Amaranthe
"Veränderung ist eine Abfolge von Ereignissen."

Interview

AMARANTHE haben mit „The Catalyst“ kürzlich ihr siebtes Studioalbum veröffentlicht und sich damit nach „Manifest“ gute dreieinhalb Jahre Zeit gelassen. Gut, in diese Zeit fiel eine Pandemie, ein Sängerwechsel und diverse verschobene Touren, aber nichtsdestotrotz ist das für die umtriebige Band eine ungewöhnlich lange Pause. Wir sprachen mit einem gut aufgelegten Olof Mörck über diese Zeit, das neue Album, die neue Konstellation innerhalb der Band und natürlich auch die bereits laufende Tour mit DRAGONFORCE.

Hi Olof! Lass uns doch damit starten, dass du mir etwas über den kreativen Prozess zum neuen Album erzählst. Mit dreieinhalb Jahren ist es die längste Zeit, die ihr je gebraucht habt, um ein neues Album zu veröffentlichen.

Ja, das stimmt und die Zeit ist wirklich schnell vorübergegangen, gerade wenn man bedenkt, dass da zweieinhalb Jahre Pandemie dazwischen waren. Was aber passiert ist ist, dass wir „Manifest“ im Oktober 2020 veröffentlicht haben und wir bis zum Hals in der Pandemie steckten, es wurde mehr oder weniger immer schlimmer. Wir wussten, dass wir Touren in der fernen Zukunft planen mussten, da wir mindestens ein Jahr keine Shows spielen könnten.

Wir hatten also eine Menge Zeit und beschlossen, dass es vermutlich ein guter Zeitpunkt ist, eine Pause zu machen. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir sechs Alben in neun Jahren veröffentlicht, was eine gute Geschwindigkeit ist und zudem zahllose Touren gespielt. Wir waren nicht erschöpft, aber ein bisschen ausgetrocknet von all der Arbeit. Wir haben also gedacht, dass eine kleine Pause uns gut tut. Das haben wir auch versucht, aber es klappte nicht wirklich. Schon im Januar 2021 habe ich mir gedacht: „Ok, was mache ich jetzt?“. Elize und ich haben dann schon mit ein paar Ideen und Konzepten rumgespielt.

Da wir das Album Anfang 2023 aufgenommen haben, hatten wir viel Zeit für den kreativen Prozess. Die meiste Zeit ging dabei für das Rumspielen mit verschiedenen Konzepten drauf, das Ausprobieren neuer Ideen. Wir sind in viele neue Richtungen gegangen, nur um hypothetisch zu sehen, was dann passiert. Wir haben das auch für unser eigenes Vergnügen gemacht, da wir keine strenge Deadline hatten. Wir mögen es zwar, Musik mit einer Deadline zu schreiben, weil es dich fokussiert macht, aber hier konnten wir etwas mehr Spaß haben.

Bevor wir eben anfingen zu sprechen habe ich ein paar der neuen Songs für die Tour geübt und ich habe festgestellt, dass sie teilweise recht eklektisch sind mit vielen kleinen Details, über die ich lange nicht nachgedacht habe. Es war ein sehr, sehr kreativer Prozess. Wir hatten weniger Grenzen und Limits, wir waren viel verspielter. Und das zeigt sich in der Musik, sie ist ambitionierter und viel technischer und detaillierter im Allgemeinen. Es ist ein sehr eklektisches und diverses Album und ich bin das sehr froh drüber.

Ich habe bei dem Album auch immer ein bisschen das Gefühl, ein Konzeptalbum zu hören. Habt ihr eins dahinter versteckt, wie zum Beispiel die Science-Fiction-Thematik auf dem Albumcover?

Ja und nein, es ist kein Konzeptalbum im traditionellen Sinne, aber es gibt definitiv ein stark präsentes Thema. Das übergreifende Thema des Albums bezieht sich auf seinen Titel, viele Texte befassen sich mit dem Wandel, spezifischer gesagt mit dem Auslösermoment dieser Veränderung, der dann zum „Catalyst“, dem auslösenden Moment, wird. Dabei handelt es sich von globaler Veränderung bis zur Veränderung in einem selber und alles dazwischen. Wir wurden dabei viel von aktuellen Ereignissen in der Welt inspiriert, weil wir offensichtlich nicht mehr in der gleichen Welt leben wie als wir das „Manifest“-Album aufgenommen haben.

Wir dachten, dass es ein sehr interessantes Thema ist, sich mit dem Wandel in dem Moment zu befassen, in dem er gerade passiert. Veränderung ist eine Abfolge von Ereignissen. Es fängt irgendwo an und bewegt sich immer näher auf das Ziel zu. Aber manchmal verändert sich auch mit einem plötzlichen Ereignis deine komplette Lebenswelt oder etwas auf der Welt. Nehmen wir zum Beispiel die Pandemie, wir wissen nicht genau, wo der auslösende Moment war, vielleicht war es etwas in China, aber es veränderte sich die komplette Welt auf einmal plötzlich und brutal für die folgenden zweieinhalb Jahre.

Wir fanden es spannend, den auslösenden Moment, den „Catalyst“, in ein Wesen zu verwandeln, diesen Androiden, den du auf dem Cover sehen kannst und die Personifikation, fast schon Vergötterung des Wandels darstellst. Und dann gibt es auf vielen Songs des Albums noch diesen SciFi-Vibe, den du angesprochen hast. Der passt natürlich zu unserer Musik mit den elektronischen Keyboards. Wir haben damit schon vorher ein bisschen gespielt, aber wir gehen es dieses Mal von einer anderen Richtung an, einer etwas erwachseneren Richtung wenn du mich fragst.

Ihr habt auch einige komplexe Musikvideos gedreht, zum Beispiel „Re-Vision“, „Damnation Flame“ oder „Insatiable“. Wie habt ihr die Ideen dafür entwickelt?

Wir haben uns die Texte angeschaut und damit gearbeitet. Der Weg von der Idee zum fertigen Produkt war immer verschieden, aber ich kann dir den Weg anhand von „Damnation Flame“ erklären. Ich habe mit dem Song im Frühjahr 2021 begonnen und dann ist Elize dazugekommen. Das Lied hat sich schnell in eine Vampir-Richtung bewegt, das passierte ein bisschen von alleine, denn das war keine Idee, die Elize und ich vor dem Song hatten. Sie hat ein paar dramatische Gesangslinien gesungen und ich habe dazu ein bisschen Kirchenorgel gespielt und dann meinten wir beide so: „Das klingt wie ein Vampirlied!“. Wir haben also den Text zu dem Thema geschrieben, weil der Song das von uns so wollte.

Als dann alle Songs des Albums fertig waren, haben wir überlegt, was wir als erste Single veröffentlichen wollten und fanden die Idee gut, etwas zu nehmen, dass sehr untypisch für AMARANTHE ist. Wir hatten bereits diese Vampirlyrics und demzufolge wäre es seltsam gewesen, ein Video zu drehen, das irgendeine andere Richtung einschlägt als diese. Wir sind dafür nach Polen gereist und haben mit ein paar Leuten zusammengearbeitet, die sich „Grupa 13“ nennen. Die produzieren normalerweise Sachen für BEHEMOTH und anderen, düsteren Kram. Wir dachten uns, dass die wissen, wie man sowas umsetzt.

Wir haben ein polnisches Schloss gemietet, viele Kostüme und einige Extras. Das hat wirklich Spaß gemacht und wir finden, wenn wir wirklich Spaß bei der Sache haben, dann ist die Chance sehr hoch, dass andere Leute auch Spaß damit haben. Während wir unsere Musik sehr ernst nehmen, so nehmen wir uns selbst nicht immer sehr ernst. Es ist gut, wenn man da ein bisschen Distanz zwischen wahrt.

Das ist ein guter Ansatz! Mit Mikael Sehlin habt ihr einen neuen Mann an den Growls. Wie ging der Auswahlprozess von statten? Hattet ihr viele Bewerber und Bewerberinnen?

Es war ein langer Prozess. Als Henrik [Englund Wilhelmsson, Ex-Growler, Anm. d. Red.] uns Anfang 2022 mitteilte, dass er die Band verlassen will, haben wir direkt überlegt, wer in seine Fußstapfen treten kann und will. Das Problem ist, dass du jemanden mit viel Erfahrung brauchst, der sehr gut ist, ungefähr unser Alter hat und so weiter. Es macht die Liste sehr kurz und dann brauchten wir auch noch jemanden, der uns in der kommenden Zeit aushilft.

Da haben wir ein paar Leute gefunden, die der Band nicht in Vollzeit beitreten wollten, sodass wir wussten, dass sie nicht enttäuscht sind, wenn wir später bekannt geben, jemand Permanenten gefunden zu haben. Richard [Sjunnesson, THE UNGUIDED, Anm. d. Red.] hat dafür perfekt gepasst, er ist ein toller Typ und ein fantastischer Growler. Aber er ist sehr zufrieden mit seinem Job und THE UNGUIDED, also haben wir sehr gerne mit ihm gespielt und auch mit Samy [Elbanna, Anm. d. Red.] von LOST SOCIETY. Die beiden haben einen Hammer-Job gemacht, während wir auf der Suche nach anderen Leuten waren.

Wir haben das Netz weltweit ausgeworfen, zumindest in Europa und der USA am Anfang. Viele Leute haben uns kontaktiert, aber nur ganz wenige davon hätten zumindest hypothetisch das Potential gehabt, den Part auszufüllen. Ich habe am Anfang nicht an Mikael gedacht. Wir kannten ihn von früher, er hat 2015 mit uns getourt, aber er ist aus der Musikszene etwas ausgetreten, als er ein Kind bekommen hat, also war er nicht auf unserem Radar. Aber ein paar Monate bevor wir ins Studio gingen, wofür wir auch Backup-Pläne hatten, schrieb er, dass er nach Projekten suche, um etwas als Produzent aufzunehmen, Gastvocals beizusteuern oder sowas.

Ich meinte dann, dass er der Mann für den Job ist. Er hat viele ähnliche Einflüsse, er kommt aus einer ähnlichen Gegend wie Henrik, sie sind sogar seit 20 Jahren befreundet. Er kann sehr gut growlen und klingt seinem Vorgänger sehr ähnlich, aber er kann auch einen komplett anderen Stil benutzen. Er ist ein sehr musikalischer Kerl. Ich habe ihm geschrieben, ob er mich am nächsten Tag anrufen kann und als er dann anrief wusste er genau, was ich ihn fragen würde. Er meinte nur „Ich weiß, was du fragen willst und ich sage ja, ja, ja! Wann nehmen wir auf?“. Es war ein perfektes Match!

War es eine Option, ohne Growler weiterzumachen? Mit „Find Life“ habt ihr zwischenzeitlich ja eine Single veröffentlicht, die alleine von Elize und Nils getragen wird.

Es war gut, im Studio etwas aufzunehmen während dieser Zeit. Denn obwohl die Growls ein großer Teil dessen sind, was AMARANTHE ausmacht, ist es gut zu wissen, dass es auch mit „nur“ zwei Sängern funktioniert. Es war nett, etwas zu tun zu haben, aber es war nie wirklich ein Thema, nur mit zwei Leuten weiterzumachen. Zum einen wegen der älteren Alben, aber auch weil das Konzept der drei Sänger toll ist, du kannst eine Menge damit machen, auch live. Ich bin ehrlich, ich wüsste nicht, wie es ohne Growler funktionieren sollte.

Wir sprachen ja schon über die vielen Keyboards und elektronischen Elemente in AMARANTHE-Songs. Wie entsteht denn ein Song bei euch? Welches Instrument kommt zuerst?

Ein AMARANTHE-Song kann auf verschiedene Arten und Weisen beginnen. Es gibt die klassische Variante, dass ich als Gitarrist in einer Metalband rumsitze und Riffs spiele, bis ich etwas Cooles entdecke und damit weitermache. Das ist aber tatsächlich der am wenigsten benutzte Weg, wie ich Musik schreibe, aber manchmal passiert es.

Typischerweise arbeite ich zuerst mit Akkord-Progressionen und Melodien. Nehmen wir zum Beispiel „Damnation Flame“, da fing es mit der Intromelodie des Keyboards an. Dann habe ich ein paar Harmonien hinzugefügt und es Elize gezeigt, die ein paar Gesangslinien beisteuerte, bevor ich Gitarren und Drums hinzufüge. So können wir feststellen, ob die Melodien und Harmonien funktionieren oder nicht. Wenn es nicht funktioniert, hat Elize meistens vierzig neue Ideen in zwei Stunden, sie feuert die einfach so raus.

Sobald wir das Skelett fertig haben, was meistens sehr schnell passiert, für gewöhnlich in unter zwei Stunden, gehe ich in den Arrangiermodus und der kann irgendwas zwischen einem Tag und Wochen dauern, um ihn komplett richtig fertig zu bekommen. Aber wenn wir von der Akkord-Progression überzeugt sind, dann wird der Rest auch funktionieren, du musst nur ein großartiges Arrangement herumbauen.

„Stay A Little While“ fing aber zum Beispiel als Sprachnachricht über einen Messenger von Elize an. Sie hat die Melodie gesummt und ich habe mich ans Klavier gesetzt und das ganze Ding arrangiert. Das hat einen Tag gedauert und es basiert alles auf der kleinen Sprachnachricht. Ich habe sie runtergeladen, in Teile geschnitten, in Cubase hochgeladen und den Song ab da geschrieben.

Mit „PvP“ habt ihr eine Stand-Alone-Single veröffentlicht. Warum ist die nicht mit auf dem Album?

Der Song ist für die schwedische E-Sport-Nationalmannschaft geschrieben worden, von deren Existenz ich vorher nichts wusste. Aber ich mag Videospiele und wir wurden gefragt, ob sie einen speziell für sie geschriebenen Song bekommen können. Ich habe Elize gefragt, die auch zugestimmt hat. Unsere Songs wurden auch in verschiedenen Twitch-Streams benutzt, sodass wir bereits merkten, dass dieses Crossover funktionieren könnte.

Wir haben den Song sehr schnell geschrieben und arrangiert, es hat mit Aufnahmen und allem Drum und Dran vielleicht ein oder zwei Tage gedauert. Ich wusste, dass er gut werden würde, aber ich mag den Song wirklich sehr, sehr gerne. Er macht sich auch in Sachen Streams gut. Wir haben ihn auch ins Liveset aufgenommen. Es ist ein klassischer AMARANTHE-Song, aber mit Videospiel-Text.

Was sind deine Gedanken zur kommenden Tour mit DRAGONFORCE und dem Albumrelease zur gleichen Zeit?

Es ist viel, das auf einmal passiert. Wir haben auch noch ein Musikvideo aufgenommen, das am selben Tag wie das Album rauskommt, es ist der Titelsong und die letzte Single für das Album. Wir haben diese Tour in den USA gemacht und es hat super viel Spaß gemacht. Ich kenne die Jungs von DRAGONFORCE seit 10-15 Jahren und wir haben immer wieder darüber nachgedacht, gemeinsam zu touren.

Wir überlegten, ob das mit den verschiedenen Genres Sinn ergibt, aber dachten uns, dass das gut zusammenpassen könnte. Es ist verschieden genug, um ein leicht unterschiedliches Publikum anzuziehen, aber ähnlich genug mit den eingängigen Refrains und der unterhaltsamen Liveshow, um sich nicht wie eine seltsame Kombination anzufühlen. Es ist nicht wie AMARANTHE und BEHEMOTH oder so.

Bevor wir anfingen zu sprechen habe ich mir die Zahlen für die Tour angeguckt und die sind ziemlich großartig, was natürlich motiviert und aufregend ist. Es ist zudem ein großartiger Weg, den Release von „The Catalyst“ zu feiern, indem wir die neuen Songs für die Leute spielen werden.

Wir haben auch ein bisschen mehr Arbeit in unsere Liveshow gesteckt. Ein Teil der Maschine, die auf dem Albumcover zu sehen ist, wird als kleines Stageset gebaut werden, das dann Rauch und so spucken kann. Das wird auch spannend und sicherlich zu einer mehr dramatischen Show beitragen.

Quelle: Interview mit Olof Mörck
25.02.2024

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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