Annihilator
Respekt für ein Lebenswerk

Interview

Die Rechte am eigenen Backkatalog zwecks Altersabsicherung zu verkaufen, liegt momentan im Trend. ANNIHILATOR-Mastermind Jeff Waters geht diesen Weg ebenfalls. Finanzielle Interessen sind aber nicht der einzige Grund, aus dem er diesen Schritt macht. Er möchte sein Vermächtnis gewahrt, gewürdigt und allzeit verfügbar wissen. Damit das auch jeder mitbekommt, hat er sich mit „Metal“ ein fünfzehn Jahre altes Album geschnappt und unter dem Titel „Metal II“ in Teilen neu aufgenommen.

Corona machts möglich

Wie so oft dieser Tage, kommt man beim Thema „Metal II“ nicht drumherum, die immer noch anhaltende Pandemie zu erwähnen. Waters selbst infiziert sich einige Zeit nach ihrem Beginn mit dem Virus. „Es war übel. Ich musste ins Krankenhaus, weil ich mich wochenlang fühlte, als säße ein Mensch auf meinem Bauch“, beschreibt er eindringlich seine Erfahrung. „Es hat sechs Monate gedauert, bis ich meine Lungenprobleme wieder los war. Wäre ich in einem schlechteren Gesundheitszustand, wäre es das gewesen. Ich verstehe, wie Menschen daran sterben.“

Der Kampf gegen die Covid-19-Infektion setzt in ihm eine Spirale aus Gedanken um sein Leben und die eigene Sterblichkeit in Gang. „Ich lief vollkommen antriebslos durch mein Haus. Wenn du so etwas erlebst, denkst du nicht mehr an Partys, Bier, dicke Autos oder Frauen. Du fragst dich nur, was passiert, wenn du tatsächlich stirbst. Mit 54 habe ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich darüber nachgedacht.“ Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sein Vermächtnis aussieht, wenn er diese Welt eines Tages verlässt.

Das Vermächtnis des Jeff Waters

„Ich habe mich zuerst gefragt, ob meine Familie und meine Kinder wissen, dass ich sie liebe“, stellt Waters seine Prioritäten klar. „Check. Sie wissen, was ich für sie empfinde. Als zweites kam die Frage, ob es ihnen gut gehen würde, ob sie Familie, Freunde und finanzielle Absicherung haben. Check. An dritter Stelle dachte ich darüber nach, dass jeder von uns ein Vermächtnis hat.“ Im Falle Waters ist dieses Vermächtnis seine Musik und „zu 99% ist das ANNIHILATOR.“

Im Anschluss an diese Erkenntnis setzt sich Waters umfangreich mit dem Backkatalog seiner Band auseinander. Über Monate hinweg besorgt er sich die Rechte an Alben zurück, über die er zum Teil für viele Jahre keine Kontrolle hatte. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen ist ihm dies gelungen. „Da draußen gibt es 22 Veröffentlichungen plus die drei bei Roadrunner und eine Akustikscheibe. Vier der 26 Veröffentlichungen gehören mir nicht. Doch die Rechte an den anderen habe ich mir zurückgeholt.“ Anschließend folgt eine bittere Erkenntnis, denn die Hälfte der ANNIHILATOR-Platten ist weder auf den gängigen Streamingdiensten noch in einschlägigen Plattenläden erhältlich. Das muss sich ändern.

ANNIHILATOR verdienen Respekt

„Ich habe mich nach einem Label umgeschaut und das lange bevor MÖTLEY CRÜE, BRUCE SPRINGSTEEN und all diese anderen großartigen Musiker ihre Verlags- oder Masterrechte an ihren Platten verkauft haben“, berichtet Waters von seinem vorausschauenden Schritt. Vor dem Verkauf unterzieht er alle Alben einem umfangreichen Remastering. Für manche fertigt er sogar einen neuen Mix an, damit sie „so gut wie möglich klingen.“

Anschließend beginnt die Suche nach einem Label, das die umfangreiche ANNIHILATOR-Diskografie mit Respekt behandelt. Fündig wird Waters in Deutschland. „Die Firma, die am meisten interessiert war und am meisten Geld bezahlte, war Edel. Die Deutschen kennen sich eben mit Metal aus.“ Von Edel erhält Waters das Versprechen, den gesamten Katalog seiner Band innerhalb von zwei Jahren wieder verfügbar zu machen – und das für alle Zeit.

Geld muss fließen

Mit einfachen Neuveröffentlichungen soll es nicht getan sein. Edel möchte die Veröffentlichungskampagne groß aufziehen. „Sie riefen mich eines Tages an, was mich überraschte, denn wenn du etwas verkaufst, hast du für gewöhnlich keine Kontrolle mehr darüber. Sie fragten mich nach einem Gefallen“, gibt Waters zu Protokoll. „Als erstes fragten sie, ob ich Interviews machen würde und natürlich mache ich das. Danach fragten sie mich nach einer Idee, wie man die Aufmerksamkeit der Leute auf die Wiederveröffentlichungen lenken könnte.“ Dem versierten Gitarristen kommt da schnell eine Idee. Doch erst muss eine Frage geklärt werden.

Edel investiert eine Menge Geld, um Waters die Rechte an dem ANNIHILATOR-Katalog abzukaufen. Seine Idee zur Promo braucht aber eine weitere Investition seitens des Labels. „Ich habe mir eine Zahl überlegt, und das Geld ist nicht für mich, ich wurde schließlich schon bezahlt, und sagte, dass ich für diesen Betrag eine gute Idee umsetzen könne.“ Das Geld nutzt Waters, um die Musiker zu bezahlen, die er für eine Aufnahmesession ins Studio holen möchte. Das anstehende Projekt ist für ihn weit mehr als eine reine Auftragsarbeit.

Der eine wunde Punkt

Denn rückblickend hält der Gitarrist „Metal“ für das eine Album in der langen Karriere von ANNIHILATOR, das besser hätte seinen können. Der Grund dafür sind die turbulenten Umstände, unter denen das Album entsteht. „Unser damaliger Sänger Dave Padden hatte zu der Zeit ein paar persönliche Probleme und wenn du als Sänger nicht voll bei der Sache bist, kannst du die Songs nicht mit den nötigen Emotionen transportieren“, reflektiert Waters die Situation. Auch mit sich selbst geht er hart ins Gericht. „Ich habe das nicht gemerkt, weil ich so sehr damit beschäftigt war, die Gäste zusammenzubekommen und die Erlaubnis ihrer Plattenfirmen einzuholen, damit sie auf dem Album spielen durften.“

Schlagzeuger Mike Mangini wiederum nimmt „Metal“ inmitten von zahlreichen anderen Arbeiten auf zwischen Tür und Angel auf. Das Ergebnis kann sich hören lassen, doch für Waters Gefühl fehlt im Nachhinein das gewisse Etwas. „Ich habe die beiden für die Neuaufnahme aber nicht gefragt, denn dann wäre es genau das gleiche gewesen, nur ein kleines bisschen besser.“ Stattdessen holt er sich zwei renommierte Szeneveteranen für die Aufnahmen von „Metal II“ ran.

ANNIHILATOR feiern Jubiläen

Am Schlagzeugposten ist niemand geringeres als Dave Lombardo zu hören. Den Hauptgesang übernimmt Stu Block. Sie bekommen von Waters die Anweisung, maximal drei Takes zu machen, damit das Ergebnis nicht zu poliert klingt. Sein Ziel erreicht er damit. „Am Ende wurde es genau, wie ich es wollte: roh, echt, live und anders als die Originalaufnahme. Deswegen werden beide Versionen erscheinen. Wir wollen nicht sagen, dass eine besser als die andere ist.“

Einen positiven Nebeneffekt bringt die Aufnahmesession für Waters zusätzlich mit. Sobald Touren wieder möglich sind, möchte er die ersten drei ANNIHILATOR-Alben mit allen noch lebenden Originalsängern auf die Bühnen der Welt bringen. Den Teil des verstorbenen Randy Rampage übernimmt Block. „Stu liebt ‚Alison Hell‘. Das ist der Bonus dafür, ihn verpflichtet zu haben: Ich muss jetzt nicht mehr singen, yeah“, zeigt sich Waters von dieser Entwicklung begeistert. Die Doppelbelastung macht ihm bei Konzerten stets schwer zu schaffen, hat er an der Gitarre dank seiner komplizierten und technisch anspruchsvollen Riffs doch genug zu tun.

Was kommt als nächstes für ANNIHILATOR?

Mit der Jubiläumstour zur Frühphase soll aber nicht Schluss sein. „Danach kamen noch einige Platten, die wir ebenfalls mit einer solch speziellen Tour berücksichtigen werden.“ Wie und ob es danach mit ANNIHILATOR weitergeht, ist zu diesem Zeitpunkt unsicher. „Ich habe aktuell ein neues Projekt, an dem ich arbeite, das wird mich in den nächsten Jahren erstmal beschäftigen“, verrät Waters über seine Zukunftspläne.

Zudem nimmt er das bislang letzte Album, „Ballistic, Sadistic“, als einen qualitativen Höhepunkt wahr, auf dem er sich gerne verabschieden möchte. „Es ist natürlich kein Klassiker, aber ein sehr gutes Album. Ich möchte nicht, dass sich Leute neue Platten von mir kaufen, die immer schlechter und schlechter werden und dann meinen, ich solle doch wenigstens mal wieder das Niveau von ‚Ballistic, Sadistic‘ erreichen.“

16.02.2022

"Irgendeiner wartet immer."

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