Anneke van Giersbergen
Romantik vs. Minecraft
Interview
ANNEKE VAN GIERSBERGEN ist immer für eine Überraschung gut: Seit ihrem Ausstieg aus THE GATHERING vor über zehn Jahren zeigte sich die holländische Sängerin umtriebig, veröffentlichte Soloalben, verwirklichte Kollaborationen mit zahlreichen anderen Bands und Künstlern und gründete mit VUUR gleich noch eine weitere Band. Jetzt veröffentlicht sie mit „Symphonized“ ein Livealbum, das sie zusammen mit einem Klassikorchester präsentiert. Wir haben die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und ANNEKE angeklingelt, um über das Werk zu sprechen – und konnten auch in etwa in Erfahrung bringen, wie ihr Sohn das Ganze findet.
Hallo Anneke, wo habe ich Dich gerade aufgetrieben?
Ich sitze gerade im Auto und bin auf dem Weg, die CDs zu signieren. Sie kamen heute rein, und ich bin sehr aufgeregt deswegen.
Was war die Idee hinter Deinem neuen Livealbum „Symphonized“?
Es war die Idee des Residentie Orkest aus Den Haag. In gewissen Abständen stellen sie Abende mit anderen Künstlern auf die Beine, wobei die Verbindung des Klassikorchesters mit einem genrefremden Künstlers im Vordergrund steht. Sie haben schon mit Künstlern aus dem Pop-Genre gearbeitet, mit Hip-Hoppern oder Jazz-Musikern. Eines Tages haben sie mich gefragt, ob ich nicht Interesse hätte, weil ich mit meinem Rock- und Metal-Background noch eine neue Nuance mit einbringen könnte. Natürlich habe ich sofort zugesagt, ich liebe diese Idee!
Es war also zunächst ein Liveprojekt?
Genau. Wir haben über die Setlist gesprochen. Nächstes Jahr habe ich mein 25-jähriges Jubiläum als professionelle Musikerin. Ich dachte daher an eine Show, die einer Anthologie gleich alle Phasen abdeckt. Dann kam aber noch ein weiteres Venue (Poppodium 013, Tilburg, Anm. d. Autors) auf uns zu und wollte uns ebenfalls buchen, und so sind aus der einen Show zwei Shows geworden. Beide Shows waren annähernd ausgebucht, und dadurch waren wir alle natürlich ziemlich aufgeregt. Dann kam erst die Idee auf, das alles aufzunehmen und daraus eine Albumveröffentlichung zu machen. Jeder Schritt auf diesem Weg war also ziemlich spontan, und jetzt haben wir ein Livealbum vorliegen. Das ist toll! Das war ja so gar nicht geplant.
Wie lange hat die Umsetzung von der Idee zu den Konzerten gedauert?
Bis zu den Konzerten hat es ungefähr ein halbes Jahr gedauert. Die meiste Zeit ging dabei für die Arrangements drauf. Wir hatten zwölf, dreizehn Songs, die für ein Sinfonieorchester arrangiert werden mussten. Das hat lange gedauert.
Hast Du bei den Arrangements auch eigene Ideen eingebracht?
Klar, ich habe auch ein paar Ideen mit eingebracht, und als wir die ersten Gespräche geführt hatten, sprachen wir auch darüber, wie alles im Endeffekt klingen sollte. Das Orchester hat zwei Arrangeure, die mich auf halbem Weg gefragt, ob ich schon was hören möchte. Das waren Midi-Files aus einem Kompositionsprogramm am Computer. Obwohl das an sich sehr schlimm klang, konnte man doch erahnen, dass die Songs in einer schönen Art und Weise weiterentwickelt wurden. Ich hatte also überhaupt keine Einwände, was die beiden ausgearbeitet hatten.
Die Sache ist ja auch die: Üblicherweise spielt bei so einer Kooperation auch eine Band mit, aber hier musste alles, was die Band sonst spielt, umarrangiert werden. Sie haben also unheimlich viele Entscheidungen treffen und richtig viele Details ausarbeiten müssen. Und das alles ist so besonders, so schön geworden. Jedes Stück hat eine neue melodische Ausrichtung und einen neuen Ansatz bekommen. Ich war wie weggeblasen und habe sie einfach machen lassen.
Wenn Du jetzt das fertige Ergebnis hörst, klingt das vielleicht für Dich anders als bei Konzerten selbst. Wie empfindest Du jetzt das fertige Ergebnis?
Wir haben beide Abende aufgenommen, und für das Album jeweils den besseren Mitschnitt ausgewählt. Im Endeffekt ist der Anteil fifty-fifty. Das Album ist also ein Zusammenschnitt. Beim Mix sind aber für mich Dinge zum Vorschein gekommen, die in der Livesituation für mich nicht hörbar waren. Es sind so viele Instrumente, und auf der Bühne kann schon mal ein Instrument etwas untergehen. Jetzt kann man aber alles hören, was passiert – also auch das Publikum und jedes Husten im Publikum. Es ist sehr lebendig, und das mag ich. Es ist aber schon ein großer Unterschied und für mich ein anderes Gefühl zu der Liveshow. Ich bin aber natürlich sehr stolz auf das Ergebnis.
Lass uns mal auf einzelne Songs zu sprechen kommen. In „Travel“ hat das Orchester sogar diese speziellen Soundlandschaften nachgebildet.
„Travel“ ist ein Song, den ich unbedingt machen wollte. Es ist mein Lieblings-THE GATHERING-Song. Er ist auch von der Band schon recht sinfonisch geschrieben. Ich dachte mir, dass es ziemlich wundervoll wäre, ihn mit einem richtigen Orchester zu hören. Durch das Umarrangieren der Bandparts ist er noch spezieller geworden.
Dann singst Du eine barocke Arie, „When I Am Laid In Earth“ von HENRY PURCELL. Deine Wahl?
Dieses klassische Stück hat mich fast mein ganzes Leben begleitet. Ich liebe es, ich liebe es auch zu hören. Als ich mit 14 meine Gesangsausbildung angefangen habe, war das Stück immer mit dabei. 2016 habe ich ein Album mit ÁRSTÍÐIR veröffentlicht, „Verloren Verleden“, wo das Stück bereits enthalten war. Und diesmal wollte ich es unbedingt wieder mit dabei haben.
Dann gibt es ein Stück auf Holländisch, „Zo lief“ (bedeutet so viel wie „so lieb“). Was hat es damit auf sich?
Das ist der einzige Originalsong in der Show und auf dem Album. Ich habe das Stück vor acht, neun Jahren geschrieben. Er handelt von meinem Sohn Finn, der damals noch sehr klein war. Es geht um den weiteren Werdegang des Sohnes aus der Sicht der Mutter: Bald gehst du zur Schule, du wächst heran und irgendwann muss ich dich ziehen lassen, ich liebe dich. Das Stück ist eines Tages aus mir herausgeflossen, als ich am Klavier saß, aber ich konnte ihn für ein Album verwenden, weil das immer Rockalben waren. Jetzt sah ich aber die Gelegenheit gekommen, nicht zuletzt, weil mir das Lied sehr am Herzen liegt. Aber viele Leute mögen es und können als Eltern diese Gefühle nachempfinden, das ist wirklich schön.
War dein Sohn eigentlich auch im Publikum?
(lacht) Ja, er war backstage. Er kommt ja häufig mit auf Tour, und mein Mann hat dann immer ein Auge auf ihn, wenn ich auf der Bühne stehe und singe. Üblicherweise guckt er sich einen oder zwei Songs an und hat dann genug gesehen. Ich habe ihm also vor dem ersten Konzert gesagt, dass ich dieses Lied singe, und er hat es sich tatsächlich angeschaut und auch gemocht. Am nächsten Tag war er aber nur backstage. Ich habe also dem Publikum das Lied angesagt: „Das nächste Stück handelt von meinem Sohn, ich erzähle darin eine Geschichte. Finn ist auch hier, weswegen ich sehr glücklich bin. Er ist nur gerade backstage und spielt Minecraft auf seinem Computer.“ Das Publikum musste natürlich loslachen. Ich singe diesen romantischen Song für ihn, und er … weißt du, er ist gerade dreizehn.
Verstehe!
Er mag es schon, dass ich das Lied für ihn singe, aber es ist natürlich nicht supercool!
„Shores Of India“ ist ursprünglich auf dem THE GENTLE STORM-Album „The Diary“ erschienen, und da schon zweimal. Jetzt gibt es eine dritte Version. Welche gefällt Dir am besten?
Das ist schwierig zu beantworten, aber auf „The Diary“ mag ich vor allem die Rockversion. Wir haben sie ja auch damals auf der Tour in der Rockversion gespielt. Sie ist so massiv und energiegeladen, hat aber gleichzeitig viele melodische Schichten. Da der Song aber von ARJEN LUCASSEN geschrieben wurde, ist er eh schon sehr orchestral. Als wir die Setlist besprochen hatten, wollte ich ihn auf jeden Fall dabei haben und hatte auch schon im Kopf, dass es das letzte Stück werden sollte.
Hat es eigentlich einen Einfluss auf Deinen Gesangsstil, ob Du mit einer Band spielst oder in der ersten Reihe eines Orchesters stehst?
Nicht wirklich. Wenn du eine schwere Band im Hintergrund spielen hast, ist alles intensiv, energiegeladen und laut. Wenn vierzig Musiker eines Orchesters in deinem Rücken spielen, ist es das Gleiche. Es ist nur ein etwas anderes Gefühl. Ich singe aber nicht anders. Das liegt natürlich daran, dass ich nicht opernhaft singe, sondern einfach ich selbst bleibe und die Lieder so interpretiere, wie ich denke, dass sie gesungen werden müssten. Das ist aber eine ganz natürliche Sache.
Vor drei Jahren bist Du zusammen mit deiner alten Band THE GATHERING bei deren Jubiläumsshows aufgetreten. Was war das für ein Gefühl für Dich?
Das war sehr interessant, weil ich einige der Bandmitglieder in den vergangenen Jahren nur wenig gesprochen habe. Als wir aber die Shows besprochen und zusammen geprobt haben, war es, als ob wir uns erst vorgestern getroffen hätten, Wir haben dieselben Witze wie früher gemacht. Insgesamt war es eine schöne Erfahrung und auch etwas Besonderes. Natürlich kamen auch Stimmen, dass wir doch zusammen auf Tour gehen sollten. Ich wollte aber, dass es etwas Besonderes bleibt.
Seit Deinem Ausstieg bei THE GATHERING hast Du mit vielen tollen Musikern zusammengearbeitet. Ist das für Dich pure Freiheit oder manchmal auch stressig, weil Du Dir natürlich auch überlegen musst, was als nächstes kommt?
Beides. Es ist natürlich totale Freiheit, wie beispielsweise beim Lied „Zo lief“. Es ist meine Entscheidung, und ich kann diese Entscheidung so treffen, wie ich will. Viele Projekte werden aber auch zeitgleich umgesetzt und verwirklicht. Das ist ganz schön anstrengend und viel Arbeit. Und ich muss mich gleichzeitig auf sehr unterschiedliche Dinge konzentrieren. Manchmal ist es auch zu viel, weswegen ich versuche, das zu entzerren und nicht zu viele Projekte zeitgleich laufen zu lassen. Ich mache aber auch nichts, was ich nicht möchte. Es gibt aber zum Glück immer gute Ideen, die ich umsetzen möchte, und zum Glück gibt es viele Fans, die auf meine unterschiedlichen Projekte neugierig sind. Es geht also sehr geschmeidig voran.
Was steht als nächstes an?
Derzeit schreibe ich Songs, die im nächsten Jahr für ein Album aufgenommen werden. Es wird ein Soloalbum mit Akustiksongs werden. Ich schreibe zwar auch Stücke für VUUR, aber es sind viele, die in eine sanftere Richtung gehen. Außerdem werde ich mein 25-jähriges Jubiläum feiern mit 43 Theater-Shows in Holland. Dort werde ich viele Stücke aus den letzten 25 Jahren in Solo-Akustik-Versionen spielen. Dann werde ich mit VUUR durch Südamerika touren, und Ende nächsten Jahres werde ich eine Solotour zusammen mit DELAIN und AMORPHIS in Nordamerika machen. Dazwischen noch einige andere Sachen … (lacht)
Das wird auf jeden Fall nicht langweilig. Ist das aber nicht auch ein wenig beängstigend zu wissen, was man in genau einem Jahr machen wird und dass man dafür monatelang auf Tour ist?
Nein, nein, als Künstler ist das sogar eine luxuriöse Situation, genau zu wissen, was man am Ende des nächsten Jahres macht. Ich habe sogar schon Pläne für 2020. Ich weiß aber, was Du meinst. Man könnte sich auch fragen, wo dann die ganze Spontanität bleibt, wenn man so eingebunden ist. Aber für einen Schauspieler oder Künstler ist das eine richtig luxuriöse Situation. Und außerdem sind das ja alles meine Ideen, die ich verwirklichen kann. Ich bin auf jeden Fall dankbar, dass so viele Leute zu den Shows kommen möchten.
Danke für das Interview, Anneke!
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Stile | Klassik, Pop, Progressive Rock, Singer/Songwriter |
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