paar Monate nach deren Ende bis jetzt?
Nach der Tour gab es gar keine paar Monate. (lacht) Nachdem wir Anfang März aus Südamerika zurück kamen, sind wir direkt in den Proberaum und haben in ein paar Wochen die Songs zusammen gebastelt. Kurz darauf sind wir schon ins Studio gegangen. Während der Tour haben wir Ideen und Riffs gesammelt und in roher Form auf einen Laptop aufgenommen. Wenn wir uns dann als Band zusammen setzen, entstehen aus diesen Skizzen die Songs. Wir fügen die Schnipsel zusammen, fügen noch neue Parts ein und formen die Stücke draus. Es ist der klassische, organische Bandprozess.
Das Thema der Revolution taucht dem Titel nach zu urteilen nach „Anthems Of Rebellion“ erneut auf. Ist euch dieses Thema ein Anliegen?
Es ist ein Thema, das für die Welt noch immer sehr relevant ist. Wir haben auf „Anthems…“ mit diesem Thema begonnen und es gibt noch so viel zu sagen. Den Größenwahn und den Machtmissbrauch behandeln wir zwar auch, allerdings eher von einer inneren Sicht aus. Wenn wir von Rebellion oder Revolution sprechen, meinen wir eher die persönliche, individuelle Auflehnung. Denn jede Revolution fängt an, indem du dich selbst betrachtest. Alles geht von dem Kerl im Spiegel aus. Dieses Thema ist noch immer gültig. In diesem Sinn sind die letzten drei Alben so etwas wie eine Trilogie.
Reagieren unterschiedliche Nationalitäten unterschiedlich auf dieses Thema? Ihr seid in Japan sehr erfolgreich. Denkst du, das könnte daher kommen, dass der japanische Alltag deutlich restriktiver ist als der Westeuropäische?
Das könnte sein. Wir machen uns darüber aber keine Gedanken, wenn wir komponieren. Alles, was wir schreiben, ist offen für Interpretation und kann sich damit an jeden richten, egal wo du lebst. In Japan, Deutschland oder den USA herrschen unterschiedliche politische und soziale Klimata. Dennoch sind es auf der persönlichen Ebene für jeden dieselben Probleme.
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