Alcest
Nach vorne in die Vergangenheit
Interview
Muss man da nicht einen gewissen Standard an Authentizität wahren, wenn man diese Sounds einbaut? Du möchtest ja nicht kitschig klingen.
Neige: Oh, absolut. Du möchtest nicht klischeehaft, kitschig oder so klingen, als würdest du zu sehr versuchen, japanisch zu sein. Ich frage mich immer, wo die Grenze ist. Wie du gesagt hast, geht es um kleine Akzente – eine Melodie hier, ein gesprochener Teil auf Japanisch am Anfang eines Songs dort oder ein Titel auf Japanisch. „Komorebi“ ist ein japanisches Wort. Und in „L’Enfant De La Lune“, was ‚Kind des Mondes‘ bedeutet, habe ich die japanische Übersetzung ‚月の子‘ hinzugefügt. Wenn es elegant gemacht wird, ist es großartig. Aber wir würden uns nicht wie Samurai verkleiden; das wäre lächerlich, besonders für einen westlichen Menschen wie mich. Ich finde, es ist sehr kitschig, wenn man zu sehr versucht, jemand zu sein, der man nicht ist.
Es ist also kein Cosplay auf einer Convention.
Neige: Genau. So sehr ich Anime liebe, ich würde es in unserer Musik niemals zu offensichtlich machen.
Wie läuft es mit deinem Japanisch? Als wir das letzte Mal darüber gesprochen haben, haben dir die Alphabete Schwierigkeiten bereitet. Das war vor etwa vier Jahren.
Neige: Oh, das ist lange her. Da hatte ich gerade angefangen. Naja, im Japanischen gibt es drei Schriftsysteme. Kanji sind die Zeichen, um im Grunde alle Begriffe zu schreiben. Sie stammen aus dem Chinesischen und sind quasi endlos. Es gibt tausende von Kanji, aber man muss nur etwa 2.000 kennen, um grundlegend lesen zu können. Im Moment kenne ich etwa 600 oder 700, also habe ich Fortschritte gemacht. Aber es ist so schwierig. Ich denke, ich bin ein bisschen unterhalb der Mittelstufe. Ich kann sehr einfache Gespräche führen und ein bisschen schreiben. Ich meine, ich habe außerhalb der Band nicht viel Zeit.
Das ist beeindruckend. Japanisch ist eine sehr ‚andere‘ Sprache.
Neige: Es ist schrecklich. Bitte versucht niemals, Japanisch zu lernen. Es ist wirklich schwierig. Wenn mir jemand gesagt hätte, wie schwer es sein würde, hätte ich nicht angefangen. Aber ich bin sehr stur und wenn ich etwas anfange, ziehe ich es komplett durch und gebe nie auf. Jetzt ist es zu spät – ich muss Japanisch lernen.
Verbinden wir das mal mit der nächsten Frage. Es geht um die Visuals. Das Artwork, aber auch das Video zu „Flamme Jumelle“. Die Szenerie ist wunderschön, und die Kleidung der Tänzerinnen erinnert an japanischen Casual-Stil.
Neige: Ja, absolut. Die übergroßen Kimonos. Für mich sind bei ALCEST die visuellen Aspekte genauso wichtig wie die Musik. Wir machen nicht nur Visuals, die zur Musik passen; wir kreieren auch Musik, die zu den Visuals passt. Die beiden sind tief miteinander verbunden. Anders als bei anderen Bands, die visuelle Aspekte vielleicht als nachträglichen Gedanken behandeln, sind sie für uns sehr wichtig. Ich schöpfe viel Inspiration aus Gemälden. Wenn ich Songs schreibe, stelle ich oft ein Gemälde vor mich hin und spiele Gitarre, während ich es anschaue, um Stimmung und Inspiration daraus zu ziehen.
Für das Cover-Artwork haben wir mit einem französischen Künstler namens Yoann Lossel zusammengearbeitet. Ich bin seit fast zehn Jahren ein Fan seiner Arbeit, also war ich begeistert, mit ihm zu kollaborieren. Er ist ziemlich bekannt in der Illustrationswelt. Nach vielen Jahren habe ich ihn endlich kontaktiert und gefragt, ob er Interesse hätte, mit uns zu arbeiten. Er sagte, dass er das gerne machen würde. Er kannte sogar ALCEST, also war ich sehr überrascht und glücklich.
Sein Gemälde ist eine Neuinterpretation eines meiner Lieblingswerke des australischen Künstlers Sydney Long. Ich habe Yoann gebeten, das Original, das sehr horizontal ist, für das Albumcover in ein quadratisches Format umzuwandeln. Er hat seine eigene Note hinzugefügt, und wir sind absolut begeistert vom Ergebnis. Als wir das Artwork bekommen haben, hatte ich tatsächlich ein bisschen Angst, dass die Musik nicht der Qualität des Covers gerecht werden würde!
Die Choreografie des Videos stammt von einer Freundin von mir, die professionelle Tänzerin ist. Sie und ihre Kolleg:innen haben einen Tanz ausgearbeitet, der auf den Lyrics basiert. Der Song handelt von den tiefen Verbindungen, die wir zu bestimmten Menschen haben, und dem Trauma, sie zu verlieren. Es geht um Verlust; ob ein:e Partner:in geht, jemand stirbt oder eine Freundschaft endet. Die Idee ist, dass, wenn jemand so Nahestehendes nicht mehr da ist, man fast das Gefühl hat, dass ein Teil von einem selbst auch weg ist. Es ist kein sehr fröhlicher Song; die Texte sind etwas schwierig. Im Video sieht man zwei Seelen, die sich finden, sich zurückziehen, wieder zusammenkommen und sich wieder trennen. Es ist ein Tanz von zwei tief verbundenen Seelen.
Ich komme nochmal auf das Thema Playlist zurück. Was hörst du in letzter Zeit so?
Neige: Überraschung – ich höre viel japanische Musik. Zum Beispiel die Künstlerin ICHIKO AOBA. Sie macht japanischen Folk, sehr verträumt und schön. Vor ein paar Jahren war sie eher eine Underground-Künstlerin, aber seit dem letzten Album ist sie wirklich berühmt. Ich höre auch eine japanische Shoegaze-Band namens FOR TRACY HYDE. Im Metal bin ich auf eine neue Band namens ZETRA gestoßen. Die wurden kürzlich von Nuclear Blast unter Vertrag genommen. Ihr Sound ist eine Mischung aus SLOWDIVE und TYPE O NEGATIVE. Sie haben mir gesagt, dass sie ALCEST mögen, also ist vielleicht auch ein bisschen ALCEST mit drin. Es ist eine großartige Band, die ihr euch unbedingt anhören solltet.
Kommen wir zu den letzten Fragen. ALCEST gehen im Herbst und Winter auf Tour. Wird es wie üblich eine gute Mischung aus alten und neuen Songs geben?
Neige: Wir haben in der Band darüber gesprochen, vor allem unser Drummer Winterhalter und ich. Wir werden einen Großteil des neuen Albums spielen. Und, wie du gesagt hast, einige Klassiker, die wir nicht auslassen können – die Leute wären sauer auf uns! Aber wir spielen sie gerne. Es wird eine Mischung aus Neuem und Altem sein. Wir verbringen auch viel Zeit damit, ein schönes Bühnenbild zu entwerfen, mit schönen visuellen Effekten. Wir möchten die Leute an einen anderen Ort transportieren, nicht nur in T-Shirts vor einer leeren Bühne spielen.
03.12.24 | Gruenspan, Hamburg Alcest |
08.12.24 | Batschkapp, Frankfurt/Main Alcest |
Und was sind deine Pläne zwischen jetzt und dem Tourstart? Für ALCEST und persönlich?
Neige: Persönlich werde ich weiter an meinem Japanisch arbeiten. Ich bereite mich auf die N3-Prüfung vor, das ist ein mittleres Niveau. Was ALCEST betrifft, werden wir viel proben, weil die neuen Songs ziemlich komplex sind. Außerdem bereiten wir etwas Besonderes vor. Ein klassischer Pianist hat uns angesprochen, um Klavierversionen unserer Songs zu erstellen. Wir werden mehrere Shows mit diesem Setup spielen, unter anderem beim Prophecy Fest. Meine erste Probe dafür ist in ein paar Tagen, und ich bin gespannt, wie die Neuinterpretationen klingen werden. Es werden drei Sänger:innen sein – ich, unser anderer Sänger Zero und unsere Tourmanagerin – begleitet vom Pianisten. Es wird wirklich interessant.
Aber das ist separat von der regulären Tour, richtig?
Neige: Ja, es ist ein ganz anderes Setup – wie eine andere Version von ALCEST mit einer anderen Besetzung.
Die letzten Worte gehören dir.
Neige: Ich freue mich darauf, wieder in Deutschland zu spielen. Es ist ein besonderes Publikum für uns. Wir haben bei Prophecy Productions, einem deutschen Label, angefangen und sind dann zu Nuclear Blast gewechselt, das auch deutsch ist. Wir haben dort viele Shows gespielt, und es war immer großartig. Ich hoffe, den Fans gefällt das neue Album und sie schätzen all die Arbeit, das Herz und die Seele, die wir hineingesteckt haben.
Damit sind wir durch. Danke für deine Zeit.
Neige: Vielen Dank!
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Stile | Post-Black Metal, Post-Metal, Shoegaze |
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