Anneke van Giersbergen
Durch die Dunkelheit zum Licht
Interview
ANNEKE VAN GIERSBERGEN hat gerade „The Darkest Skies Are The Brightest“ veröffentlicht. Ein wunderbares neues Album, das auf den zweiten Blick aber offenbart, dass es in einer dunkleren Phase in Annekes Leben entstanden ist – mit privaten Problemen, mit zu vielen Dingen, die auf einmal und zur falschen Zeit auf sie eingeprasselt sind. Wir haben Anneke angerufen und nachgefragt: Was war da los, und haben sich die Wolken am Himmel mittlerweile gelichtet?
Anneke, Dein neues Album „The Darkest Skies Are The Brightest“ ist noch vor dem Beginn der Pandemie entstanden. Du bist in ein kleines Haus am Waldrand in der Nähe Deiner Heimatstadt Eindhoven gezogen und hast Dich treiben lassen. Was ist passiert?
Ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass ich mich zurückziehen muss, um Musik zu erschaffen. Allein zu sein, mich zu konzentrieren und meinen Kopf frei zu bekommen, war diesmal ein besserer Ansatz als das, was mich sonst inspiriert hätte. Nämlich auf Tour zu sein, alle möglichen Leute zu treffen, umherzureisen – es gibt so viele Dinge von außerhalb, die mich normalerweise inspirieren. Aber jetzt gab es Dinge in meinem Leben, in meiner Ehe, in denen etwas nicht ganz so gut lief, und mit meiner Band VUUR liefen die Dinge nicht so gut, wie ich es gerne gehabt hätte… und all diese Dinge kamen zur selben Zeit im selben Jahr. Das hat mich verwirrt und überwältigt. Es war zu viel gleichzeitig in meinem Kopf los.
Das brachte mich zu der Entscheidung, mich immer mal wieder für eine Woche aus dem Alltagstrott auszuklinken, Songs zu schreiben, Demos aufzunehmen und einfach alleine zu sein, alleine zu schreiben und dann einfach zu sehen, was dabei rauskommt. Einfach das Gehirn auszuschalten. Ich hatte keine Erwartungen. Ich habe auch nicht auf die Erwartungen anderer gehört. Und ich habe einfach angefangen, etwas zu kreieren, und das ist es, was dabei herausgekommen ist. Ich meine, ich war auch ein bisschen überrascht, dass die Songs teilweise einen folkigen Vibe haben oder diese rhythmischen Elemente beinhalten. Eins ergab ganz natürlich das andere – aber so habe ich noch nie ein Album gemacht.
Wie lange hat dieser Schreibprozess gedauert?
Ab und zu war ich dort für eine Woche. Also ein paar Wochen insgesamt. Aber ich hatte schon ein halbes Jahr davor angefangen, dieses Album zu schreiben. Ich hatte also viele Teile, ich hatte einige Songideen, einige Songs. Diese nahm ich mit in dieses kleine Haus und schrieb neue Lieder. Und dann, als ich 20 oder 22 Songs fertig hatte, habe ich sie mit Gijs Coolen unter die Lupe genommen. Er ist ein guter Freund und ein wunderbarer Gitarrist und hat nicht nur das Album produziert, sondern auch dabei geholfen, die Lieder fertig zu schreiben.
Du sagst, dass ein paar Songs wieder hinten runtergefallen sind. Gleichzeitig haben aber alle Songs diesmal sehr persönliche Texte, für Dich auch eine besondere Bedeutung. Fehlt dann jetzt nicht etwas auf dem Album, das für Dich wichtig ist?
Ich glaube nicht. Aber du hast recht. Ich habe ein paar Songs über bestimmte Situationen geschrieben, die nicht auf dem Album gelandet sind, weil die Songs einfach nicht die notwendige Qualität hatten. Manchmal sind die Texte dann weg, richtig. Ich denke aber, es sollten immer die besten Lieder auf dem Album landen. Vielleicht waren sie einfach Teil meines Prozesses und ich musste sie schreiben, aber sie sehen nie das Licht der Welt, und das ist in Ordnung.
Würdest Du sagen, dass dieses Album hauptsächlich für Dich ist?
Ja, ich denke schon. Ich denke, es geht um mich, weil ich die Songs geschrieben habe. Weißt du, ich bin seit einer Million Jahren mit meinem Mann verheiratet und wir kennen uns so gut. Und dann gab es eine Zeit, in der so viel los war und es mir so vorkam, als ob mir alles durch die Finger rinnt. Das hat mich so traurig gemacht, und ich musste darüber schreiben.
Gleichzeitig wurde das Album mitten in der Pandemie, in einer Krisensituation fertig. Man könnte sagen, ich veröffentliche ein Album über mein Leben, wo gerade die Welt brennt. Man könnte denken, dass da meine Befindlichkeiten unbedeutend sind. Ich dachte selbst, dass es albern ist, wenn ich da über mich und mein Leben rede. Aber was ich herausgefunden habe, ist, dass die Leute wirklich, wirklich verstanden haben, worüber ich schreibe und was ich sage. Weil die Dinge, über die ich spreche, nicht nur in meinem Leben vorkommen, sondern auch in dem Leben von allen anderen: Die Suche nach Liebe, die Suche nach Seelenfrieden, die Suche nach ein bisschen Glück. Und gerade in dieser Krisensituation müssen wir uns miteinander verbinden, sogar viel, viel mehr als normal. So gesehen ist das Album auch ein kleines Zeichen von Licht und Stärke und Hoffnung in der Situation, in der wir uns alle in diesem Moment befinden.
Es ist aber auch ein sehr selbstbewusster Schritt, vor allen Deine persönliche Situation auszubreiten.
Ja, ich denke schon. Aber es hilft, wenn die Leute die Musik wirklich mögen. Die Leute verstehen meine Musik, und sie verstehen mich. Das ist wirklich ein gutes Gefühl. Und dann können wir die Geschichte des anderen teilen, weil ich jetzt viele Nachrichten und E-Mails bekomme, wo Leute ihre Geschichten für mich aufschreiben. Es ist etwas so Schönes, wenn Menschen wirklich das Vertrauen haben, ihre eigenen Dinge zu teilen. Ich denke, das Schönste, was Musik schafft, ist diese Verbindung. Ich höre ja selbst in bestimmten Stimmungen verschiedene Art von Musik, und das hilft mir auch. Es ist eine universelle Sache.
Was hast Du bei diesem ganzen Prozess über Dich herausgefunden?
Das ganze Leben ist ja ein Prozess, und Dinge treten auf oder wiederholen sich. Die wichtigste Sache, die ich dabei über mich gelernt habe, ist, mir selbst und meinen Gefühlen treu zu bleiben. Und ich weiß, dass ich die Kraft habe, für die Dinge zu kämpfen, an die ich glaube. Ich habe die Tendenz, meinen Fähigkeiten nicht zu vertrauen oder meinen eigenen Gefühlen nicht ehrlich gegenüberzustehen. Denn manchmal ist es beängstigend, jemanden zu verletzen, indem du ihm sagst, wie du dich wirklich fühlst. Am Ende ist es aber immer ein Anfang für ein Gespräch und für eine mögliche Lösung. Also ja, mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Gefühle zu haben, das habe ich über mich gelernt.
Im letzten Song „Love You Like I Love You“ singst Du, dass Du manchmal langsam und unbeholfen bist, wie Du Dich ausdrückst. Das finde ich entwaffnend ehrlich.
Ja, genau! Vielleicht bin langsam. Aber das ist okay. Weißt du, wir können selbst in solchen Dingen Stärke finden. Wir können Stärke finden, wenn wir anerkennen, dass wir nicht perfekt und nicht immer Gutes tun. Weißt du, ich versaue das Abendessen einmal pro Woche. (lacht) Ich versage in meinem Leben ziemlich häufig. Manchmal hat mich das völlig runtergezogen – warum bin ich nicht perfekt in dem, was ich tun muss? Ich bin Mutter, also muss ich auch Abendessen kochen, und ich bin nicht wirklich so ein guter Koch. Also mache ich jede Woche Mist. Aber es wird dann auch Zeit, dass man mit sich selbst ins reine kommt: Ich bin also kein guter Koch, aber ich kann andere Dinge besser. Lass uns also jetzt die Ungeschicklichkeit feiern.
Dein Sohn Finn ist mittlerweile 16 Jahre alt. Wie hat er das aufgefasst, was Du auf dem Album versuchst zu sagen?
Er hat es verstanden. Er ist ein sehr weiser kleiner Junge – eigentlich ist er größer als ich. Er ist ein weiser junger Mann. Und er versteht, was wir im Leben lernen müssen und was wir hin und wieder im Leben durchmachen müssen. Eine Sache ist wirklich sehr, sehr schön: Er hat gelernt, ein paar meiner Songs zu spielen. Manchmal spielen wir zusammen. Und das ist etwas, das wir teilen zu können. Das ist für mich als Künstlerin, als Mutter, als Mensch äußerst befriedigend und schön.
Welches Instrument spielt er?
Gitarre! Er hat jetzt seit zwei Jahren Gitarrenunterricht, und er möchte den Unterricht auch wirklich von sich aus. Er spielt viel für sich, und in seinem Zimmer schreibt er auch Lieder. Es ist so schön, ihn sich entwickeln zu sehen.
Wovon handelt der Titel des Albums „The Darkest Skies Are The Brightest“?
Nun, es geht um die Herausforderungen in unserem Leben. Wir müssen sie durchlaufen. Wir können sie nicht ignorieren. Und wir alle versuchen einen Weg zu finden, um mit den Problemen in unserem Leben umzugehen. Die Sache ist: Wenn wir sie durchlaufen und versuchen, die Probleme zu lösen, gibt es auf der anderen Seite Glück, es gibt inneren Frieden, es gibt Seelenfrieden. Wir können nicht dorthin gelangen, wenn wir nicht durch die Hindernisse in unserem Leben gehen. Wir sollten sie nicht ignorieren oder um sie herumgehen. Um zum hellen Ort in unserem Leben zu gelangen, müssen wir ein wenig Dunkelheit durchmachen. Und genau das bedeutet der Titel: Der dunkelste Himmel ist der hellste, denn wenn wir ihn durchlaufen, kommen wir an einem besseren Ort heraus. Das glaube ich fest.
So gesehen befinden wir uns alle durch die Pandemie gerade unter einem dunklen Himmel. Inwieweit hat dich das beeinflusst?
Natürlich ist es eine große Herausforderung, nicht in der Lage zu sein, zu arbeiten und den Lebensunterhalt zu verdienen. Zu Beginn der Pandemie war ich kurz davor, auf Tour zu gehen. Alles war bereit, alles war arrangiert. Und dann passierte nichts. Da denkst du wirklich, du wirst verrückt. Ich bin es seit Jahren gewohnt zu reisen, wir sind es gewohnt, dass all diese Dinge auf Tour passieren, und dann waren wir plötzlich zu Hause. Und ich habe die Zeit mit meinen Jungs, Rob und Finn, sehr genossen.
Also gibt es auch positive Aspekte der Pandemie?
Ich glaube schon. Ich habe es wirklich genossen, zu Hause und mit Netflix zu sein. Und wir genießen die Gesellschaft des anderen. Meinen Sohn Finn habe ich jeden Tag gesehen, und ich sehe ihn immer noch jeden Tag. Und das hat mich wirklich so glücklich gemacht. Aber ich wusste vorher nicht, dass dies der Fall sein wird. Und das ist ein Segen. Er ist nur einmal 16, und ich war da und habe das wirklich sehr genossen.
Trotzdem bleibt die Sache mit dem Geldverdienen. Du hattest Deine Band VUUR ja schon vor längerer Zeit auf Eis gelegt, weil es an Deine Ersparnisse gegangen ist, mit ihnen live aufzutreten.
Ja, das ist beängstigend. Als Musiker verdienst du sehr unregelmäßig Geld. Manchmal verdienst du viel, manchmal verdienst du nichts. Derzeit gibt es viel ’nichts‘. Deshalb habe ich letztes Jahr die Aktion ins Leben gerufen, dass ich auf Alben anderer Musiker singe. So habe ich zwölf dieser Songs gemacht. Das war etwas wirklich Schönes – und es hat mir nebenbei ein bisschen Einkommen eingebracht. Und „The Darkest Skies Are The Brightest“ habe ich im Vorverkauf herausgebracht. Und so lief das wirklich gut. Es gibt also kleine Dinge, die uns über Wasser halten.
Im letzten Interview hast Du gesagt, dass Du für anderthalb Jahre im Voraus gebucht bist. Wie sieht es jetzt aus?
Ich habe Pläne für eine Woche. Aber ja, das stimmt. Ich meine, als Musiker freust du dich über Tourpläne für eineinhalb oder zwei Jahre. Das ist wirklich eine luxuriöse Situation. Aber jetzt ist alles anders. Aber wir planen. Wir planen Touren für 2022. Und ich hoffe und bete nur, dass sie nicht wieder verschoben werden. Aber wir würden alles machen, mit aufgesetzten Masken, alles, was der Sicherheit dienen würde, für mich spielt es keine Rolle. Also, aber es liegt an der Regierung, uns zu sagen, wann wir loslegen können. Ich probe meine Setlist, ich probe alle neuen Songs auf der Gitarre. Wenn wir grünes Licht bekommen, sind wir bereit!
Vielleicht lichten sich ja wirklich bald die Wolken wieder! Danke für das Interview!