Amanda Palmer
Interview mit Amanda Palmer
Interview
Am 26. September 2008 wurde Amanda Palmers erstes Solo-Album „Who Killed Amanda Palmer“ veröffentlicht. Im Rahmen ihres Konzertes im Münchner 59:1 am 21. Oktober 2008 nutzten wir die Gelegenheit, ihr ein paar Fragen zur Arbeit an diesem Album zu stellen und drifteten dabei in die Untiefen des Musikgeschäfts ab.
In den Informationen zu „Who Killed Amanda Palmer“ heißt es, dass es der absolute Gegensatz zu DRESDEN DOLLS-Alben ist, da ihr dort alles sehr reduziert haltet. Du schreibst aber auch, dass du dein Soloalbum ganz anders geplant hattest, als eine Wohnzimmeraufnahme in zwei Wochen. Was wäre dann der Unterschied, außer dass Brian an den Drums fehlt?
Es gäbe gar keinen Unterschied. Es wäre ein drumloses DRESDEN DOLLS-Album.
Es gab viele Menschen, die dich bei diesem Album unterstützt haben, unter anderem Neil Gaiman. Wie kam es, dass er an dem Projekt mitwirkte?
Neil wurde mir von Jason Webley, der im Moment mit mir auf Tour ist, vorgestellt. Wir kamen sofort sehr gut miteinander klar, hatten sehr viele Dinge gemeinsam und wurden einfach Freunde. Er ist eine unglaubliche Persönlichkeit. Er ist einer dieser großartigen Künstler, der absolut großzügig ist mit dem was er hat und versucht anderen aufkommenden Künstlern zu helfen. Neil ist wirklich äußerst freigiebig mit seiner Zeit und seiner Unterstützung der Arbeiten anderer. Er hat einen Blog und macht dort sehr oft Leute auf andere Dinge aufmerksam, wie Videos, Bücher oder Musik. Ich fragte ihn, ob er den Text für das Buch zur CD schreiben wollte, dachte aber nicht, dass er ja sagen würde. Er stimmte jedoch zu und dann führte eins zum anderen. Wir begannen mit der Arbeit daran und versuchen wirklich es bis Weihnachten 2008 fertig zu stellen. Ich dachte, es könnte mit dem Album fertig werden, aber das wurde nichts.
Und die Zusammenarbeit mit Ben Folds? Was war die größte Erfahrung, die du aus der Arbeit mit ihm gezogen hast?
Auf eine sehr praktische Art – neben dem Teil mit der Musik, der großartig war und auch sehr lehrreich auf seine eigene Weise – war es die Zeit, die ich mit ihm einfach so verbringen durfte. Denn wenn du eine CD aufnimmst, dann besteht das aus sehr viel freier Zeit, Pausen, Essen, dem Reden über das Leben. Er gab mir einige unbezahlbare Einblicke, was in meinem eigenen Leben gerade vorgeht. Denn ich war dabei durch genau das gleiche zu gehen, wie er sechs Jahre zuvor, als er mit seiner Band BEN FOLDS FIVE brach und sich entschloss, sein erstes Soloalbum aufzunehmen. Jeder sagte ihm es würde ein Desaster werden, aber er wollte es dennoch machen. Er war in diesem Punkt ein sehr gutes Spiegelbild, denn ich lernte eine Menge von ihm, einfach darüber, wie er sein Leben führt. Er war ein guter Mentor für mich.
Eines der wirklich heftigen Dinge an dieser Art von Leben ist, dass du diese Arbeit machst und keinen Schimmer davon hast wie andere es meistern. Das ganze Musikgeschäft ist eine totale Improvisation. Du weißt vor allem, wie du selbst etwas gemacht hast. Du hast natürlich andere auf Tour gesehen und andere Musiker getroffen und mit ihnen darüber gesprochen, wie sie ihre Arbeit machen, aber es ist ein komplett improvisiertes Geschäft. Es hat keine Regeln.
Auch das Leben auf Tour ist
total improvisiert. Du hast vielleicht deine Basis-Personen, also die Person für das Merchandise, deinen Tour-Manager, deinen Agenten, aber jeder macht es ein wenig anders. Es gibt keine Anleitung im Internet über die verschiedenen Wege, du musst es selbst herausfinden und das kostet unglaublich viel Zeit und Energie. Insofern ist das Gespräch mit jemanden der das eine Weile lang gemacht hat, der sich wirklich mit dir hinsetzt und sagt „weißt du, ich hab meinen Manager gefeuert, als das passiert ist. Und das ist was ich von meinem Anwalt oder meinem Manager erwarte… “ sehr lehrreich und du sitzt nur da und versuchst dir so viel wie möglich zu merken.
Es ist wirklich so ein willkürliches Geschäft. Nicht wie beispielsweise als Arzt, wenn du eins nach dem anderen lernst und danach einen Job hast. Es ist viel eher ein verrücktes Netzwerk von Zufällen und Versuchen etwas herauszufinden. Mit jemandem einfach Zeit verbringen zu können, der das schon länger mitgemacht hat, ist einer der besten Wege um heraus zu finden, was du richtig und was du falsch machst. Es gibt fast keinen anderen Weg dafür.
Es ist fast so als ob wir ein Rock-Praktikum-Programm nötig hätten, bei dem eine junge Band oder ein junger Songwriter mit einer erfahrenen Band auf Tour geht. Eigentlich ist das genau das, was ein Support macht: Wenn du als junge Band eine ältere supportest, nimmst du viel mit. Ich habe immer versucht viel zu erfahren, z.B. als wir NIN als Vorband begleiteten. Aber dein Headliner wird sich nicht jeden Tag mit dir hinsetzen und sagen: „So, jetzt lass uns mal für ein paar Stunden über dein Leben reden. Was machst du so?“ Sie sind normalerweise viel zu beschäftigt dafür, so dass du einfach versuchen musst, so viel aufzuschnappen wie möglich.
Das war jetzt eine sehr lange, ausufernde und komplett abschweifende Antwort, aber das ist eine der größten Sachen, die ich von Ben mitgenommen habe. Diese „Perlen der Weisheit“ über das Geschäft und sein Leben.
Genießt du das Musikgeschäft obwohl oder vielleicht gerade weil es so viel mit „für sich selbst herausfinden“ zu tun hat?
Ich mag die Tatsache, dass es ein komplett anarchistisches System ist. Es gibt keine Anweisungen und jeder der dort hineinkommt hat eine verrückte Geschichte. Es verlangt keine Ausbildung, kein Geld zum Starten. Du brauchst einfach nur die Leidenschaft dafür, etwas zu machen. Einige der größten Promoter der Welt haben keinen Universitätsabschluss sondern begannen in sehr kleinen Kreisen und arbeiteten sich hoch. Das liebe ich daran. Es hat etwas vom Amerikanischen Traum.
Aber auf der andern Seite wünschte ich manchmal, es wäre nicht so zwielichtig. In Europa ist es etwas besser als in Amerika, wo es sich bisweilen wie eine Mafia anfühlt. Du bist ein Künstler, sitzt da und schaust auf eine kleine Gruppe von Leuten, die mit Geld handeln, mit deiner Show dealen und sich einen Dreck darum scheren, dass du Kunst machst. Es kümmert sie einfach nicht. Für sie geht es nur darum wie viel du verkaufst. Sie kümmern sich nicht um die Kunst. Das kann herzzerbrechend sein, denn der geschäftliche Teil ist einfach geschäftlich, und Leute die im Geschäft stehen sind nicht da, um einen Künstler glücklich zu machen. Sie sind da um Geld zu machen.
Ist es nicht in Europa schwieriger, als individueller, kleiner Künstler wahrgenommen zu werden?
Ich denke, das ist überall Unsinn. Die wirklich guten Künstler sind die, die am Boden bleiben, die sich einfach nur um ihr Ding kümmern. Künstler mit dieser Integrität gelangen normalerweise nach ganz oben. Die Bands, die sich nur darum kümmern nicht anzustoßen haben keinen Erfolg, denn es ist langweilig.
Aber es gibt einen interessanten Unterschied zwischen Europa und Amerika, gerade im Respekt, der der Kunst entgegengebracht wird. In Europa fühlt man eher einen generellen Konsens zwischen den Menschen, dass Kunst gut ist und man sie braucht, dass es nicht nur Luxus für verrückte Leute ist. Es ist wirklich ein Teil vom Leben. In Amerika hat man manchmal das Gefühl, dass Kunst und Musik nicht so tief eingebettet sind in jedermanns Empfindung, was es bedeutet ein Mensch zu sein. Es ist eher so, dass Kunst ganz am Rand steht. Wenn man sich anschaut, wie die Kultur entstanden ist, dann macht das auch irgendwo Sinn. Eine überlegene Arbeiterklasse, vielleicht schon unterhaltungsbasiert, aber nicht im gleichen Ausmaß wie zum Beispiel in Deutschland, wo die Bedeutung von Kultur lange in die Geschichte zurückreicht. Es ist immer schön hier her zu kommen und sich ein wenig mehr wertgeschätzt zu fühlen, nur dafür ein Künstler zu sein.
Gibt es zwischen Europa und Amerika auch einen Unterschied im Publikum?
Das ändert sich eher von Land zu Land, auch in Europa. Es ist meist ein Rätsel für mich, warum eine Show außer Kontrolle ist und das Publikum extravagant, laut, verrückt und bei anderen Shows eher ernst. Wir spielten gerade in Berlin und ich erwartete, dass das Publikum total verrückt ist, aber sie waren eher zurückhaltend. Unsere beste Show war in Heidelberg. Manchmal hängt es einfach davon ab, an welchem Abend man spielt, in welchem Club, wie betrunken die Leute sind, wer der Veranstalter ist, ob vor allem Studenten oder Teenager da sind, etc. es ist immer anders, aber das hält das ganze interessant. Jeder Abend ist eine komplett neue Welt, wenn es immer das Gleiche wäre, wäre ich total gelangweilt.
Woher kommt die Inspiration für deine Songs?
Sie kommt von überall her. Ich weiß eigentlich gar nicht von woher genau.
Musst du in einem speziellen Umfeld sein um schreiben zu können?
Ich bekomme Ideen wenn mein Kopf ausmistet. Wenn ich genug Platz darin habe und Zeit, die ich in letzter Zeit nicht hatte. Es ist schwer zu sagen, aber ich denke, dass ich es irgendwie gar nicht wirklich wissen will. Ich befürchte, dass die Antwort zu dieser Frage meine Schreibprozesse zerstören könnte. Denn je mehr ich darüber nachdenke wie ich schreibe, desto mehr analysiere ich mich selbst während es passiert und das ist wirklich gefährlich. Das ist wie einen Sport zu machen und dabei darüber nachzudenken, wie die Bewegungen auszuführen sind, anstatt sie einfach zu tun. In dem Augenblick in dem du das runterbrichst statt nur deine Instinkte laufen zu lassen, wirst du es unmöglich finden. Und ich denke, dass das Schreiben von Songs und überhaupt eine große Menge von künstlerischer Inspiration genauso funktioniert. Desto weniger du darüber nachdenkst, desto besser wird es werden.
Das ist also wie in einem kreativen Fluss, du bist in einer bestimmten Geisteshaltung und dadurch, dass du etwas machst, bekommst du mehr Inspirationen dafür?
Ja, das trifft es ganz gut. Was nicht bedeutet, dass ich nie über Dinge nachdenke. Aber in dem Augenblick, in dem ich die Idee für ein Lied bekomme weil ich zum Beispiel einen Satz im Kopf habe, den ich sehr mag, oder in dem Moment, in dem ich mich hinsetze und improvisiere, muss ich mich dem Fluss an Ideen öffnen und kann nicht über Fakten nachdenken, schon gar nicht über den Prozess, der dabei abläuft. Denn dann denke ich nicht über den Song sondern über den Ablauf nach.
Hast du meistens ein Aufnahmegerät dabei, um etwas gleich wenn es dir einfällt aufzeichnen zu können?
Ja, für lange Zeit war es ein Kassettenrecorder aber in letzter Zeit benutze ich meinen Computer da er ein Mikrophon hat und manchmal mein Handy.
Fallen dir gewöhnlich zuerst die Texte oder die Musik eines Songs ein?
Das ist vom Song abhängig, aber bei den besten sind es eigentlich beide zusammen.
Möchtest du anderen Menschen die Botschaft geben individualistischer zu sein? Mehr sie selbst und weniger besorgt über die Meinung anderer?
Ja, das schon, aber es ist nicht mein primäres Ziel. Es muss ein Nebenprodukt von dem sein was ich grundlegend machen will. Und dann ist es großartig wenn es andere inspiriert. Aber ich lebe nicht im Dienst dieser einen grundlegenden Idee, denn dann wird es leicht kitschig und dumm, auf die Bühne zu kommen und „Sei du selbst!“ zu sagen. Es ist eher so, dass wenn ich an Mädchen im Teenageralter denke und an die anderen Vorbilder die sie haben, wie Britney Spears und Avril Lavigne, dann scheint es mir wirklich wichtig, ihre Individualität zu umarmen. Ich möchte wirklich, dass sie wissen, es ist gut, man selbst zu sein. Aber der Weg wie diese Vorbilder leben ist so gegensätzlich dazu, denn sie haben ein so perfektes Aussehen, sind so dünn, so beschützt und so unmenschlich. Es lässt sich nicht in ein normales Leben übersetzen. Und ich denke, einfach dadurch, dass ich ich selbst bin, gebe ich das lauteste Statement, das ich geben könnte. Und ich muss nicht wirklich mehr sagen. Teenager-Mädchen sind nicht dumm. Sie schauen sich an, was du machst und ob es funktioniert. Ich habe einen weichen Punkt in meinem Herzen dafür, denn ich war ein so kaputter Teenager. Wie fast jeder wohl. Und wenn sie sehen, ok, hier ist Britney Spears, hier ist Amanda Palmer, dann sind das zwei Optionen und sie können irgendwo die Mitte wählen.
An dem Tag des Interviews gab es jedoch nur eine – die bessere – Option im ausverkauften 59:1. Nachdem Jason Webley und Zoe Keating die Gäste auf Amandas Show einstimmten, betrat Amanda gegen 22:15 Uhr die Bühne. Genauer gesagt, sie wurde von den Künstlern des DANGER ENSEMBLEs auf die Bühne getragen und hinter ihrem Keyboard platziert. Neben dem DANGER ENSEMBLE, das den Liedern durch die Darstellungen eine zusätzliche Dimension verlieh, unterstützten Lyndon Chester an der Violine und Zoe Keating am Cello Amanda Palmer auf dieser Tour. Neben einer Vielzahl an Songs von „Who Killed Amanda Palmer“ fanden sich auch einige Perlen der DRESDEN DOLLS, wie „Coin Operated Boy“ und „Bad Habbit“, im Programm. Dabei beeindruckte das DANGER ENSEMBLE bei verschiedenen Songs durch deren Interpretation, so zum Beispiel bei der Umsetzung von „Guitar Hero“ und „Strenght Through Music“. Letzteren Song leitete Amanda durch eine Vorrede ein, in der sie darauf aufmerksam machte, wie bedenklich es ist, dass Vorfälle wie das Schulmassaker von Littleton heutzutage immer weniger Aufmerksamkeit erregen. Während des ersten Teils von „Strenght Through Music“ las Lyndon Chester die Namen von Opfern ähnlicher Massaker, mit dem Verweis auf ihre Verletzungen, vor. Aber es gab auch viel zu lachen während dieses Konzertes, so zum Beispiel als Amanda einige Fragen beantwortete, die man zuvor in die „Ask Amanda“-Box werfen konnte, oder auch bei der Parodie des Songs „Umbrella“. Sehr aufschlussreich war die Interpretation des Songs „Living On A Prayer“, bei dem Jason Webley mitspielte und den Song mittendrin abbrach um über den logischen Fehler des Textes zu diskutieren. Ein wirklich sehr aufschlussreiches Gespräch zwischen Amanda und Jason, an dessen Ende sie sich darauf einigten, dass Jon Bon Jovi wohl ein Zen-Meister sein müsse. Währenddessen ging das DANGER ENSEMBLE durch das Publikum um Spenden für den Auftritt zu sammeln. Da das Tourbudget sehr knapp war, begleiteten sie Amanda ohne Bezahlung und finanzierten ihre Reisekosten durch die gesammelten Spenden vom Publikum, für dessen Großzügigkeit sich Amanda auf ihrer MySpace-Seite inzwischen bedankte. Abgeschlossen wurde das Konzert durch den Song „Creep“, den Amanda ohne weitere Begleitung darbot und danach viele glückliche Fans auf den Heimweg schickte.
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Stile | Avantgarde, Experimental |
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