Amorphis
Interview mit Sänger Tomi Joutsen
Interview
AMORPHIS haben es tatsächlich geschafft: Ihr neues Album “The Beginning Of Times” ist das vierte Meisterwerk in Folge, gleichzeitig wohl so abwechslungsreich und vielseitig wie keine andere Scheibe der Finnen zuvor. Metal.de sprach mit Sänger Tomi Joutsen über Inhalte, Gesangsstile und sein Heimatland. Der charismatische und sehr herzliche Frontmann erweist sich als wahrer Profi, indem er sich gleich ein zweites Mal meldet, als nach einem technischen Effekt die Leitung unterbrochen war. Und er steigt direkt mit einem ehrlichen Geständnis ein:
Ich bin total nervös. Auf Finnisch gebe ich gerne Interviews, auf Englisch tue ich mir etwas schwer, weil es nicht meine Sprache ist. Und das, obwohl ich auf Englisch singe, haha. Ich sollte vielleicht mehr englische Bücher lesen.
Ich bin auch ein wenig aufgeregt, mein erstes Interview mit einer meiner Lieblingsbands, ein aufregender Moment. Treffen wir uns also in der Mitte und legen direkt los: Wie waren denn die bisherigen Reaktionen auf “The Beginning Of Times?”
Erstmal sind wir sind sehr gespannt, wie das Album bei den Fans ankommt, wenn es veröffentlicht ist. Wir hatten auch schon einige Listening Sessions vor ca. einem Monat, und da waren die Reaktionen äußerst positiv. Natürlich ist das ein sehr herausforderndes Album, es ist sehr lang und auf eine Art auch kompliziert. Insgesamt bin ich aber sehr optimistisch.
Die letzten drei Alben waren ja für sich genommen alle kleine Meisterwerke. Jeder Fan dürfte seinen eigenen Favoriten haben, insgesamt unterschieden sie sich aber nicht so sehr in punkto Qualität. Mit dem neuen Album gebt ihr dem Hörer jetzt alles, was er von Amorphis erwarten könnte. Woher kommt diese Kreativität, über diesen verhältnismäßig langen Zeitraum ein erstklassiges Album nach dem anderen abzuliefern?
Ich glaube ein Grund ist die gute Chemie, die in der Band herrscht. Diese Musik spielen zu können ist etwas, was uns wirklich sehr am Herzen liegt. Und sicher hat es auch damit zu tun, dass bei uns mehrere Mitglieder Songs schreiben können. Das muss also nicht einer alleine machen, und das kommt der Band sicherlich zu Gute. Das nimmt ein wenig den Druck von den Einzelnen, wenn man sich seine Arbeit teilen kann.
“Silent Waters” war für eure Verhältnisse ziemlich progressiv, “Skyforger” hingegen war eingängiger und direkter. Die neue Scheibe enthält sehr viele Details und man muss sie durchaus ein paar Mal hören, um alles zu begreifen. Eingängige, melodische Momente stehen neben sehr aggressiven, und dann die exotische Instrumentierung, die alles noch abwechslungsreicher macht. Ist dieser Ideenreichtum lediglich das Ergebnis des Reifeprozesses der Band, oder seid ihr da nach einem bestimmten Plan vorgegangen?
Vor den Aufnahmen haben wir uns sehr lange darüber unterhalten, was wir diesmal machen wollten. Wir wollten ein etwas progressiveres Album abliefern, vor allem aber eins, bei dem man hören kann, dass wir wirklich spielen, eines, das echt und nicht gekünstelt klingt. Das Spiel unseres Drummers ist beispielsweise viel detaillierter als zuletzt. Wir haben sehr talentierte Musiker in der Band, da wäre es dumm, wenn man nicht hören würde, was sie drauf haben. Ob “progressiv” jetzt das richtige Wort ist, weiß ich nicht, aber ich denke, “The Beginning Of Times” ist trotzdem etwas Neues und Frisches. Ein Album, auf dass ich sehr stolz bin.
“Progressiv” vielleicht nicht, aber auf jeden Fall sehr detailverliebt, da sind schon mehr als zwei Durchgänge nötig.
Richtig. Ich hab das Album ungefähr 100 Mal gehört und habs immer noch nicht über, das ist ein gutes Zeichen (lacht). Manchmal hasst man ein Album nach den Aufnahmen, weil man sich so viel damit befasst hat.
Genau, das sagen viele Musiker immer wieder.
Aber wie gesagt: Diesmal gibt’s da keine Probleme. Ich mag das Album sehr.
Du variierst diesmal wieder viel häufiger zwischen Growls und Klargesang, und die erwähnte exotische Instrumentierung macht die Scheibe auch sehr vielseitig. Stellt ihr bei so vielen Ideen im Studio manchmal fest, dass ich euer ursprüngliches Vorhaben nicht umsetzen lässt oder gewisse Parts nicht zu einem Song passen, so dass ihr das im Nachhinein nochmal ändern müsst?
Die Musik ist immer zuerst da, danach kommen die Texte. Die Musik wurde schon letztes Jahr aufgenommen, vor unserer Europa-Tour. Den Gesang habe ich dann im Januar aufgenommen. Da gab es also schon eine recht lange Pause zwischen beiden Stationen. Ich arbeite ja nach wie vor mit Marco Hietala zusammen, und wir haben zu Beginn immer nur grobe Ideen, ein paar Melodien oder so. Dann suchen wir uns ein Thema, oder auch ein Gedicht, von dem wir glauben, dass es zur Musik passt und stricken daraus die Texte. Es gibt keinen Tag an dem wir vorher ganz genau wissen, was am Ende des Tages dabei rum kommt. Es ist schwierig, das interessant zu halten, aber so lässt sich verhindern, dass man zu spät feststellt, dass irgend etwas nicht funktioniert.
Marco hat sicher einen sehr großen Einfluss auf den Gesamtsound. Was wäre denn anders bei Amorphis, wenn ihr nicht so lange zusammenarbeiten würdet?
Das ist schwer zu sagen. Er spielt natürlich eine große Rolle. Er produziert ja nicht das gesamte Album, sondern nur den Gesang, aber er komponiert auch viele Melodien. Und er ist sehr gut in Englisch, das ist auch sehr wichtig. Er arbeitet sehr schnell und ist sehr kreativ, und da er auch ein guter Sänger ist, kann er mir seine Ideen ohne Umwege näher bringen. Er mag zwar keinen Death Metal, und steht deshalb nicht so auf Growls, aber auch da lässt er mir freie Hand und sagt “Ok, leg los!”.
Viele Leute sagen ja, Amorphis sei eine sehr düstere und teilweise auch eher kalte Band. Ich sehe das etwas anders und empfinde eure Musik eher als lebensbejahend und positiv. Wie stehst du denn dazu?
Ich finde nicht, dass wir düster sind. “Melancholisch” trifft es glaube ich besser. Kälte finde ich auch keine. Das bringe ich eher mit Industrial-Bands in Verbindung. Unsere Texte sind oft recht traurig, vielleicht kommt daher die Assoziation mit der Düsternis. Nein, wir sind melancholisch, aber nicht düster.
Da würde ich dir zustimmen, für mich ist eure Musik der perfekte Soundtrack, um ein bisschen die Schönheit der Natur einzufangen. Ich habe mir “The Beginning Of Times” zum ersten Mal angehört, als die ersten frühlinghaften Sonnenstrahlen zu sehen waren und es allmählich wärmer wurde . Das hat perfekt gepasst – wie sehr lasst ihr euch beim Songwriting denn von den Dingen beeinflussen , die euch umgeben. Finnland gilt als sehr schönes Land, spielt das für eure Musik eine Rolle?
Wenn man hier in Finnland lebt, mit seinen Wäldern, Seen und so weiter, dann ist das wahrscheinlich schon so sehr ein Teil von dir, dass du es selbst sehr schwer einschätzen kannst, welche Rolle das wirklich spielt. Wenn unsere Jungs komponieren passiert das aber natürlich oft sehr spontan, mit der Akustikgitarre, gerne auch mal im Freien. Ich denke schon, dass das nicht ganz unerheblich ist.
Wer hat denn den weiblichen Gesang auf “The Beginning Of Times” übernommen?
Oh, scheiße, ich weiß nicht mehr wie sie heißt, tut mir Leid. (lacht). Sie spielt in der Band Hearts Of Stone, allerdings ist sie nicht deren Sängerin, sondern die Freundin vom Gitarristen oder so. Die waren in dem gleichen Studio, in dem wir auch die Musik aufgenommen haben. Und so kam es dazu. Langweilige Geschichte, ich weiß, haha.
Ihr habt euch also auch nicht persönlich getroffen.
So weit ich weiß, nicht, nein. Obwohl, warte, ich glaube, wir haben uns mal “Hallo” gesagt. Ich habe aber nicht weiter mit ihr gesprochen. Aber sie ist eine tolle Sängerin. (lacht).
Unser Album klang so maskulin, da wollten wir unbedingt einen weiblichen Gegenpart, du verstehst.
Ich verstehe.
Die Texte basieren sicher wieder auf dem finnischen Nationalepos Kalevala. Als Finne kannst du mit sicher einen besseren Eindruck über das Thema verschaffen als irgendwelche Internetseiten.
Ok, gerne. Derjenige, der die Hauptideen für Texte hatte, ist auch der, mit dem wir schon auf den letzten beiden Alben gearbeitet haben, und er ist ein echter Kalevala-Experte. Er betreibt eine Kunstschule und ist auch so etwas wie ein…mir fällt das Wort nicht ein, eine Art Schauspieler auf der Straße. Jedenfalls geht es diesmal um die Hauptperson des Kalevala, Väinämöinen heißt der. Ein sehr weiser Mann, eine Art Wahrsager. Er hat sozusagen die Welt geschaffen. Außerdem ist er ein guter Sänger und Musiker, er spielt eine Kantele, dieses traditionelle finnische Instrument. Magische Kräfte hat er auch, eine sehr wichtige Person für die finnische Mythologie, wenn man es so nennen will. Um diesen Charakter dreht sich das Album.
Das Album-Cover basiert ja auch auf der dem Kalevala entlehnten Theorie, dass die Welt aus dem Ei einer Ente geschaffen wurde. Für nicht eingeweihte klingt das vielleicht ein wenig seltsam, was hat es denn damit auf sich?
Alte Menschen in Finnland glauben, dass es vor dem Entstehen der Welt sieben Eier gab (lacht). Die brachen auseinander und so entstand die Welt. Man kann auf dem Cover auch eine kleine Insel sehen, da hat der Coverzeichner gesagt: “Ok, und das ist Finnland”. Haha.
Kalevala ist ja sehr alt, das stammt noch aus einer Zeit lange vor dem Christentum. Deshalb ist diese Geschichte auch älter als die Schöpfungsgeschichte der Bibel.
Lass uns mal das Thema wechseln: Ich habe das Gefühl, dass Metal und Hardrock in Finnland viel mehr in der Gesellschaft verankert sind als in anderen Teilen der Welt. Was glaubst du, woran liegt das?
In erster Linie an den wirklich guten Bands. Die Qualität wird hier einfach anerkannt. Anfang der 90er, als Amorphis anfingen, war das noch anders. Da war Metal-Musik wirklich eine reine Underground-Sache, im Fernsehen liefen so gut wie nie Metal-Videos. Wir haben hier aber heute wirklich gute Bands wie Him oder Children Of Bodom, und Metal-Musik ist wirklich sehr bekannt und populär. Das ist manchmal auch seltsam, gerade für die Fans, weil Metal aus meiner Sicht auch immer noch etwas rebellisches haben sollte. Als Musiker bin ich für diese Situation aber natürlich sehr dankbar.
An der etwas melancholischeren Ausrichtung des Metal kann das natürlich auch liegen, es ist eben nunmal nicht alles heile Welt.
Sind die Finnen denn so melancholisch und depressiv, wie oft behauptet wird?
Ich weiß nicht, das ist denke ich mehr eine Legende. Es kommen natürlich ein paar sehr düstere Bands aus Finnland, vielleicht kommt das daher.
Andererseits gibt es natürlich auch Bands wie Finntroll oder Korpiklaani, die eher die Party-Seite eurer Nation repräsentieren.
Die haben keine Zeit, traurig zu sein, weil sie ständig besoffen sind (lacht).
Meine letzte Frage: “The Beginning of Times” ist für dich als Amorphis-Sänger mittlerweile das vierte Album. Wenn du auf die letzten paar Jahre zurückblickst, was waren aus heutiger Sicht die wichtigsten Momente?
Da gibt es natürlich sehr viele. Einer der wichtigsten Momente waren sicher die ersten Proben, als ich die anderen zum ersten Mal getroffen habe. Als wir feststellten, dass wir das richtige tun. Und natürlich die ersten Shows, die erste US-Tour. Da war ich im Vorfeld sehr angespannt, ich war ja das erste Mal so weit von zu Hause weg (lacht). Ich bin aber zum Glück nicht draufgegangen dabei, was meine Befürchtung war. Die ersten Festival-Shows, die positiven Reviews zu “Eclipse”, das waren schon mit die wichtigsten Momente.
Vielen Dank, Tomi, für das Interview.
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