Alcest
Neige: "Dafür habe ich den perfekten Song."
Interview
Seit rund einem Monat sitzt ALCEST-Mastermind Neige in seiner Wohnung in Paris fest. Der Grund hierfür ist die derzeitige Corona-Pandemie und die damit verbundene Ausgangssperre in Frankreich, die vor unserem Interview noch mal um einen Monat verlängert wurde. Neige, der das Beste aus der Situation macht, ist trotz allem guter Stimmung, als wir uns per Skype zusammentun, um über seine Spotify-Playlist „Neige’s Spring Essentials“ zu sprechen.
Deren zweite Auflage ist gerade frisch draußen und bietet neben Vorhersehbarem auch einige Überraschungen. Von Lieblingssongs über Guilty Pleasures bis zu obligatorischen ALCEST-Tracks ist alles vertreten. Eine bessere Möglichkeit, diesen Ausnahmemusiker auch über sein eigenes Schaffen hinaus kennenzulernen, gibt es wohl kaum. Umso mehr freuten wir uns, ihn in aller Ruhe zu seiner Auswahl ausfragen zu können.
Hi Neige! Das ist ja mal eine echt umfangreiche Playlist. Wie kam es dazu und wie lange hat es gedauert, das alles zusammenzustellen?
Neige: Ich spiele nicht nur in einer Band, sondern bin auch ein großer Musikfan. Und wenn ich Musik sage, meine ich nicht nur Metal, denn das sind nur etwa fünf Prozent von dem, was ich höre. Ich habe mich schon immer für vieles interessiert, das absolut nichts mit Metal zu tun hat. Indie Rock, Pop, elektronische Musik, 80s Pop, japanische Musik, Hip Hop. Es hat riesigen Spaß gemacht, diese Playlist zusammenzustellen. Ich vertiefe mich in sowas aber so sehr, dass ich dann Stunden damit zubringe. Ich habe auch genau auf die Reihenfolge der Songs und ihren Flow geachtet. Wenn man das für eine zehnstündige Playlist macht, dauert das. Ich habe echt lange daran gesessen [lacht], bin aber sehr glücklich damit. Wir stehen über Social Media eng mit den ALCEST-Fans in Kontakt. Die fragen, was ich so höre, oder empfehlen mir Sachen. Das ist wirklich cool.
Ich habe mir da mal an paar Songs und Künstler rausgepickt, von denen mich die Story dahinter interessiert. Das erste Stück ist natürlich „I Don’t Wanna Be Me“ von TYPE O NEGATIVE.
Neige: Über TYPE O NEGATIVE habe ich gestern bei Instagram gepostet [zum zehnten Todestag von Peter Steele] und war total überrascht, wie viele Leute darauf reagiert haben. Ich habe den Eindruck, dass die Band früher gar nicht so einen Bekanntheitsgrad hatte, sondern erst seit Peter gestorben ist. Jetzt haben sie diesen Kultstatus. Ich selbst habe die Band relativ spät entdeckt, ich glaube, 2007 oder 2008, und habe sie nie live gesehen, was mich sehr traurig macht. Über die Jahre habe ich immer mehr festgestellt, wie einzigartig und einfach toll TYPE O NEGATIVE sind. Wenn mich jemand fragen würde, wie sie klingen, würde ich sagen, „keine Ahnung, das musst du dir selbst anhören.“
Viele sagen Gothic Doom, aber für mich ist es das absolut nicht. Die haben echt viel Shoegaze und Dream Pop in den Gitarren und den verträumten Vocals. Ich weiß, dass Peter auch ein Fan von Dream Pop war. Das Songwriting ist sehr komplex, die Musik ist sehr melodisch, hat tolle Harmonien, epische Parts, und ist kontrastreich. Gleichzeitig ist da Humor, aber auch Tiefe und Romantik. Er liebt die Natur, kommt aber aus New York. Die Musik ist also gleichzeitig unverfälscht und dekadent. Sehr paradox, sexy, und goth. Man spürt aber auch, dass er sehr schüchtern und sensibel ist, denn die Melodien sind so zerbrechlich. Über TYPE O NEGATIVE könnte ich ewig reden, denn ich bin ein riesiger, riesiger Fan.
Etwas klassischer Black Metal ist in der Liste auch vertreten.
Neige: Ich höre nicht mehr so viel Metal, aber mag Black Metal sehr gerne, vor allem die norwegischen Sachen. Bands, die ich mit 15 entdeckt habe und bis heute höre, zum Beispiel DARKTHRONE oder MAYHEM. Wenn ich mir eine Band aussuchen müsste, die den norwegischen Sound und Spirit repräsentiert, wäre das DARKTHRONE. Obwohl die vielleicht nicht so melodisch und komplex wie EMPEROR sind, fühlt man sich von ihnen in die norwegischen Wälder in der Nacht versetzt. Man fühlt die Energie der Nacht und der Natur. Ich habe nie aufgehört, diese besondere Atmosphäre zu mögen.
IGORRR haben gerade ein Video zu „Downgrade Desert“ herausgebracht und du hast den Song mit aufgenommen.
Neige: Einige von IGORRR sind gute Freunde von mir. Als ich sie vor ein paar Jahren live gesehen habe, hat mich quasi der Schlag getroffen. Sie sind live wirklich toll. Die Musik ist sehr schwer zu beschreiben, weil sie eine Mischung aus so vielem ist. Manche mögen davon abgeschreckt sein, aber ich finde, dass gerade das sie so toll macht. Sie mischen Sachen, die eigentlich nicht zusammengehören, aber am Ende funktioniert es wirklich gut. Sie haben auch tolle Videos. IGORRR sind ein wichtiger Teil der französischen Metalszene. Wer die etwas besser kennenlernen will, sollte sich also diese Band anhören.
Als Nächstes habe ich hier „Diesel Power“ von THE PRODIGY auf meiner Liste.
Neige: Die CD [„The Fat Of The Land“] habe ich gekauft, als sie rauskam, ich glaube 1997. Ich war also um die 12 Jahre alt, und das war eine der ersten Rock-CDs, die ich gekauft habe. Ich liebe dieses Album, denn es ist ein Mix aus elektronischer Musik und richtigem badass Rock. Es ist fast ein wenig Industrial und sehr düster. Die Lyrics sind ziemlich brutal. „Diesel Power“ klingt fast ein wenig wie ein Hip Hop-Song. THE PRODIGY haben Leute abgeholt, die auf Raveparties standen, aber auch Punks, Metalheads und Rock-Fans. Das war etwas ganz Besonderes, und sie waren meiner Meinung nach sehr einzigartig.
Dann hätten wir den Score aus dem Film „American Beauty“.
Neige: Das ist wahrscheinlich mein Lieblingsfilm. Ich liebe Filme im Allgemeinen, aber dieser ist sehr besonders für mich, denn er ist sehr tiefgründig, fast spirituell. Der Tod des Protagonisten am Ende, diese friedvolle Message und wie er die Leute aus der Ferne sieht. Man sieht Bilder von all den Leuten aus dem Film, aber aus einer anderen, vielleicht wohlwollenderen Perspektive. Für mich ist das Ende des Films sehr buddhistisch und spirituell. An der Stelle mit der im Wind wehenden Plastiktüte [von der das Stück in der Playlist stammt] muss ich jedes Mal weinen. Der Film hat einfach dieses kleine Etwas, das ihn besonders macht, und der Score ist einfach unglaublich.
Was sehr heraussticht, ist das klassische Stück „Miserere mei, Deus“ von Gregorio Allegri. Wann genau hörst du dir sowas an?
Neige: Das ist eine sehr lustige Geschichte. Unser Gitarrist Zero hat mir das Stück mal im Auto vorgespielt, weil wir beide barocke Musik mögen, und ich hatte einen Wow-Moment. Dann haben wir es auf der „Spiritual Instinct“-Tour vor jedem ALCEST-Auftritt in der Umbaupause gespielt. Es hat mich in einen sehr spirituellen und gelassenen Gemütszustand versetzt. Jetzt erinnert mich das Stück immer an den Moment, kurz bevor es während der Tour auf die Bühne ging. Die Version auf Spotify ist aber keine gute Version. Die von der Tour habe ich leider nicht gefunden.
Und zum Schluss, einfach wegen des lustigen Titels: „Sex Dwarf“ von SOFT CELL.
Neige: Oh mein Gott, ja. Ich bin nicht sicher, aber geht es in den Lyrics nicht darum, dass der Typ seinen Taxifahrer anbaggert? Der Text ist also sehr speziell, würde ich sagen. Dieser Song lief ständig auf Post Punk- und New Wave-Parties als ich 2007 nach Paris gezogen bin. Er erinnert mich an diese Zeit, in der ich morgens um 2:00 Uhr aus dem Haus gegangen und um 6:00 Uhr oder 7:00 Uhr heimgekommen bin. An den Spaß, den ich in meinen Zwanzigern in Paris hatte. Außerdem ist er auch wirklich gut geschrieben. Als er rauskam, war er sehr provokativ. Und wie du schon erwähnt hast, ist der Titel einfach zu lustig.
Ich wäre mit meiner Liste durch. Nenn uns doch mal ein paar Stücke, die du hervorheben möchtest.
Neige: Da wäre „Naïve” von HANGMAN’S CHAIR. Der ist am Anfang der Playlist, und es ist eine französische Band, aus Paris. Ich bin nicht sicher, ob sie außerhalb Frankreichs sehr bekannt sind, aber ich hoffe, sie werden es. Die machen eine Art Sludge Metal mit viel Goth und New Wave. Ich finde, sie sind sehr von TYPE O NEGATIVE beeinflusst. Dieser Song ist echt toll und die Leute sollten sich die Band anhören.
Als Nächstes wäre da GRIMES. Sie ist aus Kanada und ich habe sie 2012 mit ihrem Album „Visions“ entdeckt. Sie hat diesen außerweltlichen Charakter, den ich sehr mag. Die Musik ist irgendwie dystopisch-futuristisch, gleichzeitig aber fantasylastig, wenn man das so sagen kann. Sie ist auch stark von japanischer Kunst, Anime und Videospielen inspiriert. Das gefällt mir, weil ich Japan und diese Art der Ästhetik auch sehr gerne mag. Immer, wenn ich eine Playlist erstelle, kommt ein GRIMES-Song mit rein.
Was noch? APHEX TWIN! Der macht schon ewig Musik, aber irgendwie habe ich ihn erst vor vier oder fünf Jahren wirklich für mich entdeckt. Dieses Album, „Selected Ambient Works 85-92“, ist ein Meisterwerk und jeder sollte es sich anhören. Der erste Song auf dem Album, der auf der ersten Version meiner Playlist war, ist wirklich einer meiner absoluten Lieblingssongs. Er heißt „Xtal“. Das war in den letzten Jahren eine sehr wichtige Band für mich.
Dann hätten wir noch KÆLAN MIKLA, die ich schon vor einigen Jahren entdeckt habe. Lustig war, als sie mich gefragt haben, wieso ich sie als Support für die „Spiritual Instinct“-Tour ausgesucht habe. Ich meinte dann, „ich höre mir euren Kram schon seit fünf Jahren an!“ [lacht]. Es ist toll, Bands mit auf Tour nehmen zu können, von denen man Fan ist. Ich bin sehr froh, dass ich in einer Position bin, in der ich die Bands aussuchen kann, das geht nicht immer. Ich habe sie mit einem ihrer ersten Songs „Kalt“ entdeckt, und gedacht „was zur Hölle?“
Musikalisch ist das astreiner Post Punk, wie THE CURE und so weiter. Aber die Vocals sind so merkwürdig. Die Sängerin hat nur rumgeschrien [lacht]. Mit dieser sehr schrillen Stimme. Ich dachte mir, „wow, das ist mit das Beste, das ich je gesehen habe.“ Man denkt bei der Art Musik sonst immer an irgendwelche Typen mit tiefen Stimmen. Ich hoffe, dass sie jetzt, wo wir gemeinsam auf Tour waren, mehr Fans für sich gewinnen, denn das haben sie echt verdient. In Deutschland haben sie wohl sehr viele Fans und wurden wie Rockstars behandelt, als sie beim Wave Gotik Treffen gespielt haben.
Wenden wir uns doch mal den ALCEST-Songs in der Playlist zu. Wieso hast du genau diese ausgesucht?
Neige: Ich habe mich für den PERTURBATOR-Remix von „Sapphire“ entschieden. Als ich den Song geschrieben habe, hatte ich ihn mit einem THE CURE-Vibe im Kopf. Sehr melodisch, sehr 80er. Ich kenne James von PERTURBATOR seit ein paar Jahren. Letztes Jahr haben wir beim „Major Arcana“-Event von Førtifem einen gemeinsamen Auftritt gespielt. Wir kannten uns schon von Parties und so, aber wirklich kennengelernt haben wir uns durch diese Zusammenarbeit und die Proben. Wir haben so viel gemeinsam. Wir beide mögen New Wave und 80er-Kram, aber auch Black Metal. Ich liebe wirklich, was er aus diesem ALCEST-Song gemacht hat. Er hat den Song zu dem gemacht, was ich von Anfang an im Kopf hatte.
Ich habe auch „Kodama“ ausgewählt. Der Song ist etwas sehr Besonderes für mich. Das ganze Album „Kodama“ ist eigentlich sehr besonders. Nach „Shelter“ haben wir ein wenig an uns gezweifelt, weil sich so viele Leute beschwert haben, dass es kein Metal mehr sei. Wir hatten ein wenig Angst davor, wieder etwas zu veröffentlichen [lacht]. Dann war „Kodama“ aber ein großer Erfolg und hat ALCEST auf ein neues Level gehoben. Die „Kodama“-Periode behalte ich also in sehr positiver Erinnerung. Ich fand es cool, den Titeltrack auf die Playlist zu packen. Wenn wir den Song jetzt live spielen, singen die Leute den Refrain mit. Er mausert sich zu einem ALCEST-Klassiker.
ALCEST spielen „Écailles De Lune, Pt 2“ live, in die Playlist gepackt hast du aber „Écailles De Lune, Pt. 1“. Wieso?
Neige: Ich denke, ich hätte genauso gut Pt. 2 auf die Playlist packen können. Ich musste mich aber entscheiden und es ist Pt. 1 geworden [lacht]. Dieses Jahr wird das Album „Écailles De Lune“ zehn Jahre alt, deshalb wollte ich etwas davon auf der Liste haben. Das ist ein unheimlich wichtiges Album für ALCEST. Ich glaube, es ist das Lieblingsalbum vieler ALCEST-Fans, was ein wenig lustig ist, denn wenn man das Lieblingsalbum seiner Fans macht, weiß man das in dem Moment ja nicht. Dann wurde es zu etwas so Wichtigem. Auch in der Szene allgemein. Da haben die Leute angefangen, über den Blackgaze-Sound zu reden. Darüber nachzudenken, macht mich sehr emotional.
Wie oft hörst du dir eigentlich selbst Sachen von ALCEST an?
Neige: Es ist schwierig, sich seine eigenen Sachen anzuhören. Man konzentriert sich immer nur darauf, was man im Nachhinein gerne ändern würde. Manchmal höre ich ALCEST-Sachen, um mich selbst wieder in eine bestimmte Periode von ALCEST zurückzuversetzen. Wegen des Zehnjährigen von „Écailles De Lune“ habe ich das vor ein paar Tagen einmal durchgehört und versucht, mich in die Leute hineinzuversetzen. Ich habe mich gefragt, „was hat den Leuten an diesem Album so gut gefallen?“ [lacht]. Denn ich kenne es auswendig, es stammt von mir. Ich kenne all seine Makel, ich weiß, dass es nicht perfekt ist. Sogar weit entfernt von perfekt. Es war also interessant, mir das anzuhören. Ich könnte ALCEST aber nie auf die gleiche Weise hören, wie andere das tun. Das ist unmöglich.
Nenn uns doch mal ein paar Songs speziell für Fans von ALCEST. Seien sie offensichtlich oder eher unerwartet. Zum Beispiel Einflüsse, die in ALCEST eingeflossen sind.
Neige: Ein Einfluss, der vielen vielleicht nicht bewusst ist, ist YANN TIERSEN. Vor allem beim ersten Album. Der hat die Musik zum Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ gemacht. Die Melodien sind sehr simpel. Eher engstirnig veranlagte Hörer klassischer Musik würden sagen, dass die Musik sogar zu simpel ist. Ich finde aber, dass sie sehr viel Unschuld ausstrahlt. Dieser Aspekt hat einen großen Einfluss darauf genommen, wie ich selbst Melodien schreibe. Sehr technische Sachen waren nie mein Ding, vor allem zu den Anfängen von ALCEST.
Außerdem muss ich SLOWDIVE erwähnen, weil das meine Lieblingsband ist. Das wissen alle ALCEST-Fans, weil ich ständig über SLOWDIVE rede. Ich liebe sie sogar so sehr, dass ich mir, als ich sie entdeckt habe, dachte, „wieso soll ich jetzt eigentlich noch selbst Musik machen?“ Denn diese Band hatte schon das gemacht, was ich machen wollte. Und wahrscheinlich besser, als ich es jemals könnte. Das war während ich das erste ALCEST-Album „Souvenirs D’un Autre Monde“ aufgenommen habe. Damals wusste ich noch nichts von Shoegaze. Mir war nicht klar, dass es ein Genre gab, das schon sehr nach ALCEST klang. Als ich SLOWDIVE entdeckt habe, wurde mir klar: Auf diese Musik hatte ich mein Leben lang gewartet. Natürlich sollte sich die jeder ALCEST-Fan anhören.
Über THE CURE muss ich auch sprechen. Die habe ich entdeckt, als ich angefangen habe, ein wenig aus dem Black Metal herauszuwachsen. Als ich um die 15 war, habe ich ein, zwei Jahre lang nur Black Metal gehört. Mit etwa 17 habe ich dann angefangen, MASSIVE ATTACK und allgemein Trip Hop zu hören. Außerdem JOY DIVISION, DEPECHE MODE und THE CURE. THE CURE haben einen großen Einfluss auf meine Gitarrenmelodien genommen, vor allem auf „Kodama“ oder auch auf „Spiritual Instinct“. Dem Song „Sapphire“ hört man das an, finde ich.
Vor ein paar Jahren wurden wir eingeladen, beim Robert Smith Festival in London zu spielen. Da hat sich rausgestellt, dass Robert ALCEST-Fan ist. Das ist verdammt großartig [lacht]. Ich habe mal einen Podcast mit ihm gehört, in dem er über die ganzen Bands spricht, die er für das Festival gebucht hat. NINE INCH NAILS, DEFTONES, MY BLOODY VALENTINE und eben ALCEST. Ich habe also gehört, wie er ein wenig über ALCEST geredet und gesagt hat, „ja, das ist so eine französische Band, die ich sehr mag.“ Da bin ich halb durchgedreht! Robert Smith spricht über meine Band, oh mein Gott! [lacht].
DINOSAUR JR. sind eine weitere Band. Ich weiß nicht, ob die unter den Metalheads bekannt sind. Die gehören grob in die gleiche Ecke wie SONIC YOUTH, also kurz vor dem Grunge. Ich glaube, sie waren eine der Bands, die Kurt Cobain von NIRVANA inspiriert haben. Sie machen sehr „noisy“ Rock und ich liebe die Produktion. Große, schwere Gitarren. Das war ein großer Einfluss für die letzten beiden ALCEST-Alben. Das ist vielleicht nichts, was allen Metalheads gefällt, aber sie sind ziemlich heavy. Vor allem live.
Einen habe ich noch. Die japanischen Sachen auf der Liste. Ich liebe Japan und auch die Musik. Zum Beispiel unsere Freunde VAMPILLIA. Mit denen haben wir in Japan drei Touren gespielt, und auch eine kleine in Europa. Ich glaube, auch in Deutschland. Die sind eine sehr komische Band, denn sie mischen echt alles. Sie haben zum Beispiel eine Metal-Passage und gehen dann in Jazz über, klassische Musik, Pop, oder Funk. Von Black Metal zu Funk, wirklich crazy. Als wir die in Japan zum ersten Mal gesehen haben, dachten wir uns nur „Was zur Hölle?!“ Dann haben wir die Musik immer mehr zu schätzen gelernt und sie sind zu sehr guten Freunden geworden. Und sie sind einfach nicht bekannt genug. Die Leute sollten sich die wirklich anhören. Vielleicht eher eine Band, die man live für sich entdecken sollte. Aber definitiv unterbewertet.
Als Nächstes hätte ich von dir gerne einen oder mehrere Songs, die zu den folgenden Situationen passen. Erstens: Einen Song, zu dem man durch die Wohnung tanzen kann.
Neige: Dafür habe ich den perfekten Song. Da nehme ich „Roller Mobster“ von CARPENTER BRUT. Der ist super kitschig und tanzbar. Wenn du einen Energieschub für dein Workout zuhause brauchst, oder putzen oder in deiner Wohnung rumrennen willst [lacht], ist das der perfekte Song. Er ist nicht nur tanzbar, sondern auch ziemlich schnell. Er macht einfach Spaß.
Nun bitte ein Song, zu dem man mit den Füßen im Wasser am Ufer sitzen kann. Schließlich sind es die „Spring Essentials“.
Neige: Da nehme ich „Donimo“ von den COCTEAU TWINS. Das ist der letzte Song auf dem Album „Treasure“ und er ist ein wenig experimenteller. Sehr verträumt. Das könnte auch ALCEST sein, ist aber viel älter, aus den 80ern. Die waren ein großer Einfluss für Bands wie SIGUR RÓS, SLOWDIVE und auch ALCEST. Der Stil klingt sehr magisch. Wenn du draußen bist und eine Verbindung zur Natur suchst, passt der Song sehr gut dazu.
Du hast vorhin deine Partynächte erwähnt. Was würdest du denn spielen, um die Party am Laufen zu halten, wenn alle anfangen, zu schwächeln?
Neige: OK, das ist super kitschig, aber ich nehme dafür „Self Control“ von LAURA BRANIGAN. Suuuper kitschig. Wenn du merkst, dass die Stimmung am Abflachen ist, alle etwas müde werden und einen Aufputscher brauchen… Wenn du dann diesen Song spielst, werden die Leute entweder denken, dass du einen richtig schlechten Musikgeschmack hast, oder den besten überhaupt [lacht]. Es gibt nichts dazwischen. Entweder werden dich alle hassen oder lieben. Wenn ich auf einer Party wäre und jemand das spielt, würde ich nur „fuck, yeah!“ denken [lacht]. Dann geht die Party bis mindestens 8:00 Uhr morgens.
Ein Song, zu dem man durch den strömenden Regen laufen kann.
Neige: „Waiting For You“ von NICK CAVE & THE BAD SEEDS. Wegen der tragischen Geschichte, wie er seinen Sohn verloren hat. Die Geschichte ist wirklich krass. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen. Ich glaube, er hat nach dem Vorfall noch zwei Alben gemacht. Wenn ich mir die anhöre, steigen mir immer die Tränen in die Augen, weil ich die Musik nicht von dem separieren kann, was er durchmachen musste. Das ganze Album „Ghosteen“ ist wunderschön und ist eines meiner Lieblingsalben aus dem letzten Jahr. Die Texte berühren mich sehr und zeugen von so einer Ehrlichkeit, denn er gibt in seiner Musik wirklich alles von sich preis. Sehr schöne, simple Melodien, geschmackvolle Arrangements.
Das Visuelle ist bei ALCEST ja auch sehr zentral, das sieht man schon den Instagram-Posts an, die sich oft mit Kunst befassen. Nenn uns doch mal einen Song, der für dich eine starke visuelle Komponente hat.
Neige: Da nehme ich „Écailles De Lune“. Wir geben uns bei ALCEST immer sehr viel Mühe mit der Optik, weil sie uns sehr wichtig ist. Wenn es um das Visuelle geht, muss ich diesen Song nennen. Wenn man sich das Album anhört, sieht man vor seinem inneren Auge genau das, was auf dem Cover zu sehen ist. Und da kommen wir wieder auf den Punkt zurück, warum die Leute das Album so mögen. Ich glaube, das ist der Grund dafür. Es ist wie eine kleine Reise. Die Musik transportiert einen in das Bild. Du bist unter Wasser und alles fühlt sich verträumt und romantisch an. Ich denke, es ist unmöglich, an „Écailles De Lune“ zu denken, ohne auch an dieses Bild zu denken.
Dann hätte ich jetzt gerne noch einen Guilty Pleasure von dir.
Neige: Ach, fuck, hier wäre das von LAURA BRANIGAN perfekt gewesen. Ich habe aber viele Guilty Pleasures in der Liste [lacht]. Vielleicht „Relax“ von FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD. Der ist super sexy. Die Leute erwarten von mir vielleicht nicht, dass ich sowas in eine Playlist mit ALCEST-Bezug packe. So ein bisschen wie „Sex Dwarf“, weißt du? [lacht].
Damit wären wir mit den Musikfragen durch. Bleibt noch zu fragen, was du sonst gerade so treibst.
Neige: Das Gute an der Ausgangssperre ist, dass ich den Menschen in meinem Leben dadurch nähergekommen bin, weil wir über das Internet viel Kontakt haben. Es hat alles Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite können wir uns jetzt mehr auf uns selbst konzentrieren und um uns selbst kümmern. Auf der anderen Seite ist es wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Seit einem Monat erlebe ich jeden Tag den gleichen Tag. Naja, kleine Unterschiede gibt es schon. Heute habe ich ein Interview, ein Unterschied zu gestern [lacht]. Ansonsten gibt es ein paar Dinge in meinem Leben, die mir gerade sehr wichtig sind. Ich mache jeden Tag Yoga, was über die letzten Jahre zu etwas geworden ist, das ich in meinem Leben brauche. Außerdem lerne ich Japanisch und nehme Unterricht über Skype.
Wie geht es dabei denn mit dem Lesenlernen voran?
Neige: Das Lesen, uff. Es gibt drei Alphabete. Zwei normale und Kanji, das von den chinesischen Zeichen abstammt. Es gibt ein Zeichen für einen Gegenstand oder ein Konzept. Man muss also unheimlich viele Zeichen lernen. Das ist ein super Training für mein Erinnerungsvermögen, aber ganz ehrlich, es ist hardcore. Vor allem, wenn man nicht mehr ganz so jung ist. Ich werde 35. Das ist jetzt nicht wirklich alt, aber das Gedächtnis ist nicht mehr so gut, wie es mal war. Das Lernen fällt mir jetzt schwerer. Aber das Gute ist, je mehr man das Gedächtnis trainiert, desto besser wird es wieder. Japanisch zu lernen macht mir echt Spaß. Es ist so eine Art verrückte Challenge. Es wird zwar wahrscheinlich Jahre dauern, bis ich eine Unterhaltung führen kann, aber es hilft wirklich dabei, an meiner Geduld zu arbeiten [lacht].
Zu Beginn der Ausgangssperre habe ich auch Videospiele gespielt, jetzt konzentriere ich mich aber auf Japanisch. Natürlich spiele ich auch Gitarre und versuche, neue Musik zu schreiben. Um ganz ehrlich zu sein, ist die Situation aber nicht sehr inspirierend. Ich habe also nicht sehr viele gute Ideen. Das gehört halt auch dazu. Kein Musiker auf der Welt kann die ganze Zeit pausenlos schreiben.
Dir alles Gute und vielen Dank für das Interview!
Neige: Danke dir!