Agnostic Front
Interview mit Mike Gallo zum Album "The American Dream Died"
Interview
Kaum eine Hardcore-Band kann die allgemeine Wut kompakter, kompromissloser und treffender in Musik verpacken, als AGNOSTIC FRONT dies seit 1982 tun. Mit „The American Dream Died“ bekommt der geneigte Fan der New Yorker Urgesteine mal wieder die gewohnte Kost und darf bedenkenlos zugreifen. Wir sprachen mit Mike Gallo, seit 1999 Bassist der Band, über die aktuelle Platte, seine ganz persönliche Wut, Musik als Therapie und darüber, wem Bands wie AGNOSTIC FRONT irgendwann – hoffentlich in ganz, ganz ferner Zukunft – mal das Zepter übergeben könnten.
„The American Dream Died“. Es kann nur sterben, was vorher existierte
Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Land, in dem jeder seinen Weg machen kann, wenn er nur fleißig genug ist und beharrlich. Amerika war tatsächlich ein Magnet für Menschen aus aller Welt, die sich verwirklichen wollten und ihre Heimat verließen, um in Amerika ihren Weg zu machen. „Das heutige Problem ist aber, dass wir unserer Regierung nicht mehr vertrauen. Sie haben alles kaputt gemacht, mit ihren Lügen, der Korruption und den Alleingängen unter falscher Flagge. Leider ist das die traurige Wahrheit und das geht heutzutage ab in unserem Land. Langsam haben wir uns Stück für Stück vom Grundgedanken der Freiheit entfernt, unsere Werte gingen den Bach runter und es gibt zu viele Leute, die das noch dazu nicht wirklich kümmert. Das einst so vielversprechende Amerika, scheint sich wieder zurück zum Schlechteren zu entwickeln.“ so schildert uns Mike Gallo, Bassist der Hardcore-Legende AGNOSTIC FRONT, seine Sicht der Dinge und steht damit nicht alleine da. Deshalb mussten für das Intro auch keine überzogenen TV-Serien ausgeschlachtet werden, sondern es sind normale Menschen aus der Mitte, die hier zitiert werden. „Wir haben diese Ausschnitte alle auf You Tube gefunden. Das sind Leute, die die Wahrheit aussprechen, darüber was in unserem Land schief läuft. Sie haben die Größe, diese Lügen offen anzusprechen.“
Wut im Bauch
Da AGNOSTIC FRONT schon sehr lange existieren, stellt sich trotzdem die Frage nach der Wut im Bauch. Wie verträgt sich das mit der Altersmilde, die doch zwangsläufig irgendwann einsetzen sollte und dem normalen Prozess, dass man irgendwann müde wird und sich nicht stetig über die gleichen Themen aufregen kann? „Ich hasse im Großen und Ganzen noch die gleichen Dinge, wie damals als Jugendlicher. Meine Gefühle oder Ansichten haben sich über die Jahre nicht sonderlich geändert. Die einzige Sache ist wohl, dass ich nicht mehr jeden auf der Straße am liebsten umbringen würde. Die Wut dazu habe ich weiterhin in mir, aber ich habe mittlerweile verinnerlicht, dass das rein gar nichts ändern würde und es überhaupt nicht wert wäre.“ fasst Mike sein Innerstes zusammen. Der Energie von „The American Dream Died“ ist eine gewisse Wut als Antrieb natürlich sehr zuträglich. Deshalb klingt auch jedes Lied der aktuellen Platte so, dass man weiß welche Energie es live freisetzen kann. AGNOSTIC FRONT gehen nicht kalkuliert vor, haben aber natürlich die Wünsche der Fans bei den Aufnahmen im Hinterkopf: „Natürlich weißt du nie zu 100% wie ein Song ankommt. Aber bei jedem Song hoffen wir natürlich, dass er gut bei unseren Fans ankommt und sie richtig im Herzen erreicht. Wir versuchen immer das Bestmögliche herauszuholen und soviel Kraft wie irgendwie möglich in die Songs zu packen.“ Wahrscheinlich klingen die Gangshouts bei AGNOSTIC FRONT deshalb auch so intuitiv. Man stellt sich schon die Frage, wie es sein kann, dass eine Band nach so vielen Jahren noch derart kantig im Chor ruft. „Eine Menge Alkohol hilft“ lacht Mike, verrät dann aber doch das eigentliche Geheimnis: „Letztendlich ist die Erfahrung hier alles. Es geht um Timing und darum abzuliefern und wenn sich also einige Typen um ein Mikro versammeln, die das schon ein paar Mal gemacht haben, dann geht es leichter von der Hand. Alkohol hilft zwar manchmal, aber meistens führt es eher zu einem Durcheinander, weil die Leute dann schlampig werden“.
Für die aktuelle Tour haben sich AGNOSTIC FRONT vorgenommen, soviel wie möglich von „The American Dream Died“ live zu präsentieren. „Dann sehen wir am besten, worauf die Leute am meisten abgehen. Natürlich hat Mike aber auch seine ganz persönlichen Favoriten: „Es gibt zwar keine bestimmten Gründe dafür, aber ich freue mich auf „Police Violence“, „Never Walk Alone“, „I Can’t Relate“ und „Old New York“. Der letzte Song war auch der letzte, den Mike für die Platte geschrieben hat. Für ihn, der vor mittlerweile 14 Jahren zur Band kam, ist ein wahr gewordener Traum, ein Teil von AGNOSTIC FRONT zu sein: „Ich habe die Band immer gehört und in einer Band namens CALLED ON THE RISE gespielt, die komplett von AGNOSTIC FRONT inspiriert waren.“ Besonders für Sänger Roger hat Mike nur lobende Wort übrig. „Wenn man jetzt gar nichts über die Band weiß, dann ist sicherlich die größte Veränderung, dass Roger nun der Sänger der Band ist. Davor gab es ja John Watson und Jimmy the Russian. Aber erst als Roger dazu kam, wurde es eine richtige Band. Er wurde zur treibenden Kraft und ist es bis heute. Er kümmert sich um alles, ist in alle geschäftlichen Dinge involviert und sorgt dafür, dass es uns immer weiterhin gibt. Er ist ein guter Team-Chef und hat eine hervorragende Arbeitsmoral. Ohne ihn wären wir niemals da, wo wir heute sind“.
Wer wird AGNOSTIC FRONT ablösen?
Wahre Worte, AGNOSTIC FRONT sind sicherlich eine der einflussreichsten Hardcore-Bands überhaupt. Viel junge Bands eifern den Veteranen nach und streben einen ähnlichen Weg an. Natürlich haben die Papas den Nachwuchs im Auge und einigen von ihnen prophezeit Mike sogar eine rosige Zukunft: „Ich liebe wirklich WISDOM OF CHAINS, ich kenne sie vom Touren und bin mir deshalb nicht so ganz sicher, ob sie es so lange schaffen können, wie AGNOSTIC FRONT. Aber auf jeden Fall sind sie es wert, dass sich mehr Leute mit ihnen beschäftigen. TERROR sind eine der Bands, die sicher in der Lage sind, ganz lange im Geschäft zu bleiben. Sie haben eiserne Fans, intensive Shows und das hat ihnen einen sehr guten Ruf eingebracht. Eine weitere junge Band, die auf jeden Fall sehr viel Potential hat, sind BACKTRACK. Eine verdammt hart arbeitende Band aus New York, die das Feuer hat und sich nach und nach eine starke Fan-Basis aufbauen wird.“
Für Nachschub ist also gehört und den Orden „The Forefathers Of New York Hardcore“ dürfen sich AGNOSTIC FRONT ganz sicher schon jetzt anheften. Leider ist es aber auch kein Geheimnis, dass im Hardcore nicht die große Kohle zu machen ist, wie Roger selbst uns bereits in einem früheren Interview wissen ließ. Verständlich, wenn man dann ab und zu daran denkt aufzuhören. „Es gab mal eine Phase, in der ich ein Mädchen zum Date traf und es hasste von ihr getrennt zu sein. Das endete dann aber ganz schnell. Ich will das machen, bis ich nicht mehr kann und habe keinerlei Ambitionen in der nächsten Zeit damit aufzuhören, liebe was wir tun und vermisse es, wenn wir nicht unterwegs sind. Auf der Bühne Musik machen ist für mich wie eine Therapie. Manche gehen zum Psychiater und ich kanalisiere meinen Ärger auf der Bühne. Ich hoffe, dass ich damit niemals aufhören muss!“ Womit eindeutig klar ist, dass Bassist Mike das Geld der Musik, dem Gemeinschaftsgefühl und der Lebensfreude komplett unterordnet.
Auf die kommende Tour freut er sich dementsprechend schon riesig, auch wenn es natürlich sehr anstrengend ist und viel Zeit auf der Straße und mit Warten draufgeht.“Ich versuche von der jeweiligen Stadt so viel wie nur möglich zu sehn, um den Vorzug auszunutzen, überhaupt dahin gekommen zu sein. Ich will Clubs besuchen, das unterschiedliche Essen versuchen und so viele Leute wie möglich treffen. Wir sind gesegnet, dies überhaupt tun zu dürfen und soviel von der Welt zu sehen. Sobald wir nicht im Bus festsitzen, versuche ich meinen Körper auf Trab zu bringen und ansonsten höre ich Musik oder lese.“
Von METALLICA zu AGNOSTIC FRONT
Dass die Metal-Gemeinde AGNOSTIC FRONT so bedingungslos akzeptiert, liegt besonders an den starken Metal-Einflüssen, die nicht von ungefähr kommen. Über einen Cousin kam Mike schon sehr früh mit Metal in Berührung, hörte alles Mögliche von BLACK SABBATH, IRON MAIDEN und METALLICA, nennt sogar die ersten vier Alben von METALLICA als die einflussreichsten seiner Jugend und hält sie bis heute für unantastbar. „Das hat mich dazu gebracht, Musik zu lieben, und zwar so wie ich es heute tue. In meiner Familie war auch jeder Musiker. Ich wollte zuerst Gitarre spielen, aber mein Vater gab mir den Tipp es besser mit dem Bass zu versuchen. Er sagte da draußen seien zu viele Gitarristen und zu wenige gute Bassisten. Da er selbst seit seinem 14. Lebensjahr in einer Band spielte, wusste er, wovon er redet und gab mir damit den besten Rat für mein Leben.“ Auch heute hört er, neben Hip Hop und R’n’B, noch weiterhin gerne Metal. „Meine absolute Lieblingsmetalband ist GOJIRA. Die sind so echt und so hart, es hat mich beinahe umgehauen, als ich sie live gesehen habe.“
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