Alcest
Interview mit Neige zur Tour in China

Interview

Alcest

In ganz China gibt es weniger Metalbands als in einer durchschnittlichen deutschen Kleinstadt. Metal ist im Reich der Mitte eine so marginale Angelegenheit, dass selbst die größten Bands regelmäßig einen weiten Bogen um das Land von Maos Erben machen. Dass sich mit ALCEST nun eine kleine französische Truppe für eine ausgedehnte Tour zu den Besitzern Europas traut, ist also zweifellos eine metallische Pioniertat. Grund genug, mit Bandchef Neige am Rande des Auftritts in Nanjing über China, Schnaps und schlechte Tischsitten zu plaudern.

Nabend. Wie läuft die Tour? Ihr seid ja nun schon eine Weile unterwegs, bist du bereits müde vom Tourleben?

Ja, wir sind ein bisschen müde. Ich muss aber auch sagen, dass diese Tour eines der epischsten, großartigsten und riskantesten Abenteuer in meinem Leben ist. Zwei Monate in den Staaten, in Kanada, in Australien und jetzt in China. In Australien ist unser Van im Straßengraben gelandet, in den Straßen Sidneys ist unser gesamtes Equipment verloren gegangen, aber es war die beste verdammte Tour, die wir je gespielt haben. Wir haben fantastische Leute kennengelernt. Beispielsweise HEIRS, unsere Vorband in Australien, die Post Rock spielt; zu denen hat sich eine ganz besondere Beziehung entwickelt.

Magst du es eigentlich live zu spielen, mal so ganz generell? Ist es nur teil des Jobs? Oder ein guter Grund, die Welt zu bereisen?

Ich habe mich mit dem Spielen vor Publikum erst vor etwa sechs Monaten angefreundet. ALCEST war für zehn Jahre nur ein Projekt, um Platten zu machen. Mit Liveauftritten haben wir erst vor anderthalb Jahren angefangen, und anfangs fand ich das ziemlich belastend. Jetzt bin ich da schon etwas entspannter und selbstbewusster und habe sogar angefangen es zu mögen. Ja, es ist mittlerweile gar nicht mehr so übel.

 

Wo gefällt’s dir denn besser, auf großen Festivalbühnen oder in kleinen Klubs?

Die Festivals, die wir gespielt haben, waren für ALCEST ziemlich gut, weil viele Leute mit uns noch gar nicht vertraut waren. Wir haben ein paar dieser Metalfest-Sachen gespielt, und da gab’s viele Zuschauer, für die ALCEST irgendein französischer Scheiß waren und die uns da das erste Mal wirklich gehört haben. Festivals sind also auf jeden fall gut, wenn man sich ein neues Publikum erschließen will. Was mir persönlich am besten gefällt, hängt von verschiedenen Dingen ab. Ein Auftritt ist dann gut, wenn ich mich auf der Bühne wohl fühle, wenn wir eine gute Performance abliefern. Da ist es nicht so wichtig, ab es sich um Festival oder Klubgig handelt.

Wir haben ja bereits über eure schlechtesten Erlebnisse auf dieser Tour gesprochen…

… der Kleinbus im Straßengraben …

Genau. Aber was ist denn an positiven Erfahrungen hängengeblieben? Ihr habt mit so vielen verschiedenen Bands gespielt, was waren da die Höhepunkte?

Wir hatten sicherlich eine Menge Spaß mit ENSLAVED in den USA, aber Australien mit HEIRS war etwas völlig einzigartiges. Auf einem persönlichen Level war das was ganz Besonderes. Soviel Gastfreundlichkeit! Die haben sich um uns gekümmert, für uns gekocht, einfach alles gemacht. Ich weiß auch nicht, es war einfach… unbeschreiblich. Die Jungs sind jetzt wie Brüder für uns.

Wie war das Publikum so? Gerüchte besagen ja, dass Mexiko die verrücktesten Fans hat, kannst du das bestätigen?

Eigentlich hatten wir überall ein ziemlich gutes Publikum. Sicher, die Mexikaner sind vielleicht ein bisschen verrückter, aber wir können uns auf dieser Tour ganz allgemein absolut nicht beklagen.

Wie gefällt es euch denn in China?

Bisher ist es absolut super. Die Städte sind sehr interessant, ein Mix aus sehr alten und sehr neuen Elementen, China macht ja gerade eine enorme Entwicklung durch, aber trotzdem gibt’s noch sehr alte Gebäude und ganze Stadtviertel.

Und was hat euch überhaupt nach China verschlagen? Das macht ja nun wirklich absolut niemand.

Unser Agent hat gefragt, ob wir in China spielen wollen, und wir meinen, warum nicht. Et voilà, da sind wir. Ich habe mit dem Buchen unserer Shows darüber hinaus absolut nichts zu tun.

Macht es denn Sinn, in China zu spielen? Touren kostet, macht ihr hier keine Miesen?

Ja, Touren ist schon ziemlich teuer, aber wir werden zumindest kein Geld verlieren. Ob wir etwas verdienen werden, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt. Wir hatten ein paar Probleme mit Merchandise, was hätte kommen sollen und dann nicht gekommen ist; das war nicht so prall. Aber solange unterm Strich mindestens eine schwarze Null steht, ist eigentlich alles in Ordnung.

In China kommt ja hinzu, dass es hier so gut wir keinen Metal gibt. Hier gibt’s weniger Metalbands, als du Projekte hast, haha. Habt ihr in China bisher überhaupt CDs verkauft?

Ja, und ob! Bei den Shows bisher haben die Leute allen möglichen Kram zum Signieren angschleppt. Teilweise Sachen die ich nicht mal selbst habe! Hätte ich auch nicht mit gerechnet, aber einige Leute haben wirklich komplett alles. Alle möglichen LPs, Projekte, an die ich mich kaum noch erinnern kann, alles.

 

Naja, China ist so groß, da finden sich wohl genug Enthusiasten, auch wenn der erste (und zweite sowie dritte) Eindruck ist, dass alles bloß aus dem Netz gemopst wird.

Klar, und dann ist ALCEST vielleicht auch die Sorte Band, die relativ fanatische Anhänger hat. Wer ALCEST mag, der mag uns wirklich sehr. Was mir Fans erzählen, wie wichtig ihnen unsere Musik ist, ist manchmal schon sehr berührend. Und denen ist es dann eben auch wichtig, das Zeug richtig zu kaufen.

Wieviel Leute sind denn bisher in China bei euren Gigs aufgetaucht?

Gestern in Shanghai waren’s 300 und vorgestern in Peking über 200 Besucher. Wir haben Leute getroffen, die schon seit zehn Jahren Fans sind und all die Jahre auf diese Tour gewartet haben.

Habt ihr denn bisher Zeit gehabt, euch tourismusmäßig ein bisschen umzuschauen?

Wir hatten drei Tage Pause, als wir in China angekommen sind und haben uns ein bisschen in Peking umgesehen. Die Verbotene Stadt, buddhistische Tempel, ein paar Bars haben wir auch unsicher gemacht. Es ist schon alles sehr anders als in europa.

Morgen habt ihr ja wieder einen Day off, irgendwelche Pläne?

Nah, ich denke, wir werden uns ein bisschen ausruhen. E-mails beantworten, die Freundinnen anrufen, solche Sachen.

Da du gerade was von Bars gesagt hast: Normalerweise würde ich ja fragen, wie euch das Bier hier so schmeckt. Aber da das Bier halbwegs normal ist, ’ne Alternative: Habt ihr mal chinesischen Rotwein probiert?

Ich denke, unser zweiter Gitarrist hat irgendwas gekauft, aber das Zeug war ziemlich übel. So ’ne kleine Flasche für ’nen Euro.

[Pierre reicht eine kleine Flasche.]

Ah, kein Wein, Schnaps! Aus Reis und Süßkartoffeln gebrannt.

Aha. Riecht und schmeckt nach Kotze.

Genau! Süße Kotze.

Aber Bier ist ganz OK. Wie heißt die eine große Marke noch mal? Gibt’s hier überall, ist aber ganz gut?

Tsingtao?

Genau, Tsingtao. Das ist ganz gut. Zumindest ein bisschen Geschmack. Ist natürlich kein deutsches oder belgisches Bier…

Genau genommen ist es deutsches Bier, die Firma wurde nämlich vor hundert Jahren oder so von Deutschen gegründet.

Ah, OK. Und unterwegs haben sie irgendwo das Rezept verloren?

 

Vielleicht, haha. Um jetzt nicht im Bier zu ertrinken, vielleicht noch eine richtige Frage. Euer neues Album ist fertig, im Januar kommt’s raus. Kannst du uns schon etwas dazu verraten?

Es ist immer schwer, über meine eigene Musik zu sprechen. Ich würde sagen, es ist eine Mischung jener Elemente unserer bisherigen Alben, die mir am besten gefallen. Es ist sehr episch, sehr sehr episch, und sehr unwirklich, mit dieser unserer Realität hat die Musik nichts zu tun. Es gibt progressive Abschnitte, und manche Lieder sind auch sehr catchy, 4 minuten lang, direkt auf den Punkt. Das Konzept ist wieder näher am ursprünglichen Gedanken hinter ALCEST. Ich bin durchaus stolz auf die Scheibe.

Gibt es irgendwelche neuen Einflüsse auf dem Album? Hast du beim Komponieren irgendwas Besonderes gehört, was sich auf dem Album widerspiegelt?

Nicht wirklich. Ich bin eher der Typ, der sich immer wieder den gleichen alten Kram anhört. Ich entdecke nicht so oft neue Musik. Dieses mal habe ich eine Menge SLOWDIVE gehört, aber das neue Album wurde davon nicht sonderlich geprägt. Auf der nächsten Scheibe wird man diesen Einfluss dann aber sicher etwas deutlicher hören.

Wenn’s ums Komponieren geht, dann versuche ich generell, ALCESTs Musik möglichst frei von äußeren Einflüssen zu halten.

Hast du on the road eigentlich Zeit, an neuer Musik zu arbieten, irgendwie kreativ zu sein?

Leider nicht, und das ist etwas, was ich ziemlich vermisse. Ich möchte am liebsten ständig komponieren; das ist das, was ich wirklich will. Nicht spielen sondern komponieren, kreativ sein. Auf Tour ist dafür aber keine Zeit, und die Bedingungen sind auch nicht so vorteilhaft. Ich vermisse es wirklich sehr.

Wie muss ich mir eine ALCEST-Show in China vorstellen? Wie lange und was spielt ihr?

Ich würde gern mehr spielen, aber wir spielen nur ungefähr eine Stunde zwanzig Minuten. Es gibt Lieder von allen Alben, nur vom ersten Demo nichts, das ist zu Black Metal.  

Was ganz Anderes: Was ist eigentlich das Eigenartigste, was euch in China bisher über den Weg gelaufen ist?

Es gäbe da eine Geschichte, aber wirst du die auch veröffentlichen?

Klar, ich bringe alles.

OK. Ich war ein bisschen schockiert, als wir hier gelandet sind. Wir aßen in einem Restaurant, und neben uns saß so ein Typ, der hat sehr geräuschvoll gegessen, hat kleine Knochen auf den Tisch und auf den Fußboden gespuckt, mir fast ins Gesicht gerülpst. Und ich hab so bei mir gedacht: So essen die Menschen in China? Es war wirklich ziemlich ekelhaft. Glücklicherweise ist es bisher bei diesem einen Beispiel geblieben.

Ihr spielt ja auch u.a. in Chongqing, wollt ihr da mal Hund probieren?

Wir haben Entenblut gegessen und Frösche, denn wir mögen es, alles Mögliche zu probieren. Aber an Hund werden wir uns wohl eher nicht versuchen.

Das war’s, denke ich. Noch irgendelche abschließenden Worte?

Kommt zu unseren Shows, wenn wir wieder in Deutschland spielen. Ich hoffe, ihr mögt das neue Album genauso sehr wie ich. Danke fürs Lesen and blablabla and shit. (lacht)

16.11.2011
Exit mobile version