Agent Fresco
Arnór Dan Arnarson über das neue Album "Destrier"
Interview
Good things come to those who wait. Auch die Fans der isländischen AGENT FRESCO mussten sich satte fünf Jahre gedulden, bis die Truppe mit ihrem neuen Werk „Destrier“ unlängst den Nachfolger des viel beachteten Debüts „A Long Time Listening“ nachschob. Und dass ein Interview mit Frontmann Arnór Dan Arnarson kein Plausch zwischen Tür und Angel wird, war auch irgendwie klar. Erwartungsgemäß ausschweifend, nachdenklich und auch ein bisschen geheimnisvoll beantwortete der Sänger unsere Fragen. Lest in der Folge, wann Arnór Dan seinen Hut in die Luft wirft, welche Bands ihn live verzauberten und was die Essenz einer guten Platte ist. Ach so, macht euch ruhig schon mal ein Bier auf – das hier könnte etwas länger dauern.
Ihr habt vor Kurzem euer zweites Album „Destrier“ veröffentlicht. Großteile der Presse und der Fans überschütten die Platte mit Lob – ihr scheint hohen Erwartungen offensichtlich gerecht geworden zu sein. Inwieweit erfüllt das Album aber auch eure persönlichen Ansprüche als Musiker?
Arnor Dan: Danke! Ja, das Feedback war bislang überwältigend. Ich glaube, wir haben als Musiker neue Territorien erschlossen und uns als Band weiterentwickelt. Ich selbst bin emotional ans Limit gegangen und habe versucht, diese Erfahrung kreativ einzufangen. Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wäre alles eitel Sonnenschein gewesen. Wir alle machen hin und wieder schwierige Phasen durch, scheitern an Herausforderungen und zweifeln an uns selbst. Aber das ist Teil der menschlichen Evolution. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich vielleicht ein bisschen zu weit gegangen bin, weswegen ich während des Songwritings und der Sessions im Studio zwischenzeitlich die Kontrolle verlor. Am Ende denke ich aber, dass wir etwas sehr Persönliches und Besonderes geschaffen haben. Die Platte fühlt sich ehrlich an und wir haben alles in dieses Album investiert, was wir hatten.
Weil wir gerade beim Thema sind – was ist deiner Meinung nach wichtiger für ein gutes Album: Emotionalität oder Musikalität?
Meine Beziehung zur Musik war schon immer sehr intim. Musik war für mich immer wie ein guter Freund, und keine reine Unterhaltung. In viele Platten und Alben habe ich mich damals allein zu Hause vertieft, bin als Teenager in Dänemark oft allein auf Konzerte gegangen. Somit erwarte ich von meiner Musik auch, dass sie sehr persönlich und emotional ist. Als ich angefangen habe, Musik zu schreiben, wurden Songs für mich schnell zu wunderbaren Instrumenten, um meine Gedanken und Gefühle zu entdecken und auszudrücken. Allerdings bin ich nicht der Meinung, dass eine gute Platte unbedingt vor dem Hintergrund starker Emotionen geschrieben werden muss, überhaupt nicht. Entscheidend ist letztlich die Verbindung zwischen der Musik und dem Hörer. Für den einen bedeutet eine Akkordfolge das Wunderbarste auf der Welt, ein anderer findet sie langweilig. Es ist wie mit der Malerei und anderer Kunst, manche Betrachter regt sie an, andere finden sie belanglos. Es ist alles subjektiv, und das ist das Wundervolle daran.
Du hast kürzlich gesagt, dass die Texte auf „Destrier“ stark von diversen negativen Erfahrungen beeinflusst wurden, welche du gemacht hast. Habt ihr die instrumentalen Arrangements diesem Umstand in irgendeiner Art und Weise angepasst?
Zunächst ist es so, dass wir die Verflechtung der inhaltlichen Themen mit der Musik früh im Songwriting-Prozess berücksichtigt haben. Das ist auch ein wesentlicher Unterschied zu „A Long Time Listening“. Nachdem unser Gitarrist Tóti damals die Songs fertig arrangiert hatte, brachte ich sie in eine Reihenfolge, welche sich meiner Meinung nach am besten eignete, mein Gefühle im Zusammenhang mit dem Verlust meines Vaters zu vertonen. Die Texte thematisierten jeweils eine Phase, in der ich mich befand, am frühen Morgen, abends, tagsüber. Schließlich ordnete ich die Songs so an, dass ihre Texte eine chronologischen Ablauf darstellten. Dabei sollte der letzte Song nahtlos in den ersten übergehen, damit eine Art Kreislauf entsteht. Das Ziel war letztlich, die repetitive Natur eines Tages zu vertonen, entsprechend eines sich wiederholenden Kreislaufs der Trauer. Für „Destrier“ wählten wir eine andere Herangehensweise, auch weil wir wussten, dass wir kein zweites „A Long Time Listening“ schreiben würden. Das neue Album sollte anders sein. Es ging uns diesmal nicht um einen Kreislauf, sondern wir wollten eine Platte schaffen, die Anfang und Geburt sowie Ende und Tod verkörpert. Allerdings hatten wir durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das Album letztlich beschaffen sein sollte. Tótis Interpretation des neuen Materials war eher die einer Geburt, ich sah darin mehr Zerstörung und Verwüstung. Das klingt zunächst nach einem riesigen Problem. War es aber nicht. Vielmehr war es unglaublich spannend, dass zwei gegensätzliche Kräfte an dem Album gewirkt haben, beide mit dem Ziel, etwas Wunderbares zu schaffen. Klar, als ich damals in Reykjavik zusammengeschlagen wurde, war das sicher eine Art Katalysator. Und der gesamte Entstehungsprozess der Platte war irgendwie chaotisch und turbulent. Aber es gibt immer Hoffnung, es gibt immer etwas Wunderbares. Und wir wollten ja auch mit starken Kontrasten arbeiten. Ich hoffe sehr, dass der Hörer das Album auf beide Weisen versteht und wahrnimmt.
Es geht also um den Kampf negativer und positiver Emotionen. Allerdings erschließt sich mir in diesem Kontext nicht so ganz, warum ihr als Leitbild der Platte das „Destrier“, also ein historisches Schlachtross gewählt habt.
Ich war in das Wort „Destrier“ bereits verliebt, da hatten wir noch gar nicht mit dem Songwriting begonnen. Es ist, weil wir ja eben von Kontrasten sprachen, ebenfalls ein konträres Wort. Es hat einen eleganten, majestätischen Klang, es ist eine wunderbare Kreatur, welche aber gleichzeitig Stärke repräsentiert, ein für die Schlacht gezüchtetes Pferd. Zudem besitzt das Wort optisch eine Ähnlichkeit zu „Destroyer“. Als ich dann wusste, welches Thema wir auf dem Album behandeln würden, war mir sofort klar, dass dies der Titel sein muss. Das „Destrier“ ist eine Kreatur, welche diese Phase in meinem Leben am besten symbolisiert. Im Zuge des Albums versuche ich, mich den destruktiven Gedanken zu stellen, sie zu kontrollieren und mich von ihnen zu lösen. Ebenso wie von der Reue und Sorge, die mich plagte. Bis dahin ist es eine Reise, die aber eher eine Konversation ist.
Die gesamte Platte und insbesondere die ersten beiden Songs besitzen diesen typisch „isländischen Sound“, wie wir ihn von Künstlern wie ÓLAFUR ARNALDS, SIGUR RÓS oder SÓLSTAFIR kennen. Tiefgründig, melancholisch und episch. Wie glaubst du, kommt dieser spezielle Klang zustande?
Ich höre diese Frage sehr oft und ich weiß bis heute nicht, was ich darauf antworten soll. Vielleicht ist es einfach mein persönlicher Charakter? Weil ich so tiefgründig, melancholisch und so verdammt episch bin? Klingt, als hätte ich damit bei einer Partnerbörse ganz gute Chancen, oder? Haha, Spaß beiseite. Ich weiß es nicht. Island ist ein wunderschönes Land, ich genieße es, dort zu leben. Aber ich glaube nicht, dass das großartigen Einfluss auf unseren Sound oder unsere Musik hat.
Die Produktion der Platte klingt jedenfalls großartig. Was macht ein „gut klingendes“ Album in deinen Augen aus?
Wir haben mit Styrmir Hauksson in Reykjavik aufgenommen. Er hat auch den Mix verantwortet. Tóti agierte gewissermaßen als Co-Produzent. Zudem hat Tóti vorab für alle Songs sehr aufwendige Demos produziert, wir wussten also sehr früh, wohin wir soundtechnisch mit „Destrier“ wollten. Natürlich haben wir ewig diskutiert, aber so ist das eben, wenn du vier äußerst penible Herren zusammenbringst, haha. Aber ja, Styrmir hat großartige Arbeit geleistet. Glenn Schick hat das Album dann gemastert und er hat der Platte diesen letzten Push gegeben, den du dir als Band vorher nicht zu träumen erhofft hast. Wie eine Platte klingen muss? Das ist eine schwierige Frage. Erst heute Morgen habe ich darüber nachgedacht. Es gibt zweifelsfrei eine Menge Musik da draußen, die weniger von den Bands, die sie spielen, als von den Toningenieuren, die sie produzieren, abhängig geworden ist. Es wird mit Autotune, Filtern, nachträglichen Reparaturen und vielem mehr gearbeitet. Dabei verliert die Musik aber auch einen Teil ihrer Seele. Ein Album muss nicht zu 100 Prozent perfekt aufgenommen worden sein. Manchmal unterrichte ich Musik in einer Grundschule. Dort gibt es Kinder, die unglaublich schön singen. Ich nehme sie manchmal auf. Und wenn wir dann gemeinsam die Aufnahmen anhören, sind sie enttäuscht und wütend. Warum? Weil alle Sänger, die sie heute hören, auf ihren Alben jeden noch so schwierigen Ton treffen. Dieses Phänomen betrifft nicht nur die Musik, mir kommen da beispielsweise auch die vermeintlichen Schönheitsideale unserer Zeit in den Sinn, dem die Kinder schon in jungen Jahren nacheifern. Das ist keine gesunde Entwicklung. Menschen müssen auch scheitern, wir müssen uns mit dem angeblich „Hässlichen“ auseinandersetzen und es schätzen. Das ist es, was uns menschlich macht.
Aktuell steht ihr mit „Destrier“ an der Spitze der isländischen Charts. Was bedeutet euch das? Und sind die Isländer besonders treue Kunden im Plattenladen?
Haha, ehrlich gesagt kenne ich mich mit den Verkaufszahlen in anderen Ländern überhaupt nicht aus, folglich kann ich das nicht bewerten. Es war allerdings eine riesige Überraschung für uns, das hatten wir natürlich nicht erwartet. Als ich es erfahren hatte, trug ich gerade einen Hut. Den habe ich wirklich genommen und in die Luft geworfen, so begeistert war ich.
Ihr habt euch den Ruf einer heraustragenden Liveband erworben. Gibt es dennoch Momente, in denen du unzufrieden mit deiner Leistung bist? Und welche Bands sollte man unbedingt einmal live gesehen haben?
Ich erlaube es mir nicht mehr, länger als zehn Minuten nach der Show unzufrieden zu sein. Manchmal hast du einen schlechten Tag, das kannst du nicht ändern. Wichtig ist, dass du deine Fehler analysierst und es beim nächsten Mal besser machst. Auf der Bühne fokussiere ich mich ohnehin mehr auf Bewegungen und die Verbindung mit meiner Musik, die Interaktion mit der Band und dem Publikum, als mich darauf zu konzentrieren, dass ich perfekt singe. Das ist ja das Spannende. Dasselbe Set und dieselben Songs können in einem anderen Raum mit anderen Menschen eine komplett unterschiedliche Erfahrung sein. Zudem liebe ich es, auf der Bühne zu stehen und mich körperlich zu verausgaben. Ich denke, jeder im Publikum kann beurteilen, ob eine Band wirklich Spaß an ihrer Show hat. Und ich denke, in unserem Fall ist ziemlich offensichtlich, dass wir zu 100 Prozent genießen, was wir live tun. Die wohl eindrucksvollsten Live-Shows erlebte ich bereits vor vielen Jahren, als ich noch ein Teenager war bei THE BLOOD BROTHERS, SIGUR RÓS, ANTONY AND THE JOHNSONS und THE MARSV VOLTA. THE BLOOD BROTHERS waren überwältigend, sie hatten eine unglaubliche Energie. Dasselbe gilt für THE MARS VOLTA. Ich sah sie damals, kurz bevor sie ihr Debüt veröffentlichten. Als langjähriger Fan von AT THE DRIVE-IN war ich noch sauer wegen des Splits. Aber dann haben sie mich komplett umgehauen. SIGUR RÓS und ANTONY AND THE JOHNSONS haben mich zum Heulen gebracht, weswegen ich sie aufzähle. Ach, und dann habe ich zuletzt D’ANGELO mit ÓLAFUR ARNALDS in London gesehen. Das war etwas, von dem ich dachte, es würde nie geschehen. Da schwebte so viel Sex und Leidenschaft mit, das war der Wahnsinn. Oh Baby, das war Livemusik, so wie sie sein sollte!
Zwischen der Veröffentlichung eures Debüts und „Destrier“ liegen fünf Jahre. Dürfen wir mit neuen Material von euch vor dem Jahr 2020 rechnen?
Es war tatsächlich ein langer Prozess. Die Demo des Songs „Dark Water“ beispielsweise stammt bereits aus dem Jahr 2011. Vor etwa zwei Jahren standen dann alle Songs, was das Instrumentale anging. Ich hab dann die Gesangsmelodien und die Texte geschrieben. Insgesamt zog sich der Kreativprozess über vier Jahre. Manchmal gingen uns die Dinge wahnsinnig schnell von der Hand, gefolgt von mühsamen und zähen Wochen, in denen kaum etwas passierte. Aber wie ich schon sagte, sehe ich meine Kunst als Spiegelbild bestimmter Phasen in meinem Leben. Diesmal waren es Jahre, die nicht einfach waren, ich habe in den vergangenen Jahren einige Täler durchschritten und diverse Rückschläge erlitten. Aber heute ist es gleichzeitig ein wunderbares Gefühl, das Album aufzulegen, die Zweifel und die Sorge in meiner Stimme zu hören und zu wissen, dass ich mittlerweile viele dieser Probleme hinter mir gelassen habe. Zurück zu deiner Frage. Verdammt noch mal, natürlich wollen wir vor 2020 neue Songs schreiben und veröffentlichen. Im Moment fokussieren wir uns aber erst einmal darauf, die neue Platte zu promoten und so viel wie möglich live zu spielen.
Die englische Version des Interviews findet Ihr auf der folgenden Seite / English version of the interview on the following page.
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